Begriff des Schwimmbads i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG; unionsrechtskonforme Auslegung
Leitsatz
1. NV: Der nationale Begriff „Schwimmbad“ i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG ist richtlinienkonform im Sinne einer Sportanlage auszulegen.
2. NV: Ein Schwimmbad im Sinne einer Sportanlage muss zur Ausübung einer sportlichen Betätigung geeignet und bestimmt sein. Diese Voraussetzung erfüllt ein Erholungsbad nicht.
Gesetze: UStG § 12 Abs. 2 Nr. 9; Richtlinie 2006/112/EG Art. 132 Abs. 1 Buchst. m;
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
1 Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt eine Einrichtung namens X-Therme. Diese bot im Streitjahr (2015) den Besuchern in einer „Badewelt“ und einer „Saunawelt“ verschiedene Bade-, Sauna-, Wellness-, Erlebnis- und Therapiemöglichkeiten unter Nutzung von Solewasser aus einer heilklimatischen Quelle. Die Wassertemperatur betrug zwischen 31 Grad und 37 Grad Celsius. Die Besucher waren im Streitjahr berechtigt, für eine von ihnen gewählte Zeit alle Bereiche der Therme (mit Ausnahme der Angebote von Drittanbietern) zu nutzen. Bereichsspezifische Eintrittspreise wurden im Streitjahr noch nicht verlangt.
2 In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2015 wendete die Klägerin gemäß einem sog. Nichtanwendungsschreiben der Finanzverwaltung zugunsten der Steuerpflichtigen (, BStBl I 2007, 307) auf die Eintrittsberechtigungen bis zum den ermäßigten Steuersatz an. Für die Eintrittsberechtigungen ab dem ging die Klägerin aufgrund des (BStBl I 2014, 1439) davon aus, dass sie zwei getrennte Leistungen erbringe, von denen eine (Eintrittsberechtigung zu einem Schwimmbad) dem ermäßigten Steuersatz und eine (Eintrittsberechtigung zu einer Sauna) dem Regelsteuersatz unterliege. Den einheitlichen Eintrittspreis als Bemessungsgrundlage teilte sie im Verhältnis 70:30 auf die von ihr angenommenen Schwimmbadumsätze und die Saunaumsätze auf.
3 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) ging nach Durchführung einer Außenprüfung im Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für das Streitjahr vom davon aus, dass die Klägerin an die Besucher eine einheitliche, ab dem mit dem Regelsteuersatz zu besteuernde Leistung erbracht habe. Der Einspruch blieb erfolglos.
4 Das Hessische Finanzgericht (FG) wies mit Urteil vom - 6 K 1257/18 die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Es nahm an, dass die Klägerin zumindest mit den Umsätzen ab dem an die Besucher eine einheitliche, untrennbare, auf individuelle Erholung und Wellness gerichtete, dem Regelsteuersatz unterliegende Leistung erbracht habe. An der Anwendung des Regelsteuersatzes auf die Umsätze bis zum sei das FG aufgrund des Verbots der reformatio in peius („Verböserung“) gehindert.
5 Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin das Vorliegen einer Divergenz zum (BFH/NV 1999, 1523) und macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache als weiteren Zulassungsgrund geltend.
Gründe
II.
6 Die Beschwerde ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen.
7 1. Die von der Klägerin vorrangig gerügte Divergenz zum BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 1523 liegt aus drei Gründen (s. hier b bis d) nicht vor.
8 a) Eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen Divergenz setzt voraus, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH, der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), das Bundesverfassungsgericht, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes Gericht; das FG muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom - XI B 89/18, BFH/NV 2019, 945, Rz 22; vom - XI B 53/20, BFH/NV 2021, 1062, Rz 16). Maßgeblich hierfür ist der Stand der Rechtsprechung im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung der Revision (vgl. , BFH/NV 2013, 13, Rz 6, m.w.N.; vgl. auch zu § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO: , BFH/NV 2018, 739, Rz 7, m.w.N.); frühere Entscheidungen, die durch die neuere BFH-Rechtsprechung überholt sind, können daher eine Divergenz nicht begründen.
9 b) Eine Divergenz in dem genannten Sinne liegt bereits deshalb nicht vor, weil das FG auf S. 14 seines Urteils angenommen hat, dass die „Badewelt“ der Klägerin bei isolierter Betrachtung als „Schwimmbad“ i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) verstanden werden könne.
10 c) Außerdem hat das FG, worauf das FA in seiner Beschwerdeerwiderung hinweist, keinen vom BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 1523 abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt.
11 d) Überdies berücksichtigt die Beschwerde nicht, dass die von ihr benannte Divergenzentscheidung überholt ist. Der (BFHE 247, 354, BStBl II 2015, 194, Rz 32) entschieden, dass der nationale Begriff „Schwimmbad“ richtlinienkonform im Sinne einer Sportanlage auszulegen ist. Ein Schwimmbad im Sinne einer Sportanlage muss zur Ausübung einer sportlichen Betätigung geeignet und bestimmt sein. Anzeichen dafür sind z.B. die Unterteilung in Schwimmbahnen, die Ausstattung mit Startblöcken, eine angemessene Tiefe oder ein angemessenes Ausmaß des Schwimmbeckens (vgl. EuGH-Urteil Mesto Zamberk vom - C-18/12, EU:C:2013:95, Rz 34 zu einem „Aquapark“). Kein Schwimmbad im Sinne einer Sportanlage ist daher nach der neueren Rechtsprechung des EuGH und des BFH ein Erholungsbad. Davon ist nach der tatsächlichen Würdigung des FG auf den S. 13 und 14 des Urteils bei der Therme der Klägerin auszugehen; denn das FG ist in Bezug auf die Therme bzw. die „Badewelt“ davon ausgegangen, dass die Schwimmbecken aus Sicht eines Durchschnittsverbrauchers in erster Linie dem Baden zum Zwecke der Erholung und Entspannung sowie ggf. eines niederschwelligen heiltherapeutischen Zwecks dienen. Das sportliche Schwimmen möge zwar theoretisch möglich sein, stehe aber bei den Besuchern nach der Konzeption und dem Selbstverständnis der Therme ganz überwiegend im Hintergrund. Daher unterliege, selbst wenn getrennte Leistungen der Klägerin vorlägen, nach der Rechtsprechung des BFH auch die isolierte Einräumung von Eintrittsberechtigungen für die „Badewelt“ dem Regelsteuersatz.
12 2. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist bereits nicht i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
13 a) Wird die Beschwerde mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet, hat ein Beschwerdeführer zur Erfüllung der Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO eine hinreichend bestimmte und für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll; hierzu ist schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darzulegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom - XI B 113/19, BFHE 268, 480, BStBl II 2020, 476, Rz 18; vom - XI B 69/20, BFH/NV 2021, 1108, Rz 11). Liegt zu der vom Beschwerdeführer herausgestellten Rechtsfrage höchstrichterliche Rechtsprechung vor, so gehört zu der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fundierte Stellungnahme dazu, weshalb diese Rechtsprechung noch nicht zu einer hinreichenden Klärung geführt habe oder aufgrund welcher neuen Entwicklung sie nunmehr erneut in Frage gestellt werden müsse (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom - XI B 71/18, BFH/NV 2019, 1329, Rz 6; vom - XI B 26/20, BFH/NV 2021, 536, Rz 12).
14 b) An solchen Darlegungen fehlt es im Streitfall. Die Beschwerde wirft bei strenger Sichtweise bereits keine abstrakte Rechtsfrage auf. Aber selbst wenn man zugunsten der Klägerin annähme, dass die Beschwerde, indem sie den BFH um die Auslegung des Begriffs „Schwimmbad“ i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG ersucht, die abstrakte Rechtsfrage aufwirft, wie dieser Begriff zu verstehen ist, setzt sie sich nicht hinreichend mit der dazu vorhandenen Rechtsprechung auseinander. Auf das Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung und auf die Rechtsprechung des EuGH (s.o. II.1.d) geht sie nicht ein. Auch setzt sie sich nicht damit auseinander, dass der BFH im Urteil in BFHE 247, 354, BStBl II 2015, 194 entschieden hat, dass ein Erholungsbad kein Schwimmbad ist, und das FG in diesem Zusammenhang angenommen hat, dass die Schwimmbecken in erster Linie dem Baden zum Zwecke der Erholung und Entspannung dienen.
15 3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO).
16 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2021:B.170821.XIB29.21.0- 4 -
Fundstelle(n):
BFH/NV 2022 S. 47 Nr. 1
DStZ 2021 S. 1005 Nr. 24
NWB-Eilnachricht Nr. 47/2021 S. 3432
StuB-Bilanzreport Nr. 3/2022 S. 122
UStB 2021 S. 385 Nr. 12
GAAAH-94399