BGH Urteil v. - X ZR 23/19

Patentnichtigkeitsverfahren: Berufung des Beklagten nur gegen einzelne Kläger; Auslegung der Erklärung über die Rücknahme der Berufung gegenüber einzelnen, notwendigen Streitgenossen - Funkzellenzuteilung

Leitsatz

Funkzellenzuteilung

1. Im Patentnichtigkeitsverfahren kann der Beklagte ein zu seinen Ungunsten ergangenes Urteil mit der Berufung nur einheitlich gegen alle Kläger angreifen; eine nur gegenüber einzelnen Klägern erklärte Berufung ist unzulässig (Bestätigung von , BGHZ 23, 73 = NJW 1957, 537, juris Rn. 17 und , NJW 2012, 1224 Rn. 9).

2. Die Erklärung, eine gegenüber mehreren notwendigen Streitgenossen wirksam eingelegte Berufung werde gegenüber einzelnen dieser Streitgenossen zurückgenommen und im Hinblick auf die übrigen fortgeführt, ist im Zweifel dahin auszulegen, dass die Berufung gegen alle Streitgenossen fortgeführt werden soll.

Gesetze: § 110 PatG, § 62 ZPO, § 516 ZPO

Instanzenzug: Az: 6 Ni 26/16 (EP) Urteil

Tatbestand

1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 327 374 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme der Prioritäten von vier britischen Patentanmeldungen vom 9. Oktober und sowie vom 19. und angemeldet worden ist und Dienstprioritäten in einem mehrzelligen Netzwerk betrifft. Das Streitpatent umfasst 24 Ansprüche. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache:

A method of determining cell allocation for a user in a wireless network, the network having a plurality of cell types and users having at least one of a plurality of service types, including defining a priority table comprising, for each service type, a priority for each cell type.

2Die Klägerinnen zu 2 bis 4 haben das Streitpatent in vollem Umfang angegriffen, die Klägerin zu 1 im Umfang der Ansprüche 1 und 15. Sie haben geltend gemacht, der angegriffene Gegenstand sei nicht patentfähig. Die Klägerinnen zu 2 und 3 haben ferner geltend gemacht, die Erfindung sei nicht so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit vier Hilfsanträgen verteidigt.

3Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über die mit dem dritten Hilfsantrag verteidigte Fassung hinausgeht, und die weitergehende Klage abgewiesen.

4Die Klägerinnen zu 1 und 2 sowie die Beklagte verfolgen ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Die Beklagte verteidigt das Streitpatent ferner mit einem zusätzlichen, ihren erstinstanzlichen Hilfsanträgen vorangestellten Antrag. Die Klägerinnen zu 3 und 4 haben ebenfalls Berufung eingelegt, ihr Rechtsmittel aber vor der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Die Beklagte hat daraufhin erklärt, sie nehme die Berufung gegenüber den Klägerinnen zu 3 und 4 zurück und führe die Berufung im Hinblick auf die Klägerinnen zu 1 und 2 fort.

Gründe

5Beide Berufungen sind zulässig. Das Rechtsmittel der Beklagten ist unbegründet; dasjenige der Klägerinnen führt zur vollständigen Nichtigerklärung des Streitpatents.

6I. Der Senat ist weiterhin zur Entscheidung über den gesamten in die Berufungsinstanz gelangten Streitgegenstand berufen. Die von der Beklagten erklärte Rücknahme der Berufung gegenüber den Klägerinnen zu 3 und 4 ist unwirksam und führt deshalb entgegen der Auffassung der Klägerinnen zu 1 und 2 nicht dazu, dass die teilweise Nichtigerklärung des Streitpatents durch das Patentgericht rechtskräftig geworden ist.

71. Die Entscheidung über die Nichtigerklärung eines Patents ergeht durch Gestaltungsurteil, welches gegenüber mehreren Klägern einheitlich ergehen muss.

8Deshalb sind mehrere Kläger bei Patentnichtigkeitsklagen notwendige Streitgenossen gemäß § 62 ZPO, und zwar unabhängig davon, ob sie die Klage zusammen erhoben haben oder ob mehrere Klageverfahren, die dasselbe Patent zum Gegenstand haben, zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden sind (, GRUR 2016, 361 Rn. 48 f. - Fugenband).

9Als Folge hiervon bleibt ein Nichtigkeitskläger in der Berufungsinstanz auch dann am Verfahren beteiligt, wenn ein zu Ungunsten der Klägerseite ergangenes Urteil nur von anderen Streitgenossen angefochten worden ist (, GRUR 2016, 361 Rn. 49 - Fugenband). Der Beklagte kann ein zu seinen Ungunsten ergangenes Urteil mit der Berufung nur einheitlich gegen alle notwendigen Streitgenossen angreifen; eine nur gegenüber einzelnen Klägern erklärte Berufung ist unzulässig (, BGHZ 23, 73 = NJW 1957, 537, juris Rn. 17; , NJW 2012, 1224 Rn. 9).

102. Ob der Beklagte nach diesen Grundsätzen gehindert ist, die Zurücknahme einer gegenüber allen notwendigen Streitgenossen wirksam eingelegten Berufung nur gegenüber einzelnen Klägern zu erklären (so MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, § 516 Rn. 19) oder ob eine solche Erklärung - mit der Folge, dass die Berufung insgesamt unzulässig wird - möglich ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Im Streitfall kann die Erklärung der Beklagten jedenfalls nicht als teilweise Berufungsrücknahme in diesem Sinne ausgelegt werden.

11Die Zurücknahme eines Rechtsmittels muss zwar nicht ausdrücklich, aber doch eindeutig erklärt werden. Inhaltlich muss der Rechtsmittelführer klar und unzweideutig zum Ausdruck bringen, dass er das Verfahren nicht mehr fortsetzen und ohne Entscheidung des Rechtsmittelgerichts beenden will. Bei Zweifeln ist der Erklärung die Bedeutung beizumessen, welche die geringeren verfahrensrechtlichen Folgen nach sich zieht (, MDR 2019, 439 Rn. 8).

12Im Streitfall hat die Beklagte zwar zum Ausdruck gebracht, dass sie ihre Berufung gegenüber den Klägerinnen zu 3 und 4 zurücknehmen will. Zugleich hat sie aber erkennen lassen, dass sie das Urteil des Patentgerichts weiterhin auch insoweit angreifen möchte, als es zu ihren Ungunsten ergangen ist. Angesichts dessen kann ihre Erklärung nicht als eindeutig angesehen werden. Sie ist vielmehr so auszulegen, dass die Beklagte ihr zum Ausdruck gebrachtes Rechtsschutzziel erreichen kann. Letzteres ist nur möglich, wenn die Beklagte entgegen dem Wortlaut ihrer Erklärung ihre Berufung gegenüber allen Klägerinnen weiterverfolgt.

133. Der von der Beklagten gestellte Antrag auf Einräumung eines Schriftsatzrechts zu den in der mündlichen Verhandlung aufgeworfenen prozessualen Fragen ist angesichts dessen unbegründet.

14Wie oben dargelegt wurde, ergeben sich für die Beklagte keine negativen prozessualen Konsequenzen aus den von ihr abgegebenen Rücknahmeerklärungen. Angesichts dessen könnte ein Schriftsatzrecht allenfalls dem Zweck dienen, die Berufung gegebenenfalls doch noch zurückzunehmen. Die Einräumung eines solchen Rechts erscheint in der gegebenen Situation nicht angemessen.

15II. Das Streitpatent betrifft die Zuteilung von Funkzellen an Nutzerendgeräte in einem mehrzelligen Netzwerk.

161. Das Streitpatent befasst sich mit der am Prioritätstag erwarteten Ergänzung oder Ersetzung der Mobilfunknetze der zweiten Generation (2G) durch Netze der dritten Generation (3G).

17In dieser Situation würden häufiger Zellen verschiedener Mobilfunkstandards nebeneinander zur Verfügung stehen. Die Zahl der gleichzeitig zur Verfügung stehenden Zellen werde sich ferner dadurch vergrößern, dass innerhalb der einzelnen Standards unterschiedliche Zellengrößen vorhanden seien, wie etwa Piko- und Mikrozellen auf der Ebene von Gebäuden und Straßen und Makrozellen, die größere Flächen abdeckten. Für Netzbetreiber stelle sich dadurch die Aufgabe, den erforderlichen Verkehr unter Verwendung der verschiedenen Netztechnologien und der in diesen verfügbaren Zellenarten zu verteilen, um die Anzahl der mit Diensten versorgten Nutzer zu maximieren und im Versorgungsbereich eine vordefinierte Abdeckungswahrscheinlichkeit bereitzustellen.

18In den bekannten Systemen müssten die Netzwerkbetreiber auf vom Hersteller bereitgestellte Zellenauswahl- oder Handover-Algorithmen zurückgreifen. Diese führten in der aufgezeigten neuen Situation möglicherweise nicht zu einer zufriedenstellenden Verteilung.

192. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, die Auswahl einer Zielzelle in einem drahtlosen Kommunikationssystem mit mehr als einem Kommunikationsstandard zu verbessern.

203. Zur Lösung schlägt das Streitpatent in Anspruch 1 ein Verfahren vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

224. Diese Merkmale bedürfen näherer Betrachtung.

23a) Die Zellenzuweisung im Sinne von Merkmal 1 setzt ein Netzwerk voraus, in dem Endgeräte über Funk mit einem Zugangspunkt kommunizieren können.

24Das Streitpatent benennt als Beispiele Mobilfunknetze der Standards 2G (GSM, EDGE) und 3G (3GPP). Sein Gegenstand ist aber nicht auf diese Standards beschränkt.

25Solche Mobilfunknetze weisen verschiedene Zellen auf, die unterschiedliche räumliche Bereiche abdecken. Damit ein Nutzer das Netzwerk nutzen kann, muss sein Endgerät einer solchen Zelle zugewiesen sein. Eine solche Zuweisung erfolgt sowohl im Ruhezustand als auch beim erstmaligen Aufbau einer Funkverbindung sowie beim Wechsel zwischen zwei Funkzellen (handover).

26b) Zellenarten (cell types) im Sinne von Merkmal 1.1 sind Kategorien, die der Einteilung von Zellen anhand von charakteristischen Kriterien dienen.

27Als Einteilungskriterium kommen nicht nur die in der jeweiligen Zelle verfügbaren Kommunikationsstandards in Betracht, sondern auch einzelne Ausgestaltungsmerkmale. So werden bei dem in der Beschreibung des Streitpatents geschilderten Ausführungsbeispiel die Netze in insgesamt sechs Verkehrsklassen (traffic classes) eingeteilt, die durch die verfügbaren Standards (GSM, EDGE, 3GPP) und die Größe der Zelle (micro, macro) definiert sind (Abs. 56 und Tabelle I).

28Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich weder dem Wortlaut von Patentanspruch 1 noch der Beschreibung der Ausführungsbeispiele entnehmen, dass der in der Zelle verfügbare Standard zwingend als Einteilungskriterium heranzuziehen ist. Die Berücksichtigung dieses Kriteriums wird zwar in vielen Konstellationen sinnvoll sein. Hieraus ergibt sich aber keine zwingende Festlegung. Es bleibt vielmehr dem Fachmann überlassen, anhand welcher Merkmale er die Einteilung in einzelne Zellenarten vornimmt.

29c) Dienstarten (service types) im Sinne von Merkmal 1.2 sind Kategorien, die der Einteilung von Diensten anhand von charakteristischen Kriterien dienen.

30aa) Dienste sind Verbindungen, deren technische Parameter auf bestimmte Einsatzzwecke abgestimmt sind.

31Die Einleitung des Streitpatents benennt als in Betracht kommende Einsatzzwecke beispielhaft Sprach- und Datenübertragung und als Parameter, die für die Einhaltung der einschlägigen Qualitätsanforderungen (quality of service, QOS) von Bedeutung sind, die zur Verfügung stehende Bitrate, die maximale Verzögerung und die zulässige Bitfehlerrate (bit error rate, BET) (Abs. 4, 7).

32In Einklang damit werden bei dem in der Streitpatentschrift geschilderten Ausführungsbeispiel anhand von vier Nutzungsszenarien (conversational speech, streaming, interactive, background) und jeweils zwei unterschiedlichen Bitraten insgesamt acht Dienstarten unterschieden (Abs. 56 und Tabelle I).

33Patentanspruch 1 lässt offen, welche Kriterien im Einzelfall zur Einteilung der einzelnen Dienstarten herangezogen werden.

34bb) Über diese Vorgaben hinaus legt Patentanspruch 1 nicht zwingend fest, welche Dienstart in einer konkreten Situation für die Zuweisung maßgeblich sein soll.

35Die Beschreibung des Streitpatents unterscheidet zwischen Situationen, in denen bereits eine aktive Verbindung besteht oder eine solche Verbindung aufgebaut werden soll (connected mode, Verbindungsmodus), und Situationen, in denen das Endgerät lediglich in einem Ruhezustand (idle mode) ist. Bei dem in der Beschreibung geschilderten Ausführungsbeispiel erfolgt die Einteilung in der zuerst genannten Situation anhand des Dienstes, der gerade genutzt wird oder genutzt werden soll (Abs. 56, Tabelle I). In der zweiten Situation kann anhand einer Liste von in der Vergangenheit aufgebauten Verbindungen abgeschätzt werden, welche Dienstart voraussichtlich als nächstes angefordert wird; alternativ kann die Einteilung anhand der Fähigkeiten des jeweiligen Endgeräts erfolgen (Abs. 57). Für die zuletzt genannte Variante ist für die Zuweisung maßgeblich, welchen der drei Mobilfunkstandards (GSM, EDGE, 3GPP) das Endgerät unterstützt (Abs. 57, Tabelle II).

36Auch in diesem Zusammenhang gibt weder der Wortlaut des Patentanspruchs noch die Beschreibung eines der im Ausführungsbeispiel herangezogenen Kriterien zwingend vor. Auch bei einer Einteilung anhand der Fähigkeiten des Endgeräts können deshalb zusätzliche oder andere Einteilungskriterien herangezogen werden, etwa die Fähigkeit des Endgeräts, bestimmte Dienstarten zu unterstützen, die ein Standard nur optional vorsieht.

37d) Eine Prioritätstabelle im Sinne von Merkmal 1.3 ist eine Datenstruktur, aus der sich für jede für die Zuweisungsentscheidung herangezogene Dienstart eine Rangfolge der herangezogenen Zellenarten ergibt.

38aa) Eine solche Tabelle ermöglicht es, von mehreren verfügbaren Zellen diejenige zuzuweisen, der für die maßgebliche Dienstart die höchste Priorität zugewiesen ist.

39Bei dem in der Streitpatentschrift geschilderten Ausführungsbeispiel werden für Endgeräte im Verbindungsmodus und für Endgeräte im Ruhezustand zwei unterschiedliche Tabellen herangezogen, die nachfolgend wiedergegeben sind.

40In Tabelle I wird jeder der in der ersten Spalte aufgeführten sechs Zellenarten für jede der in der ersten Zeile aufgeführten acht Dienstarten ein Wert zwischen 1 und 6 zugewiesen, sofern die jeweilige Zellenart die jeweilige Dienstart unterstützt (Abs. 56). Unter mehreren verfügbaren Netzen wird dasjenige mit dem höchsten Wert ausgewählt (Abs. 57).

41In Tabelle II erfolgt die Zuweisung anhand der vom Endgerät unterstützten Standards; auch hier wird nur dann ein Wert zugewiesen, wenn die Zellenart für die in Rede stehende Kombination geeignet ist.

42bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten ergeben sich aus dem Begriff "Prioritätstabelle" lediglich Anforderungen an die Struktur der darin enthaltenen Informationen, nicht aber Anforderungen hinsichtlich der Art und Weise, in der diese Informationen auf einem Datenträger oder in einer sonstigen Speichereinrichtung angeordnet oder dargestellt sind.

43Dabei kann dahingestellt bleiben, ob nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nur eine aus Zeilen und Spalten bestehende Struktur als Tabelle bezeichnet wird. Aus der Funktion, die der Prioritätstabelle nach dem Streitpatent zukommt, ergibt sich jedenfalls, wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat, dass es für Merkmal 1.3 ausreicht, wenn eine Datenstruktur vorhanden ist, aus der sich anhand der Zellen- und der Dienst-Art ein Prioritätswert entnehmen lässt, ohne dass zusätzliche Berechnungsschritte erforderlich sind. Der Art und Weise, in der dies programmtechnisch verwirklicht ist, und der Art und Weise, in der die Prioritätswerte vorgehalten werden, kommt demgegenüber keine Bedeutung zu.

44cc) Patentanspruch 1 sieht nicht zwingend vor, dass die Tabelle für die Zuweisungsentscheidung herangezogen wird. Zwingend erforderlich ist aber, dass eine solche Tabelle definiert wird, d.h. dass die einzelnen Prioritätswerte so bereitgestellt werden, dass sie anhand von Zellen- und Dienst-Art ermittelt werden können, ohne dass es zusätzlicher Berechnungsschritte bedarf.

45dd) Die in Merkmal 1.3 enthaltene Anforderung, dass jeder Dienstart für jede Zellenart eine Priorität zugewiesen sein muss, ist auch dann erfüllt, wenn für einzelne Kombinationen die Festlegung getroffen ist, dass eine Zuweisung unterbleiben soll.

46Wie bereits oben aufgezeigt wurde, enthalten beide im Ausführungsbeispiel der Streitpatentschrift herangezogenen Tabellen einzelne Felder, in denen kein Zahlenwert eingetragen ist. Auch darin liegt eine Prioritätsangabe, nämlich dahingehend, dass eine Zuweisung des betroffenen Zellentyps zu dem betroffenen Dienst selbst dann unterbleiben soll, wenn kein anderer Zellentyp zur Verfügung steht.

47Nähere Vorgaben zu den Voraussetzungen, unter denen eine solche Festlegung getroffen werden darf, enthält Patentanspruch 1 nicht. Wie die Beklagte im Ansatz zutreffend geltend macht, enthalten die Tabellen I und II der Streitpatentschrift eine solche Festlegung zwar nur für Kombinationen, die nicht realisierbar sind, weil der Zellentyp für den in Rede stehenden Dienst nicht geeignet ist. Diese Einschränkung hat in Patentanspruch 1 aber keinen Niederschlag gefunden. Sie kann auch nicht aus der Funktion der Prioritätstabelle entnommen werden, denn die Festlegung der Kriterien, nach denen die Priorisierung erfolgt, bleibt nach dem Patentanspruch auch im Übrigen dem Ermessen des Fachmanns überlassen.

485. Die Patentansprüche 15 und 24 schützen ein drahtloses Kommunikationsnetzwerk bzw. ein Netzwerkelement mit entsprechenden Merkmalen. Diese Ansprüche unterliegen keiner anderen Beurteilung als Patentanspruch 1.

496. Patentanspruch 13 schützt ein Verfahren mit den Merkmalen von Anspruch 1, bei dem eine Zuweisung nur an solche Zellen erfolgt, deren gemessene Signalstärke einen Schwellenwert überschreitet.

50Dieser Gegenstand unterliegt ebenfalls keiner abweichenden Beurteilung. Wie auch in der Beschreibung des Streitpatents ausgeführt wird (Abs. 8), war die Ermittlung verfügbarer Zellen anhand der Signalstärke im Stand der Technik bekannt.

51III. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

52Der Gegenstand der Patentansprüche sei in der erteilten Fassung durch die US-Patentschrift 6 094 581 (NK1) jedenfalls nahegelegt. NK1 zeige ein Verfahren für eine Zellenzuweisung in einem drahtlosen Kommunikationsnetzwerk. Dieses Netzwerk könne verschiedene Zellenarten aufweisen, zum Beispiel Makro-, Mikro- und Piko-Zellen. Ferner seien mehrere Mobilfunktechnologien beschrieben, die das Endgerät unterstützen könne. Dies entspreche den Dienstarten, die das Streitpatent in Tabelle II vorsehe. Für jede dieser Dienstarten werde eine Reihenfolge der einzelnen Netzarten definiert. Dies sei eine Prioritätentabelle im Sinne des Streitpatents.

53Die Fassung nach Hilfsantrag 1 sei durch NK1 ebenfalls nahegelegt. NK1 zeige zwar keine 3G-Technologien, sei aber nicht auf eine einzige Technologie beschränkt. Die Berücksichtigung von GSM-fähigen und GPRS-fähigen Nutzergeräten stelle bereits eine Unterscheidung von zwei unterschiedlichen Mobilfunktechnologien dar, wie sie vergleichbar auch im Streitpatent bei der Unterscheidung zwischen GSM und EDGE erfolge. Gerade die Unterscheidung zwischen Technologien für Sprachübertragung (GSM) und Datenübertragung (GRPS) lege nahe, die aus NK1 bekannten Prioritätstabellen für neue Technologien fortzuführen bzw. zu erweitern.

54Die nach Hilfsantrag 2 zusätzlich vorgesehenen Merkmale seien in NK1 offenbart.

55Der mit Hilfsantrag 3 verteidigte Gegenstand enthalte keine unzulässige Erweiterung, sondern eine zulässige Präzisierung. Er beruhe zudem auf einer erfinderischen Tätigkeit.

56Die NK1 zeige zwar eine Verwendung von Prioritätstabellen im Verbindungszustand. Es fehle aber an einer Prioritätstabelle, die für jede durch das Netzwerk unterstützte Verbindungsart eine Priorität für jede Zellenart definiere. Zur Verwirklichung dieses Merkmals sei nicht ausreichend, wenn das Endgerät für verschiedene Verbindungsarten die bevorzugte Zelle auswählen könne, wie dies in NK1 offenbart sei.

57Auch die europäische Patentanmeldung 941 006 (NK6a) stehe der Patentfähigkeit nicht entgegen. NK6a befasse sich mit der Zellenauswahl in einem zellularen Mobilfunknetz, das verschiedene Zellentypen umfasse und in dem verschiedene Dienstarten der zweiten und dritten Generation verfügbar seien. Die Zuordnung einer Zelle erfolge auf der Grundlage einer Information zur Dienstart. Da vorgegebene Regeln bestünden, welche der verfügbaren Zellen für den jeweiligen Dienst zu bevorzugen seien, lese der Fachmann mit, dass sinngemäß auch eine Prioritätstabelle für den Verbindungszustand beschrieben werde. Allerdings fehle es an einer Priorisierung für die Zellenauswahl im Ruhezustand. Aus NK6a ergebe sich auch keine Anregung, diese Konstellation gesondert zu behandeln.

58Auch eine Zusammenschau von vorgelegten Entgegenhaltungen lege den mit Hilfsantrag 3 verteidigten Gegenstand nicht nahe. Keine dieser Veröffentlichungen enthalte die Anregung, die in NK1 offenbarte Prioritätstabelle für den Ruhezustand und die in NK6a offenbarte Prioritätstabelle für den Verbindungszustand heranzuziehen. Auch die internationale Anmeldung 00/27158 (NK8) enthalte keinen Hinweis auf eine unterschiedliche Vorgehensweise für diese beiden Zustände. Die Erwähnung beider Modi reiche hierfür nicht aus.

59IV. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Beklagten stand, nicht aber den Angriffen der Klägerinnen.

601. Das Patentgericht hat den Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 zutreffend als nicht patentfähig beurteilt. Dieser Gegenstand wird durch NK1 vollständig vorweggenommen.

61a) NK1, die im Streitpatent als Stand der Technik benannt ist (Abs. 9), befasst sich mit der Auswahl von Funkzellen für ein Endgerät in einem zellularen Kommunikationssystem, wenn mehrere Zellen mit unterschiedlichen Dienstbereichen vorhanden sind.

62In NK1 wird ausgeführt, in Mobilfunknetzwerken mit fortgeschrittener Technik steige das Bedürfnis, zwischen unterschiedlichen Nutzerarten zu differenzieren. Neue Dienste wie zum Beispiel paketvermittelte Datenübertragung (GRPS bei GSM, Paketdatendienst bei PDC) und Halbraten-Sprachkodierer (bei GSM) sowie zusätzliche Frequenzbänder (z.B. DCS 1800 und das E-Band bei GSM) würden normalerweise inhomogen eingeführt, so dass nicht jede Zelle jeden Dienst zur Verfügung stelle (Sp. 1 Z. 10-28). Außerdem seien die Endgeräte unterschiedlich leistungsfähig. Deshalb sei es erforderlich, bei der Zuordnung einer Zelle sowohl die Fähigkeiten und Eigenschaften des Endgeräts als auch die Funktionalität der Zelle zu berücksichtigen (Sp. 1 Z. 29-36). Vor diesem Hintergrund schlägt NK1 ein Auswahlverfahren vor, das beide Aspekte berücksichtigt.

63Um dieses Ziel zu erreichen, wird jeder Zelle in Abhängigkeit von ihrer Kategorie für unterschiedliche Typen von Endgeräten eine als Ebene (layer) bezeichnete Prioritätsstufe zugewiesen. Zur Kategorisierung wird exemplarisch die Größe der Zelle (Makro, Mikro, Piko) herangezogen. Die Zuweisung erfolgt an die verfügbare Zelle mit der ranghöchsten Prioritätsstufe. Die Verfügbarkeit der Zellen wird unter anderem anhand der Signalstärke und Signalqualität beurteilt (Sp. 4 Z. 29-41).

64Die Einordnung in eine Prioritätsstufe kann unabhängig davon erfolgen, welche Zelle eine betreffende Mobileinheit aktuell versorgt (Sp. 4 Z. 42-67). Alternativ kann eine relative Zuordnung erfolgen, die davon abhängt, welche Zelle das Endgerät aktuell versorgt (Sp. 5 Z. 1-29). Als Ausführungsbeispiele werden feste Zuweisungen geschildert; diese werden aber als nicht essentiell bezeichnet (Sp. 6 Z. 5-12).

65Betrachtet werden unterschiedliche Szenarien in GSM-Netzen. Ergänzend wird darauf hingewiesen, die Erfindung sei für jeden Mobilfunkstandard anwendbar. Ausdrücklich angeführt werden die Standards GSM, GPRS, AMPS, D-AMPS, NMT, PDC und IS-661 (Sp. 6 Z. 49-51).

66In einem der Ausführungsbeispiele wird exemplarisch unterstellt, dass GPRS nur in Makrozellen zur Verfügung steht, nicht aber in Mikrozellen. Als Konsequenz hieraus werden GPRS-fähige Endgeräte im Ruhezustand bevorzugt einer Makrozelle zugeordnet (Sp. 6 Z. 59 bis Sp. 7 Z. 10). Die hieraus resultierenden Prioritätsstufen sind in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 2a dargestellt.

67In einem anderen Ausführungsbeispiel wird angenommen, die Möglichkeit, einen Halbraten-Sprachkodierer einzusetzen, sei nur in Makrozellen verfügbar. Als Konsequenz hieraus werden Endgeräte, die einen solchen Kodierer enthalten, bevorzugt einer Makrozelle zugeordnet (Sp. 7 Z. 46 bis Sp. 8 Z. 21). Die hieraus resultierenden Prioritätsstufen sind in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 3 dargestellt.

68In anderen Ausführungsbeispielen werden vergleichbare Zuweisungen in Abhängigkeit davon vorgenommen, ob das Endgerät eine bestimmte Testfunktion unterstützt, die nur in Makrozellen verfügbar ist (Sp. 8 Z. 22-53) oder ob das Endgerät zur Nutzung bestimmter Pikozellen berechtigt ist (Sp. 8 Z. 54 bis Sp. 10 Z. 22).

69In dem zuletzt genannten Beispiel wird ein Endgerät nach dem Einschalten zunächst mit einem aus dem Stand der Technik bekannten Algorithmus einer Zelle zugewiesen. Dies ist häufig eine Makrozelle, auch wenn eine Pikozelle mit besonderen Funktionen zur Verfügung steht (Sp. 10 Z. 23-38). Wenn eine dedizierte Verbindung für Sprache, Daten, Kurznachrichten, Teilnehmerdienste oder dergleichen aufgebaut wird, kann diese zu einer besser geeigneten Zelle umgeleitet werden. Hierzu wird einer Pikozelle für Endgeräte, die zur Nutzung der darin verfügbaren Dienste berechtigt sind, eine höhere Priorität zugewiesen als einer Makrozelle; für andere Endgeräte ist die Prioritätsreihenfolge gerade umgekehrt. Entsprechendes kann auch im Falle eines handover geschehen (Sp. 10 Z. 55-67).

70b) Damit sind die Merkmale 1 und 1.1 offenbart.

71Entgegen der Auffassung der Beklagten unterscheidet NK1 zwischen unterschiedlichen Zellenarten im Sinne von Merkmal 1.1.

72Wie bereits oben dargelegt wurde, enthält Merkmal 1.1 keine zwingenden Vorgaben hinsichtlich der Kriterien, nach denen die einzelnen Zellenarten eingeteilt werden. Deshalb reicht die Unterscheidung nach der Zellengröße zur Offenbarung dieses Merkmals aus.

73c) Ebenfalls offenbart ist Merkmal 1.2.

74Entgegen der Auffassung der Beklagten sind als Dienstarten im Sinne dieses Merkmals nicht nur Mobilfunktechnologien wie GSM, EDGE oder 3GPP anzusehen. Wie bereits oben dargelegt wurde, ist vielmehr maßgeblich, ob die Einteilung anhand von Kriterien erfolgt, die für bestimmte Einsatzzwecke relevant sind.

75Solche unterschiedlichen Einsatzzwecke werden in NK1 durch die Unterscheidung anhand der GPRS-Fähigkeiten, des Vorhandenseins eines Halbraten-Kodierers und der Zulassung für bestimmte ortsbezogene Dienste als Einteilungskriterium herangezogen.

76d) Ebenfalls zu Recht hat das Patentgericht Merkmal 1.3 als offenbart angesehen.

77Wie bereits oben ausgeführt wurde, genügt für die Verwirklichung dieses Merkmals eine feste Zuordnung von Prioritätswerten für jede in Frage kommende Kombination von Zellen- und Dienst-Art. Eine solche Zuordnung erfolgt auch bei der in den Figuren 2a und 3 dargestellten Vorgehensweise. Die Darstellung in diesen Figuren erinnert schon ihrer äußeren Form nach an eine Tabelle mit Zeilen und Spalten. Dass die Zeileneinteilung nicht anhand der Zellenart, sondern anhand des Prioritätswerts erfolgt, ist unschädlich, weil Merkmal 1.3 insoweit keine Vorgaben enthält. Unabhängig von diesen Darstellungsfragen ist Merkmal 1.3 schon deshalb verwirklicht, weil auch auf diese Weise für jede Kombination aus Zellen- und Dienst-Art eine Prioritätsstufe definiert ist.

78Ebenfalls unschädlich ist, dass einzelnen Kombinationen keine Prioritätsstufe zugewiesen wird, obwohl dies technisch möglich wäre. Wie bereits oben dargelegt wurde, legt Merkmal 1.3 nicht näher fest, unter welchen Voraussetzungen die Zuweisung einer bestimmten Zellenart für einen bestimmten Dienst unterbunden werden darf.

79e) Die von der Beklagten angestellten Überlegungen zu der Frage, welche Möglichkeiten zur Weiterentwicklung für den parallelen Einsatz mehrerer Mobilfunkstandards ausgehend von NK1 nahegelegt waren, sind vor diesem Hintergrund nicht entscheidungserheblich.

802. Der mit Hilfsantrag 0 verteidigte Gegenstand ist durch NK1 nahegelegt. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob dieser erstmals in der Berufungsinstanz gestellte Antrag zulässig ist.

81a) Nach Hilfsantrag 0 soll die erteilte Fassung von Patentanspruch 1 um folgende Merkmale ergänzt werden:

83b) Diese Ausgestaltung ist ausgehend von NK1 naheliegend.

84aa) Wie die Beklagte im Ansatz zu Recht geltend macht, sind die zusätzlichen Merkmale in NK1 allerdings nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.

85Wie bereits oben dargelegt wurde, werden die Zellenarten in allen Ausführungsbeispielen nur anhand der Größe der Zelle eingeteilt. Eine Einteilung, die zusätzlich die in der jeweiligen Zelle verfügbaren Kommunikationsstandards berücksichtigt, ist demgegenüber nicht offenbart.

86bb) Eine solche Einteilung war ausgehend von NK1 aber nahegelegt.

87(1) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die in NK1 offenbarte Lehre nicht zwingend auf ein zweistufiges Auswahlverfahren beschränkt, das in Abhängigkeit von dem seitens des Endgeräts unterstützten Mobilfunkstandard nur die Auswahl zwischen Zellen verschiedener Größe ermöglicht.

88Die in NK1 offenbarten Ausführungsbeispiele knüpfen zwar nur an die Größe einer Zelle an. Dies beruht aber auf der Prämisse, dass die Größe aufgrund der besonderen Ausgestaltung des Netzes Rückschlüsse auf die in der Zelle verfügbaren Funktionalitäten ermöglicht. Der Sache nach orientiert sich mithin auch die in NK1 offenbarte Zuweisung an den Funktionalitäten der jeweiligen Zellenart.

89In die gleiche Richtung weisen die Ausführungen in NK1, wonach die dort offenbarte Erfindung darauf abzielt, eine Zuordnung zu verschiedenen Zelltypen mit unterschiedlichen Funktionalitäten zu ermöglichen (Sp. 2 Z. 36-39). Auch daraus wird deutlich, dass die in den Ausführungsbeispielen als Einteilungskriterium herangezogene Zellengröße zwar das Mittel ist, mit denen dieses Ziel unter den genannten Voraussetzungen erreicht werden kann, dass es der Sache nach aber nicht zwingend auf die Größe einer Zelle ankommt, sondern auf die darin verfügbare Funktionalität.

90(2) Aus all dem ergab sich Veranlassung, anstelle oder zusätzlich zur Zellengröße die Verfügbarkeit dieser Funktionen als Einteilungskriterium heranzuziehen, wenn zwischen Größe und Funktionalität kein eindeutiger Zusammenhang besteht.

91Eine konsequente Weiterführung dieses Ansatzes führt nicht zu einem Entscheidungsbaum, wie ihn die Beklagte in Anlage NB7 aufzeigt, sondern zu einer Unterscheidung einer größeren Anzahl von Zellenarten basierend auf den darin verfügbaren Funktionalitäten und damit zu einer inhaltlichen Struktur, wie sie in Tabelle II des Streitpatents dargestellt ist.

92(3) Wie bereits im Zusammenhang mit dem Hauptantrag dargelegt wurde, enthält NK1 den Hinweis, dass die dort offenbarte Vorgehensweise auch bei jedem anderen Mobilfunkstandard zum Einsatz kommen kann und dass die in einer Zelle verfügbaren Funktionalitäten ein entscheidendes Einteilungskriterium darstellen.

93Ausgehend davon war es naheliegend, bei Verfügbarkeit von Zellen mit unterschiedlichen Kommunikationsstandards zusätzlich oder anstelle der Größe auch die Unterstützung dieser Standards oder sonstige charakteristische Funktionsmerkmale als Einteilungskriterium heranzuziehen. Damit waren auch Ausgestaltungen nahegelegt, bei denen für jeden Kommunikationsstandard mindestens zwei unterschiedliche Größen vorgesehen sind.

943. Zutreffend hat das Patentgericht entschieden, dass der mit Hilfsantrag 1 verteidigte Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

95a) Nach Hilfsantrag 1 soll die erteilte Fassung von Patentanspruch 1 wie folgt geändert werden:

97b) Entgegen der Auffassung der Klägerinnen geht dieser Gegenstand nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus.

98aa) Die Ersetzung des Begriffs "Dienstarten" durch "Mobilfunktechnologien einschließlich 2G und 3G" in Merkmal 1.2 stellt, wie das Patentgericht im Zusammenhang mit Hilfsantrag 3 zutreffend dargelegt hat, gegenüber der Anmeldung und der erteilten Fassung eine zulässige Einschränkung dar.

99Wie oben aufgezeigt wurde, sieht das in der Streitpatentschrift geschilderte Ausführungsbeispiel für Endgeräte im Ruhezustand eine Einteilung der Dienstarten anhand der Mobilfunktechnologie vor, die das Endgerät unterstützt. Die Festlegung auf dieses Einteilungskriterium führt zu einer Beschränkung, weil es nach der Anmeldung und der erteilten Fassung dem Fachmann überlassen bleibt, welche Kriterien er zur Einteilung der unterschiedlichen Dienstarten heranzieht.

100bb) Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ist das modifizierte Merkmal 1.3 nicht dahin zu verstehen, dass jeder Mobilfunktechnologie nur eine Zelle zugeordnet werden darf, die diese Technologie unterstützt.

101Ebenso wie die erteilte Fassung knüpft auch die modifizierte Fassung von Merkmal 1.3 an das in der Streitpatentschrift geschilderte Ausführungsbeispiel an, und zwar unter Beschränkung auf eine Einteilung, wie sie in Tabelle II schematisch dargestellt ist. Dieser Tabelle ist zu entnehmen, dass ein Endgerät, das mehrere Mobilfunktechnologien unterstützt, allen Zellen zugewiesen werden kann, die zumindest eine dieser Technologien unterstützen.

102c) Die in Merkmal 1.3.1 vorgesehene Möglichkeit, dass der Netzbetreiber die Prioritätstabelle definieren kann, ermöglicht einen flexiblen, an die jeweiligen Besonderheiten angepassten Betrieb des Netzes.

103Der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung hervorgehobene Vorteil, dass eine Änderung der Priorisierung ohne Änderung des von den Basisstationen verwendeten Zuweisungsalgorithmus möglich ist, ergibt sich allerdings schon aus der erteilten Fassung von Merkmal 1.3. Er beruht auf dem Umstand, dass die Zuweisung anhand von vordefinierten Werten erfolgt, auf die anhand der Zellenart und der Dienstart zugegriffen werden kann, ohne dass zusätzliche Berechnungsschritte erforderlich sind.

104Merkmal 1.3.1 konkretisiert diese Anforderung insoweit, als der Netzbetreiber die Möglichkeit haben muss, die Prioritätswerte vorzugeben und die Vorgaben bei Bedarf zu ändern. Hinsichtlich der Art und Weise, in der dies möglich sein muss, enthält Merkmal 1.3.1 demgegenüber keine näheren Vorgaben. Diesbezügliche Festlegungen lassen sich auch der Beschreibung nicht entnehmen.

105d)  Auch der mit Hilfsantrag 1 verteidigte Gegenstand beruht ausgehend von NK1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

106aa) Die geänderten und hinzugefügten Merkmale sind in NK1 allerdings nicht vollständig offenbart.

107(1) Zu Recht hat das Patentgericht das modifizierte Merkmal 1.2 als offenbart angesehen.

108Zur Verwirklichung dieses Merkmals reicht es aus, dass einem Nutzer zumindest eine der darin genannten Mobilfunktechnologien zur Verfügung steht. Dazu gehört auch die 2G-Technologie, mit denen sich NK1 befasst.

109(2) Wie auch die Klägerinnen nicht in Zweifel ziehen, ist das modifizierte Merkmal 1.3 in NK1 nicht offenbart.

110Zur Verwirklichung dieses Merkmals müsste die Prioritätstabelle auch Einträge für 3G-Technologie enthalten. Dieser Standard ist in NK1 nicht offenbart.

111(3) Merkmal 1.3.1 ist, wie das Patentgericht zu Recht angenommen hat, durch die Ausführungen offenbart, wonach die Definition der Prioritäten wahlweise in den terrestrischen Komponenten des Netzwerks (public land mobile network, PLMN) erfolgen könne oder durch das Endgerät, nachdem ihm Informationen über die festen Prioritätswerte der in Frage kommenden Zellen zum Beispiel auf einem Steuerkanal übermittelt worden seien (Sp. 4 Z. 62-67).

112Diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass die Prioritätswerte zwar im Voraus festgelegt (fixed) sind, diese Festlegungen aber an die Besonderheiten des jeweiligen Netzes angepasst werden können. Anderenfalls wäre nicht erforderlich, dass das Endgerät die Werte im Einzelfall auf einem Steuerkanal anfordert.

113Dass solche Anpassungen durch den Netzbetreiber selbst vorgenommen werden können, ist in NK1 zwar nicht ausdrücklich erwähnt. Schon der Umstand, dass Anpassungen möglich sind, impliziert aber, dass auch der Netzbetreiber die Möglichkeit hat, sie bei Bedarf zu veranlassen. Auf welche Weise dies geschieht, ist unerheblich, weil Merkmal 1.3.1 keine bestimmte Art der Umsetzung vorschreibt.

114(4) Merkmal 1.4 ist jedenfalls insoweit offenbart, als NK1 die Zuweisung davon abhängig macht, über welche Funktionalitäten das Endgerät verfügt.

115Ob es an einer vollständigen Offenbarung dieses Merkmals fehlt, weil der Übertragungsmodus GPRS - anders als der in Tabelle II des Streitpatents aufgeführte Modus EDGE - im Verhältnis zum zu Grunde liegenden Standard GSM nicht als eigenständige Mobilfunktechnologie anzusehen ist, kann aus den nachfolgend dargelegten Gründen offen bleiben.

116(5) Ebenfalls offenbart ist in NK1, dass die Zuweisung im Ruhezustand (GPRS idle mode) erfolgt, wie dies Merkmal 1.5 vorsieht.

117bb) Wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat, ist die Einbeziehung weiterer Mobilfunktechnologien wie insbesondere 3G und die Anwendung des in NK1 offenbarten Verfahrens in einer Umgebung, in der Netze verschiedener Mobilfunktechnologien zur Verfügung stehen, ausgehend von NK1 nahegelegt.

118Wie bereits oben aufgezeigt wurde, enthält NK1 den ausdrücklichen Hinweis, dass die dort offenbarte Vorgehensweise auch mit jedem anderen Mobilfunkstandard eingesetzt werden kann. Dies gab Veranlassung, sie auch im Zusammenhang mit neuen Technologien heranzuziehen.

119cc) NK1 berücksichtigt die Konstellation, dass einzelne Netze bereits die im Vergleich zur ersten Version von GSM neuere Technologie GPRS zur Verfügung stellen. Dies gab Veranlassung, das in NK1 offenbarte Verfahren auch in Umgebungen anzuwenden, in denen weitere Funkzellen mit zusätzlichen Funktionalitäten zur Verfügung stehen - auch solchen Funktionalitäten, die am Anmeldetag von NK1 noch nicht entwickelt oder standardisiert waren.

120Für eine solche Weiterentwicklung sprachen insbesondere auch die in NK1 enthaltenen Hinweise, wonach neue Funktionalitäten aus Kostengründen häufig erst nach und nach eingeführt werden, so dass zumindest in einer Übergangszeit nicht alle verfügbaren Zellen alle Funktionalitäten zur Verfügung stellen. Eine solche Übergangsphase war bei der Einführung einer neuen Mobilfunk-Generation erst recht zu erwarten.

1214. Ebenfalls zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass der mit Hilfsantrag 2 verteidigte Gegenstand nicht patentfähig ist.

122a) Nach Hilfsantrag 2 soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 1 wie folgt ergänzt werden:

124b) Zu Recht hat das Patentgericht die in Merkmal 1.3.3 verwendeten Begriffe "specific" und "unique" nicht als Alternativen, sondern als Synonyme angesehen.

125Die zusätzlichen Merkmale nehmen Bezug auf Ausführungen in der Beschreibung des Streitpatents, die eine Prioritätstabelle für jede Basisstation als vorzugswürdig bezeichnen (Abs. 47), alternativ aber auch spezifische Prioritätstabellen für Gruppen von Zellen oder für einzelne Endgeräte oder SIM-Karten und dergleichen vorsehen (Abs. 68). Merkmal 1.3.2 beschränkt den Gegenstand des Streitpatents auf die zuerst genannte Ausführungsform.

126Eine Prioritätstabelle, die spezifisch für eine Zelle alle verfügbaren Dienste allen verfügbaren Zellenarten gegenüberstellt, definiert die Beschreibung des Streitpatents als "unique" (Abs. 48). Anknüpfend an diese Definition wird im Zusammenhang mit möglichen Alternativen ausgeführt, in allen geschilderten Ausführungsbeispielen seien die Prioritätstabellen "specific, or unique, to a cell" (Abs. 68). Merkmal 1.3.3 ist im Lichte dieser Ausführungen in gleichem Sinne zu verstehen, auch wenn darin die beiden Kommata vor und hinter den Wörtern "or unique" nicht vorgesehen sind.

127c) Im Ergebnis zu Recht hat das Patentgericht angenommen, dass die beiden zusätzlichen Merkmale in NK1 ebenfalls offenbart sind.

128Den vom Patentgericht zitierten Ausführungen zu einer festen Zuweisung (Sp. 4 Z. 42-67) lässt sich allerdings nicht ohne weiteres entnehmen, dass die Prioritätsstufen der einzelnen Zell- und Dienst-Arten in jeder Zelle individuell definiert werden.

129Wie bereits oben dargelegt wurde, enthält NK1 jedoch den ausdrücklichen Hinweis, dass die Zuweisung auch in Abhängigkeit davon erfolgen könne, welche Zelle das Endgerät aktuell versorge (Sp. 5 Z. 1-7). Wie die Klägerinnen zu Recht ausführen, ergibt sich daraus hinreichend deutlich, dass die Prioritätsstufen der einzelnen Zell- und Dienst-Arten auch von der einzelnen Zelle abhängen.

130Entgegen der Auffassung der Beklagten gilt dies auch für eine Ausführungsform, in der für jede Zelle eine gesonderte Definition erfolgt. Bei dem in NK1 geschilderten Ausführungsbeispiel für eine relative Zuweisung ist die Definition der Prioritätsstufen nicht nur von der Art der aktuell zugewiesenen Zelle abhängig, sondern von deren definierten Beziehungen zu benachbarten Zellen (preferred neighbor, non-preferred neighbor) (Sp. 5 Z. 8-29). Daraus ist zu entnehmen, dass die Definition anhand der individuellen Gegebenheiten der jeweiligen Zelle und damit für jede Zelle gesondert erfolgt.

1315. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts hat das Streitpatent auch in der mit Hilfsantrag 3 verteidigten Fassung keinen Bestand.

132a) Nach Hilfsantrag 3 soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 1 wie folgt geändert werden:

134b) Mit diesen Änderungen und zusätzlichen Merkmalen wird der Gegenstand von Patentanspruch 1 dahin konkretisiert, dass zwei unterschiedliche Arten von Prioritätstabellen definiert sein müssen, von denen die eine im Verbindungsmodus und die andere im Ruhezustand verwendet wird.

135aa) Diese Vorgehensweise, die dem in der Beschreibung des Streitpatents geschilderten Ausführungsbeispiel entspricht, trägt dem bereits erwähnten Umstand Rechnung, dass im Ruhezustand nicht sicher beurteilt werden kann, welche Funktionalität das Endgerät im Falle einer Verbindungsaufnahme benötigt.

136Deshalb wird nach Merkmalen 1.3 bis 1.5 in der hierfür vorgesehenen Prioritätstabelle zweiten Typs - wie schon nach Hilfsantrag 1 - die vom Gerät unterstützte Mobilfunktechnologie als Einteilungskriterium herangezogen. Eine Mobilfunktechnologie in diesem Sinne kann ein Standard wie 2G oder 3G sein, aber auch eine innerhalb eines Standards nur optional verfügbare Technologie wie das im Ausführungsbeispiel berücksichtigte EDGE.

137bb) Für Geräte im Verbindungsmodus werden hingegen nach den Merkmalen 1.6 bis 1.7 - ebenfalls wie im Ausführungsbeispiel - die vom Netzwerk unterstützten Verbindungsarten herangezogen.

138(1) Verbindungsarten in diesem Sinne werden typischerweise durch Qualitätsparameter wie verfügbare Bitrate, maximale Verzögerung und die zulässige Bitfehlerrate definiert.

139Diese Einteilung ermöglicht eine exaktere Zuordnung, weil sich die Zuweisung einer Zelle an der Verbindungsart orientieren kann, die das Endgerät gerade nutzt oder anfordert. So kann zum Beispiel einem Endgerät, das 3GPP unterstützt, auch eine Zelle zugewiesen werden, die lediglich EDGE unterstützt, wenn die dort vorhandene Übertragungsgeschwindigkeit für den aktuell angefragten Dienst ausreicht (Abs. 56).

140Nach welchen Kriterien die einzelnen Verbindungsarten eingeteilt werden und wie die Prioritätswerte im Einzelnen bestimmt werden, legt Patentanspruch 1 auch in dieser Fassung nicht näher fest.

141(2) Aus dem Zusammenhang der Merkmale 1.6 bis 1.7 ist zu entnehmen, dass die in Merkmal 1.7 vorgesehene Zuweisung nicht anhand der Verbindungsarten erfolgt, die das Endgerät unterstützt, sondern anhand der Art der Verbindungen, die das Endgerät aktuell unterhält oder anfordert.

142Der Wortlaut von Merkmal 1.7 sieht zwar lediglich vor, dass das Nutzergerät verbunden ist, und lässt offen, welcher Eintrag aus der Prioritätstabelle ersten Typs für die Zuweisung herangezogen wird. Aus der Unterscheidung zwischen den beiden Arten der Prioritätstabelle und der unterschiedlichen Kategorisierung, die diesen Tabellen zugrunde liegt, ist jedoch zu folgern, dass der Unterschied zwischen aktuell bestehenden oder angeforderten Verbindungsarten und Technologien, die auf dem Endgerät verfügbar ist, auch in die Zuweisung nach den Merkmalen 1.5 bzw. 1.7 einfließen muss.

143c) Der mit Hilfsantrag 3 verteidigte Gegenstand geht nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus.

144aa) Dass die Änderungen in Merkmal 1.2 zulässig sind, wurde bereits im Zusammenhang mit Hilfsantrag 1 aufgezeigt.

145bb) Entgegen der Auffassung der Klägerinnen sind die beiden Lösungsansätze, die in den Tabellen I und II dargestellt sind, miteinander kombinierbar.

146Dass in Tabelle I die verfügbare Technologie nur in den Tabellenzeilen aufgeführt wird, in Tabelle II hingegen in den Zeilen und den Spalten, begründet keinen unüberbrückbaren Gegensatz. Bei beiden Ansätzen geht es darum, die Zuweisung der Zelle an den aktuellen oder erwarteten Anforderungen des Nutzers auszurichten. Dass hierzu in Tabelle I die aktuelle oder angeforderte Dienstart herangezogen wird, in Tabelle II hingegen die auf dem Endgerät verfügbaren Technologien, begründet keinen Widerspruch. Wie bereits oben dargelegt wurde, bildet das zuletzt genannte Kriterium in Tabelle II ein Mittel, um abzuschätzen, welche Dienstart nach einem Wechsel aus dem Ruhezustand in den Verbindungsmodus voraussichtlich zur Verfügung stehen muss. Die Beschreibung des Streitpatents (Abs. 61) und die Anmeldung (N3 S. 14 Z. 7-9) heben ausdrücklich hervor, dass die vom Endgerät unterstützten Standards in der zuletzt genannten Konstellation als Dienstart im Sinne des Streitpatents zu verstehen sind.

147Die Begriffe "Dienstart" und "Mobilfunktechnologie" bilden vor diesem Hintergrund keinen Gegensatz. Die Anmeldung und die Beschreibung des Streitpatents verwenden "Dienstart" vielmehr als Oberbegriff, zu dessen Ausfüllung nach der Anmeldung und nach der erteilten Fassung wahlweise auf Mobilfunktechnologien nach dem Vorbild der Tabelle II, Verbindungsarten nach dem Vorbild der Tabelle I oder sonstige geeignete Kriterien zurückgegriffen werden kann. Die Festlegung auf Mobilfunktechnologien für den Ruhezustand und Verbindungsarten für den Verbindungsmodus führt im Vergleich dazu zu einer Konkretisierung, die vom Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen umfasst wird.

148cc) Eine unzulässige Erweiterung liegt auch nicht deshalb vor, weil die Begriffe "Mobilfunktechnologie" und "Verbindungsart" in der Anmeldung nicht verwendet werden.

149Nach der Rechtsprechung des Senats geht der Gegenstand eines erteilten Schutzrechts nicht zwingend über den Inhalt der Anmeldung hinaus, wenn er mit Begriffen umschrieben ist, die in den Anmeldungsunterlagen als solche nicht benutzt worden sind. Das gilt namentlich dann, wenn damit längere Umschreibungen in den Anmeldungsunterlagen zusammenfassend oder schlagwortartig bezeichnet werden. Entscheidend ist, dass diesen Oberbegriffen oder Schlagworten in den Anmeldungsunterlagen als zur Erfindung gehörend behandelte Elemente eindeutig und in der Weise lückenlos und abschließend zugeordnet sind, dass keine Auslassungen oder Hinzufügungen vorliegen (, GRUR 2009, 933 Rn. 18 - Druckmaschinen-Temperierungssystem II).

150Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

151Aus der Anknüpfung an den Ruhezustand bzw. den Verbindungsmodus geht hinreichend deutlich hervor, dass die Begriffe "Mobilfunktechnologie" und "Verbindungsart" eine Konkretisierung des Oberbegriffs "Dienstart" nach dem Vorbild der Tabellen II bzw. I darstellen.

152d) Wie das Patentgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, ist der mit Hilfsantrag 3 verteidigte Gegenstand so offenbart, dass ein Fachmann die Erfindung ausführen kann.

153e) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist der mit Hilfsantrag 3 verteidigte Gegenstand nicht patentfähig.

154aa) Dieser Gegenstand ist allerdings in NK1 nicht vollständig offenbart.

155(1) Das in NK1 geschilderte Ausführungsbeispiel, bei dem die GPRS-Funktionalität als Kriterium herangezogen wird, befasst sich mit der Zuweisung einer Funkzelle an Endgeräte im Ruhezustand. Dies entspricht einer Prioritätstabelle zweiten Typs im Sinne des Streitpatents.

156NK1 spricht in diesem Zusammenhang zwar auch den Verbindungszustand an, offenbart für diesen aber keine Zuweisung anhand einer Prioritätstabelle. Vielmehr wird ausgeführt, in konventionellen Systemen werde ein GPRS-fähiges Endgerät, das in einer leitungsvermittelten Verbindung stehe, einer Mikrozelle zugewiesen. Solange es mit dieser verbunden sei, habe es keine Möglichkeit, in eine Zelle mit GPRS-Funktionalität zu wechseln (Sp. 8 Z. 11-20). Zur Lösung dieses Problems wird vorgeschlagen, GPRS-fähige Endgeräte bevorzugt einer Zelle zuzuweisen, die diese Funktionalität unterstützt, wie dies in Figur 2a dargestellt ist (Sp. 8 Z. 21-31). Diese Zuweisung erfolgt bereits im Ruhezustand. Der Wechsel eines bereits verbundenen Endgeräts in eine andere Zelle ist nicht beschrieben.

157(2) Bei dem Ausführungsbeispiel, in dem die Zuweisung davon abhängt, ob das Endgerät Sprache mit halbierter Bitrate kodieren kann, wird zwar eine Verbindungsart im Sinne von Merkmal 1.6 herangezogen. Auch bei diesem Beispiel ist für die Zuweisung aber lediglich maßgeblich, ob die betreffende Verbindungsart auf dem Endgerät verfügbar ist, nicht hingegen, ob eine Verbindung dieser Art aktuell besteht oder angefordert wird.

158Demgemäß geht, wie das Patentgericht zu Recht angenommen hat, auch aus diesem Beispiel keine Zuweisung im Sinne von Merkmal 1.7 hervor.

159(3) Für das Ausführungsbeispiel, bei dem in Pikozellen exklusive Funktionen für die Mitarbeiter eines bestimmten Unternehmens angeboten werden, offenbart NK1 zwar auch die Neuzuweisung einer Zelle beim Aufbau einer dedizierten Verbindung oder bei einem handover während einer bereits bestehenden Verbindung. Diese Zuweisung erfolgt jedoch ebenfalls nicht anhand der aktuell bestehenden oder angeforderten Verbindungsart, sondern anhand der Zugehörigkeit des Endgeräts zu einer bestimmten Benutzergruppe (Sp. 10 Z. 23-67).

160bb) Der verteidigte Gegenstand ist auch durch NK6a nicht vorweggenommen.

161(1) NK6a befasst sich mit der Zellenauswahl in einem zellularen Mobilfunknetz mit unterschiedlichen Zellentypen und Verbindungsarten.

162NK6a führt aus, im Stand der Technik sei bekannt, dass die Mobilstationen die Funkzellen anhand eines vorgegebenen Algorithmus auswählen. Hierzu übermittle das Netzwerk auf einem speziellen Kanal, der als Bake bezeichnet werde, die erforderlichen Informationen über benachbarte Zellen. Auf Grund dieser Information könne die Mobilstation abfragen, bei welcher der benachbarten Zellen der empfangene Signalpegel am günstigsten sei, und die Zelle festlegen, mit der eine Verbindung aufgebaut werden solle. Wenn bei Inbetriebnahme noch keine Zelle ausgewählt sei, würden alle Bakenkanäle abgefragt; die Festlegung erfolge dann anhand der gleichen Kriterien (Abs. 4).

163Bei der Einführung eines neuen Systems, beispielsweise UMTS, in eine bestehende Infrastruktur, beispielsweise GSM, gebe es Zellen, die nicht alle diese Standards bedienen könnten. Unter diesen Voraussetzungen könne der herkömmliche Auswahlalgorithmus dazu führen, dass ein gewünschter UMTS-Dienst nicht ausgeführt werden könne, weil die Mobilstation in einer GSM-Zelle sei, oder dass eine UMTS-fähige Zelle genutzt werde, obwohl lediglich ein GSM-Dienst gewünscht sei. Ähnlich sei es, wenn in einem bestehenden System zusätzliche Vorrichtungen für den Funkzugriff eingesetzt würden, die für bestimmte Nutzergruppen bestimmt seien (Abs. 7-9).

164In zellularen Mobilfunknetzen sei ferner bekannt, im Verlauf der Verbindung eine erneute Zellenauswahl durchzuführen, um die am besten geeignete Zelle zu bestimmen. Dies werde als handover bezeichnet. Die Auswahl könne durch das Netzwerk erfolgen, und zwar anhand von Messergebnissen, die die Mobilstation übermittle. Aus einer anhand der Messergebnisse erstellten Kandidatenliste werde dann die erste Zelle ausgewählt, in der die Ressourcen für diese Verbindung zur Verfügung stünden (Abs. 13).

165Ein handover könne auch durchgeführt werden, um eine Verbindung von der ursprünglich ausgewählten Zelle an eine später ausgewählte, besser geeignete Zelle zu übergeben. Dies werde als "directed retry" bezeichnet. Ein solcher Wechsel könne insbesondere erforderlich sein, wenn die ursprüngliche und die spätere Zellenauswahl nach unterschiedlichen Kriterien erfolgten (Abs. 14).

166Vor diesem Hintergrund schlägt NK6a ein Verfahren vor, bei dem die Mobilstation die Zelle im Hinblick auf den Netzwerkzugriff auswählt. In einem zweiten Schritt entscheidet der Basisstationscontroller, ob die Verbindung an eine Zelle anderen Typs übergeben wird, die für den betreffenden Dienst besser geeignet ist (Abs. 19).

167Die Vorgänge im Vorfeld einer möglichen Übergabe sind in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 3 und 4 dargestellt.

168Die Verbindungsstelle (mobile switching center, MSC) erhält von der Mobilstation (MS) Informationen zur Identifikation des Nutzers (INF1) und der gewünschten Diensteart (INF2). Sie fragt ferner bei der Nutzerdatenbank (home location register, HLR) Informationen über die Dienste ab, zu deren Nutzung der Nutzer befugt ist (INF3). Auf dieser Grundlage ermittelt sie Informationen zu dem Zellentyp, der für den betreffenden Dienst, den betreffenden Benutzer und die betreffende Verbindung am besten geeignet ist (INF4) (Abs. 33-35).

169Der Basisstationscontroller (BSC) entscheidet anschließend, ob eine Übergabe stattfinden soll. Neben den von der Verbindungsstelle (MSC) übermittelten Informationen zu dem am besten geeigneten Zellentyp (INF4) berücksichtigt er hierbei den Typ der derzeit ausgewählten Zelle (INF5), die von der Mobilstation übermittelten Messergebnisse (INF6) und die Verfügbarkeit von Ressourcen in den Kandidatenzellen (INF7 oder INF8). Wenn eine Übergabe stattfinden soll, übermittelt er die hierfür erforderlichen Informationen (INF9) an die Mobilstation (MS) (Abs. 37 f.).

170(2) Damit sind die Merkmale 1 bis 1.2 sowie eine Zellenauswahl anhand von Zellen- und Verbindungs-Art im Sinne der Merkmale 1.6 bis 1.7 offenbart.

171Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt es an einer Offenbarung der Merkmale 1.6 bis 1.7 nicht deshalb, weil bei dem in NK6a offenbarten Verfahren die als Kandidaten in Betracht kommenden Zellen durch Messung der Signalstärke ermittelt werden. Eine solche Vorauswahl ist durch die Merkmale 1.6 bis 1.7 nicht ausgeschlossen. Diese betreffen die Auswahl unter mehreren verfügbaren Zellen, nicht aber die Ermittlung von verfügbaren Zellen. Patentanspruch 13 der erteilten Fassung und Patentanspruch 9 in der Fassung von Hilfsantrag 3 sehen eine vorgelagerte Messung der Signalstärke von in Betracht kommenden Zellen sogar ausdrücklich vor.

172(3) Nicht offenbart ist eine Zellenauswahl im Ruhezustand im Sinne der Merkmale 1.3 bis 1.5.

173Bei der erstmaligen Zuweisung wird die Zelle mit dem aus dem Stand der Technik ausgewählten Algorithmus ausgewählt. In diesen fließen nur Messergebnisse ein, nicht aber Informationen zum gewünschten Dienst.

174cc) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist der mit Hilfsantrag 3 verteidigte Gegenstand ausgehend von NK1 durch NK6a nahegelegt.

175(1) Aus NK1 ergab sich Veranlassung, nach Möglichkeiten zur Optimierung der Zellenzuweisung im Verbindungsmodus zu suchen.

176NK1 offenbart, dass ein eingeschaltetes Endgerät sowohl im Ruhezustand als auch im Verbindungsmodus, d.h. beim Aufbau einer dedizierten Verbindung oder beim Umleiten einer bestehenden Verbindung, einer Zelle zugewiesen werden muss. Wie das Patentgericht im Ansatz zu Recht angenommen hat, befasst sich die Entgegenhaltung zwar in erster Linie mit der Zuweisung und Priorisierung im Ruhemodus, während sie für den Verbindungsmodus auf im Stand der Technik bekannte Vorgehensweisen Bezug nimmt. Wie bereits oben aufgezeigt wurde, erfolgt in dem Ausführungsbeispiel, bei dem in Pikozellen exklusive Funktionen für die Mitarbeiter eines bestimmten Unternehmens angeboten werden, jedoch auch eine von der üblichen Vorgehensweise abweichende Zuweisung für aktive Verbindungen (Sp. 10 Z. 25 f.). Daraus ergab sich Anlass, nach Möglichkeiten zu suchen, um die Zuweisung auch für aktuell bestehende oder aufzubauende Verbindungen weiter zu optimieren.

177(2) Bei der Suche nach solchen Lösungen bot sich NK6a als Erkenntnisquelle an, weil dort die Zuweisung einer Zelle im Verbindungsmodus im Mittelpunkt steht.

178Aus einer ergänzenden Heranziehung von NK6a ergab sich ausgehend von NK1 der Hinweis, dass nach dem Aufbau einer Verbindung eine erneute Überprüfung stattfinden kann, ob die genutzte Zelle den mit der Verbindungsart einhergehenden Anforderungen entspricht, und dass dies insbesondere vorteilhaft ist, um besonders leistungsstarke Zellen zu entlasten, wenn die mit der gewählten Verbindung einhergehenden Anforderungen auch in anderen Zellen angeboten werden können.

179Eine Kombination dieser Vorgehensweise mit dem in NK1 offenbarten Ansatz bot sich schon deshalb an, weil beide Ansätze auf dem gleichen Grundkonzept beruhen.

180(3) Entgegen der Auffassung der Beklagten schließen sich die in NK1 und in NK6a verfolgten Ansätze nicht gegenseitig aus.

181Die beiden Entgegenhaltungen legen den Schwerpunkt zwar auf unterschiedliche Betriebszustände. Beide Entgegenhaltungen zeigen aber auf, dass es nicht damit getan ist, im Ruhezustand eine möglichst gut geeignete Zelle zu finden, sondern Bedarf bestehen kann, die Zuweisung beim Aufbau einer neuen und während des Bestehens einer bereits aufgebauten Verbindung zu korrigieren und hierzu abweichende Zuweisungskriterien heranzuziehen. Auch dieser Gesichtspunkt gab Veranlassung, sich nicht mit einer Auswahl zwischen einer der beiden Methoden zu befassen, sondern beide Ansätze miteinander zu kombinieren, um ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen.

182Dem steht abweichend von der Auffassung des Patentgerichts nicht entgegen, dass in dem in NK1 gezeigten Ausführungsbeispiel (Sp. 10 Z. 44-54) auch für den Verbindungsmodus Kriterien verwendet werden, die durch das Nutzergerät oder den Nutzer selbst bestimmt sind. Ein Vergleich mit NK6a zeigte vielmehr, dass auch im Verbindungsmodus an Zellen- und Dienstarten angeknüpft werden kann.

183(4) Dass im Ruhezustand möglicherweise weitere Aspekte für die Auswahl einer geeigneten Zelle von Bedeutung sein können, etwa der in NK8 angesprochene Umstand, dass der Energiebedarf des Endgeräts in einer Makrozelle typischerweise niedriger ist als in kleineren Zellen, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

184Dieser Aspekt sprach zwar dafür, die im Stand der Technik herangezogenen Kriterien nicht völlig außer Acht zu lassen. Aus NK1 ergab sich jedoch, dass dennoch Spielraum für eine weitere Optimierung besteht, wenn zusätzlich auch die Fähigkeiten des Endgeräts mit in die Betrachtung einbezogen werden.

185V. Der Rechtsstreit ist zur Entscheidung reif (§ 119 Abs. 5 Satz 2 PatG).

1861. In der erteilten Fassung und in den Fassungen der Hilfsanträge 0 bis 3 hat das Streitpatent aus den oben genannten Gründen keinen Bestand.

1872. Der mit Hilfsantrag 4 verteidigte Gegenstand beruht ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

188a) Nach Hilfsantrag 4 soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 3 um die zusätzlichen Merkmale 1.3.2 und 1.3.3 aus Hilfsantrag 2 ergänzt werden.

189b) Diese Merkmale sind aus den bereits im Zusammenhang mit Hilfsantrag 2 dargelegten Gründen in NK1 offenbart.

190VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO sowie § 110 Abs. 8 PatG in Verbindung mit § 516 Abs. 3 Satz 1 und § 100 Abs. 1 ZPO.

1911. Die Klägerinnen zu 3 und 4 haben nach § 110 Abs. 8 PatG in Verbindung mit § 516 Abs. 3 und § 100 Abs. 1 ZPO den auf sie entfallenden Anteil an den Gerichtskosten sowie den außergerichtlichen Kosten der Beklagten in zweiter Instanz zu tragen, weil sie ihre Berufung zurückgenommen haben. Dass ihr mit der zurückgenommenen Berufung verfolgtes Begehren der Sache nach Erfolg hatte, ist hierbei unerheblich.

192Ebenfalls unerheblich ist, ob die Beklagte aufgrund einer Vereinbarung mit den Klägerinnen zu 3 und 4 daran gehindert ist, Kostenforderungen gegen diese geltend zu machen. Eine solche Vereinbarung bleibt von der getroffenen Kostenentscheidung grundsätzlich unberührt.

1932. Die übrigen Kosten hat gemäß § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen, weil sie in der Sache unterlegen ist.

194Dies gilt auch hinsichtlich der erstinstanzlichen Kosten der Klägerinnen zu 3 und 4. Die von diesen erklärte Berufungsrücknahme hat nach § 516 Abs. 3 ZPO lediglich Auswirkungen auf die in zweiter Instanz angefallenen Kosten. Hinsichtlich der Kosten erster Instanz ist hingegen diejenige Entscheidung zu treffen, die das Patentgericht bei zutreffender Entscheidung in der Sache hätte treffen müssen.

195Wenn mehrere Kläger als notwendige Streitgenossen am Rechtsstreit beteiligt sind, ist die erstinstanzliche Kostenentscheidung gegebenenfalls auch zugunsten eines Klägers zu korrigieren, der das erstinstanzliche Urteil nicht angefochten hat (, GRUR 2016, 361 Rn. 49 - Fugenband). Dasselbe gilt für einen Kläger, der zunächst Berufung eingelegt und das Rechtsmittel später zurückgenommen hat.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:180521UXZR23.19.0

Fundstelle(n):
FAAAH-82627