Unerlaubter Handel mit Betäubungsmitteln: Annahme von Mittäterschaft nur bei eigennützigem Handeln
Gesetze: § 29 Abs 1 S 1 Nr 1 BtMG, § 25 Abs 2 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 3 KLs 34/19
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten D. M. unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu der Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Den Angeklagten C. M. hat es „des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei weiteren tateinheitlich zusammentreffenden Fällen“ schuldig gesprochen, ihn zu der „Gesamtfreiheitsstrafe“ von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, ebenfalls auf eine Einziehungsanordnung erkannt und ihn im Übrigen freigesprochen.
2Gegen ihre Verurteilungen richten sich die Revisionen der Angeklagten, mit denen jeweils das Verfahren beanstandet und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhoben wird. Die Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
3Nach den Feststellungen handelte der Mitverurteilte Ö. M. , ein Bruder der beiden Angeklagten, seit geraumer Zeit in größerem Umfang mit Betäubungsmitteln, insbesondere mit Marihuana im Kilogrammbereich, zum Teil aber auch mit Haschisch und Kokain. Während er die Betäubungsmittel überwiegend gemeinsam mit einem Bekannten von verschiedenen Lieferanten bezog, veräußerte er die aus den jeweiligen Lieferungen anteilig auf ihn entfallenden Drogen selbständig gewinnbringend weiter.
4Am wurde der Mitverurteilte bei der Abholung einer Lieferung von zwei Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 11 % THC vom Angeklagten D. M. begleitet, der auf der Rückfahrt die Tasche mit den Betäubungsmitteln zeitweise trug (Fall II. 10. der Urteilsgründe). Während einer vom 7. bis dauernden Chinareise des Mitverurteilten übernahm der Angeklagte D. M. im Auftrag seines Bruders Ö. M. die im Rahmen des Betäubungsmittelhandels anfallenden Tätigkeiten vor Ort. Zur Fortführung des Handels in Abwesenheit seines Bruders erhielt der Angeklagte D. M. bei Abreise des Mitverurteilten Bargeld in Höhe von 3.000 € und eine Restmenge von zwei Kilogramm Marihuana mit 13 % THC, die er teilweise an Abnehmer seines Bruders weiterveräußerte. Des Weiteren nahm er am 9. Januar und am insgesamt drei für seinen Bruder Ö. M. bestimmte Lieferungen von jeweils fünf Kilogramm Marihuana mit Wirkstoffgehalten von 11 % und 13 % THC entgegen, lagerte sie ein und setzte Marihuana aus diesen Lieferungen zum Teil an Abnehmer ab. Nicht veräußerte Restmengen aus diesen Lieferungen wurden mit der jeweils nächsten Lieferung gemeinsam verwahrt. Der Angeklagte C. M. überwachte auf Veranlassung des Mitverurteilten Ö. M. die Tätigkeiten des Angeklagten D. M. , stand ihm beim Abverkauf des gelieferten Marihuanas mit Rat zur Seite und war teilweise auch selbst mit der Weiterveräußerung betraut.
5Eine am erhaltene Lieferung von einem Kilogramm Kokainzubereitung mit einem Wirkstoffgehalt von 80 % Kokainhydrochlorid wurde auf Veranlassung des Mitverurteilten von dessen Bekannten an den Angeklagten C. M. übergeben. Dieser übernahm selbst und auf eigene Rechnung den Vertrieb der Kokainmenge und rechnete insoweit unmittelbar mit dem Bekannten ab (Fall II. 14.).
II.
6Die Verfahrensrügen dringen nicht durch. Die Rüge des Angeklagten C. M. , ein Sachverständiger sei nach Erstattung des Gutachtens ohne Gerichtsbeschluss über seine Vereidigung entlassen worden, ist bereits nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die Revision nicht vorträgt, dass die ausweislich des Protokolls ergangene Vorabentscheidung des Vorsitzenden, den Sachverständigen in allseitigem Einverständnis unvereidigt zu entlassen, ohne Beanstandung der Verteidigung nach § 238 Abs. 2 StPO geblieben war. Im Übrigen haben die erhobenen Verfahrensrügen aus den im Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts ausgeführten Gründen keinen Erfolg.
III.
7Soweit die Angeklagten jeweils wegen täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden sind, halten die Schuldsprüche einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Urteilsgründe nicht ergeben, dass die Angeklagten bei ihren den Umsatz von Betäubungsmitteln fördernden Tätigkeiten jeweils eigennützig handelten.
81. Der Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG erfasst jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit (st. Rspr.; vgl. nur ‒ GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256 mwN). Eigennützig ist eine Tätigkeit, wenn das Tun des Täters vom Streben nach Gewinnen geleitet wird oder, wenn er sich irgendeinen anderen persönlichen Vorteil davon verspricht, durch den er materiell oder ‒ objektiv messbar ‒ immateriell bessergestellt wird. Dass der erstrebte Vorteil tatsächlich erlangt wird, ist nicht erforderlich (vgl. ‒ 4 StR 42/16, NStZ-RR 2016, 212, 213 mwN). Ein mittäterschaftliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kommt danach unabhängig vom Gewicht des vom Täter erbrachten Tatbeitrags nur in Betracht, wenn der Täter in subjektiver Hinsicht selbst eigennützig handelt. Die bloße Förderung fremden Eigennutzes genügt dagegen nicht (st. Rspr.; vgl. nur ‒ 5 StR 153/86, BGHSt 34, 124, 125 f.; Beschluss vom ‒ 2 StR 16/13, NStZ 2013, 550; vgl. Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 636 mwN).
92. Dass die Angeklagten bei ihren festgestellten zur Förderung des Betäubungsmittelhandels entfalteten Tätigkeiten jeweils im dargelegten Sinne eigennützig handelten, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
10a) Hinsichtlich des Angeklagten D. M. hat das Landgericht nicht festgestellt, dass der Angeklagte bei der Fortführung des Betäubungsmittelhandels für seinen abwesenden Bruder aus eigennützigen Motiven tätig wurde. Auch die Ausführungen der Strafkammer zur Beweiswürdigung und zur rechtlichen Bewertung des festgestellten Sachverhalts verhalten sich nicht dazu, ob der Angeklagte mit der Tätigkeit für seinen Bruder einen eigenen materiellen oder objektiv messbaren immateriellen Vorteil erstrebte. Vor dem Hintergrund der familiären Verbundenheit mit dem Mitverurteilten Ö. M. und der nur kurzzeitigen, auf den Zeitraum der Chinareise des Mitverurteilten beschränkten Tätigkeit des Angeklagten D. M. liegt die Eigennützigkeit seines Tuns nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe auch nicht ohne Weiteres auf der Hand. Schließlich vermag der in den Strafzumessungserwägungen der Strafkammer enthaltene Hinweis auf eine ‒ im Wortlaut nicht mitgeteilte ‒ WhatsApp-Nachricht des Mitverurteilten zu einer nach seiner Rückkehr in Aussicht gestellten Teilung des Gewinns die fehlenden tatrichterlichen Darlegungen zur Eigennützigkeit nicht zu ersetzen.
11b) Auch bezogen auf den Angeklagten C. M. enthalten die Gründe des angefochtenen Urteils keine Ausführungen zur jedenfalls partiellen Eigennützigkeit seines Tuns. Die Strafkammer hat zwar festgestellt, dass der Angeklagte C. M. nach Aushändigung des für seinen Bruder bestimmten Kokains dessen Vertrieb selbst und auf eigene Rechnung übernahm und insoweit unmittelbar mit dem Bekannten abrechnete. Diese ein eigennütziges Handeln des Angeklagten C. M. zumindest nahelegende Feststellung wird aber durch die Ausführung des Landgerichts im Rahmen der Beweiswürdigung nicht getragen, wonach die Strafkammer aus dem Inhalt verschiedener Chat-Nachrichten lediglich die Schlussfolgerung gezogen hat, dass der Angeklagte C. M. die Kokainlieferung unabhängig von Ö. M. mit dem Bekannten abrechnete. Angesichts der auf den Abrechnungsvorgang beschränkten Würdigung der Chat-Nachrichten durch das Landgericht kommt es nicht mehr darauf an, dass der mitgeteilte Wortlaut der Nachrichten für einen tatrichterlichen Schluss auf einen Vertrieb auf eigene Rechnung keine ohne Weiteres nachvollziehbare Tatsachengrundlage bietet. Letztlich lassen die Darlegungen zur rechtlichen Würdigung erkennen, dass das Landgericht seine Annahme eines täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln beim Absatz des Kokains maßgeblich auf das Gewicht der Tatbeiträge gestützt hat, ohne das subjektive Merkmal der Eigennützigkeit in den Blick zu nehmen.
123. Wegen des von der Strafkammer angenommenen tateinheitlichen Zusammentreffens des täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit den Beihilfetaten erfasst die Urteilsaufhebung bezüglich des Angeklagten C. M. die gesamte Verurteilung. Bei dem Angeklagten D. M. entzieht die teilweise Aufhebung des Schuldspruchs dem Strafausspruch und der Einziehungsentscheidung die Grundlage. Die rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen können ‒ mit Ausnahme der Feststellungen zu dem Vertrieb des am übernommenen Kokains ‒ bestehen bleiben. Der neue Tatrichter wird bezüglich beider Angeklagter neue Feststellungen zum subjektiven Merkmal der Eigennützigkeit zu treffen haben, welche die aufrechterhaltenen bisherigen Feststellungen widerspruchsfrei ergänzen.
134. Für die gegebenenfalls neu zu treffenden Einziehungsentscheidungen weist der Senat auf Folgendes hin:
14Nach § 73 Abs. 1 StGB unterliegen Vermögensgegenstände, die der Täter durch oder für eine rechtswidrige Tat erlangt hat, der Einziehung. „Durch“ die Tat erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB ist ein Vermögenswert, wenn er dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs derart zugeflossen ist, dass er der faktischen Verfügungsgewalt des Täters unterliegt. Da es sich bei dem Erlangen um einen tatsächlichen Vorgang handelt, kommt es auf zivilrechtliche Besitz- oder Eigentumsverhältnisse nicht an (st. Rspr.; vgl. nur ‒ 4 StR 78/18, wistra 2019, 96 mwN). Nicht erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB sind dagegen als Mittel für die Tatdurchführung erhaltene Gegenstände (vgl. ‒ 1 StR 127/20, wistra 2021, 314) oder Gegenstände, auf die sich die Tat als Tatobjekte bezieht (vgl. ‒ 5 StR 435/20 Rn. 8). Insoweit kommt nur eine Einziehung als Tatmittel oder Beziehungsgegenstand nach § 74 Abs. 1 und 2 StGB in Betracht.
15Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird danach ergänzende Feststellungen zu den Erlösen zu treffen haben, die den Angeklagten aus der Veräußerung von Betäubungsmitteln tatsächlich zugeflossen waren.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:300921B4STR70.21.0
Fundstelle(n):
XAAAH-96025