Mindestlohn - Bereitschaft - ausländische Betreuungskräfte
Leitsatz
Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben, soweit nicht der Anwendungsbereich der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche eröffnet ist, Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Bereitschaftsdienst.
Gesetze: § 2 Nr 1 AEntG 2009, § 1 Abs 1 MiLoG, § 20 MiLoG, Art 9 Abs 1 EGV 593/2008, Art 3 Abs 1 EGRL 71/96, § 1 Abs 2 S 1 MiLoG, § 1 Abs 3 S 1 MiLoG
Instanzenzug: Az: 44 Ca 11017/18 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 21 Sa 1900/19 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Differenzvergütung nach dem Mindestlohngesetz für den Zeitraum Mai bis August 2015 und Oktober bis Dezember 2015.
2Die Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Bulgarien. Sie schloss mit der Beklagten, einem Unternehmen mit Sitz in Bulgarien, unter dem einen in bulgarischer Sprache abgefassten Arbeitsvertrag, der in deutscher Übersetzung auszugsweise lautet:
3Unter dem unterschrieb die Klägerin eine „Erklärung“, wonach sie ua. zur Kenntnis genommen habe, dass ihre „Netto-Endvergütung“ für einen vollen Monat 950,00 Euro betrage. Des Weiteren unterzeichnete sie am selben Tag eine „Vereinbarung“, die übersetzt auszugsweise lautet:
4Die Klägerin wurde nach Berlin entsandt und arbeitete im Haushalt der über 90-jährigen zu betreuenden Person, bei der sie auch ein Zimmer bewohnte. Ihre Aufgaben umfassten neben Haushaltstätigkeiten (wie Einkaufen, Kochen, Putzen etc.) eine „Grundversorgung“ (wie Hilfe bei der Hygiene, beim Ankleiden ua.) und soziale Aufgaben (zB Gesellschaft leisten, Ansprache, gemeinsame Interessenverfolgung). Dem zugrunde lag ein auf Vermittlung der Deutschen S, einer in Deutschland ansässigen Agentur, zwischen der Beklagten und der zu betreuenden Person - für diese handelnd deren Sohn - geschlossener Dienstleistungsvertrag, der auszugsweise folgende Regelungen enthält:
5In dem in § 2 Dienstleistungsvertrag erwähnten Erhebungs-/Fragebogen ist auszugsweise Folgendes angegeben:
6Vom 15. bis zum und vom 1. bis zum hielt sich die Klägerin in Absprache mit der Beklagten in Bulgarien auf und erhielt für diese Zeit weder Vergütung noch Urlaubsentgelt. Während ihrer Abwesenheit im September 2015 wurde sie bei der zu betreuenden Person von einer ebenfalls aus Bulgarien entsandten Arbeitnehmerin der Beklagten, die zu dieser Zeit mit einem Deputat von 35 Wochenstunden beschäftigt war, vertreten. Für geleistete Arbeit in den Monaten Mai bis August 2015 und Oktober bis Dezember 2015 erhielt die Klägerin eine Vergütung von 950,00 Euro netto monatlich sowie weitere 30,00 Euro netto für zwei Feiertage im Dezember 2015, insgesamt 6.680,00 Euro netto.
7Auf eine Nachfrage des Sohns der zu betreuenden Person teilte die Beklagte diesem mit Schreiben vom mit, „der Arbeitnehmer verfügt über einen freien Tag in der Woche“, wobei dies „ein ganzer Tag“ oder „stundenweise durch die ganze Woche verteilt“ sein könne, je nach Kundenbedarf und gegenseitiger Absprache mit dem Assistenten.
8Nachdem das Arbeitsverhältnis der Parteien Ende September 2016 endete, hat die Klägerin mit gewerkschaftlicher Hilfe im Oktober 2016 gegenüber der Beklagten, der Deutschen S und dem Sohn der zu betreuenden Person erfolglos weitere Vergütung nach dem Mindestlohngesetz geltend gemacht.
9Mit ihrer im August 2018 anhängig gemachten und der Beklagten am zugestellten Klage hat die Klägerin Urlaubsentgelt für die Zeit vom 15. bis zum und Vergütung für geleistete Arbeit für den Zeitraum 1. Mai bis zum und 1. Oktober bis zum auf der Basis des gesetzlichen Mindestlohns von - damals - 8,50 Euro brutto verlangt. Sie hat vorgetragen, nicht nur 30 Wochenstunden, sondern rund um die Uhr gearbeitet zu haben oder in Bereitschaft gewesen zu sein. Sie habe die zu betreuende Person an sieben Tagen pro Woche gegen 6:30 Uhr geweckt und sei dann bis zur Nachtruhe zwischen 22:00 und 23:00 Uhr tätig gewesen. So habe sie der zu betreuenden Person beim Anziehen sowie der Morgen- und Abendpflege geholfen, die Mahlzeiten zubereitet, Einkäufe erledigt und den Haushalt versorgt. Des Weiteren habe sie die zu betreuende Person beim Spazierengehen begleitet und ihr auch sonst Gesellschaft geleistet. Nachts habe die Türe ihres Zimmers offen bleiben müssen, damit sie auf Zuruf der zu betreuenden Person habe Hilfe leisten können. Die Klägerin hat gemeint, abzüglich der im Streitzeitraum erhaltenen 6.680,00 Euro netto stehe ihr der gesetzliche Mindestlohn für 24 Stunden je Arbeitstag für - unter Einschluss eines Erholungsurlaubs vom 15. bis zum - insgesamt 231 Kalendertage zu.
10Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
11Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, sie schulde den gesetzlichen Mindestlohn nur für die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 30 Wochenstunden. In dieser Zeit hätten die der Klägerin obliegenden Aufgaben ohne Weiteres erledigt werden können. Bereitschaftsdienst sei nicht vereinbart gewesen. Sollte die Klägerin tatsächlich mehr gearbeitet haben, sei dies nicht auf Veranlassung der Beklagten erfolgt. Die Klägerin habe sie auch nicht davon unterrichtet, dass sie entgegen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung mehr als 30 Wochenstunden arbeite.
12Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Urlaubsentgelt abgewiesen und der Klägerin für geleistete Arbeit ausgehend von einer Arbeitszeit von 24 Stunden arbeitstäglich und 209 Arbeitstagen insgesamt 42.636,00 Euro brutto abzüglich erhaltener 6.680,00 Euro netto nebst Prozesszinsen zugesprochen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Ersturteil teilweise abgeändert und der Klage - ausgehend von einer geschätzten Arbeitszeit von 21 Stunden arbeitstäglich und 215 Arbeitstagen - in Höhe von 38.377,50 Euro brutto abzüglich 6.680,00 Euro netto nebst Prozesszinsen entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter, während die Klägerin mit ihrer Anschlussrevision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt.
Gründe
13Die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin sind begründet und führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
14I. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist schon insoweit rechtsfehlerhaft, als es gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen hat. Dies ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten (st. Rspr., - Rn. 11, BAGE 168, 25) und betrifft Differenzvergütung für sechs in der Berufungsinstanz nicht mehr streitgegenständliche Tage in Höhe von 1.071,00 Euro brutto nebst Zinsen.
151. Die Klägerin hat erstinstanzlich Differenzvergütung für geleistete Arbeit für die 215 Kalendertage des ursprünglichen Streitzeitraums (1. Mai bis und 1. Oktober bis ) beantragt. Das Arbeitsgericht hat dem indes nur für 209 Arbeitstage entsprochen und offenbar - ohne dies näher auszuführen - sechs vermeintlich freie Tage von der Klageforderung abgezogen.
162. Gegen die teilweise Abweisung der Klage hat die Klägerin kein Rechtsmittel eingelegt und das Ersturteil insoweit rechtskräftig werden lassen. Sie hat in der Begründung ihrer Anschlussrevision ausdrücklich klargestellt, dass sie die fehlerhafte Anrechnung der nach ihrem schon erstinstanzlichen Vorbringen erst im Jahr 2016 gewährten freien Tage durch das Arbeitsgericht akzeptiert hat und somit Vergütung für den 20. und sowie den 2., 9., 24. und nicht mehr streitgegenständlich sei. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin indes auch für diese Tage - in der Annahme eines „nicht näher nachvollziehbaren Rechenfehlers“ des Arbeitsgerichts - Vergütung zugesprochen, indem es bei seiner Berechnung der zugesprochenen Differenzvergütung von 215 Arbeitstagen ausgegangen ist.
17II. Die Revision der Beklagten ist begründet. Unbeschadet einer Korrektur des Verstoßes gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO tragen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die Höhe der zugesprochenen Klageforderung nicht.
181. Für die Klage sind die deutschen Gerichte für Arbeitssachen gemäß § 15 Satz 1 AEntG international zuständig. Davon ist das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen. Insoweit hat die Revision auch keine Angriffe erhoben.
19a) Nach § 15 Satz 1 AEntG können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in den Geltungsbereich dieses Gesetzes entsandt sind oder waren, eine auf den Zeitraum der Entsendung bezogene Klage auf Erfüllung der Verpflichtungen nach § 2 AEntG vor einem deutschen Gericht für Arbeitssachen erheben. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin war im Streitzeitraum von der in Bulgarien ansässigen Beklagten nach Berlin, also in den Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, zur vorübergehenden Arbeitsleistung entsandt. Das steht zwischen den Parteien außer Streit. Die Klage bezieht sich auf die Erfüllung der Verpflichtung der Beklagten nach § 2 Nr. 1 AEntG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (AEntG aF). Danach finden die in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften enthaltenen Regelungen über die Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend Anwendung. Zu den Mindestentgeltsätzen iSd. § 2 Nr. 1 AEntG aF gehörte seit dem auch der gesetzliche Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz (so ausdrücklich Regierungsbegründung zu § 20 MiLoG, BT-Drs. 18/1558 S. 42; allgA, vgl. nur ErfK/Franzen 21. Aufl. MiLoG § 20 Rn. 1; HWK/Tillmanns 9. Aufl. § 2 AEntG Rn. 5; Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 20 Rn. 4; Thüsing in Thüsing MiLoG/AEntG 2. Aufl. § 2 AEntG Rn. 7 - jeweils mwN).
20b) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit in derartigen Fällen ist gegeben. Art. 6 Richtlinie 96/71/EG (Entsende-Richtlinie) sieht ausdrücklich vor, dass Klagen wie die vorliegende (auch) in dem Mitgliedstaat erhoben werden können, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt ist oder war (zu dem in Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 96/71/EG definierten unionsrechtlichen Begriff der Entsendung vgl. etwa - [Federatie Nederlandse Vakbeweging] Rn. 43 ff. mwN). Dahinstehen kann deshalb, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, ob sich die Zuständigkeit deutscher Gerichte auch aus Art. 21 Abs. 1 Buchst. b Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-Verordnung) ergäbe, weil die Klägerin während der gesamten Dauer ihres Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten ihre Arbeit gewöhnlich in Berlin verrichtet hat.
212. Die Klage ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin verlangt zuletzt für den Zeitraum Mai bis August 2015 und Oktober bis Dezember 2015 für geleistete Vollarbeit und Bereitschaft für jeden Kalendertag mit Ausnahme des 20. und sowie des 2., 9., 24. und für jeweils 24 Stunden den gesetzlichen Mindestlohn von - damals - 8,50 Euro brutto unter Abzug der von der Beklagten in dieser Zeit erhaltenen Nettovergütung.
223. Die Klage ist dem Grunde nach begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte nach § 1 Abs. 1 iVm. § 20 MiLoG für die von ihr im Inland geleistete Arbeit Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns.
23a) Der Anspruch der Klägerin aus § 1 Abs. 1 MiLoG und die korrespondierende Verpflichtung der Beklagten nach § 20 MiLoG bestehen unabhängig davon, ob auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ansonsten nach der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-VO) aufgrund Rechtswahl im Rahmen des Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO oder anhand objektiver Anknüpfung iSd. Art. 8 Abs. 2 bis Abs. 4 Rom I-VO bulgarisches Recht Anwendung findet. Durch die ausdrückliche Verpflichtung auch von Arbeitgebern mit Sitz im Ausland zur Zahlung des Mindestlohns hat § 20 MiLoG international zwingende Wirkung (Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 20 Rn. 4) und ist jedenfalls eine Eingriffsnorm iSv. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, die unabhängig davon gilt, ob im Übrigen deutsches Recht auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet (ganz hM, vgl. nur Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 20 Rn. 5; Bayreuther in Thüsing MiLoG/AEntG 2. Aufl. § 1 MiLoG Rn. 67; HK-MiLoG/Schubert 2. Aufl. § 20 Rn. 2; Schaub ArbR-HdB/Vogelsang 18. Aufl. § 66 Rn. 21; ErfK/Franzen 21. Aufl. MiLoG § 20 Rn. 1; HWK/Sittard 9. Aufl. § 20 MiLoG Rn. 2; MüKoBGB/Müller-Glöge 8. Aufl. § 20 MiLoG Rn. 1; MHdB ArbR/Krause 5. Aufl. § 61 Rn. 10; - Rn. 36).
24aa) Eingriffsnormen sind zwingende Vorschriften, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrnehmung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie auf alle in Betracht kommenden Sachverhalte angewendet werden müssen. Erforderlich ist, dass die Vorschrift nicht nur auf den Schutz von Individualinteressen der Arbeitnehmer gerichtet ist, sondern mit ihr zumindest auch öffentliche Gemeinwohlinteressen verfolgt werden ( - Rn. 67, BAGE 158, 266; - 10 AZR 200/11 - Rn. 14 mwN, BAGE 141, 129; Deinert Internationales Arbeitsrecht § 10 Rn. 19 ff. - jeweils noch zu Art. 34 EGBGB aF; EuArbRK/Krebber 3. Aufl. VO 593/2008/EG Art. 9 Rn. 11; MHdB ArbR/Oetker 5. Aufl. § 13 Rn. 70; ErfK/Schlachter 21. Aufl. Rom I-VO Art. 9 Rn. 21; HWK/Tillmanns 9. Aufl. Art. 9 Rom I-VO Rn. 35). Das ist beim Mindestlohngesetz der Fall. Mit ihm verfolgt der Gesetzgeber nicht nur Individual-, sondern auch Gemeinwohlinteressen, indem umfassend alle abhängig Beschäftigten vor den Folgen einer unangemessen niedrigen Vergütung geschützt werden. Durch die Normierung eines angemessenen Verhältnisses von Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt sollen die Existenzsicherung durch Arbeitseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) für alle im Inland tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewährleistet und damit zugleich die sozialen Sicherungssysteme entlastet werden (vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 28; - Rn. 29 f., BAGE 155, 202; zu den Funktionen des gesetzlichen Mindestlohns sh. auch Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. Einführung Rn. 67 ff.).
25bb) Ein solches Verständnis des § 20 MiLoG gebietet zudem Art. 3 Abs. 1 RL 96/71/EG. Dieser sieht vor, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass entsandte Arbeitnehmer unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht hinsichtlich der in dieser Vorschrift aufgeführten Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantiert erhalten, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind (vgl. - [Sähköalojen ammattiliitto] Rn. 29; HWK/Sittard 9. Aufl. § 20 MiLoG Rn. 2).
26b) Der gesetzliche Vergütungsanspruch der Klägerin nach dem Mindestlohngesetz und die entsprechende Verpflichtung der Beklagten werden nicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 MiLoG durch die im Streitzeitraum geltende Zweite Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (2. PflegeArbbV) verdrängt (zum Verhältnis der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales erlassenen 2. PflegeArbbV zum Mindestlohngesetz im Einzelnen - Rn. 26 ff.). Der Sachvortrag der Parteien bietet keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, der Geltungsbereich der 2. PflegeArbbV sei eröffnet. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die in Bulgarien ansässige Beklagte im Streitzeitraum neben der Rekrutierung und Entsendung einheimischer Betreuungskräfte nach Deutschland überhaupt einen Pflegebetrieb iSd. § 1 Abs. 1 Satz 2 2. PflegeArbbV, also einen solchen, der überwiegend ambulante, teilstationäre oder stationäre Pflegeleistungen oder Krankenpflegeleistungen für Pflegebedürftige erbringt, unterhalten hätte.
27c) Die Klage ist entgegen der Auffassung der Revision nicht unschlüssig.
28aa) Macht der Arbeitnehmer geltend, die vom Arbeitgeber tatsächlich gezahlte Vergütung erreiche den gesetzlichen Mindestlohn nicht, begründet dies von Gesetzes wegen einen Anspruch auf Differenzvergütung, wenn der Arbeitnehmer in der Abrechnungsperiode, die längstens einen Kalendermonat betragen darf, für die geleisteten Arbeitsstunden im Ergebnis nicht mindestens den in § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG vorgesehenen Bruttolohn erhält. Für die schlüssige Begründung einer auf Zahlung der Differenzvergütung zum gesetzlichen Mindestlohn gerichteten Klage ist es deshalb erforderlich, für jeden Kalendermonat ein konkret beziffertes Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns darzulegen ( - Rn. 24).
29bb) Diesem Erfordernis genügt der Sachvortrag der Klägerin.
30(1) Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die von der Beklagten gezahlte monatliche (Netto-)Vergütung allenfalls den gesetzlichen (Brutto-)Mindestlohn für die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 30 Wochenstunden erfüllen könnte. Die Sachleistungen in Gestalt von Kost und Logis bleiben insoweit unberücksichtigt. Dem Ziel des Mindestlohngesetzes entsprechend, jedem Arbeitnehmer ein existenzsicherndes Monatseinkommen zu gewährleisten, fordern §§ 1 und 2 MiLoG mit dem Begriff der „Zahlung“ und der Nennung eines Eurobetrags in „brutto“ eine Entgeltleistung in Form von Geld ( - Rn. 29, BAGE 155, 202 sowie im Anschluss daran - Rn. 7; ebenso Lembke NZA 2015, 70, 75; MüKoBGB/Müller-Glöge 8. Aufl. § 1 MiLoG Rn. 20; Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 1 Rn. 82; Schaub ArbR-HdB/Vogelsang 18. Aufl. § 66 Rn. 33; Sittard RdA 2015, 99, 105; Sura BB 2018, 437, 441; Bayreuther in Thüsing MiLoG/AEntG 2. Aufl. § 1 MiLoG Rn. 127; aA HK-MiLoG/Düwell 2. Aufl. § 1 Rn. 96; ErfK/Franzen 21. Aufl. MiLoG § 1 Rn. 6). Hat die Klägerin tatsächlich in jedem Kalendermonat des Streitzeitraums - wie sie behauptet - mehr gearbeitet, ist zwingend ein Anspruch auf Differenzvergütung entstanden. Dessen Höhe lässt sich, ausgehend von der Berechnung der Klägerin, anhand der feststehenden Anzahl der Tage der jeweiligen im Streit befindlichen Monate multipliziert mit 24 Stunden und dem damaligen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto abzüglich der unstreitig erhaltenen Nettovergütung für jeden Kalendermonat unschwer ermitteln.
31(2) An der Schlüssigkeit der Klage mangelt es entgegen der Auffassung der Revision auch nicht deshalb, weil - so die Beklagte - die Klägerin die Klage anhand eines Stundendurchschnitts begründet hätte (zu einer solchen Fallgestaltung - Rn. 13, BAGE 155, 318). Denn die Klägerin hat ihre Forderung nicht „nur pauschal ermittelt“, sondern für einen konkreten Streitzeitraum behauptet, jeden Arbeitstag 24 Stunden tatsächlich Arbeitsleistung erbracht zu haben, sei es Vollarbeit, sei es in Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst.
32d) In welchem Umfang tatsächlich geleistete Arbeit mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten ist, richtet sich entgegen der Auffassung der Revision auch bei entsandten Arbeitnehmern nicht nur nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, sondern primär nach den Vorgaben des Mindestlohngesetzes. Denn der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein die vertragliche Vergütungsabrede korrigierender gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tritt ( - Rn. 22, BAGE 155, 202, seither st. Rspr.). Weil § 20 MiLoG den Arbeitgeber mit Sitz im Ausland gegenüber seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern nach denselben Grundsätzen zur Zahlung des Mindestlohns verpflichtet, wie sie für einen Arbeitgeber mit Sitz im Inland gelten, wären arbeitsvertragliche Vereinbarungen, die den inländischen gesetzlichen Mindestlohnanspruch unterschritten oder vereitelten, nach § 3 Satz 1 MiLoG unwirksam, unabhängig davon, welchem Recht der Arbeitsvertrag ansonsten unterliegt. Desgleichen verdrängt § 20 MiLoG als Eingriffsnorm etwa abweichendes bulgarisches Recht.
33e) Dem steht § 2 Nr. 1 AEntG aF mit der Formulierung „Mindestentgeltsätze“ nicht entgegen. Mit diesem Begriff, der durch das Gesetz zur Umsetzung der RL (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vom (BGBl. I S. 1657) durch den Begriff Entlohnung ersetzt wurde, ist - anders als die Revision annimmt - nicht nur die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns gemeint. Er umfasst vielmehr auch die Modalitäten, nach denen der gesetzliche Mindestlohn zu zahlen ist. Das gebietet schon eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 2 Nr. 1 AEntG aF. In seiner im Streitzeitraum geltenden Fassung sprach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c Richtlinie 96/71/EG zwar von „Mindestlohnsätzen“, während es nunmehr nach der Änderung der RL 96/71/EG durch die RL (EU) 2018/957 „Entlohnung“ heißt. Doch hat der Gerichtshof der Europäischen Union schon seit längerem geklärt, dass der Begriff „Mindestlohnsätze“ weit auszulegen ist und zumindest den im Recht des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Mindestlohn umfasst (vgl. - [Ungarn/Parlament und Rat] Rn. 144; - C-396/13 - [Sähköalojen ammattiliitto] Rn. 32 ff.). Der Gerichtshof hat ferner darauf hingewiesen, dass sich nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 96/71/EG der Begriff der Mindestlohnsätze ausdrücklich nach den Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird, bestimmt.
34f) Nach deutschem Mindestlohnrecht schuldet der Arbeitgeber den gesetzlichen Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde. Der Mindestlohn ist für alle Stunden, während derer der Arbeitnehmer die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeit erbringt, zu zahlen ( - Rn. 24, BAGE 155, 318).
35aa) Mit dem Mindestlohn zu vergütende Arbeit ist nicht nur die Vollarbeit, sondern auch die Bereitschaft ( - Rn. 13; - 5 AZR 716/15 - Rn. 27 ff., BAGE 155, 318). Der Arbeitnehmer kann während des Bereitschaftsdienstes nicht frei über die Nutzung dieses Zeitraums bestimmen, sondern muss sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort bereithalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit von sich aus (Arbeitsbereitschaft) oder „auf Anforderung“ (Bereitschaftsdienst) aufzunehmen. Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst sind nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit (zu unionsrechtlichen Vorgaben hierzu - Rn. 26 ff. und - C-344/19 - Rn. 25 ff. - jeweils mwN), sondern nach inländischem Recht vergütungspflichtige Arbeit ( - Rn. 28, aaO). Denn zu dieser zählt auch die vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz oder einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er also weder eine Pause (§ 4 ArbZG) noch Freizeit hat ( - Rn. 21, BAGE 137, 366; - 5 AZR 1101/12 - Rn. 16, BAGE 150, 82; - 5 AZR 761/13 - Rn. 13, BAGE 153, 248; - 5 AZR 250/18 - Rn. 21; - 5 AZR 93/19 - Rn. 27).
36bb) Der gesetzliche Mindestlohn ist nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG „je Zeitstunde“ festgelegt. Damit knüpft die Norm an die „vergütungspflichtige Arbeitszeit“ an ( - Rn. 31 mwN; ebenso zu dem „je Stunde“ festgelegten Mindestentgelt nach der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche vom - Rn. 17, BAGE 153, 248), ohne diese abweichend von dem von der Rechtsprechung entwickelten Verständnis dieses Begriffs zu definieren. Die gesetzliche Vergütungspflicht des Mindestlohngesetzes differenziert nicht nach dem Grad der tatsächlichen Inanspruchnahme und gibt damit auch für Bereitschaft einen ungeschmälerten Anspruch auf den Mindestlohn ( - Rn. 29, BAGE 155, 318; - 5 AZR 591/16 - Rn. 14; - 5 AZR 93/19 - Rn. 27; ebenso die herrschende Meinung im Schrifttum, sh. etwa ErfK/Franzen 21. Aufl. MiLoG § 1 Rn. 4; HWK/Sittard 9. Aufl. § 1 MiLoG Rn. 7; MHdBArbR/Krause 5. Aufl. § 61 Rn. 15; MüKoBGB/Müller-Glöge 8. Aufl. § 1 MiLoG Rn. 17; Schaub ArbR-HdB/Vogelsang 18. Aufl. § 66 Rn. 23; Bayreuther in Thüsing MiLoG/AEntG 2. Aufl. § 1 MiLoG Rn. 43; HK-MiLoG/Düwell 2. Aufl. § 1 Rn. 40).
37cc) Soweit demgegenüber angenommen wird, nur Vollarbeit sei mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten (zB Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 1 Rn. 60 ff., die zwischen „Bereitschaftsruhezeiten“ und Vollarbeit in der Bereitschaft differenzieren; Wank Anm. zu BAG AP MiLoG § 1 Nr. 2, der auf eine fehlende gesetzliche Festlegung, dass Zeiten des Bereitschaftsdienstes Arbeitszeit iSd. Mindestlohngesetzes sind, verweist; krit. auch Thüsing/Beden/Denzer/Bleckmann/Pöschke NZS 2021, 321, 329 ff., die einen „neuen, besseren Rechtsrahmen für die Pflege in häuslicher Gemeinschaft“ durch den Gesetzgeber anmahnen), wird außer Acht gelassen, dass es hierfür weder im Wortlaut des Mindestlohngesetzes noch in der Gesetzesbegründung hinreichend konkrete Anhaltspunkte gibt. Der Gesetzgeber hat im Mindestlohngesetz auch keine Fakturierung der Zeiten des Bereitschaftsdienstes vorgenommen, wie sie - als Reaktion auf die Rechtsprechung, das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV sei auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu zahlen ( - BAGE 150, 82; zur Entwicklung - Rn. 33) - ab dem für Zeiten des Bereitschaftsdienstes in der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales erlassenen Zweiten und Dritten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche enthalten war.
38dd) Ohne eine im Gesetz selbst niedergelegte Staffelung fehlt es an einer Legitimation, geleistete Arbeit mit weniger als dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten (so schon - Rn. 29, BAGE 155, 318). Zwar geht das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass für Sonderformen der Arbeit wie Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit vorgesehen werden kann (zB - Rn. 21 mwN). Es ist jedoch allein Sache des Gesetzgebers und nicht der Gerichte (zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung vgl. , 1 BvR 1375/14 - Rn. 72 ff., BVerfGE 149,126), zu entscheiden, ob Zeiten des Bereitschaftsdienstes generell oder jedenfalls im Bereich der häuslichen Pflege aus der Mindestlohnpflicht gänzlich herausgenommen oder mit einem geringeren als dem Mindestlohn für Vollarbeit vergütet werden sollen (zu einem Vorschlag für eine normative Regelung sh. Thüsing/Beden/Denzer/Bleckmann/Pöschke NZS 2021, 321, 330). Die im Schrifttum angeführten rechtspolitischen Probleme („Jede Form von [dauerhaften] Branchen- und Tätigkeitsdifferenzierungen war in der Koalition nicht konsensfähig, da damit eine Aufweichung des Konzepts eines allgemeinen und damit eben branchenübergreifenden und nicht tätigkeitsspezifischen Mindestlohns einhergegangen wäre“, Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 1 Rn. 63) beschreiben allein das politische Unvermögen, in diesem Bereich, in dem seit langem Reformbedarf angemahnt wird (dazu pars pro toto zuletzt Thüsing/Beden/Denzer/Bleckmann/Pöschke NZS 2021, 321, 324 ff.; siehe dazu auch die Gesamtdarstellung der Problematik bei Bucher Rechtliche Ausgestaltung der 24-h-Betreuung durch ausländische Pflegekräfte in deutschen Privathaushalten 2018 - jeweils mwN), eine gesetzliche Regelung zu treffen und hierfür die politische Verantwortung zu übernehmen. Hieraus resultiert aber entgegen der im Schrifttum geäußerten Auffassung keine rechtliche Unmöglichkeit, derartige gesetzliche Regelungen zu treffen (so aber Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 1 Rn. 63). Auf der Grundlage des geltenden Mindestlohngesetzes ist der Rechtsprechung jedenfalls eine Rechtsfortbildung im Sinne einer Einschränkung des Anspruchs auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Bereitschaftsdienste nicht möglich.
394. Das Landesarbeitsgericht hat, wie die Beklagte zu Recht rügt, mit seiner Annahme, die Klägerin habe arbeitstäglich 21 Stunden Arbeitsleistung erbracht, § 286 Abs. 1 ZPO verletzt. In welcher Höhe die Klage auf Differenzvergütung begründet ist, kann der Senat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht selbst entscheiden.
40a) Nach § 286 Abs. 1 ZPO haben die Tatsacheninstanzen unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung darüber zu befinden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr erachten oder nicht.
41aa) Gegenstand der Würdigung ist der gesamte Tatsachenstoff, von dem der Tatrichter im Laufe des Verfahrens in prozessordnungsgemäßer Weise Kenntnis erlangt hat (PG/Laumen ZPO 13. Aufl. § 286 Rn. 6; MüKoZPO/Prütting 6. Aufl. § 286 Rn. 7). Das Gericht kann oder muss dabei gegebenenfalls zwecks (informeller) Anhörung einer Partei auch das persönliche Erscheinen der Partei anordnen (§§ 141, 137 Abs. 4 ZPO), wenn eine Partei einen von ihr zu führenden Beweis oder Gegenbeweis nur mit ihrer eigenen Aussage - wie zum Beispiel hinsichtlich eines Vier-Augen-Gesprächs - erbringen könnte, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Parteivernehmung (ua. § 448 ZPO) aber nicht vorliegen ( - Rn. 58 mwN). Der Tatrichter kann im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben einer Partei (vgl. §§ 141, 137 Abs. 4 ZPO) unter Umständen auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht - auch nicht mittels Parteivernehmung, weil es an der erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit fehlt - beweisen kann ( - Rn. 12 mwN). Bei seiner Entscheidung hat er sich mit den Angaben der Parteien auseinanderzusetzen und darzulegen und zu begründen, dass und weshalb er sie für wahr oder nicht wahr hält (Nassall jurisPR-BGHZivilR 5/2018 Anm. 3).
42bb) Für eine den Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO genügende richterliche Überzeugung bedarf es keiner absoluten oder unumstößlichen Gewissheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises ( - Rn. 40). Der Tatrichter darf und muss sich vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen ( - Rn. 27; - VIII ZR 161/14 - Rn. 11; - Rn. 44, BAGE 155, 202).
43cc) Revisionsrechtlich ist zu überprüfen, ob sich das Berufungsgericht mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt ( - Rn. 32; - 5 AZR 135/16 - Rn. 44, BAGE 155, 202).
44b) Nach diesen Grundsätzen hat das Landesarbeitsgericht § 286 Abs. 1 ZPO rechtsfehlerhaft angewendet. Die Revision rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe den Vortrag der Beklagten zum Umfang der von der Klägerin geschuldeten und geleisteten Arbeit nicht ausreichend gewürdigt, insbesondere den Hinweis der Beklagten auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 30 Wochenstunden nicht berücksichtigt. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte könne sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die im Arbeitsvertrag vereinbarte zeitliche Begrenzung der Arbeitszeit berufen. Hierdurch hat es den durch Art. 103 Abs. 1 GG geschützten Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt. Diese hat hiernach Anspruch darauf, dass das Gericht ihren Tatsachenvortrag zur Kenntnis nimmt und im Rahmen von § 286 Abs. 1 ZPO würdigt. Gesetzliche Verwertungsverbote bestehen im Streitfall nicht. Die angeführten Rechtspositionen der Klägerin (Art. 12 Abs. 1 GG; Art. 31 Abs. 1 GRC) begründen derartige Verbote nicht. Diese Grundrechtspositionen sind vielmehr im Rahmen der nach § 286 Abs. 1 ZPO vorzunehmenden Würdigung des Tatsachenstoffs zu berücksichtigen.
45c) Die Verletzung von § 286 Abs. 1 ZPO führt gemäß § 562 Abs. 1 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO). Der Senat ist an einer eigenen Sachentscheidung gehindert (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Würdigung des Parteivortrags und der angebotenen Beweise ist grundsätzlich Aufgabe der Tatsachengerichte. Der Sachverhalt ist auch nicht vollständig aufgeklärt. Im erneuten Berufungsverfahren wird sich das Landesarbeitsgericht - gegebenenfalls nach weiterem Sachvortrag der Parteien und Erhebung der schon bislang angebotenen Beweise - unter umfassender Würdigung des beiderseitigen Tatsachenvortrags die tatrichterliche Überzeugung bilden müssen, in welchem zeitlichen Umfang die Klägerin Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst auf Veranlassung der Beklagten geleistet hat.
46d) Für das fortgesetzte Berufungsverfahren weist der Senat darauf hin, dass die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe mehr als die im Arbeitsvertrag angegebenen 30 Wochenstunden arbeiten müssen, nach Aktenlage nicht fernliegend ist.
47aa) Das Landesarbeitsgericht wird im Rahmen der Würdigung des Tatsachenvortrags und der gegebenenfalls noch zu erhebenden Beweise nach § 286 Abs. 1 ZPO festzustellen haben, ob die arbeitsvertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit von 30 Stunden ernsthaft gewollt war oder tatsächliche Umstände dafür sprechen, dass ein anderes Arbeitszeitvolumen dem wirklichen Willen der Parteien entsprochen hat.
48(1) Hierbei wird es ua. die Zusatzvereinbarung vom in den Blick zu nehmen haben. Darin ist bestimmt, dass die Klägerin in Deutschland an einem 6-Stunden-Arbeitstag mit einer täglichen Ruhezeit von 60 Minuten und einer wöchentlichen Ruhezeit von zwei Arbeitstagen - Sonnabend und Sonntag - zu arbeiten hatte. Welche Bedeutung einer täglichen Ruhezeit von 60 Minuten bei einem 6-Stunden-Arbeitstag zukommen soll, erschließt sich nicht ohne Weiteres. In diesem Zusammenhang wird das Landesarbeitsgericht auch die Antwort der Beklagten auf eine Nachfrage des Sohns der zu pflegenden Person zu berücksichtigen haben, wonach der Klägerin nur ein freier Tag pro Woche zustehe, der auch stundenweise gewährt werden könne. Dies steht im Widerspruch zu der getroffenen vertraglichen Vereinbarung, wonach Sonnabend und Sonntag arbeitsfrei sein sollten. Dass im Streitzeitraum, also im Jahr 2015, während des Einsatzes der Klägerin bei der zu betreuenden Person die Sonnabende und Sonntage arbeitsfrei gewesen wären oder die Klägerin auch nur einen Tag wöchentlich frei gehabt hätte, hat die Beklagte nicht einmal behauptet.
49(2) Des Weiteren wird das Berufungsgericht die zwischen der Beklagten und der zu betreuenden Person geschlossenen Verträge, die eine 24-Stunden-Betreuung vorsehen, zu würdigen haben. Die Beklagte hat sich in dem auf Vermittlung der Deutschen S mit der zu betreuenden Person geschlossenen Dienstleistungsvertrag zu umfangreichen Haushalts- und Betreuungsleistungen verpflichtet. Zu diesen gehörten - bei der laut Fragebogen zur Leistungsbeschreibung „angedachten 24 Stunden Betreuung/Pflege“ - auch umfangreiche „soziale Aufgaben“ (wie Gesellschaft leisten, Ansprache und gemeinsame Interessenverfolgung) und Nachtwachen, die von der Beklagten durch ihre Mitarbeiter im Haushalt der zu betreuenden Person zu erbringen waren. Zu diesem Zweck hat die Beklagte die Klägerin nach Berlin entsandt und in der Wohnung der zu betreuenden Person ein Zimmer beziehen lassen. Dabei könnte bei gebotener lebenspraktischer Betrachtungsweise allen Beteiligten klar gewesen sein, dass angesichts des Alters der zu betreuenden Person und des mit ihr vereinbarten Leistungsumfangs für die der Klägerin obliegenden Arbeiten eine Arbeitszeit von 30 Wochenstunden objektiv nicht ausreichend war. Dementsprechend hat die Beklagte im bisherigen Verfahren nicht substantiiert dargelegt, dass und in welcher Weise es angesichts der mit der zu betreuenden Person vereinbarten Leistungen der Klägerin möglich gewesen wäre, die ihr zugewiesenen Aufgaben innerhalb einer Arbeitszeit von 30 Wochenstunden zu erledigen und es ihr gestattet war, nach sechs Arbeitsstunden, zur Nachtzeit und an den Wochenenden die zu betreuende Person sich selbst zu überlassen. Es spricht deshalb einiges dafür, dass die vertraglichen Vereinbarungen zur Arbeitszeit lediglich der kostengünstigen Gestaltung des von der Deutschen S so genannten „Entsendemodells“ geschuldet waren.
50bb) Das Landesarbeitsgericht wird weiter zu prüfen haben, ob die Beklagte mit der Entsendung der Klägerin in den Haushalt der zu betreuenden Person zur Erledigung der der Beklagten dieser gegenüber obliegenden Betreuungsleistungen „Mehrarbeit“ der Klägerin veranlasst (vgl. allgemein zu dem Erfordernis der Veranlassung von Mehrarbeit durch den Arbeitgeber - Rn. 14 ff. mwN) und, soweit nicht Vollarbeit zu leisten war, zumindest konkludent Bereitschaftsdienst angeordnet hat. Auch hierfür dürfte einiges sprechen. Anderenfalls hätte es ihr angesichts des Betreuungsumfangs und des Umstands, dass die Klägerin als „Sozialassistentin“ bei der zu betreuenden Person Wohnung nehmen musste, oblegen, konkret vorzugeben, an welchen Tagen die Klägerin von wann bis wann zur Arbeit zur Verfügung stehen musste und von wann bis wann sie sich zurückziehen und frei über die Nutzung ihrer Zeit bestimmen durfte, ohne auf mögliche Bedürfnisse der zu betreuenden Person Rücksicht nehmen zu müssen. Dies hat die Beklagte bisher unterlassen. Weder dem Arbeitsvertrag noch dem Dienstleistungsvertrag mit der zu betreuenden Person ist zu entnehmen, dass die Klägerin nur zu bestimmten Zeiten, nicht aber jederzeit der zu betreuenden Person zur Verfügung stehen musste. In diesem Zusammenhang wird das Berufungsgericht auch den Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe sich ihre Arbeitszeit im Rahmen der vereinbarten Vertrauensarbeitszeit einteilen können, einzuordnen und zu würdigen haben. Hierzu wird es in Betracht zu ziehen haben, ob es gegebenenfalls nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien diese und ihre gesetzlichen Vertreter persönlich anhört, die angebotenen Zeugenbeweise erhebt und/oder die geforderte Parteivernehmung der Klägerin vornimmt.
51cc) Unter der Voraussetzung des § 287 Abs. 2 ZPO wird das Landesarbeitsgericht eine Schätzung der Arbeitszeit in Betracht ziehen können, wenn aufgrund unstreitigen Sachvortrags oder nach § 286 Abs. 1 ZPO für wahr erachteten Sachvortrags der Klägerin feststeht, dass diese über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus Vollarbeit oder Bereitschaft geleistet hat, aber nicht jede einzelne „Mehrstunde“ belegen kann (vgl. - zu Überstunden - - Rn. 21, BAGE 151, 180).
52III. Die Anschlussrevision der Klägerin ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat § 287 Abs. 2 ZPO rechtsfehlerhaft angewendet.
531. Im Unterschied zu den strengen Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO genügt für eine Schätzung eine erhebliche, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit für die richterliche Überzeugungsbildung. Der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt dabei, ob das Tatsachengericht alle wesentlichen Bemessungsfaktoren berücksichtigt oder der Schätzung unrichtige oder unbewiesene Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt hat und damit die Schätzung mangels konkreter Anhaltspunkte völlig „in der Luft hängt“, also willkürlich ist (vgl. - Rn. 34; - 5 AZR 168/16 - Rn. 37, BAGE 157, 116; - Rn. 49, BGHZ 211, 146).
542. Daran gemessen hängt die vom Berufungsgericht vorgenommene Schätzung völlig „in der Luft“. Das Landesarbeitsgericht hat im angefochtenen Urteil keinerlei belastbare Anknüpfungstatsachen für seine Schätzung dargetan. Es mag nach der allgemeinen Lebenserfahrung wenig glaubhaft erscheinen, dass die Klägerin über Wochen hinweg täglich 24 Stunden Arbeitsleistung - und sei es teilweise in Form von Bereitschaft - erbracht hat. Das Landesarbeitsgericht legt aber nicht offen, aufgrund welcher festgestellten Tatsachen oder konkreten Anhaltspunkte es annimmt, die Klägerin habe sich täglich für eine Stunde innerhalb der Wohnung der zu betreuenden Person der jederzeitigen Arbeitsaufnahme entziehen und täglich zwei Stunden die Wohnung ohne die zu betreuende Person zum Zwecke der Freizeit verlassen können. Soweit es ausführt, es gehe um die Möglichkeit der Klägerin, sich sowohl innerhalb der Wohnung beispielsweise für ein ausgiebiges Bad oder Telefongespräche der jederzeitigen Arbeitsaufnahme zu entziehen oder auch die Wohnung für eine beschränkte Zeit zu verlassen, etwa um sich mit Bekannten oder Freunden zu treffen oder einen Spaziergang zu machen, gibt es hierfür im Sachvortrag der Parteien keinerlei Tatsachengrundlage. Die Schätzung hängt damit völlig „in der Luft“. Eine nicht fernliegende Anhörung der Klägerin hierzu (§§ 141, 137 Abs. 4 ZPO) ist nicht erfolgt.
553. Das Berufungsurteil ist wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers auch im Umfang der Beschwer der Klägerin aufzuheben und die Sache auch insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Aufgrund fehlender Feststellungen ist dem Senat eine eigene Sachentscheidung nicht möglich (§ 563 Abs. 3 ZPO).
56IV. Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:240621.U.5AZR505.20.0
Fundstelle(n):
BB 2021 S. 2355 Nr. 40
DB 2021 S. 6 Nr. 40
DStR 2021 S. 12 Nr. 26
DStR 2021 S. 1956 Nr. 33
NJW 2021 S. 10 Nr. 42
NJW 2022 S. 415 Nr. 6
ZIP 2021 S. 2145 Nr. 41
ZIP 2021 S. 51 Nr. 27
AAAAH-89927