Widerruf eines mit einem Kraftfahrzeugkauf verbundenen Verbraucherdarlehensvertrags: Eindeutige Auslegung des nationalen Rechts hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs
Leitsatz
Die Rechtsfolgen des Widerrufs eines mit einem Kaufvertrag verbundenen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags ergeben sich aus dem nationalen Recht, dessen Auslegung nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften, der Gesetzgebungsgeschichte und der Systematik der aufeinander bezogenen Normen eindeutig ist. Eine andere Auslegung käme daher selbst dann nicht in Betracht, wenn der nationale Gesetzgeber mit seinem Regelungskonzept zulasten des Darlehensnehmers hinter den Anforderungen der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG zurückgeblieben wäre.
Gesetze: § 355 Abs 3 S 1 BGB, § 357 Abs 4 S 1 BGB, § 358 Abs 4 S 1 BGB, § 495 Abs 1 BGB, EGRL 48/2008
Instanzenzug: Az: 6 U 623/19vorgehend Az: 25 O 162/19
Tatbestand
1Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers.
2Der Kläger erwarb im Juni 2014 einen gebrauchten Mercedes zum Kaufpreis von 24.800 €. Zur Finanzierung des über eine Anzahlung von 8.000 € hinausgehenden Kaufpreises schlossen die Parteien mit Datum vom einen Darlehensvertrag über 16.800 € mit einem gebundenen Sollzinssatz von 4,17% p.a. Zins- und Tilgungsleistungen sollten in 60 Monatsraten zu je 187,77 € und einer Schlussrate von 8.184 € erbracht werden. Über sein Widerrufsrecht informierte die Beklagte den Kläger auf Seite 2 des Darlehensvertrags wie folgt:
3Mit Schreiben vom erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung und bot der Beklagten an, ihr im Rahmen der Rückabwicklung das finanzierte Fahrzeug an einen von ihr zu benennenden Vertragspartner in seiner Nähe zu übergeben. Nachdem die Beklagte den Widerruf als verfristet zurückgewiesen hatte, forderte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom die Beklagte auf, die geleistete Anzahlung sowie die Tilgungszahlungen herauszugeben, und bot ihr an, das Fahrzeug an den Fahrzeughändler, bei dem er das Fahrzeug erworben habe, zurückzugeben. Im Juni 2019 löste er das Darlehen ab.
4Mit der Klage begehrt der Kläger (1.) die Zahlung von 27.450,20 € nebst Zinsen innerhalb von sieben Tagen nach Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs, (2.) die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde, und (3.) die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.
Gründe
5Die Revision ist unbegründet.
I.
6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
7Der Kläger habe seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung nicht wirksam widerrufen. Der Widerruf sei verfristet, weil die dem Kläger erteilte Widerrufsinformation inhaltlich nicht zu beanstanden sei und die ihm zur Verfügung gestellte Vertragsurkunde alle für die Ingangsetzung der Widerrufsfrist erforderlichen Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB enthalten habe. Die erteilte Widerrufsinformation genüge den gesetzlichen Vorgaben des § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB. Die Angabe des im Widerrufsfall pro Tag zu zahlenden Zinsbetrags mit "0,00 €" sei dahin zu verstehen, dass die Beklagte im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts zugunsten des Klägers auf die Geltendmachung des Zinsanspruchs verzichtet habe, und daher zutreffend. Die Widerrufsinformation sei auch nicht deshalb unklar oder unverständlich, weil die in dem gesetzlichen Muster vorgeschriebenen Zwischenüberschriften fehlten. Die dem Kläger erteilten weiteren Pflichtangaben unter anderem über die Auszahlungsbedingungen seien ebenfalls nicht zu beanstanden. Dagegen sei der Hinweis zur pauschalierten Vorfälligkeitsentschädigung zwar fehlerhaft. Dies lasse aber das Anlaufen der Widerrufsfrist unberührt.
II.
8Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.
9Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein wirksamer Widerruf des streitgegenständlichen, gemäß § 358 Abs. 3 BGB mit einem Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug verbundenen (Allgemein-)Verbraucherdarlehensvertrags nicht verneint werden. Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger bei Abschluss des Darlehensvertrags gemäß § 495 Abs. 1 i.V.m. § 355 BGB ein Widerrufsrecht zustand und die Widerrufsfrist nicht zu laufen begann, bevor der Kläger die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hatte. Es hat aber zu Unrecht angenommen, dass die Beklagte ihre aus § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 EGBGB in der hier maßgeblichen, vom bis geltenden Fassung (im Folgenden: aF) resultierende Verpflichtung, über das nach § 495 Abs. 1 BGB bestehende Widerrufsrecht zu informieren, ordnungsgemäß erfüllt hat.
101. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist die dem Kläger erteilte Widerrufsinformation fehlerhaft, weil die in ihr enthaltene Verweisung auf "alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB" zwar nach den Maßstäben des nationalen Rechts klar und verständlich i.S.d. Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB aF ist, dies aber im Geltungsbereich der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40 und ABl. 2011, L 234, S. 46; im Folgenden: Verbraucherkreditrichtlinie) in Bezug auf (Allgemein-)Verbraucherdarlehensverträge bei einer richtlinienkonformen Auslegung gleichwohl zu verneinen ist (vgl. , BGHZ 227, 253 Rn. 13 ff. und vom - XI ZR 426/19, WM 2021, 44 Rn. 14 ff.).
112. Die Beklagte kann sich - was das Berufungsgericht offengelassen hat - nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB aF berufen. Dies setzt voraus, dass die Widerrufsinformation der Beklagten dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB aF entspricht. Dies ist, was der Senat durch einen Vergleich selbst feststellen kann (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom - XI ZR 482/15, BGHZ 212, 207 Rn. 26), nicht der Fall.
12In der Widerrufsinformation der Beklagten fehlen entgegen den bei einem mit einem Darlehensvertrag verbundenen Vertrag nach § 358 BGB - hier von der Beklagten zutreffend mit dem Fahrzeug-Kaufvertrag angegeben - anwendbaren Gestaltungshinweisen 2 und 6 die beiden zwingend vorgeschriebenen Unterüberschriften "Besonderheiten bei weiteren Verträgen" sowie die nach Gestaltungshinweis 6g zwingend vorgeschriebene Überschrift "Einwendungen bei verbundenen Verträgen". Damit entspricht die Widerrufsinformation der Beklagten nicht dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB aF (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 426/19, WM 2021, 44 Rn. 19 mwN).
III.
13Das Berufungsurteil erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig, so dass die Revision zurückzuweisen ist (§ 561 ZPO).
141. Soweit der Kläger den ihm dem Grunde nach zustehenden Anspruch aus § 358 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB auf Rückgewähr der von ihm an die Beklagte geleisteten Zins- und Tilgungszahlungen geltend macht, ist die Klage jedenfalls derzeit unbegründet. Insoweit steht der Beklagten - was sie mit der Klageerwiderung geltend gemacht hat - nach § 358 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB gegenüber dem vorleistungspflichtigen Kläger ein Leistungsverweigerungsrecht zu, bis sie das finanzierte Fahrzeug zurückerhalten hat oder der Kläger den Nachweis erbracht hat, dass er das Fahrzeug abgesandt hat. Dass die Beklagte angeboten hätte, das Fahrzeug beim Kläger abzuholen (§ 357 Abs. 4 Satz 2 BGB), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Soweit der Kläger Zahlung "innerhalb von sieben Tagen nach" Rückgabe des Fahrzeugs begehrt, setzt dies in entsprechender Anwendung des § 322 Abs. 2 BGB voraus, dass die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs im Verzug der Annahme ist (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 29). Entgegen der Auffassung der Revision ist dies aber nicht der Fall.
15Die wörtlichen Angebote des Klägers waren zur Herbeiführung eines Annahmeverzugs der Beklagten unzureichend, weil diese seiner Vorleistungspflicht nicht genügt haben (vgl. hierzu Senatsurteil vom - XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 22 ff.). Mit Schreiben vom hat der Kläger der Beklagten lediglich angeboten, das finanzierte Fahrzeug an einen von ihr zu benennenden Vertragspartner in seiner Nähe zu übergeben. Mit Anwaltsschreiben vom hat der Kläger der Beklagten ebenfalls nur angeboten, das Fahrzeug an den Fahrzeughändler, bei dem er das Fahrzeug erworben hatte, zurückzugeben. Dies genügt zur Erfüllung seiner Bringschuld nicht. Soweit der Kläger der Beklagten das Fahrzeug in der Beschwerdebegründung erneut angeboten hat, kann er damit bereits aus prozessualen Gründen nicht gehört werden, weil die Feststellung des Annahmeverzugs damit auf einen neuen Sachverhalt gestützt wird und dies eine Klageänderung darstellt, die in der Revisionsinstanz unzulässig ist (Senatsurteil vom - XI ZR 376/20, juris Rn. 19 mwN).
16Vorsorglich weist der Senat für ein etwaiges Folgeverfahren darauf hin, dass aus der Abweisung des Rückgewähranspruchs als derzeit unbegründet lediglich in Rechtskraft erwächst, dass der Kläger gegen die Beklagte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keinen zur Zahlung fälligen Anspruch hatte (vgl. , WM 1989, 1897, 1899 und vom - VII ZR 180/10, NJW-RR 2011, 1528 Rn. 12), nicht dagegen, dass die Beklagte einem solchen Anspruch nicht weitere Einreden und Einwendungen entgegenhalten kann.
172. Mangels Herbeiführung eines Annahmeverzugs der Beklagten kann auch der Antrag auf dessen Feststellung keinen Erfolg haben.
183. Ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten steht dem Kläger gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Dies setzt voraus, dass der Kläger die von ihm selbst aus dem Rückgewährschuldverhältnis geschuldete Leistung der Beklagten in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten hat (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 25 mwN). Dies war hier nicht der Fall.
IV.
19Der Antrag des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Einzelrichters des Landgerichts Ravensburg vom (2 O 160/20, 2 O 320/20, juris) und vom (2 O 282/19, 2 O 384/19, 2 O 474/20, 2 O 480/20, juris) hat keinen Erfolg. Die dort und von der Revision aufgeworfenen Fragen hat der Senat bereits beantwortet (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 39). Die Rechtsfolgen des Widerrufs, insbesondere im Hinblick auf die Vorleistungspflicht des Darlehensnehmers bei der Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs und seine diesbezügliche Wertersatzpflicht, ergeben sich - was der Senat mit Urteil vom (XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 22 ff., 29 ff. mwN) eingehend begründet hat - aus dem nationalen Recht, dessen Auslegung nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften, der Gesetzgebungsgeschichte und der Systematik der aufeinander bezogenen Normen eindeutig ist.
20Eine andere Auslegung käme daher selbst dann nicht in Betracht, wenn der nationale Gesetzgeber mit seinem Regelungskonzept zulasten des Darlehensnehmers hinter den Anforderungen der Verbraucherkreditrichtlinie, die allerdings keine konkreten Vorgaben zu den Rechtsfolgen des Widerrufs eines mit einem Kaufvertrag verbundenen Darlehensvertrags enthält (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 39), zurückgeblieben wäre. Die Entscheidung darüber, ob im Rahmen des nationalen Rechts ein Spielraum für eine richtlinienkonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung besteht, obliegt den nationalen Gerichten (BVerfG, WM 2012, 1179, 1181; NVwZ-RR 2018, 169 Rn. 37). Eine richtlinienkonforme Auslegung darf nicht dazu führen, dass einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben oder der normative Gehalt der Norm grundlegend neu bestimmt wird. Richterliche Rechtsfortbildung berechtigt den Richter nicht dazu, seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen (BVerfG, WM 2012, 1179, 1181). Demgemäß kommt eine richtlinienkonforme Auslegung nur in Frage, wenn eine Norm tatsächlich unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten im Rahmen dessen zulässt, was der gesetzgeberischen Zweck- und Zielsetzung entspricht. Der Grundsatz gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung und Rechtsfortbildung darf nicht zu einer Auslegung des nationalen Rechts contra legem führen (Senatsurteil vom - XI ZR 290/11, BGHZ 193, 238 Rn. 50; BVerfG aaO). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH Slg. 2006, I-6057 Rn. 110; NJW 2012, 509 Rn. 25). Die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege findet ihre Grenzen an dem nach der innerstaatlichen Rechtstradition methodisch Erlaubten (, BGHZ 201, 101 Rn. 20 und vom - IV ZR 440/14, BGHZ 215, 126 Rn. 24; Senatsbeschluss vom - XI ZR 198/19, WM 2020, 838 Rn. 13 mwN; BVerfG aaO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:261021UXIZR608.20.0
Fundstelle(n):
BB 2021 S. 2771 Nr. 47
NJW 2021 S. 9 Nr. 49
NJW-RR 2022 S. 130 Nr. 2
WM 2021 S. 2248 Nr. 46
ZIP 2021 S. 2480 Nr. 48
ZIP 2021 S. 4 Nr. 46
JAAAH-94680