BGH Beschluss v. - 4 StR 68/21

Verbindung von Strafverfahren durch Vereinbarung bei verschiedener örtlicher und sachlicher Zuständigkeit der Gerichte

Gesetze: § 4 Abs 2 S 2 StPO, § 6 StPO, § 13 Abs 2 S 1 StPO, § 2 Abs 2 JGG

Instanzenzug: Az: 104 Ks 20/20

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten R.            wegen „versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen, in Tateinheit mit – in einem Fall davon versuchtem – gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung sowie der Sachbeschädigung in sechs tateinheitlich begangenen Fällen“ und den Angeklagten K.    wegen „versuchten Mordes in zwei tateinheitlich begangenen Fällen in Tateinheit mit – in einem Fall davon versuchtem – gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung“ verurteilt und gegen beide Angeklagte eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt. Ihre Revisionen haben mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Verurteilung des Angeklagten R.         wegen Sachbeschädigung in sechs tateinheitlichen Fällen im Fall B I. der Urteilsgründe kann wegen eines von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernisses nicht bestehen bleiben. Die Jugendkammer des Landgerichts Köln war für die Entscheidung nicht zuständig.

3a) Die Taten waren Gegenstand einer Anklage der Staatsanwaltschaft Aachen vom , die zum Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Düren erhoben worden ist. Nach einer Absprache zwischen den Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts und der Jugendkammer des Landgerichts Köln wurde das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaften und des Angeklagten von der Jugendkammer mit Beschluss vom übernommen und das Hauptverfahren mit Beschluss vom eröffnet. Zugleich wurde die Sache mit dem bereits eröffneten Verfahren (Anklage der Staatsanwaltschaft Köln vom ), das die weiteren abgeurteilten Taten zum Gegenstand hatte, verbunden.

4b) Die Jugendkammer des Landgerichts Köln ist durch die am beschlossene Verbindung mit dem bei ihm gegen den Angeklagten R.         anhängigen Verfahren nicht für die Entscheidung über die gegen denselben Angeklagten zum Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Düren erhobene Anklage der Staatsanwaltschaft Aachen zuständig geworden. Denn dieser Verbindungsbeschluss war rechtsunwirksam, weil er nicht von dem hierfür zuständigen Gericht erlassen worden ist. Eine hier offensichtlich ins Auge gefasste Verbindung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 StPO, § 2 Abs. 2 JGG durch Vereinbarung der Gerichte kam nicht in Betracht, weil eine solche Verbindung nur bei Strafsachen möglich ist, die bei verschiedenen örtlich zuständigen Gerichten gleicher Ordnung anhängig sind. Soll aber – wie hier – eine nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit ändernde Verbindung erfolgen, kann dies, wenn die Gerichte nicht alle zu dem Bezirk des ranghöheren Gerichts gehören, nur nach § 4 Abs. 2 Satz 2 StPO durch eine Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts erfolgen (vgl. Rn. 4; Urteil vom – 4 StR 468/13 Rn. 5; Beschluss vom – 1 StR 539/10, bei Cierniak/Zimmermann NStZ-RR 2013, 65; Beschluss vom – 3 StR 347/04, NStZ 2005, 464 Rn. 1; Beschluss vom – 2 StR 285/01, bei Becker NStZ-RR 2002, 257; Urteil vom – 4 StR 335/68, BGHSt 22, 232, 234; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 13 Rn. 2 und 5a mwN). Dies wäre hier das Oberlandesgericht Köln. Eine solche Entscheidung ist aber nicht ergangen. Eine „Heilung“ dieses Mangels durch einen Verbindungsbeschluss des Bundesgerichtshofs im Revisionsverfahren kommt nicht in Betracht (vgl. , NStZ-RR 2019, 23, 24 mwN).

5Die Sache ist daher insoweit nicht beim Landgericht Köln anhängig geworden. Das sich hieraus ergebende nach § 6 StPO von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilaufhebung des angefochtenen Urteils. Die Sache ist in diesem Umfang noch beim Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Düren anhängig und deshalb an dieses entsprechend § 355 StPO zurückzugeben (vgl. , NStZ-RR 2019, 23, 24; Beschluss vom – 1 StR 539/10, bei Cierniak/Zimmermann NStZ-RR 2013, 65 mwN). Der Eröffnungsbeschluss des Landgerichts Köln ist gegenstandslos (vgl. Rn. 5; Beschluss vom ‒ 2 StR 74/95, NStZ 1996, 47 mwN).

62. Die Verurteilung beider Angeklagten wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2; §§ 22, 23 StGB im Fall B II. 5 b der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil die Urteilsgründe den hierfür erforderlichen Tatentschluss nicht belegen. Die Angeklagten sind insoweit nur der Sachbeschädigung schuldig.

7a) Nach den Feststellungen ließ der Angeklagte K.     einer zuvor getroffenen Abrede entsprechend auf ein Kommando des Angeklagten R.         von einer Brücke einen Pflasterstein auf den Anhängerbereich eines Lkw fallen, der mit 70 km/h unter der Brücke hindurchfuhr. Der Pflasterstein traf den Lkw in diesem Bereich und führte zu einer leichten Beschädigung. Anschließend fiel er von dem Anhänger auf die Fahrspur und blieb dort liegen. Die Angeklagten wollten den Lkw beschädigen und nahmen billigend in Kauf, dass die Sicherheit des Straßenverkehrs durch den Steinwurf beeinträchtigt und dadurch fremde Sachen von bedeutendem Wert beschädigt werden.

8b) Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hinsicht (Tatentschluss) das Vorliegen einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich auf alle Umstände des äußeren Tatbestands bezieht (vgl. , NJW 2015, 3732 Rn. 13). Im Fall des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB muss es der Täter deshalb zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen, die Sicherheit des Straßenverkehrs durch einen der Zerstörung, Beschädigung oder Beseitigung von Fahrzeugen oder Anlagen oder der Bereitung von Hindernissen ähnlichen ebenso gefährlichen Eingriff zu beeinträchtigen und dadurch Leib oder Leben anderer oder fremde Sachen von bedeutendem Wert zu gefährden. Als tatbestandsmäßig kommen dabei nur konkrete Gefahren für die benannten Rechtsgüter in Betracht, die über die der Tathandlung innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einem „Beinaheunfall“ geführt haben oder in ihrem Erscheinungsbild einem „Beinaheunfall“ gleichen (vgl. , NJW 2019, 615 Rn. 7; Beschluss vom ‒ 4 StR 471/95, NZV 1996, 37 mwN). Letzteres setzt voraus, dass sich durch die Tathandlung eine verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht, die – jedenfalls auch – auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen ist. Bei Außeneinwirkungen, die ‒ wie hier ‒ nicht durch eine vom Täter ausgenutzte Eigendynamik eines Fahrzeugs gekennzeichnet sind, ist eine verkehrsspezifische Gefahr nur dann zu bejahen, wenn der Fortbewegung des vom Eingriff betroffenen Fahrzeugs in einer Weise entgegengewirkt wird, dass gerade infolge der Dynamik des Straßenverkehrs eine konkrete Gefahr für die Fahrzeuginsassen oder das Fahrzeug entsteht (grundlegend , BGHSt 48, 119, 124; vgl. dazu auch Rn. 3; Beschluss vom – 4 StR 349/17, NStZ-RR 2017, 356, 357; Beschluss vom – 4 StR 117/15, NStZ 2016, 407, 408; Beschluss vom ‒ 4 StR 506/09, NStZ 2010, 572; jeweils mwN).

9c) Einen diesen Anforderungen entsprechenden auf die Verursachung einer konkreten verkehrsspezifischen Gefahr gerichteten Tatentschluss hat die Jugendkammer nicht festgestellt. Denn die Urteilsgründe ergeben nicht, dass den Angeklagten vor Augen stand, dass es bei einem Auftreffen des Pflastersteins auf den Anhängerbereich des Lkw zu einer kritischen Situation im Sinne eines „Beinaheunfalls“ kommen könnte. Auch ist angesichts des Fallenlassens des Steines auf den Anhänger des Lkw nicht erkennbar, dass nach den Vorstellungen der Angeklagten die dem fahrenden Lkw eigene Dynamik in einem inneren Zusammenhang zu den für möglich gehaltenen Schäden am Fahrzeug stehen könnte.

103. Der Senat ändert bei beiden Angeklagten im Fall II. 5 b der Urteilsgründe die Schuldsprüche entsprechend ab und lässt die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr entfallen, weil nicht zu erwarten ist, dass noch weiter gehende Feststellungen getroffen werden können. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da ausgeschlossen werden kann, dass sich die geständigen Angeklagten anders als geschehen hätten verteidigen können. Für den Angeklagten R.         ergab sich aus der Aufhebung der Verurteilung im Fall B I. der Urteilsgründe eine weitere Änderung des Schuldspruchs.

11Trotz der Schuldspruchänderung kann die gegen den Angeklagten K.    verhängte Einheitsjugendstrafe bestehen bleiben. Diese ist maßgeblich am Erziehungsgedanken orientiert. Der Senat kann ausschließen, dass die Jugendkammer auf der Grundlage des geänderten Schuldspruchs eine andere Jugendstrafe verhängt hätte. Die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten R.         im Fall B I. der Urteilsgründe zieht hingegen die Aufhebung des gegen ihn ergangenen Strafausspruchs nach sich. Denn in diesem Fall erscheint dem Senat – dem Antrag des Generalbundesanwalts im Ergebnis folgend – eine Auswirkung auf die Bemessung der Jugendstrafe nicht gänzlich ausgeschlossen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:080621B4STR68.21.0

Fundstelle(n):
FAAAH-86149