BGH Beschluss v. - 1 StR 201/21

Beweiswürdigung einer Zeugenaussage: Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens

Gesetze: § 261 StPO

Instanzenzug: LG Mannheim Az: 206 Js 21416/20 - 5a KLs

Gründe

1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision der Beschuldigten, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat Erfolg.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet die Beschuldigte spätestens seit 2015 an paranoider Schizophrenie mit zunehmend bizarrem Beeinträchtigungs-, Verfolgungs-, Abstammungs- und Größenwahn sowie mit schwerster Störung der ʺIch-Meinhaftigkeitʺ. Am hatte sie sich geweigert, zwei Polizeibeamtinnen, die sie zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe (vormals Geldstrafe, verhängt wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung) mitnehmen wollten, Folge zu leisten, ein Steakmesser mit einer Klingenlänge von elf cm hervorgeholt und damit zunächst in Richtung der Polizistinnen gezeigt; anschließend hatte sie das Messer gegen ihren eigenen Bauch gerichtet. Wegen dieser Tat hatte das Amtsgericht einen Unterbringungsbefehl erlassen, der ab dem im psychiatrischen Zentrum in W.       vollzogen wurde. Nachdem das Landgericht die Eröffnung des Sicherungsverfahrens abgelehnt hatte, wurde die Beschuldigte am entlassen und begab sich in eine Obdachlosenunterkunft.

3Infolge ihrer paranoiden Schizophrenie glaubte die Beschuldigte, der - ihr nicht näher bekannte - Mitbewohner       L.      habe sie und ihren Sohn vergewaltigt; dies sagte sie        L.      und drohte ihm, ʺer könne getötet werden, da er keine Daseinsberechtigung habeʺ. Am wollte       L.       in seinem Zimmer seinen Einkauf abstellen; die sich dort aufhaltende Beschuldigte sagte, er dürfe nicht reinkommen. Da        L.       dennoch das ihm zugewiesene Zimmer betreten wollte, ergriff die Beschuldigte, der die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun, ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 27 cm, ʺstand auf, hielt es in der Faust mit der Spitze auf den etwa drei bis vier Meter entfernt stehenden       L.     zeigend, ging einen Schritt auf ihn zu und sagte zu ihm, er solle nicht näherkommen, sondern sich ʼverpissenʽ, sonst greife sie ihn anʺ. Derart eingeschüchtert verließ       L.      das Zimmer.

4Bei ihrer anschließenden Festnahme äußerte die Beschuldigte, sie habe gegenüber        L.      ʺMordlustʺ. In der einstweiligen Unterbringung (§ 126a StPO) zeigte sie sich behandlungsuneinsichtig und verweigerte die Medikamenteneinnahme.

52. Die Beweiswürdigung, die der gemäß § 63 Satz 2 StGB angeordneten Unterbringung zugrunde liegt, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

6a) Die Beschuldigte hat in der Hauptverhandlung zum Tatvorwurf geschwiegen. Gegenüber dem Sachverständigen hat sie angegeben, sie habe       L.       das Messer wortlos gezeigt; dann habe sie sich hingesetzt und das Messer vor sich hingehalten. Das Landgericht hat sich vom Geschehen (einer rechtswidrigen Nötigung, § 240 StGB) aufgrund der Aussage des Zeugen        L.        überzeugt (§ 261 StPO).

7b) Die Würdigung von Zeugenaussagen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatgericht anvertraut. Das Einholen eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens ist nur dann geboten, wenn die Person des Zeugen solche Besonderheiten aufweist, dass Zweifel daran aufkommen können, ob die Sachkunde des Gerichts auch zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den gegebenen besonderen Umständen ausreicht ( Rn. 32; Beschluss vom - 1 StR 579/05 Rn. 7). Der Belastungszeuge, der zur Tatzeit allein mit der Beschuldigten im Zimmer war, leidet selbst an einer - nicht näher dargelegten - Schizophrenie (UA S. 16). Ohne weitere Auseinandersetzung mit dieser nur umrissenen psychischen Erkrankung lässt sich nicht überprüfen, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei eine Aussagefähigkeit annehmen konnte oder ob zur Überzeugungsbildung das Hinzuziehen eines Sachverständigen geboten war. Zwar hat die Beschuldigte nach der Tat von ʺMordlustʺ gesprochen; auch die Tat vom belegt ihre ʺAffinitätʺ zu Messern. Indes zeigt gerade diese Vortat, dass es auf eine genaue Bestimmung ankommt, wohin die Beschuldigte das Messer richtete; denn ihre Angaben gegenüber dem Sachverständigen, sie habe das Messer vor sich hingehalten, weist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von den beiden Polizistinnen am beobachteten Umdrehen des Messers auf.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:270721B1STR201.21.0

Fundstelle(n):
JAAAH-94106