§ 30 AO Auskunftserteilung an Verwaltungsgerichte
1 Auskunftserteilung in steuerlichen Verfahren
In Fällen, in denen Verwaltungsgerichte Rechtsstreitigkeiten über Steuern (§ 3 AO) zu entscheiden haben, stehen sie hinsichtlich der ihnen zu erteilenden Auskünfte den Finanzgerichten gleich. Den Verwaltungsgerichten können daher in Verfahren in Steuersachen (insbesondere Realsteuersachen, Kirchensteuersachen) auf Ersuchen die für die Entscheidung erforderlichen Auskünfte erteilt werden (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO).
Steuerakten sind jedoch nur dann zu übersenden, wenn und soweit der Sachverhalt ohne Akteneinsicht nicht festgestellt werden kann.
Auch für Zwecke der Streitwertfestsetzung kann den Verwaltungsgerichten Auskunft ertellt werden, wenn über die Höhe des Streitwerts in einem Verfahren in Steuersachen zu entscheiden ist.
2 Auskunftserteilung in anderen Verfahren
2.1 Allgemeines
Bei verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten in anderen als steuerlichen Verfahren dürfen die Finanzämter den Gerichten Auskünfte nur erteilen, wenn
die Offenbarung durch Gesetz ausdrücklich zugelassen ist (§ 30 Abs. 4 Nr. 2 AO) oder
der Steuerpflichtige zustimmt (§ 30 Abs. 4 Nr. 3 AO) oder
ein zwingendes öffentliches Interesso vorliegt (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO; siehe hierzu Tz. 3).
2.2 Besonderheit: § 99 VwGO (Vorlage- und Auskunftspflicht der Behörde)
Gem. § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften verpflichtet.
§ 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist keine Rechtsnorm im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO. Daher kann, wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden oder Akten und dieser Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheimgehalten werden müssen, die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage von Urkunden oder Akten und die Erteilung der Auskunft verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. ”Sperrerklärung”). Ein Weigerungsrecht ist nur dann anzunehmen, wenn es zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter oder Rechtsgüter Einzelner, insbesondere von Geheimnissen, deren Schutzwürdigkeit bereits durch vergleichbare Regelungen - wie z. B. § 30 AO - anerkannt wurde, erforderlich ist und die Vorlage nicht zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter geboten ist. Geheimhaltungsbedürftig ist grundsätzlich der Inhalt der Steuerakten (Kopp, Kommentar zur VwGO, § 99 Anm. 9).
Zuständige oberste Aufsichtsbehörde und damit allein zur Abgabe der Sperrerklärung befugt ist, soweit es um die Offenbarung von Verhältnissen geht, die dem Finanzamt in einem der in § 30 Abs. 2 AO genannten Verfahren bekannt geworden sind, das Ministerium der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt.
Fordert das Verwaltungsgericht das Finanzamt gem. § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur Urkunden- oder Aktenvorlage oder zur Auskunftserteilung auf und gelangt das Finanzamt zu der Auffassung, dass weder ein Fall des § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO noch des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO vorliegt, hat es der OFD unter Beifügung der Akten zu berichten und das Verwaltungsgericht hierüber zu unterrichten.
Verweigert das Ministerium der Finanzen die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung von Auskünften, stellt das Oberverwaltungsgericht auf Antrag eines Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss fest, ob die Verweigerung rechtmäßig ist (§ 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO); das Verwaltungsgericht kann die Berechtigung einer Weigerung nicht von Amts wegen nachprüfen. Über die Beschwerde gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts entscheidet das Bundesverwaltungsgericht (§ 99 Abs. 2 Satz 13 VwGO).
3 Verfahren vor den Verwaltungsgerichten in gewerberechtlichen Angelegenheiten (vgl. auch AO-Kartei § 30 Karte 10)
Eine Befugnis des Finanzamts zur Erteilung von Auskünften im gewerberechtlichen Untersagungsverfahren ergibt sich aus § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO nicht. Denn das Gewerbeuntersagungsverfahren ist ein eigenständiges wirtschaftsverwaltungsrechtliches Verfahren, das nicht unmittelbar der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens oder eines gerichtlichen Verfahrens in Steuersachen sowie eines Strafverfahrens wegen einer Steuerstraftat oder eines Bußgeldverfahrens wegen einer Steuerordnungswidrigkeit (§ 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchstaben a und b AO) dient. Das gilt auch dann, wenn das Untersagungsverfahren auf Anregung des Finanzamts betrieben wird (, BVerwGE 65, 1 - 8; , BStBl. II 1987, 545). Damit ist auch eine Offenbarungsbefugnis gegenüber dem Verwaltungsgericht nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO nicht gegeben.
Die gewerberechtlichen Bestimmungen (z. B. die §§ 35 GewO, 15 GastG) enthalten keine ausdrückliche Auskunftsermächtigung im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO; die Auskunftserteilung an die Verwaltungsgerichte kann daher ebenfalls nicht auf diese Vorschrift gestützt werden. Zur Auskunftserteilung aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Zulassung nach dem Personenbeförderungsgesetz siehe AO-Kartei OFD Magdeburg, § 30 Karte 8, und nach dem Güterkraftverkehrsgesetz siehe AO-Kartei OFD Magdeburg, § 30 Karte 9.
Da das Gewerbeuntersagungsverfahren kein Strafverfahren ist, scheidet schon deshalb die Anwendung des § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO aus.
3.4 Auskünfte der Finanzämter an die Gewerbebehörden, die in gewerberechtlichen Verfahren für die Versagung einer beantragten Erlaubnis, die Rücknahme oder den Widerruf einer Erlaubnis oder eine Gewerbeuntersagung mitentscheidend sein können, sind daher nur in folgenden Fällen zulässig:
3.4.1 Der Gewerbetreibende stimmt einer Auskunft durch das Finanzamt (ausdrücklich) zu, § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO. Allein aus der Verpflichtung des Gewerbetreibenden zur Auskunftserteilung im Untersagungsverfahren nach § 35 Abs. 3 a GewO kann nicht auf eine generelle Zustimmung zur Offenbarung seiner steuerlichen Verhältnisse geschlossen werden.
3.4.2 Die Auskunftserteilung liegt im zwingenden öffentlichen Interesse, § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO.
Das , a. a. O., entschieden, dass eine Situation i. S. d. § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchstabe b AO auch im Falle der steuerlichen Unzuverlässigkeit von Gewerbetreibenden gegeben sein kann, und die Finanzbehörden daher in einern solchen Fall der Gewerbebehörde und später den Verwaltungsgerichten über das Verhalten des Steuerpflichtigen bei der Abgabe von Steuererklärungen und bei der Entrichtung von Steuern sowie über die Höhe der Steuerrückstände Mitteilung machen dürfen, obgleich diese Tatsachen grundsätzlich gem. § 30 Abs. 2 AO Gegenstand des Steuergeheimnisses sind. Der BFH hat sich der Auffassung des BVerwG in seinem Urteil vom , VII R 77/84, a. a. O., angeschlossen.
Es bestehen daher keine Bedenken dagegen, auch den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in gerichtlichen Verfahren wegen der Untersagung des Gewerbes auf Anfrage die steuerlichen Verhältnisse des Gewerbetreibenden zu offenbaren, wenn das Finanzamt das Gewerbeuntersagungsverfahren bei der zuständigen Behörde angeregt hatte oder wenn die Voraussetzungen für die Anregung des Finanzamts an die Gewerbebehörde auf Einleitung eines Untersagungsverfahrens vorgelegen haben (vgl. hierzu -, geändert durch - und vom - IV A 4 - S 0130 - S 0062 - 11/01 -; Amtliches AO-Handbuch 2002 Anhang 27 Abschn. II). Die Verwaltungsgerichtsbarkeit kann ihren Aufgaben (effektiver Rechtsschutz des Bürgers zur Wahrung seiner Grundrechte, Amtsermittlungspflicht zur eigenen Überprüfung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung der Gewerbebehörde gem. § 86 VwG O) nur nachkommen, wenn die erforderliche Amtshilfe des Finanzamtes gewährleistet ist. Die Verpflichtung des Finanzamtes folgt unmittelbar aus Art. 35 GG und den diese Verfassungsnorm konkretisierenden Vorschriften der §§ 87 Abs. 1 Nr. 3; 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Hinzu kommt, dass das Gericht seinerseits zu Datenschutz, Amtsverschwiegenheit und Wahrung des informellen Selbstbestimmungsrechts der Beteiligten verpflichtet ist.
OFD Magdeburg v. - S 0130 - 23 - St 251
Fundstelle(n):
ZAAAA-80868