Schadensersatz bei Quoten- und Kundenschutzkartell: Zulässigkeit und Begründetheit einer Feststellungsklage; Wirksamkeit einer Schadenspauschalierung mit 15 % der Auftragssumme - Schienenkartell
Gesetze: § 33 S 1 GWB 1999, § 33 Abs 5 GWB 2005, § 256 Abs 1 ZPO, § 304 ZPO
Instanzenzug: OLG Celle Az: 13 U 105/16 (Kart) Urteilvorgehend Az: 18 O 259/14 Urteil
Tatbestand
1Die Klägerin, ein regionales Verkehrsunternehmen mit Sitz in Zeven, bietet unter anderem schienengebundene Personenbeförderungsdienstleistungen an. Sie nimmt die Beklagten auf Ersatz kartellbedingten Schadens in Anspruch.
2Die Beklagte zu 1 stellt Materialien für den Gleisoberbau her. Sie übertrug ihren Geschäftsbereich "Gleisbau" 2010 im Wege der Umwandlung durch Abspaltung auf die Beklagte zu 2. Die Beklagte zu 3, die bis Oktober 2003 Teil der ThyssenKrupp GFT Gesellschaft für Technik mbH war, erwarb im Jahr 2004 mit Ausgliederungs- und Übernahmevertrag den Geschäftsbereich "Gleistechnik". Sie produziert und vertreibt Gleisoberbaumaterialien ebenso wie die Beklagten zu 4 bis 7, die zum Konzern voestalpine gehören.
3Die Klägerin erteilte der Beklagten zu 1 im Jahr 2003 in drei Fällen auf der Grundlage von Ausschreibungen Aufträge, die unter anderem die Lieferung einer Weiche und mehrerer Vignol-Schienen beinhalteten. Den Aufträgen lagen "Zusätzliche Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen - einheitliche Fassung (September 2002)" (nachfolgend: ZVB/E 215) zugrunde. Diese enthielten in Nr. 12 folgende Klausel:
"Wenn der Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellt, hat er 15 v.H. der Auftragssumme an den Auftraggeber zu zahlen, es sei denn, dass ein Schaden in anderer Höhe nachgewiesen wird."
4Mit Bescheid vom verhängte das Bundeskartellamt gegen die Beklagten zu 1, 3 und 5 ein Bußgeld wegen der Beteiligung an dem Kartell der "Schienenfreunde". Nach den Feststellungen des rechtskräftigen Bußgeldbescheids verstießen die Beklagten jedenfalls zwischen 2001 und Mai 2011 gemeinschaftlich gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen.
5Die Klägerin macht geltend, sie habe aufgrund des Kartells überhöhte Preise zahlen müssen. Sie hat beantragt, die Beklagten zu 1 und 2 zu verurteilen, als Gesamtschuldner 137.913,75 € zuzüglich Zinsen zu zahlen (Klageantrag zu 1 a), sowie festzustellen, dass die Beklagten zu 1 und 2 als Gesamtschuldner verpflichtet sind, sämtliche ihr und ihren Zuwendungsgebern entstandenen oder in Zukunft entstehende Schäden nebst Zinsen zu ersetzen, die über den mit Klageantrag zu 1 a geltend gemachten Betrag hinausgehen, sowie solche, die vom Klageantrag zu 1 a nicht erfasst sind (Klageantrag zu 1 b). Zudem hat sie beantragt festzustellen, dass die Beklagten zu 3 bis 7 gemeinsam mit den Beklagten zu 1 und 2 als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche Schäden nebst Zinsen zu ersetzen, die der Klägerin und ihren Zuwendungsgebern aufgrund von Kartellabsprachen und/oder wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen im Sinne von § 298 StGB im Zusammenhang mit näher bezeichneten Aufträgen entstanden sind und in der Zukunft noch entstehen werden (Klageantrag zu 2).
6Das Landgericht hat - unter Abweisung der Klage im Übrigen - durch Grund- und Teilurteil die Klage hinsichtlich des Zahlungsantrags dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und festgestellt, dass die Beklagten zu 3 bis 7 als Gesamtschuldner neben den Beklagten zu 1 und 2 verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die der Klägerin im Zusammenhang mit den näher bezeichneten Aufträgen entstanden sind und noch entstehen werden. Die beanspruchten Zinsen hat es nur in beschränktem Umfang zugesprochen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht im Verhältnis zu den Beklagten zu 3 bis 7 weitergehend festgestellt, dass sich deren Schadensersatzpflicht auch auf Schäden erstreckt, die den Zuwendungsgebern der Klägerin entstanden sind. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht den Klageantrag zu 2 insoweit abgewiesen, als das Landgericht die Ersatzpflicht von Rechtshängigkeitszinsen festgestellt hat. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr auf vollständige Klagabweisung gerichtetes Begehren weiter.
Gründe
7I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
8Der Klägerin stehe gegen die Beklagten zu 1 und 2 nach § 33 GWB in der seit dem geltenden Fassung (GWB 1999) in Verbindung mit § 1 GWB ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach zu. Nach den gemäß § 33 Abs. 4 GWB in der ab dem geltenden Fassung (GWB 2005) bindenden Feststellungen des Bundeskartellamts im Bußgeldbescheid stehe fest, dass die Beklagte zu 1 zumindest von 2001 bis Mai 2011 unter anderem gemeinsam mit weiteren Beteiligten bezüglich des Absatzes von Schienen, Weichen und Schwellen auf dem Privatmarkt in Deutschland kartellrechtswidrige Preis-, Quoten- und Kundenschutzabsprachen getroffen und insofern gegen § 1 GWB verstoßen habe. Zugunsten der Klägerin streite ein Anscheinsbeweis, dass sich dieses Kartell allgemein preissteigernd in ganz Deutschland, mithin auch in der von der Beklagten zu 1 bedienten Region, ausgewirkt habe. Diesen Anscheinsbeweis habe die Beklagte nicht erschüttert. Darüber hinaus stehe aufgrund des ersten Anscheins zu Gunsten der Klägerin fest, dass auch die in Rede stehenden Beschaffungsvorgänge von dem Kartell betroffen gewesen seien. Angesichts der generell preissteigernden Wirkung der Absprachen sei zu vermuten, dass die in Rede stehenden Beschaffungsvorgänge von dem kartellbedingten Preisniveau betroffen gewesen seien und der Klägerin ein Vermögensschaden entstanden sei. Diese Vermutung habe die Beklagte nicht zu erschüttern vermocht.
9Der Klägerin sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden in irgendeiner Höhe entstanden. Auf die Wirksamkeit der Pauschalierungsklausel komme es nicht an, da diese nur die Höhe des Anspruchs, nicht aber den Anspruchsgrund regele. Soweit sich die Beklagten auf eine Weitergabe von kartellbedingten Preiserhöhungen beriefen, hätten sie ihrer Darlegungslast nicht genügt. Im Übrigen könne ausgeschlossen werden, dass die von den Beklagten geltend gemachte Weiterwälzung des Schadens zu einem - für den Erlass eines Grundurteils allein erheblichen - vollständigen Wegfall eines Schadens geführt habe. Der Schaden sei auch nicht vollständig durch öffentliche Zuwendungen ausgeglichen worden. Die Ansprüche seien nicht verjährt, weil die Verjährung während der Dauer des Bußgeldverfahrens nach § 33 Abs. 5 GWB 2005 gehemmt gewesen sei. Die Haftung der Beklagten zu 2 ergebe sich aus § 133 Abs. 1 Satz 1 UmwG.
10Es könne zudem festgestellt werden, dass eine Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 3 bis 7 bestehe. Der hierauf gerichtete Feststellungsantrag sei zulässig, weil die Klägerin angesichts der Ungewissheiten über die drohende Verjährung ein Feststellungsinteresse habe. Der Antrag sei auch überwiegend begründet, weil die Beklagten zu 3 bis 7 neben den Beklagten zu 1 und 2 als Gesamtschuldner aus § 33 GWB 1999 auf Schadensersatz hafteten.
11Der Klägerin stehe nach §§ 849, 246 BGB jedoch nur ein Zinsanspruch in Höhe von 4 Prozent ab dem Zeitpunkt der Schadensentstehung zu. Rechtshängigkeitszinsen könne die Klägerin nicht beanspruchen.
12II. Die zulässige Revision ist begründet. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
131. Das Teilurteil ist entgegen der Auffassung der Berufung nicht unzulässig. Die Gefahr eines Widerspruchs zwischen dem Teilfeststellungsurteil und einem Endurteil über die Leistungsklage besteht nicht. Das Berufungsgericht hat mit Grund- und Feststellungsurteil einheitlich für alle Beklagten über den Grund des Anspruchs entschieden (vgl. , NZKart 2019, 101 Rn. 43 - Schienenkartell I; zu dem anders gelagerten Fall, dass nur über den Anspruchsgrund der Leistungsklage durch Grundurteil, aber nicht zugleich über die Feststellungsklage entschieden wurde, die sich auf dasselbe tatsächliche Geschehen bezieht, vgl. Urteil vom - V ZR 402/98, NJW 2000, 1405, 1406).
142. Die Klage ist überwiegend zulässig. Die Annahme des Berufungsgerichts, die gegen die Beklagten zu 3 bis 7 erhobene Feststellungsklage (Antrag zu 2) sei insgesamt zulässig, hält der rechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
15a) Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Feststellungsklage insoweit zulässig ist, als die Klägerin die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten für bereits entstandene Schäden begehrt. In diesem Umfang hat das Berufungsgericht mit Recht ein Feststellungsinteresse angenommen.
16Die Klägerin war nicht gehalten, eine Leistungsklage zu erheben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Befugnis zur Erhebung einer Feststellungsklage zwar nicht allein damit gerechtfertigt werden, dass die Klägerin zur Bezifferung ihres Schadens auf sachverständige Hilfe angewiesen ist und die Bezifferung des Anspruchs daher mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand verbunden ist (, WRP 2018, 941 Rn. 18 - Grauzementkartell II; NZKart 2019, 101 Rn. 27 - Schienenkartell I). Jedoch weist der Streitfall wegen der in der Vergangenheit unklaren Rechtslage in Bezug auf die zeitliche Anwendbarkeit des § 33 Abs. 5 GWB 2005 Besonderheiten auf, die - wie der Bundesgerichtshof ebenfalls bereits entschieden hat (vgl. BGH, WRP 2018, 941 Rn. 19 ff. - Grauzementkartell II; NZKart 2019, 101 Rn. 32 - Schienenkartell I; Urteil vom - KZR 25/17, juris Rn. 21) - eine andere Beurteilung rechtfertigen. Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass der Klägerin kurz vor Erweiterung der Klage auf die Beklagten zu 3 bis 7 das IAW-Gutachten vorlag. Wie sich aus diesem Gutachten ohne Weiteres die konkrete Höhe des von der Klägerin geltend gemachten Schadens hätte ableiten lassen, zeigt die Revision nicht auf.
17b) Das Berufungsgericht hat jedoch rechtsfehlerhaft nicht näher geprüft, ob der Klägerin ein Feststellungsinteresse im Hinblick auf etwaige zukünftig noch entstehende Schäden zusteht. Dazu hätte aber deshalb Anlass bestanden, weil die schadensbegründenden Handlungen zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung bereits mehr als zehn Jahre zurücklagen, so dass nicht damit zu rechnen ist, dass sich aus ihnen künftig weitere Schäden ergeben (vgl. BGH, WRP 2018, 941 Rn. 16 - Grauzementkartell II).
18c) In dem Umfang, in dem ein Feststellungsinteresse besteht, ist die Klage hinreichend bestimmt. Bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, welche nach dem Vorbringen der Klägerin ihren Zuwendungsgebern entstanden und an sie abgetreten worden seien, handelt es sich im Verhältnis zu den aus eigenem Recht geltend gemachten Ansprüchen nicht um eine unzulässige alternative Klagehäufung.
19Macht der Kläger - wie hier - geltend, ihm seien Ansprüche eines Dritten abgetreten worden, auf den der Kläger seinen Schaden abgewälzt haben soll, und kommt eine Abwälzung des Schadens auf weitere, dem Dritten nachgelagerte Abnehmer oder Leistungsstufen nicht in Betracht, so ist diesem Vorbringen nicht ohne Weiteres zu entnehmen, dass er die unterschiedlichen Ansprüche in einem Alternativ- oder in einem Eventualverhältnis von Haupt- und Hilfsantrag verfolgt. Vielmehr wird die Auslegung des Klagebegehrens regelmäßig ergeben, dass es ihm in erster Linie auf die Liquidation des gesamten, durch die Kartellabsprache adäquat verursachten Preishöhenschadens ungeachtet der Prüfung durch das Gericht ankommt, ob tatsächlich eine (teilweise) Weiterwälzung des Schadens erfolgt ist (, WuW 2020, 597 Rn. 49 - Schienenkartell IV). Das Gericht kann in der Sache vollständig über die abgetretene Forderung entscheiden (§ 322 Abs. 1 ZPO). Kommt es dem Kläger trotz der geltend gemachten Bündelung der Schadensersatzansprüche in seiner Hand auf eine gerichtliche Feststellung der genauen Verteilung des Schadens auf die unterschiedlichen Ansprüche innerhalb der Schadenskette an, so muss er dies klarstellen.
203. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann weder ein Schadensersatzanspruch gegenüber den Beklagten zu 1 und 2 dem Grunde nach zuerkannt noch eine Verpflichtung der Beklagten zu 3 bis 7 zum Schadensersatz festgestellt werden.
21a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass für die in Rede stehenden Aufträge im Jahr 2003 als Anspruchsgrundlage § 33 Satz 1 GWB in der seit dem geltenden Fassung (GWB 1999) in Betracht kommt (vgl. , BGHZ 190, 145 Rn. 13 - ORWI; NZKart 2019, 101 Rn. 44 - Schienenkartell I). Danach ist derjenige, der gegen eine Vorschrift des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen verstößt, sofern die Vorschrift den Schutz eines anderen bezweckt, diesem zur Unterlassung verpflichtet; fällt ihm Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last, ist er auch zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet.
22b) Mit Recht hat das Berufungsgericht auch einen schuldhaften Verstoß der Beklagten gegen § 1 GWB festgestellt und dabei angenommen, dass nach den gemäß § 33 Abs. 4 GWB 2005 für den nachfolgenden Schadensersatzprozess bindenden Feststellungen des Bundeskartellamts im Bußgeldbescheid die Beklagte über einen längeren Zeitraum an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen beteiligt war.
23c) Das Berufungsgericht ist im Ergebnis auch mit Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin zur Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs berechtigt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Voraussetzung des haftungsbegründenden Tatbestands eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs sowohl nach § 33 Satz 1 GWB 1999 als auch nach § 33 Abs. 3, Abs. 1 GWB 2005 ebenso wie nach § 823 Abs. 2 BGB, dass dem Anspruchsgegner ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten anzulasten ist, das - vermittelt durch den Abschluss von Umsatzgeschäften oder in anderer Weise - geeignet ist, einen Schaden des Anspruchstellers unmittelbar oder mittelbar zu begründen (, BGHZ 224, 281 Rn. 25 - Schienenkartell II; WuW 2020, 597 Rn. 25 - Schienenkartell IV; Urteil vom - KZR 4/19, WuW 2021, 37 Rn. 16 - Schienenkartell V). Für die Feststellung dieser Voraussetzung gilt der Maßstab des § 286 ZPO. Auf die weitergehende Frage, ob sich die Kartellabsprache auf den in Rede stehenden Beschaffungsvorgang, auf den der Anspruchsteller sein Schadensersatzbegehren stützt, tatsächlich nachteilig ausgewirkt hat und das Geschäft damit in diesem Sinn "kartellbefangen" oder "kartellbetroffen" war, kommt es im Rahmen der Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität hingegen nicht an. Angesichts der Besonderheiten des kartellrechtlichen Deliktstatbestands bedarf es auch nicht der Feststellung einer konkret-individuellen Betroffenheit (BGH, WuW 2021, 37 Rn. 17 - Schienenkartell V).
24Im Streitfall sind die Voraussetzungen ohne Weiteres erfüllt, weil die Klägerin nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts von der am Kartell beteiligten Beklagten Waren erworben hat, welche Gegenstand der Kartellabsprache waren. Soweit die Revision geltend macht, die Aufträge hätten hauptsächlich Bauleistungen zum Gegenstand gehabt, steht dieser Umstand der Annahme der Betroffenheit nicht entgegen. Es ist, wovon das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist, angesichts der Intensität der im Streitfall festgestellten Verhaltenskoordinierung nicht fernliegend, dass sich diese allgemein auf das im Markt zu verzeichnende Preisniveau und damit ebenfalls auf solche Beschaffungsvorgänge von Kartellbeteiligten ausgewirkt hat, die nicht Gegenstand einer Ausschreibung (BGHZ 224, 281 Rn. 44 - Schienenkartell II; WuW 2021, 37 Rn. 21 - Schienenkartell V) oder bei denen die Kartellprodukte nur Teil des Leistungsumfangs waren. Die Frage, inwieweit sich die Kartellabsprache auch auf das vertragliche geforderte Entgelt, mit dem sowohl die Bauleistungen als auch die Lieferungen von Schienen oder Weichen vergütet werden sollten, ausgewirkt hat, ist eine Frage der Schadenshöhe.
25d) Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann jedoch nicht angenommen werden, dass der Klägerin aufgrund der Kartellabsprache zwischen den beteiligten Unternehmen - mit der für ein Zwischenurteil nach § 304 ZPO erforderlichen Wahrscheinlichkeit (BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 38 - Schienenkartell I) - überhaupt ein Schaden entstanden ist. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht unter Abwägung sämtlicher Umstände des Streitfalls zu der Überzeugung gelangt wäre (vgl. BGHZ 224, 281 Rn. 36 ff. - Schienenkartell II), dass der Klägerin ein Schaden entstanden ist. Zudem steht die Annahme des Berufungsgerichts, der Beweis des ersten Anscheins streite dafür, dass die von der Klägerin gezahlten Preise höher gewesen seien als sie gewesen wären, wenn die Beklagte sich nicht am vorliegenden Kartell beteiligt hätte, mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in Einklang, weil es für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises - wie der Bundesgerichtshof allerdings erst nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat - bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell, wie es hier in Rede steht, an der dafür erforderlichen Typizität des Geschehensablaufs fehlt (BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 57 - Schienenkartell I).
26e) Fehlt es damit an verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen, die den Schluss tragen, dass den Klägerinnen ein Schaden entstanden ist, hat auch der Ausspruch des Berufungsgerichts zu 2, mit dem es die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten zu 3 bis 7 festgestellt hat, keinen Bestand.
27III. Da sich das Urteil des Berufungsgerichts nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO), ist es insoweit aufzuheben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist (§ 562 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil er der vom Tatrichter vorzunehmenden Würdigung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls nicht vorgreifen kann. Die Sache ist daher zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
28IV. Bei der erneuten Prüfung, ob und in welcher Höhe der Klägerin durch die Kartellabsprache, an der sich die Beklagten beteiligt haben, ein Schaden entstanden ist, wird das Berufungsgericht die Anforderungen an die Tatsachenfeststellung zu beachten haben, wie sie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu entnehmen sind (BGHZ 224, 281 Rn. 34 ff. - Schienenkartell II). Darüber hinaus weist der Senat auf Folgendes hin:
291. Bei der erneuten Prüfung wird das Berufungsgericht davon ausgehen können, dass die Regelung gemäß Nr. 12 ZVB/E 215 wirksam ist, nach der ein Auftragnehmer, der aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellt, 15 Prozent der Auftragssumme an den Auftraggeber zu zahlen hat, wenn nicht ein Schaden in anderer Höhe nachgewiesen wird.
30a) Eine solche Regelung benachteiligt den Vertragspartner nicht unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die in Rede stehende Schadenspauschale von 15 Prozent wird - in Ermangelung besserer Erkenntnisse - einen noch vertretbaren und angemessenen Wert für eine Abschätzung der Abweichung des Angebotspreises vom hypothetischen Wettbewerbspreis bezeichnen, der einen angemessenen Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen der Vertragsparteien findet und von dem nicht angenommen werden kann, dass mit ihm die eigenen Interessen der Klägerin missbräuchlich auf Kosten des - im Anwendungsbereich der Klausel unredlichen - Vertragspartners ohne ausreichende Rücksicht auf dessen Interessen durchgesetzt werden (vgl. , Rn. 31 ff.).
31b) Die Regelung ist auch nicht intransparent im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. , Rn. 49 ff.). Soweit die im Streitfall zu beurteilende Klausel den Begriff der Auftragssumme anstelle des Begriffs der Abrechnungssumme verwendet, ergibt sich daraus nichts anderes (vgl. , BGHZ 131, 356 ff.). Die Auftragssumme ist ein im Auftragswesen vielfach verwendeter Begriff (vgl. zur Schadenspauschalierung BGHZ 131, 356 ff.; zur Vertragsstrafe , BGHZ 153, 311, 325; vom - VII ZR 28/07, NJW-RR 2008, 615, 616). Eine Intransparenz der Regelung ergibt sich insbesondere auch nicht daraus, dass die Klägerin in einem anderen sachlichen Zusammenhang und in einem von den Zusätzlichen Vertragsbedingungen gemäß ZVB/E 215 gesonderten Klauselwerk (Besondere Vertragsbedingungen EVM (B) BVB 214), das ebenfalls Bestandteil der Verträge ist, den Begriff der Abrechnungssumme verwendet (vgl. zur Verwendung unterschiedlicher Begriffe innerhalb einer Klausel: BGH, NJW-RR 2008, 615, 616).
322. Sollte das Berufungsgericht erneut einen Schadensersatzanspruch der Klägerin bejahen, wird es eine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten zu 3 bis 7 neben den Beklagten zu 1 und 2 annehmen können (vgl. , WuW 2020, 595 Rn. 30 ff. - Schienenkartell III). In diesem Zusammenhang wird es auch davon ausgehen können, dass eine Zinspflicht der Beklagten zu 3 bis 7 besteht.
33a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Vorschrift des § 849 BGB zwar kein allgemeiner Rechtsgrundsatz entnommen werden, dass deliktische Schadensersatzansprüche stets von ihrer Entstehung an zu verzinsen sind. Da die Norm jedoch nicht nur bei Sachentziehung oder -beschädigung eingreift, sondern auch in Fällen, in denen dem Geschädigten Geld entzogen wurde (BGH, Versäumnisurteil vom - II ZR 167/06, NJW 2008, 1084; vgl. auch Urteil vom - KZR 47/14 Rn. 56 f. - VBL-Gegenwert II), ist § 849 BGB in den Fällen der Haftung wegen kartellrechtswidriger Quotenabsprachen zumindest entsprechend anwendbar (BGH, WRP 2018, 941 Rn. 45 ff. - Grauzementkartell II).
34b) Gesamtschuldner haften nach §§ 840 Abs. 1, 421 ff. BGB im Außenverhältnis für den gesamten Schaden. Daher erstreckt sich die gesamtschuldnerische Haftung - da der Zinsschaden ein wesentlicher Teil des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs ist - auch auf die Zinspflicht. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union folgt, dass für die Schäden, die durch ein Kartell oder ein nach Art. 101 AEUV verbotenes Verhalten verursacht wurden, die Unternehmen im Sinne dieser Bestimmung haften, die an diesem Kartell oder diesem Verhalten teilgenommen haben (Urteil vom - C-724/17, juris Rn. 31 ff. - Skanska). Diese gesamtschuldnerische Haftung umfasst ohne Weiteres den Zinsanspruch (vgl. dazu den im Streitfall allerdings noch nicht maßgeblichen Art. 11 Abs. 1 sowie Erwägungsgründe 12, 37 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union [ABl. 2014, L 349, S. 1]).
353. Im Hinblick auf den Einwand der Weitergabe des Schadens wird das Berufungsgericht die Grundsätze zu berücksichtigen haben, die sich aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergeben (BGH, WuW 2021, 37 Rn. 34 ff. - Schienenkartell V), und zudem in Rechnung stellen müssen, dass die Beklagten die Abtretung des Schadensersatzanspruchs seitens der Zuwendungsgeber bestritten haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:100221UKZR94.18.0
Fundstelle(n):
RAAAH-82503