Strafverfahren: Hemmung der Fristen für die Unterbrechung der Hauptverhandlung wegen coronabedingten Infektionsschutzmaßnahmen
Gesetze: § 10 Abs 1 S 1 StPOEG, § 10 Abs 1 S 2 StPOEG
Instanzenzug: LG Darmstadt Az: 700 Js 36237/14 - 9 KLsnachgehend Az: 1 StR 458/20 Beschluss
Tenor
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom werden als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend zur Stellungnahme des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
Die von beiden Beschwerdeführern im Wesentlichen inhaltsgleich erhobene Verfahrensrüge, wonach die Unterbrechungsfrist gemäß § 229 Abs. 2 StPO nicht gewahrt worden sei, weil eine Krankheit im Sinne des § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht vorgelegen habe, ist jedenfalls unbegründet.
Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
1. Die Hauptverhandlung, die am begonnen hatte, wurde am , dem 15. Hauptverhandlungstag, unterbrochen und sollte am fortgesetzt werden. An diesem Tag teilte ein Schöffe dem Landgericht telefonisch mit, dass er am nach einem Kurzurlaub aus Österreich zurückgekehrt sei und sogleich seinen Hausarzt wegen der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus aufgesucht habe. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass er aus Kapazitätsgründen eine Testung im Hinblick auf eine mögliche Ansteckung mit diesem Virus nicht vornehmen könne. Das Landgericht hat daraufhin am auf Grundlage des § 229 Abs. 3 StPO durch Beschluss festgestellt, dass wegen Besorgnis der Infizierung des Schöffen und der Gefahr einer Ansteckung die Fristen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO gehemmt seien.
Nachdem eine beisitzende Richterin am telefonisch mitgeteilt hatte, dass ihr Kind zu einem Kind ihres Nachbarn Kontakt gehabt habe, der anschließend positiv auf den SARS-CoV-2-Virus getestet worden sei, und sich ihre Familie auf Rat des Gesundheitsamtes in häusliche Quarantäne begeben und eine Testung auf den Virus durchgeführt habe, hat das Landgericht am mit gleicher Begründung erneut eine Hemmung der Fristen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO nach § 229 Abs. 3 StPO beschlossen.
Mit Beschluss vom hat das Landgericht schließlich das Ende der Fristenhemmung zum festgestellt, nachdem zu diesem Zeitpunkt die Testung der Familienmitglieder der beisitzenden Richterin auf den Virus jeweils negativ ausgefallen und beim Schöffen keine Krankheitssymptome aufgetreten waren. Am hat das Landgericht die Hauptverhandlung mit den Schlussanträgen fortgesetzt und am nächsten Tag das Urteil verkündet.
2. Ein Verstoß gegen die Unterbrechungsvorschriften des § 229 Abs. 2 und 3 StPO liegt nicht vor. Der Ansicht der Revision, dass das Landgericht die Hauptverhandlung spätestens zum (Montag) hätte fortsetzen müssen, um die Ein-Monatsfrist des § 229 Abs. 2 StPO zu wahren, trifft nicht zu. Das Landgericht konnte zwar die Hemmung der Fristen nicht auf § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO stützen, weil eine Krankheit im Sinne dieser Vorschrift nicht vorgelegen hat. Jedoch ist § 10 Abs. 1 EGStPO mit Wirkung vom in Kraft getreten, der eine Hemmungswirkung konstituiert, solange die Hauptverhandlung aufgrund von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) nicht durchgeführt werden kann, längstens jedoch für zwei Monate, wobei die Fristen frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung enden.
Die Hemmung des § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO tritt kraft Gesetzes ein. Der Feststellungsbeschluss nach Satz 2 hat nur insofern konstitutive Bedeutung, als er den Beginn und das Ende der Hemmung unanfechtbar feststellt (vgl. mwN). Demnach war vorliegend - die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 EGStPO lagen unzweifelhaft vor - die Hemmung der Fristen am kraft Gesetzes eingetreten und fand ihr Ende am . Innerhalb der Zehn-Tagesfrist wurde die Hauptverhandlung am fortgesetzt. Einer erneuten Beschlussfassung des Landgerichts nach dem , dass die Unterbrechung auf die neu eingeführte Vorschrift des § 10 Abs. 1 EGStPO gestützt werde, bedurfte es nicht.
Jäger
Bellay
Hohoff
Richter am BundesgerichtshofDr. Leplow befindet sichim Urlaub und ist dahergehindert zu unterschreiben.
Jäger
Pernice
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:110321B1STR458.20.0
Fundstelle(n):
MAAAH-95505