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NWB Nr. 39 vom Seite 2895

Überraschungsentscheidung im Finanzgerichtsprozess

Anmerkungen zum und v. 19.5.2020 - VIII B 114/19

Dr. Jan Haselmann, Dr. Annette Elisabeth Rickert und Benn Berger

[i]Nacke, Finanzgerichtliches Verfahren und Verfahren vor dem Bundesfinanzhof, Grundlagen, NWB QAAAF-90430 Immer wieder enthalten finanzgerichtliche Urteile für den Steuerpflichtigen, der noch in der mündlichen Verhandlung siegessicher war, böse Überraschungen. Nicht immer muss ein überraschendes, klageabweisendes Urteil hingenommen werden. Sogenannte Überraschungsentscheidungen sind nach der Rechtsprechung von BFH und BVerfG im Hinblick auf das Grundrecht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unzulässig. Dieser Beitrag soll anhand zweier aktueller BFH-Beschlüsse (v.  - VIII B 117/19, NWB IAAAH-59765, und v.  - VIII B 114/19, NWB KAAAH-55220) erläutern, wann eine Überraschungsentscheidung vorliegt und welche Folgen sich daraus für den Steuerpflichtigen ergeben.

I. Aktuelle Entscheidungen

Der BFH hat jüngst in zwei Beschlüssen über Nichtzulassungsbeschwerden von Steuerpflichtigen finanzgerichtliche Urteile als unzulässige „Überraschungsentscheidungen“ qualifiziert. In beiden Fällen entschied er zugunsten der Steuerpflichtigen, ließ die Revision wegen eines Verfahrensfehlers zu und verwies die Sache zurück an die jeweiligen Finanzgerichte.

1.

a) Leitsatz

Mit Beschluss v.  - VIII B 117/19 ( NWB IAAAH-59765) hat der BFH klargestellt, dass eine „Überraschungsentscheidung vorliegen kann, wenn das Finanzgericht den nicht im Besitz seiner Belegsammlung befindlichen Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals mit der Feststellung konfrontiert, die geltend gemachten Betriebsausgaben für bestimmte Aufwendungen seien nicht vollständig durch Belege nachgewiesen, und das Finanzgericht in der Entscheidung den Abzug dieser Betriebsausgaben kürzt.“ S. 2896

b) Sachverhalt

Dem Beschluss des BFH lag folgender Sachverhalt zugrunde:

[i]FG nahm pauschale Zuschätzung von Betriebseinnahmen vor, erkannte Aufwendungen für „Fremdleistungen“ aber anDer Kläger erzielte als Steuerberater Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit, ermittelte seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG und führte freiwillig Bücher. Als Nachweis für die Höhe des von ihm ermittelten Gewinns reichte er eine Belegsammlung ein. In der Gewinnermittlung waren u. a. vier verschiedene Aufwendungsposten als Betriebsausgaben geltend gemacht worden: Aufwendungen für „Reinigung“, „Repräsentation“, „Geschenke“ und „Fremdleistungen“. Gleichzeitig fehlten Rechnungen (und Zahlungseingänge) für Leistungen, die er gegenüber einem (mittlerweile insolventen) Mandanten erbracht hatte. Das Finanzgericht bemängelte im ersten Rechtszug die sachliche Richtigkeit der Gewinnermittlung bezüglich der Aufwendungen „Reinigung“, „Repräsentation“ und „Geschenke“. Zusätzlich nahm das Finanzgericht eine pauschale Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen vor. Die Aufwendungen für „Fremdleistungen“ erkannte es hingegen an. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil im Hinblick auf die aus Sicht des BFH rechtswidrige Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen auf und verwies die Sache zur Entscheidung an das Finanzgericht zurück.

[i]FG bemängelte in mündlicher Verhandlung erstmals die Aufwendungen für Fremdleistungen aufgrund unvollständiger Belege und ...Auch im zweiten Rechtsgang ging es zunächst nur um die Einnahmenseite. Das Finanzgericht forderte den Kläger in der Ladung zur mündlichen Verhandlung lediglich auf, weitere Nachweise zur Höhe der streitigen Betriebseinnahmen vorzulegen. In der mündlichen Verhandlung wurde dem Kläger dann erstmalig vorgehalten, dass die Aufwendungen für Fremdleistungen nicht vollständig durch Belege nachgewiesen seien und der Betriebsausgabenabzug insoweit zum Großteil nicht anzuerkennen sei. Der Belegordner des Klägers war zu diesem Zeitpunkt noch immer beim Finanzamt, sodass der Kläger lediglich erwidern konnte, die Feststellungen des Finanzgerichts seien insoweit unzutreffend.

[i]... kürzte diese im UrteilMit seinem auf diese mündliche Verhandlung ergangenen Urteil schätzte das Finanzgericht erneut Betriebseinnahmen hinzu, kürzte diesmal aber auch − anders als im ersten Rechtsgang − die geltend gemachten Betriebsausgaben für Fremdleistungen, für die keine Belege vorgelegen hätten. Dies ergab sich für das Finanzgericht aus einer Überprüfung der im „Bankordner“ abgelegten − und in der mündlichen Verhandlung nicht präsenten − Belege des Klägers.