Vergewaltigung einer Intimpartnerin: Beweiswürdigung zur Frage des Einverständnisses mit der sexuellen Handlung
Gesetze: § 261 StPO, § 177 StGB
Instanzenzug: LG München II Az: 4 J KLs 25 Js 36177/19 jug (2)
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt; von weiteren Vorwürfen hat es ihn freigesprochen.
2Die gegen seine Verurteilung gerichtete, auf die Rüge einer Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
3Das Landgericht hat - soweit hier relevant - folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4Der Angeklagte und die Nebenklägerin, K. , führten seit 2007 eine Liebesbeziehung, die ein „intensives Sexualleben“ beinhaltete. Im Rahmen eines gemeinsamen Wochenendes in B. kam es zwischen beiden am Abend des nach vorangegangenem Konsum alkoholischer Getränke zunächst zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr. Nachdem die Nebenklägerin hiernach unbekleidet eingeschlafen war, führte der Angeklagte ihr in der Nacht vom 28. auf den gegen 2.31 Uhr zuerst einen Vibrator und danach einen Zeigefinger in die Vagina ein, um sich sexuell zu erregen. Dabei war dem Angeklagten bewusst, dass die Nebenklägerin tief schlief und deshalb zu keiner Reaktion fähig war. Von dem insgesamt ca. 11 Minuten dauernden Geschehen fertigte er mehrere Fotos, von denen er jeweils zwei per WhatsApp am und am an die Nebenklägerin übersandte.
5Der Angeklagte war bei der Tatbegehung trotz des vorangegangenen Alkoholkonsums in seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit weder erheblich eingeschränkt noch war diese aufgehoben.
II.
61. Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.
72. Das landgerichtliche Urteil hält im Fall C.II.2. der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der ausgeurteilten Vergewaltigung nicht tragfähig belegt sind. Die Annahme des Landgerichts, ein Einverständnis der Nebenklägerin mit dem Einführen des Vibrators und eines Zeigefingers in ihre Vagina während ihres Schlafes habe - wie dem Angeklagten bewusst gewesen sei - gefehlt, ist nicht von einer fehlerfreien Beweiswürdigung getragen.
8a) Die Beweiswürdigung ist allerdings Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 10; vom - 1 StR 299/20 Rn. 7; vom - 5 StR 79/15 Rn. 8 mwN und vom - 4 StR 191/11 Rn. 7 mwN).
9b) Vorliegend erweist sich die landgerichtliche Beweiswürdigung als lückenhaft, weil die Strafkammer nicht alle relevanten Gesichtspunkte in ihre Überlegungen eingestellt hat und es an der gebotenen umfassenden Gesamtwürdigung fehlt. Insbesondere ist zu besorgen, dass die Strafkammer bei ihrer Beweiswürdigung zu der Frage, ob das Verhalten des Angeklagten von einem Einverständnis der Nebenklägerin gedeckt war oder ob der Angeklagte hiervon zumindest subjektiv ausging, die Besonderheiten im Intimleben des Angeklagten und der Nebenklägerin sowie die Ambivalenz des Verhaltens der Nebenklägerin aus dem Blick verloren hat.
10aa) Für die Beweiswürdigung zu der Frage, ob eine sexuelle Handlung an einer Person mit oder ohne deren Einverständnis vorgenommen wurde, kann, wenn es um ein Geschehen in einer längeren gelebten Liebes- und Intimbeziehung geht, nicht nur den von den Intimpartnern einvernehmlich praktizierten sexuellen Gewohnheiten und Üblichkeiten, sondern auch deren sonstiger Interaktion erhebliche Bedeutung zukommen. Gleiches gilt für die Beweiswürdigung dazu, ob der angeklagte Intimpartner in der konkreten Situation subjektiv vom Vorliegen eines Einverständnisses seines Partners mit der jeweiligen sexuellen Handlung ausging. Gerade bei ambivalenten Intimbeziehungen ist insoweit eine kritische und besonders gewissenhafte, alle Besonderheiten der Paarbeziehung in den Blick nehmende Gesamtbetrachtung von besonderer Bedeutung. Dem wird die landgerichtliche Beweiswürdigung nicht gerecht.
11bb) Das Landgericht hat sich bei seiner Beweiswürdigung wesentlich auf die Aussage der Nebenklägerin im Rahmen der ersten polizeilichen und in der ermittlungsrichterlichen Vernehmung gestützt, wonach sie den Angeklagten wiederholt gebeten habe, ihr keine Gegenstände einzuführen, während sie schlafe, und sie die vom Angeklagten von derartigen Vorgängen gefertigten Lichtbilder als eklig empfunden habe und empfinde. Für das fehlende Einverständnis der Nebenklägerin mit dem Verhalten des Angeklagten in der Nacht des und dessen Kenntnis hiervon hat es zudem maßgeblich auf die WhatsApp-Nachricht der Nebenklägerin vom abgestellt, in der diese dem Angeklagten in aller Deutlichkeit zu verstehen gegeben hatte, dass sie nicht wünsche, dass dieser sexuelle Handlungen an ihr vornehme, wenn sie schlafe.
12Mit Blick auf den Bedeutungsgehalt und das Gewicht der Indizwirkung der von ihm als zentral erachteten Textnachricht vom für das Fehlen eines Einverständnisses der Nebenklägerin mit den als Vergewaltigung gewürdigten Handlungen und einer diesbezüglichen Kenntnis des Angeklagten hat das Landgericht indes bereits den Kontext dieser Textnachricht nicht in den Blick genommen, dem gerade aufgrund des durchgehend ambivalenten Verhaltens der Nebenklägerin ein nicht unerhebliches Gewicht zukommt. Die vorgenannte Äußerung der Nebenklägerin fiel im Rahmen eines erkennbar konfliktgeladenen Wortwechsels mit dem Angeklagten, weshalb der Erörterung bedurft hätte, ob aus dieser belastbar auf eine ablehnende Grundhaltung der Nebenklägerin hinsichtlich des dem Angeklagten vorgeworfenen Verhaltens in der Nacht des geschlossen werden kann, so dass ein fehlendes Einverständnis der Nebenklägerin mit den sexuellen Handlungen des Angeklagten in dieser Nacht belegt wäre. Insoweit fehlt es an einer erschöpfenden Gesamtwürdigung. Denn das Landgericht hat sowohl für das Fehlen eines Einverständnisses der Nebenklägerin als auch für den diesbezüglichen Vorsatz des Angeklagten schlussendlich allein auf den Wortlaut der genannten Textnachricht abgestellt und hierbei weder das ambivalente Gesamtverhalten der Nebenklägerin noch die Ambivalenz der Beziehung und des Intimlebens des Angeklagten und der Nebenklägerin in seine Erwägungen einbezogen.
13Insbesondere hat es bei seiner abschließenden Gesamtwürdigung nicht in den Blick genommen, dass die Nebenklägerin das als Vergewaltigung gewürdigte Verhalten des Angeklagten in dem der Tatnacht nachfolgenden Chat am , in dem ihr der Angeklagte eines der angefertigten Lichtbilder übersandt hatte, keineswegs grundsätzlich beanstandete, sondern überhaupt nicht (UA S. 27) beziehungsweise lediglich mit Bemerkungen wie „Bin viel zu fett“ und „Mag mich selbst nicht“ (UA S. 28) kommentierte. Auch dass die Nebenklägerin ihre Reaktion auf die übersandten Bilder in ihrer zweiten polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren - ebenso wie in der Hauptverhandlung - so interpretierte, dass sie dem Angeklagten gesagt habe, sie wolle die Bilder nicht sehen, er solle diese für sich behalten (UA S. 37, 41), und sie bei der zweiten polizeilichen Vernehmung erklärte, sie nehme dem Angeklagten „nichts krumm, sie möge nur das Bild nicht“ (UA S. 37), hat das Landgericht in seiner Gesamtwürdigung nicht aufgegriffen, obwohl sich diese Äußerungen als gegen ein fehlendes Einverständnis der Nebenklägerin mit den als Vergewaltigung gewürdigten Handlungen des Angeklagten in der Tatnacht sprechende Indizien interpretieren lassen könnten. Ob diese Äußerungen dafür sprechen könnten, dass die Nebenklägerin - anders, als bei isolierter Betrachtung des Inhalts der WhatsApp-Nachricht vom anzunehmen wäre - Handlungen des Angeklagten der verfahrensgegenständlichen Art nicht grundsätzlich ablehnte, sie sich vielmehr lediglich gegen die nachträgliche bildliche Konfrontation mit dem Geschehenen verwahrte, erörtert das Landgericht nicht. Ebenso wenig setzt es sich damit auseinander, dass die Nebenklägerin zwar wiederholt angegeben hat, dass sie die Übersendung von vom Angeklagten gefertigten Bildern von sexuellen Handlungen an ihr ablehne und derartige Bilder „eklig“ finde, sie aber andererseits ausweislich der Auswertung der Mobiltelefone offenbar selbst - auch hierin wird die Ambivalenz ihres Verhaltens deutlich - derartige Lichtbilder von sich herstellte oder aber die Fertigung solcher Bilder zumindest zuließ.
14Soweit das Landgericht mitgeteilt hat, dass die Nebenklägerin in ihren Vernehmungen zum Ausdruck gebracht habe, dass sie das Verhalten des Angeklagten in der Nacht des als „nicht so schlimm“ empfinde, sie aber nicht auch noch Fotos hiervon haben wolle (UA S. 56), dass sie in ihrer zweiten polizeilichen Vernehmung angegeben hat, sie habe mit dem Angeklagten nie Sex gegen ihren Willen gehabt (UA S. 38), und dass sie auch eine Strafverfolgung des Angeklagten wegen dieses Vorfalls mit ihrer aus völlig anderem Grunde getätigten Anzeigeerstattung nicht habe veranlassen wollen, hat es diese Umstände nur mit Blick auf die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin zum Kerngeschehen gewürdigt. Dagegen hat es sich nicht damit auseinandergesetzt, welche Bedeutung diese Angaben für die Frage eines etwaigen Einverständnisses der Nebenklägerin mit dem Verhalten des Angeklagten in der Tatnacht und insbesondere dessen diesbezüglichem Vorstellungsbild erlangen. Auch den Umstand, dass die Nebenklägerin ausweislich ihrer zweiten Aussage bei der Kriminalpolizei die Übersendung des Lichtbildes sogar als „Liebeserklärung“ des Angeklagten einordnete, was die Ambivalenz der Beziehung des Angeklagten und der Nebenklägerin in besonderer Weise verdeutlicht, hat das Landgericht für die Gesamtwürdigung hinsichtlich der Frage des Fehlens eines Einverständnisses der Nebenklägerin mit dem Verhalten des Angeklagten nicht erkennbar berücksichtigt.
15Weiter hätte für das Landgericht Anlass bestanden, in seine Gesamtwürdigung zum Fehlen eines Einverständnisses der Nebenklägerin mit den sexuellen Handlungen des Angeklagten in der Tatnacht einzubeziehen, dass die Nebenklägerin nach eigenen Angaben überrascht war, als die Polizei in P. wegen der Fotos von Missbrauch sprach (UA S. 59), und sie dem Zeugen D. mit Blick auf ihre Anzeigeerstattung in P. mitgeteilt hatte, sie „...habe nicht gedacht, wie sich das alles hier in Bayern entwickle“ (UA S. 59). Denn auch dieses Verhalten der Nebenklägerin legt die Annahme nahe, dass diese gegen das Verhalten des Angeklagten in der Tatnacht nichts einzuwenden hatte, sie dieses vielmehr als Teil ihrer intensiven ambivalenten Intimbeziehung mit dem Angeklagten verstand und trotz gelegentlicher anderslautender Äußerungen (vgl. insbesondere die WhatsApp-Nachricht vom ) - zumindest gelegentlich und möglicherweise auch in der Tatnacht - billigend hinnahm.
16Auch soweit das Landgericht meint, dem Angeklagten sei das fehlende Einverständnis der Nebenklägerin zumindest nach deren WhatsApp-Nachricht vom bewusst gewesen, nimmt es nicht in den Blick, ob dieser Nachricht wegen des durchgehend ambivalenten und wechselhaften Verhaltens der Nebenklägerin für die Frage des Fehlens eines Einverständnisses mit dem Verhalten des Angeklagten in der Tatnacht und dessen diesbezüglichem Vorstellungsbild überhaupt eine besondere Aussagekraft zukommen kann. Es hat insoweit insbesondere nicht in den Blick genommen, dass der Angeklagte die von dem Geschehen gefertigten Lichtbilder der Nebenklägerin kurz nach dem Vorfall per WhatsApp - erkennbar ohne schlechtes Gewissen und zustimmungsheischend - übersandte. Dies spricht ebenso wie der Umstand, dass die Nebenklägerin hierauf gerade nicht empört reagierte, sondern die Bilder als Liebeserklärung verstand, gegen die Annahme, der Angeklagte habe mit dem Fehlen des Einverständnisses der Nebenklägerin mit seinen sexuellen Handlungen zumindest gerechnet. Dass der Angeklagte vor dem Hintergrund der Besonderheiten der von ihm und der Nebenklägerin gelebten Intimbeziehung und des insgesamt ambivalenten Verhaltens der Nebenklägerin ungeachtet der über fünf Wochen zurückliegenden WhatsApp-Nachricht vom und weiterer uneindeutiger Äußerungen der Nebenklägerin in der konkreten Situation vom Vorliegen eines Einverständnisses der Nebenklägerin ausging, hat das Landgericht damit nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
173. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall C.II.2. der Urteilsgründe wegen Vergewaltigung zieht die Aufhebung des tateinheitlichen weiteren Schuldspruchs wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen sowie des Ausspruchs über die hierfür verhängte Einzelstrafe und die Gesamtstrafe nach sich. Danach kommt es nicht mehr darauf an, dass auch die Ablehnung eines Abweichens von der Regelwirkung nach § 177 Abs. 6 StGB durchgreifenden Bedenken begegnet, weil das Landgericht bei der insoweit gebotenen Gesamtwürdigung nicht in den Blick genommen hat, dass die Nebenklägerin von der eigentlichen Sexualhandlung des Angeklagten aufgrund ihres Schlafes überhaupt nichts mitbekam, sie diesbezüglich auch keinerlei Strafverfolgungsinteresse zeigte, sondern vielmehr offenbar unangenehm überrascht davon war, wie sich „das alles hier in Bayern entwickle“ (UA S. 59). Im Übrigen hat die Strafkammer auch das mit Blick auf den drohenden Bewährungswiderruf bestehende Gesamtstrafübel unberücksichtigt gelassen.
184. Die Feststellungen zu der Verurteilung im Fall C.II.2. der Urteilsgründe und zur Gesamtstrafe sind von dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler betroffen und haben daher keinen Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO).
195. Angesichts der erfolgten Teilaufhebung und Zurückverweisung ist die Kostenbeschwerde des Angeklagten gegenstandslos ( Rn. 30; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 464 Rn. 20; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl., § 464 Rn. 14).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:230321B1STR50.21.0
Fundstelle(n):
ZAAAH-82924