BGH Beschluss v. - 1 StR 133/21

Einziehung: Eigenmächtig angeeignete bei einem Dritten angefallene Vermögensvorteile

Gesetze: § 73 Abs 1 Alt 1 StGB, § 73 Abs 1 Alt 2 StGB, § 73b Abs 1 S 1 Nr 2 StGB, § 73c S 1 StGB

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 5/29 KLs 6/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten G.   wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 68 Fällen sowie wegen Steuerhinterziehung in 57 Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren drei Monaten verurteilt und das Verfahren im Übrigen wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung eingestellt. Ferner hat es gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 105.799,07 € angeordnet. Gegen die Angeklagte M.    hat das Landgericht wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 24 Fällen, hiervon in 18 Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung, eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt; die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat das Landgericht bestimmt, dass von den Freiheitsstrafen jeweils ein Monat wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt. Die gegen ihre Verurteilungen gerichteten Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts beanstanden, haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind ihre Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

2Das Landgericht hat Folgendes festgestellt und gewertet:

31. a) Der Angeklagte G.    war ab September 2011 faktischer Geschäftsführer der K.             GmbH; ab September 2012 wurde er auch formell zum Geschäftsführer bestellt. In diesen Funktionen war er für das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen und die Verkürzung von Lohnsteuern u.a. für den unverjährten Zeitraum von Juli 2012 bis Januar 2015 verantwortlich. Er zahlte teilweise Löhne an die Arbeitnehmer der GmbH in bar aus, ohne hierfür Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern einzubehalten sowie anzumelden und abzuführen. Um den Bargeldabfluss in der Buchhaltung darstellen zu können, erwarb er für die GmbH von der Gruppierung um die gesondert verfolgte       D.   Eingangsscheinrechnungen, die diese unter den Firmen von Serviceunternehmen ausstellte; dafür zahlte der Angeklagte G.    aus den Mitteln der K.              GmbH Provisionen an       D.    in Höhe von 10 %, später 8 % des Rechnungsbetrages. Aus den restlichen Bargeldbeträgen behielt der Angeklagte regelmäßig bis zu 1.500 € monatlich für sich. Zudem ließ der Angeklagte G.   bei der K.            GmbH beschäftigte Arbeitnehmer zum Schein über die von       D.    betriebenen Serviceunternehmen bei den Sozialversicherungsträgern und beim Finanzamt anmelden; dafür schuldete die K.            GmbH       D.     15,49 % bzw. später 11,49 % der gemeldeten Bruttolohnsummen. Zugunsten der GmbH führte der Angeklagte G.   nach den Berechnungen des Landgerichts an die Einzugstelle rund 1,7 Mio. € an Sozialversicherungsabgaben nicht ab und verkürzte an Lohnsteuern fast 415.000 €.

4b) In gleicher Weise ging der Angeklagte G.    als Geschäftsführer der A.     GmbH im Zeitraum von Februar 2014 bis Mai 2017 vor. Nach den Berechnungen des Landgerichts führte er zugunsten der A.      GmbH Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von rund 1,075 Mio. € an die beiden zuständigen Krankenkassen nicht ab; zugunsten der A.     GmbH verkürzte er Lohnsteuer in Höhe von fast 235.000 €.

52. Die Angeklagte M.   , die bei der A.     GmbH als Sekretärin beschäftigt war, erkannte spätestens ab Juni 2015, dass der Angeklagte G.    mithilfe der Scheinrechnungen Sozialversicherungsbeiträge vorenthielt und Lohnsteuern verkürzte. Dennoch bestellte sie auf G.   s Anweisung bei      D.    monatlich Scheinrechnungen. Zudem teilte sie      D.    mit, welche Arbeitnehmer zum Schein über die Serviceunternehmen bei den Einzugstellen anzumelden waren.

II.

61. Die Revision des Angeklagten G.    ist teilweise begründet.

7a) Die Einziehungsanordnung hat keinen Bestand. Das Landgericht hat die Abschöpfung nicht begründet, sodass dem Revisionsgericht eine Überprüfung verwehrt ist:

8aa) Sollte das Landgericht die entnommenen Bargelder als Tatlohn (§ 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB: ʺfür sieʺ) gewertet haben, so fehlen Feststellungen zu einer entsprechenden Abrede zwischen dem Angeklagten und den Betreibern der GmbH. Denn ʺfür die Tatʺ sind Vorteile erlangt, die einem Beteiligten als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, jedoch nicht auf der Tatbestandsverwirklichung beruhen (BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 561/18 Rn. 8 und vom - 4 StR 648/17 Rn. 5). Aufgrund der Feststellungslücken ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte die Bargelder eigenmächtig einbehielt und ihm diese nicht seine Hintermänner für seine Tatbeteiligung gewährten.

9bb) Auch § 73 Abs. 1 Alternative 1, § 73c Satz 1 StGB (ʺdurch die rechtswidrige Tatʺ) tragen die Einziehung nicht: Die Sozialversicherungsabgaben- und Steuerersparnisse kamen schon begrifflich alleine den beiden Gesellschaften mit beschränkter Haftung als Steuerschuldnerinnen zu Gute; der Angeklagte erlangte über diese ersparten Aufwendungen zu keinem Zeitpunkt die Verfügungsgewalt. Sie schlugen sich allein im Vermögen der beiden Gesellschaften nieder (vgl. , BGHR StGB § 73 Erlangtes 33 Rn. 10-13). Zwar kann unter den Voraussetzungen des § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 StGB der Wert ersparter Aufwendungen, der an Dritte verschoben wurde, bei diesen abgeschöpft werden (§ 73b Abs. 2 StGB; BGH, aaO, BGHR § 73b Abs. 1 Dritteinziehung 1 Rn. 17 mwN). Täter und Teilnehmer der vorangehenden Steuerhinterziehung gehören nach der eindeutigen Gesetzessystematik und dem Gesetzeswortlaut, der bei dem hoheitlichen Eingriff der Einziehung die Auslegung umgrenzt, jedoch nicht zu diesem Personenkreis des ʺanderenʺ (a.A. Bittmann, NStZ 2020, 405, 406 f.).

10b) Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts ist anzumerken:

11aa) Dass die Hinterziehung von Lohnsteuer bezüglich des Monats Mai 2017 in der Anklage vom (dort Fall 106) erfasst ist, ergibt sich auch unschwer daraus, dass der Anklagesatz als Tatzeit die Monate bis zum (einschließlich) bezeichnet.

12bb) Der Angeklagte G.    war auch vor seiner ordnungsgemäßen Bestellung zum Geschäftsführer als faktischer Geschäftsführer zum Abführen der Sozialversicherungsbeiträge nach § 266 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB verantwortlich (vgl. , BGHSt 47, 318, 324 ff.). Die dem zugrundeliegende Beweiswürdigung ist frei von Rechtsfehlern.

13cc) Es beschwert den Angeklagten nicht, dass das Landgericht in der rechtlichen Würdigung rechtsfehlerhaft die Vorschrift des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO herangezogen hat (UA S. 62, 66). Das Landgericht hat den Unterschied zwischen der Abgabe von unvollständigen Steuererklärungen und der Nichtabgabe von Steuererklärungen nicht bedacht (vgl. auch UA S. 20, 34: ʺes unterließ, die für die Ausführung der Aufträge an die Arbeitnehmer gezahlten ‚Schwarzlöhne‘ [vollständig] dem Lohnsteuerabzug zu unterwerfenʺ). Tatsächlich ist dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen, dass der Angeklagte stets unvollständige Anmeldungen abgab (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 150 Abs. 1 Satz 3, § 167 Abs. 1 Satz 1, § 168 Satz 1 AO; § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG; § 53 StGB). Der Ankauf von Eingangsscheinrechnungen ergibt nur Sinn, wenn anschließend auch unvollständige Lohnsteueranmeldungen abgegeben werden. Zudem hat das Landgericht die ʺgemeldeten nachgewiesenen Arbeitsentgelteʺ vom monatlichen Nettoumsatz abgezogen (UA S. 20, 34). Damit steht zugleich fest, dass die verkürzte Lohnsteuer (mit einem Eingangssteuersatz von 14 %, der zu einem Mindestverkürzungsbetrag führt) nur anhand der bar ausgezahlten und in der Buchhaltung nicht erfassten Löhne berechnet worden ist.

14dd) Die im Fall 78 verhängte Einzelstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe bedarf der Klarstellung: Dass in der Übersichtstabelle für diesen Fall eine zweite Strafe von einem Jahr Freiheitsstrafe ausgeworfen ist, ist ein offensichtliches Fassungsversehen.

152. Die Revision der Angeklagten M.    ist zum Strafausspruch begründet:

16a) Die Bestimmung des Strafrahmens (UA S. 67) ist zwar rechtsfehlerfrei, da nur bei Beihilfe zu - hier nicht gegebenen (vorstehend II. 1. b) cc)) - Unterlassenstaten (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 27 Abs. 1, 2, § 49 Abs. 1 StGB) eine weitere Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB in Betracht gekommen wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 265/20 Rn. 4; vom - 1 StR 140/20 Rn. 11 und vom - 1 StR 78/20 Rn. 6; je mwN). Indes sind die in 15 Fällen der Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Tateinheit mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung nach § 47 Abs. 1 StGB verhängten kurzen Freiheitsstrafen (UA S. 73) nicht rechtsfehlerfrei begründet. Der Generalbundesanwalt hat insoweit zutreffend ausgeführt:

ʺ[Das Landgericht] hat ... mit einer Ausnahme stets Einzelfreiheitsstrafen verhängt und bei deren festgesetzter Höhe von unter sechs Monaten ... in den Urteilsgründen nicht dargestellt, warum sich dies aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und die Angeklagte kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar im Sinne des § 47 Abs. 1 StGB erweist (vgl. dazu Senat, Urteil vom - 1 StR 627/08 -, juris Rn. 48; Beschluss vom - 1 StR 150/17 -, juris Rn. 6). Die gleichzeitige Verhängung von zwei Einzelfreiheitsstrafen von sechs und acht Monaten machte diese Erörterung nicht von vornherein entbehrlich (vgl. -, juris Rn. 5). Überdies versteht es sich bei der alleinigen strafschärfenden Erwägung der nicht unerheblichen Schadensbeträge der Tatserie (UA S. 73), der mehrere vom Landgericht angeführte Milderungsgründe gegenüberstehen, nicht von selbst, dass bereits die Überschreitung der Schadensschwelle von 20.000 € kurze Freiheitsstrafen zur Einwirkung auf die Angeklagte oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich macht. Anderes folgt ohne weiteres auch nicht aus der ebenfalls erfolgten Verhängung kurzer Freiheitsstrafen gegen die Mitangeklagten bei Überschreitung jener Schadensschwelle, weil für jeden Angeklagten die Strafe aus der Sache selbst gefunden werden muss (vgl. Senat, Beschluss vom - 1 StR 149/20 -, juris Rn. 3) und für die Einordnung der Schwere der Schuld der Angeklagten als Gehilfin das Gewicht ihrer Beihilfehandlungen maßgeblich ist, wenn auch die Schwere der Haupttat mit zu berücksichtigen ist (vgl. Senat, Beschluss vom - 1 StR 211/20 -, juris Rn. 7).ʺ

b) Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat alle Strafen auf. Die Feststellungen sind von dem Erörterungsmangel nicht betroffen und bleiben bestehen (§ 353 Abs. 2 StPO). Neue Feststellungen dürfen der Strafzumessung zugrunde gelegt werden, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:010621B1STR133.21.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2021 S. 293 Nr. 9
OAAAH-92999