EuGH Urteil v. - C-168/84

Zu den Voraussetzungen einer festen Niederlassung im Sinne des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, insbesondere zur Voraussetzung des ständigen Zusammenwirkens von persönlichen und Sachmitteln

Leitsatz

1) Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, daß eine Einrichtung für eine gewerbliche Betätigung wie der Betrieb von Geldspielautomaten auf einem außerhalb des Inlands auf der hohen See verkehrenden Schiff nur dann als feste Niederlassung im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, wenn diese Niederlassung ein ständiges Zusammenwirken von persönlichen und Sachmitteln voraussetzt, die für die Erbringung der betreffenden Dienstleistungen erforderlich sind, und wenn es nicht zweckdienlich ist, diese Dienstleistungen dem Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit des Dienstleistenden zuzuordnen.

2) Artikel 15 Nr. 8 der Sechsten Richtlinie ist dahin auszulegen, daß die darin vorgesehene Steuerbefreiung nicht für den Betrieb von Geldspielautomaten gilt, die auf den in diesem Artikel genannten Seeschiffen installiert sind.

Gesetze: RICHTLINIE 77/388 DES RATES ARTIKEL 3, 9, 9 Abs. 1, 15 Nr . 8

Instanzenzug:

Gründe

1 Das beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag Fragen nach der Auslegung von Artikel 9 Absatz 1 und Artikel 15 Nr. 8 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388; ABl. L 145, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Vorgeschichte des Rechtsstreits

2 Wie aus dem Vorlagebeschluß hervorgeht, befaßt sich die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Firma abe-Werbung Alfred Berkholz aus Hamburg, unter anderem mit der Aufstellung und dem Betrieb von Geldspielautomaten, Musikboxen und ähnlichen Geräten. Sie betreibt diese Geräte überwiegend in Gastwirtschaften in Schleswig-Holstein und Hamburg; eine Reihe von Geldspielautomaten hat sie auch an Bord zweier Fährschiffe der Deutschen Bundesbahn installiert, die fahrplanmäßig zwischen Puttgarden auf Fehmarn (Deutschland) und Rødbyhavn (Dänemark) verkehren. Diese Automaten werden in regelmäßigen Abständen von Mitarbeitern der Klägerin gewartet, repariert und ausgetauscht, die außerdem an Ort und Stelle mit der Deutschen Bundesbahn abrechnen. Für diese Tätigkeiten wenden sie nur einen Teil ihrer Arbeitszeit auf; ständiges Personal setzt die Klägerin an Bord der betreffenden Schiffe nicht ein.

3 Nach Ansicht der deutschen Finanzverwaltung werden ungefähr 10 % der Geldspielautomatenumsätze während der Liegezeit der Schiffe in dem deutschen Hafen und 25 % auf der Fahrt in den deutschen Hoheitsgewässern erzielt, während der Rest auf hoher See, in den dänischen Hoheitsgewässern oder in dem dänischen Hafen anfällt. Das beklagte Finanzamt unterwarf die gesamten von der Klägerin 1980 auf den beiden Fährschiffen erzielten Umsätze der Steuer, indem es nach dem aufgrund von Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie eingeführten § 3 a Absatz 1 des Umsatzsteuergesetzes von 1980 (UStG) die Umsätze dem Sitz der Klägerin in Hamburg und damit dem deutschen Erhebungsgebiet zuordnete. Im übrigen vertritt es den Standpunkt, die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 2 in Verbindung mit § 8 Absatz 1 Nr. 5 UStG, die Artikel 15 Nr. 8 der Sechsten Richtlinie entsprächen, seien nicht erfüllt, weil die Automatenumsätze nicht für den unmittelbaren Bedarf von Seeschiffen bestimmt seien.

4 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens meint, daß die in Rede stehenden Leistungen von einer an Bord des jeweiligen Schiffes befindlichen Betriebsstätte (§ 3 a Absatz 1 Satz 2 UStG) bzw. festen Niederlassung (Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie) aus erbracht worden seien; daher könnten nur 10 %, allenfalls noch weitere 25 % der Schiffsautomatenumsätze der deutschen Steuer zugeordnet werden. Im übrigen seien die gesamten Automatenumsätze auf den Schiffen jedenfalls nach § 4 Nr. 2 in Verbindung mit § 8 Absatz 1 Nr. 5 UStG, die in Artikel 15 Nr. 8 der Sechsten Richtlinie ihre Entsprechung fänden, von der Umsatzsteuer befreit, weil sie insofern für den unmittelbaren Bedarf von Seeschiffen bestimmt seien, als sie den Bedarf der Schiffe oder genauer gesagt ihrer Passagiere an Unterhaltung abdeckten.

5 Das Finanzgericht führt aus, von der Konzeption her strebe Artikel 9 der Richtlinie ein klares und einfaches Grundprinzip für die nationale Zuordnung mehrwertsteuerpflichtiger Dienstleistungen an. Wie sich aus der siebten Begründungserwägung ergebe, solle diese Bestimmung durch die Harmonisierung der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften Kompetenzkonflikte vermeiden und zu einer gerechteren Verteilung der finanziellen Belastung unter den Mitgliedstaaten bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Tatsache beitragen, daß die Eigenmittel der Gemeinschaft zu einem wesentlichen Teil aus dem nationalen Mehrwertsteueraufkommen gedeckt würden.

6 Für die in Rede stehenden Dienstleistungen greife keine der Ausnahmeregelungen des Artikels 9 Absatz 2 der Richtlinie ein, so daß sie nach der Grundregel des Artikels 9 Absatz 1 zu beurteilen seien. Danach gelte als Ort einer Dienstleistung der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung habe, von wo aus die Dienstleistung erbracht werde. Insoweit sei zu fragen, ob die Gegenüberstellung der Begriffe „Sitz" und „feste Niederlassung" nicht etwa auf einen Bedeutungsunterschied in dem Sinne hinweise, daß die Anforderungen an eine feste Niederlassung andere und, was die personelle und sachliche Ausgestaltung anbelange, auch geringere seien.

7 Das Finanzgericht weist in diesem Zusammenhang auf die Probleme hin, die mit der Abgrenzung des räumlichen Geltungsbereichs nationaler Steuervorschriften verbunden seien, was gleichartige Dienstleistungen, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats unter denselben Bedingungen erbracht würden, und die steuerliche Behandlung von Dienstleistungen anbelange, die an Bord von Schiffen auf hoher See getätigt würden, vor allem dann, wenn diese vom nationalen Hoheitsgebiet weit entfernt seien.

8 Die Auslegung der Richtlinie sei von entscheidender Bedeutung für eine mit der Richtlinie übereinstimmende Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften. Angesichts des Ziels, das in der elften Begründungserwägung der Richtlinie umschrieben sei („Im Hinblick auf eine gleichmäßige Erhebung der eigenen Mittel in allen Mitgliedstaaten ist es erforderlich, eine gemeinsame Liste der Steuerbefreiungen aufzustellen.") gelte dies auch für die Auslegung des Katalogs der Steuerbefreiungen nach Artikel 15 der Richtlinie, die in die §§ 4 und 8 UStG übernommen worden seien.

9 Von diesem Standpunkt aus hat das Finanzgericht die folgenden beiden Fragen gestellt:

1) Ist Artikel 9 Absatz 1 der 6. Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Umsatzsteuern vom (77/388/EWG) dahin auszulegen, daß unter dem Begriff der festen Niederlassung auch die Einrichtung für eine gewerbliche Betätigung (z, B. der Betrieb von Geldspielautomaten) auf einem außerhalb des Inlands auf der hohen See verkehrenden Schiff zu verstehen ist; ggf. welche Merkmale müssen für den Begriff der festen Niederlassung erfüllt sein?

2) Ist Artikel 15 Nr. 8 der 6. Umsatzsteuer-Richtlinie dahin auszulegen, daß nur solche Dienstleistungen für den unmittelbaren Bedarf der Seeschiffe bestimmt sind, die mit der Seeschiffahrt notwendigerweise zusammenhängen, oder gehören dazu auch weitere Dienstleistungen auf Schiffen, die sich von entsprechenden Dienstleistungen auf dem Lande nicht unterscheiden, wie z. B. der Betrieb von Geldspielautomaten?

Vor dem Gerichtshof abgegebene Erklärungen

10 Die Regierung des Königreichs Dänemark, die Regierung der Französischen Republik und die Kommission haben in dem Verfahren vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben.

11 Die dänische Regierung trägt vor, die Besteuerung von Dienstleistungen an Bord von Seeschiffen sei im Hinblick auf die Abgrenzung des räumlichen und persönlichen Geltungsbereichs der Richtlinie problematisch. Jedenfalls könne man nicht sagen, daß ein Mitgliedstaat die auf einem Schiff erbrachten Dienstleistungen nur insoweit besteuern dürfe, als das Schiff sich in seinem Hoheitsgebiet befinde. Die Richtlinie bestimme in Artikel 3 ihren räumlichen Geltungsbereich unter Verweisung auf Artikel 227 EWG-Vertrag, der den räumlichen oder persönlichen Anwendungsbereichs nicht näher festlege. Daher könne jeder Mitgliedstaat den Geltungsbereich seiner Gesetzgebung im Einklang mit den Regeln des Völkerrechts abgrenzen. Diese Grenzen seien auch die Grenzen für den Geltungsbereich der Richtlinie selbst. Nichts hindere deshalb die Mitgliedstaaten daran, ihr Steuerrecht auf die unter ihrer Flagge fahrenden Schiffe anzuwenden, wenn diese sich außerhalb ihres Hoheitsgebietes befänden. Selbst wenn sich ein Schiff in den Gewässern eines anderen Staates befinde, sei der Flaggenstaat völkerrechtlich nicht daran gehindert, sein eigenes Recht auf Vorgänge an Bord des Schiffes anzuwenden; durchsetzen könne er dieses Recht allerdings erst, wenn das Schiff das Hoheitsgebiet des anderen Staates verlassen habe. Es sei somit nicht ausgeschlossen, daß der Flaggenstaat auch dann seine eigenen Steuergesetze anwende, wenn sich das Schiff außerhalb seines Hoheitsgebietes befinde. Jeder Staat müsse sich hier für die Steuerpolitik entscheiden, die er für vernünftig halte. Die steuerlichen Konflikte, zu denen diese Lösungen führen könnten, seien durch Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Staaten leicht lösbar. Im vorliegenden Fall habe es insoweit noch nie Schwierigkeiten zwischen Dänemark und der Bundesrepublik gegeben; auf der in Rede stehenden Route seien für die dänischen Fährschiffe die dänischen Behörden und für die deutschen Fährschiffe die deutschen Behörden verantwortlich. Zur zweiten Frage des nationalen Gerichts erklärt die dänische Regierung, der Betrieb von Geldspielautomaten gehöre nicht zu den Dienstleistungen, die gemäß Artikel 15 Nr. 8 der Sechsten Richtlinie für den unmittelbaren Bedarf der Seeschiffe bestimmt seien.

12 Die französische Regierung nimmt in ihren Erklärungen ausschließlich zur Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie Stellung. Unter einer „festen Niederlassung" im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie könne jede Betriebsstätte verstanden werden, an der ein Steuerpflichtiger regelmäßig Tätigkeiten ausübe, die unter die Mehrwertsteuer fielen. Geldspielautomaten oder andere Geräte, die an Bord von auf hoher See verkehrenden Schiffen installiert seien und bei denen unter anderem die Wartung, die Reparatur und der Austausch an Ort und Stelle ständig vom Personal des Betreibers durchgeführt würden, stellten daher eine feste Niederlassung im Sinne der erwähnten Bestimmung dar. Zur zweiten Frage des Finanzgerichts bemerkt die französische Regierung ebenfalls, der Betrieb von Geldspielautomaten auf Schiffen falle nicht unter die Steuerbefreiung nach Artikel 15 Nr. 8 der Sechsten Richtlinie.

13 Die Kommission vertritt die Ansicht, der Begriff „feste Niederlassung" trete im Rahmen von Artikel 9 der Richtlinie gleichrangig neben den Begriff „Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit". Wegen der zahlenmäßigen Zunahme von Automaten, die unabhängig vom Vorhandensein dienstleistender Personen Dienstleistungen erbringen könnten, müsse es grundsätzlich möglich sein, solche Automaten als feste Niederlassung im Sinne von Artikel 9 der Richtlinie anzusehen. Diese Lösung führe zu einer vernünftigen Verteilung der steuerlichen Kompetenzen gemäß dem allgemeinen umsatzsteuerlichen Grundsatz, nach dem die Besteuerung einer Ware oder einer Dienstleistung im jeweiligen Verbrauchsland erfolgen solle. Folglich müßten die mit derartigen Automaten erbrachten Leistungen, wie auch im übrigen andere von Personen erbrachte Leistungen, soweit sie auf hoher See stattfänden, von jeder Besteuerung ausgenommen bleiben. Zur Auslegung von Artikel 15 Nr. 8 der Richtlinie führt die Kommission aus, der Betrieb von Geldspielautomaten könne nicht als Dienstleistung für den unmittelbaren Bedarf von Seeschiffen qualifiziert werden.

Zum Begriff „feste Niederlassung" im Sinne von Artikel 9 der Sechsten Richtlinie (erste Frage)

14 Bei der Beantwortung der ersten Frage des Finanzgerichts ist die Zielsetzung des Artikels 9 im Rahmen des allgemeinen Systems der Richtlinie zu berücksichtigen. Wie sich der siebten Begründungserwägung entnehmen läßt, soll diese Bestimmung durch die einheitliche Festlegung des steuerlichen Anknüpfungspunkts bei Dienstleistungen eine angemessene Abgrenzung des jeweiligen Geltungsbereichs des nationalen Mehrwertsteuerrechts herbeiführen. Artikel 9 Absatz 2 enthält eine Reihe besonderer Anknüpfungspunkte, während in Absatz 1 insoweit eine allgemeine Regel niedergelegt ist. Durch diese Bestimmungen sollen, wie sich aus Artikel 9 Absatz 3 — wenn auch nur für spezifische Situationen — ergibt, Kompetenzkonflikte, die zu einer Doppelbesteuerung führen könnten, sowie die Nichtbesteuerung von Einnahmen verhindert werden.

15 Artikel 9 Absatz 1 lautet:

„Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort."

16 Da es im vorliegenden Fall um Dienstleistungen geht, die an Bord von Seeschiffen erbracht werden, muß zunächst der räumliche Geltungsbereich der Richtlinie festgelegt werden. Gemäß dem in Artikel 3 der Richtlinie formulierten Grundsatz — „Unter ,Inland' [ist] der Anwendungsbereich des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu verstehen, wie er in Artikel 227 für jeden Mitgliedstaat definiert ist" — deckt sich der Geltungsbereich der Richtlinie für jeden dieser Staaten mit dem Geltungsbereich seines Mehrwertsteuerrechts. Wie die dänische Regierung zu Recht darlegt, schränkt Artikel 9 nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten ein, Dienstleistungen zu besteuern, die außerhalb ihres Hoheitsgebietes auf ihrer Rechtshoheit unterliegenden Seeschiffen erbracht werden. Entgegen der von der Klägerin des Ausgangsverfahrens vertretenen und von der Kommission geteilten Auffassung schreibt die Richtlinie somit keineswegs die Steuerfreiheit der Dienstleistungen vor, die auf hoher See oder ganz allgemein außerhalb des Hoheitsgebietes des Staates, der seine Rechtshoheit über das Schiff ausübt, erbracht werden, unabhängig davon, ob die fraglichen Leistungen dem Sitz des Dienstleistenden oder einer anderen festen Niederlassung zugeordnet werden.

17 Ebenso ist es Sache der Finanzbehörden eines jeden Mitgliedstaats, im Rahmen der durch die Richtlinie eingeräumten Wahlmöglichkeiten zu bestimmen, welches der steuerlich zweckdienlichste Anknüpfungspunkt für eine bestimmte Dienstleistung ist. Nach Artikel 9 Absatz 1 ist der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat, in dieser Hinsicht ein vorrangiger Anknüpfungspunkt. Die Berücksichtigung einer anderen Niederlassung, von der aus die Dienstleistung erbracht wird, ist nur dann von Interesse, wenn die Anknüpfung an den Sitz nicht zu einer steuerlich sinnvollen Lösung führt oder wenn sie einen Konflikt mit einem anderen Mitgliedstaat zur Folge hat.

18 Aus dem Zusammenhang der in Artikel 9 verwendeten Begriffe und aus der vorstehend dargelegten Zielsetzung dieser Bestimmung ergibt sich, daß die Zuordnung einer Dienstleistung zu einer anderen Niederlassung als dem Sitz nur dann in Betracht kommt, wenn diese Niederlassung aufgrund des ständigen Zusammenwirkens der für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen erforderlichen persönlichen und Sachmittel einen zureichenden Mindestbestand aufweist. Die Einrichtung von Spielautomaten auf einem Seeschiff, die von Zeit zu Zeit gewartet werden, kann keine derartige Niederlassung darstellen, vor allem dann nicht, wenn der ständige Sitz des Betreibers dieser Automaten einen steuerlich brauchbaren Anknüpfungspunkt liefert.

19 Die erste Frage des Finanzgerichts ist deshalb dahin gehend zu beantworten, daß eine Einrichtung für eine gewerbliche Betätigung wie der Betrieb von Geldspielautomaten auf einem außerhalb des Inlands auf der hohen See verkehrenden Schiff nur dann als feste Niederlassung im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie angesehen werden kann, wenn diese Niederlassung ein ständiges Zusammenwirken von persönlichen und Sachmitteln voraussetzt, die für die Erbringung der betreffenden Dienstleistungen erforderlich sind, und wenn es nicht zweckdienlich ist, diese Dienstleistungen dem Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit des Dienstleistenden zuzuordnen.

Zur Auslegung von Artikel 15 Nr. 8 der Sechsten Richtlinie (zweite Frage)

20 Nach Artikel 15 der Richtlinie befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer: ... 4. Lieferungen von Gegenständen zur Versorgung von Schiffen, die unter anderem auf hoher See im entgeltlichen Passagierverkehr, zur Ausübung einer Handelstätigkeit, für gewerbliche Zwecke oder zur Fischerei eingesetzt sind; ... 5. Lieferungen, Umbauten, Instandsetzungen, Wartungen, Vercharterungen und Vermietungen von Seeschiffen; ... 8. andere Dienstleistungen als die nach Nummer 5, die für den unmittelbaren Bedarf der dort bezeichneten Seeschiffe und ihrer Ladungen bestimmt sind.

21 Aus der Gesamtheit dieser Bestimmungen geht hervor, daß es sich bei den nach Nummer 8 von der Steuer befreiten Leistungen nur um solche handelt, die unmittelbar mit dem Bedarf der Seeschiffe und deren Ladungen zusammenhängen, d. h. um Leistungen, die für den Betrieb dieser Schiffe notwendig sind. Dies ist bei der Einrichtung von Geldspielautomaten, die der Unterhaltung der Passagiere dienen sollen und als solche in keinem inneren Zusammenhang mit dem Bedarf der Seeschiffahrt stehen, nicht der Fall.

22 Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, daß die in Artikel 15 Nr. 8 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung nicht für den Betrieb von Geldspielautomaten gilt, die auf den in diesem Artikel genannten Seeschiffen installiert sind.

Kosten

23 Die Auslagen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung des Königreichs Dänemark, der Regierung der Französischen Republik und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

auf die ihm vom vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, daß eine Einrichtung für eine gewerbliche Betätigung wie der Betrieb von Geldspielautomaten auf einem außerhalb des Inlands auf der hohen See verkehrenden Schiff nur dann als feste Niederlassung im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, wenn diese Niederlassung ein ständiges Zusammenwirken von persönlichen und Sachmitteln voraussetzt, die für die Erbringung der betreffenden Dienstleistungen erforderlich sind, und wenn es nicht zweckdienlich ist, diese Dienstleistungen dem Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit des Dienstleistenden zuzuordnen.

2) Artikel 15 Nr. 8 der Sechsten Richtlinie ist dahin auszulegen, daß die darin vorgesehene Steuerbefreiung nicht für den Betrieb von Geldspielautomaten gilt, die auf den in diesem Artikel genannten Seeschiffen installiert sind.

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:1985:299

Fundstelle(n):
TAAAH-83895