Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr: Wurf eines Bolzenschneiders in die Windschutzscheibe eines langsam anfahrenden Fahrzeugs
Gesetze: § 315b Abs 1 Nr 3 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Dessau-Roßlau Az: 180 Js 18968/19 - 8 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und mit Sachbeschädigung, Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in sechs Fällen und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Es hat außerdem eine Maßregelanordnung nach §§ 69, 69a StGB und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat nach einer Beschränkung der Strafverfolgung (§ 154a StPO) den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Der Senat beschränkt die Strafverfolgung wegen des Wurfs mit dem Bolzenschneider in die Windschutzscheibe des Eisverkaufswagens im Fall II.1 der Urteilsgründe mit Zustimmung des Generalbundesanwalts aus prozessökonomischen Gründen auf den Vorwurf der versuchten gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung.
3Die Urteilsfeststellungen tragen nicht die Annahme, dass der Angeklagte durch den Wurf des Bolzenschneiders in die Windschutzscheibe des langsam anfahrenden Fahrzeugs des Zeugen A. eine fremde Sache von bedeutendem Wert oder Leib oder Leben eines anderen im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB konkret gefährdet hat. Tatbestandsrelevant sind bei einem Außeneingriff in den Straßenverkehr nur verkehrsspezifische Gefahren. Eine solche liegt bei Zusammentreffen der Tathandlung und dem Eintritt einer konkreten Gefahr – wie hier – indes nur dann vor, wenn die konkrete Gefahr – jedenfalls auch – auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs) zurückzuführen ist (, BGHSt 48, 119, 124; Beschlüsse vom – 4 StR 411/08, NStZ 2009, 100, 101; vom – 4 StR 117/15, NStZ-RR 2015, 352; vom – 4 StR 349/17, NStZ- RR 2017, 356, 357).
4Die bisherigen Feststellungen ergeben eine solche verkehrsspezifische Gefahr nicht. Vielmehr liegt es eher fern, dass die mit dem Eingriff unmittelbar einhergehende Beschädigung der Windschutzscheibe und Gefährdung der körperlichen Integrität des Zeugen in einem relevanten Zusammenhang mit der Eigendynamik des gerade erst langsam anfahrenden Eisverkaufswagens standen. Es liegt nahe, dass beides allein auf die Intensität des Wurfs zurückzuführen war. Dass insoweit ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die zumindest eine Versuchsstrafbarkeit des Angeklagten im Hinblick auf eine tateinheitlich begangene Tat nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB tragen könnten, erscheint wenig wahrscheinlich.
52. Der Senat ändert den Schuldspruch zu diesem Tatkomplex mit Blick auf die Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO entsprechend ab. Da das Landgericht die Einzelstrafe für diese Tat dem Strafrahmen des § 315 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 315b Abs. 3 StGB entnommen hat, entzieht die Schuldspruchänderung dem Ausspruch über diese Einzelstrafe und über die Gesamtstrafe die Grundlage.
63. Auch die Adhäsionsentscheidung hält rechtlicher Prüfung nicht in vollem Umfang stand.
7Die Entscheidung des Landgerichts, den zugesprochenen Schadensersatzanspruch bereits seit dem zu verzinsen, begegnet rechtlichen Bedenken. Die Verpflichtung zur Zinszahlung beginnt gemäß § 404 Abs. 2 StPO, § 291 Satz 1, § 187 Abs. 1 BGB analog erst ab dem auf den Eintritt der Rechtshängigkeit des Zahlungsanspruchs folgenden Tag (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom ‒ 4 StR 292/18, NStZ-RR 2019, 96; vom ‒ 2 StR 79/19 Rn. 3). Die Rechtshängigkeit ist in vorliegender Sache mit der Adhäsionsantragsstellung am eingetreten, so dass Prozesszinsen ab dem zu zahlen sind. Der Senat ändert die Entscheidung daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ab und sieht hinsichtlich der weiter gehenden Zinsforderung von einer Entscheidung ab.
8Darüber hinaus ist, soweit das Landgericht dem durch den Adhäsionskläger geltend gemachten Anspruch auf Ersatz seines Verdienstausfalls nur dem Grunde nach stattgegeben hat, von einer Entscheidung über den Betrag abzusehen, da der Adhäsionskläger insoweit – weitergehend – ein Leistungsurteil begehrt hatte (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 477/15, BGHR StPO § 406 Teilentscheidung 2; vom – 4 StR 197/17, NStZ-RR 2017, 270, 271).
94. Im Übrigen weist das Urteil – aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom auch zu der Anordnung einer isolierten Sperrfrist – keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 349 Abs. 2 StPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:120121B4STR326.20.0
Fundstelle(n):
JAAAH-81658