BGH Beschluss v. - 1 StR 123/21

Minder schwerer Fall des Totschlags: Tatauslösende körperliche und seelische Misshandlung

Gesetze: § 213 Alt 1 StGB, § 223 Abs 1 Alt 1 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG München II Az: 1 Ks 33 Js 44531/19

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zur Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist ihr Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte die Angeklagte seit November 2016 eine Beziehung mit dem späteren Tatopfer J.       , die von andauerndem Streit geprägt war. J.       übte mehrfach niederschwellige Gewalt aus, wenn er sich von der Angeklagten provoziert fühlte. Auch in der Tatnacht vom 24. November auf den stritten sich die Lebenspartner. J.          verließ vorübergehend die gemeinsam genutzte Wohnung der Angeklagten, kehrte aber alsbald gegen 0.35 Uhr zurück, nachdem diese ihm geschrieben hatte, sie habe einen neuen Liebhaber, der besser als er und ein wahrer Mann sei, der ihre Liebe verdiene.

3In der Wohnküche versetzte J.         der Angeklagten einen leichten Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht; er schlug ihr Mobiltelefon gegen die Küchentheke, sodass das Display zersprang, und warf es zu Boden. J.        ergriff mit seiner rechten Hand fest den Unterkiefer der Angeklagten und drückte sie derart gepackt in die Ecke der Küchenzeile mit dem Oberkörper nach hinten. Die Angeklagte ergriff ein Küchenmesser mit einer 16 cm langen Klinge und holte in Richtung seines linken Oberkörpers aus. J.       hob schützend seinen linken Arm und erlitt Schnittverletzungen am Handrücken, am vorderen Unterarm, am Ellenbogen und am Oberarm. J.       ließ von der Angeklagten ab und drehte sich zum Bartisch der Küche um, um seine stark blutenden Wunden zu betrachten. Die Angeklagte erkannte, dass von J.         kein weiterer Angriff drohte; dennoch versetzte sie aus Wut und Verärgerung über das vorangegangene Verhalten ihres Lebenspartners sowie über den enttäuschenden Verlauf der Beziehung J.        von hinten einen tödlichen Stich unterhalb der linken Achselhöhle, der elf cm tief in die Brusthöhle eindrang und einen Schlagaderast in der linken Lunge durchtrennte.

42. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei Notwehr (§ 32 StGB) ausgeschlossen. Indes hält der Strafausspruch sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand:

5Die Erwägungen, mit denen das Landgericht einen minder schweren Fall nach § 213 Alternative 1 StGB abgelehnt hat, erweisen sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

6a) Trotz des mit § 223 Abs. 1 Alternative 1 StGB übereinstimmenden Wortlauts ʺMisshandlungʺ setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Strafzumessungsregel des § 213 Alternative 1 StGB nicht das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzung einer Körperverletzung voraus. Daher ist ein Verletzungserfolg nicht erforderlich (BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 37/95 Rn. 8, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 4; vom - 5 StR 119/02 Rn. 4 und vom - 5 StR 221/02 Rn. 3; Urteil vom - 5 StR 214/96 Rn. 7, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 5); auch seelische Misshandlungen können genügen. Entscheidend ist demnach nicht, in welchem Umfang das körperliche Wohlbefinden des Täters des Totschlags beeinträchtigt ist, sondern, ob die diesem zugefügten Misshandlungen nach ihrem Gewicht und den Umständen des Einzelfalls geeignet sind, die ʺJähtat als verständliche Reaktionʺ auf das provozierende Verhalten des anschließend getöteten Opfers erscheinen zu lassen ( Rn. 8, BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 4).

7Ob der vorausgehende Angriff durch das Opfer ausreichendes Gewicht hat, hat das Tatgericht mit Blick auf den für Totschlagsdelikte durch § 213 StGB eröffneten Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (statt von fünf Jahren bis zu fünfzehn Jahren; § 212 Abs. 1 StGB) und auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller dafür maßgebenden Umstände, namentlich unter Berücksichtigung der bisherigen Täter-Opfer-Beziehung und der damit verbundenen Motivationsgenese, zu beurteilen. Die Anwendung des § 213 Alternative 1 StGB kann auch dann geboten sein, wenn die tatauslösende Misshandlung für sich allein genommen zwar keine ʺschwere Unbillʺ ist, sie aber gleichsam der ʺTropfenʺ ist, der ʺdas Fass zum Überlaufen bringtʺ (vgl. , BGHR StGB § 213 Strafzumessung 3 Rn. 18 bis 20, 22, 25 mit weiteren umfangreichen Nachweisen). Das gesamte provozierende Verhalten des Opfers ist einzubeziehen (vgl. Rn. 3; Urteil vom - 5 StR 134/14, BGHR StGB § 213 Alt. 2 Opferverhalten 4 Rn. 16). Lediglich geringfügige Eingriffe in die körperliche oder seelische Unversehrtheit des Täters des Tötungsdelikts sind regelmäßig nicht von ausreichendem Gewicht; die Erheblichkeitsschwelle ist aber bei schmerzhaften Ohrfeigen überschritten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 518/15 Rn. 4 f. und vom - 3 StR 391/18 Rn. 9).

8b) Diesen Maßstab hat das Landgericht in seiner Würdigung verkannt. Es hat maßgeblich darauf abgestellt, dass die Angeklagte nur Bagatellverletzungen erlitten habe (UA S. 89). Damit hat das Landgericht die Gesamtsituation des Angriffs durch J.        nur lückenhaft gewürdigt. Denn das Gewicht der ʺMisshandlungʺ ist nicht allein nach dem Verletzungserfolg zu bemessen, sondern auch nach der Intensität der Angriffshandlungen. Jedenfalls die Fixierung durch J.         Griff an den Unterkiefer war von einigem Gewicht.

9c) Die Feststellungen sind von diesem Rechtsfehler nicht betroffen und bleiben daher aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht darf seiner Strafzumessung neue Feststellungen zugrunde legen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:310521B1STR123.21.0

Fundstelle(n):
JAAAH-89013