Rechtswegübergreifende Zuständigkeitsbestimmung
Gesetze: Art 14 Abs 3 S 4 GG, Art 34 GG, § 17a Abs 2 S 3 GVG, § 53 Abs 1 Nr 5 VwGO, § 53 Abs 3 S 1 VwGO
Instanzenzug: Az: 13 A 279/21 Beschluss
Gründe
I
1Der Kläger ist bevollmächtigter Bezirksschornsteinfeger. Er begehrt vom Beklagten, seinem Vorgänger im Amt, Schadensersatz wegen eines Mehraufwandes, der ihm aufgrund der Rechtswidrigkeit von diesem erlassener Feuerstättenbescheide entstanden sei.
2Das Landgericht Hildesheim hat die bei ihm erhobene Klage mit Beschluss vom an das Verwaltungsgericht Hannover verwiesen. Das Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten habe seine Rechtsgrundlage nicht im bürgerlichen, sondern im öffentlichen Recht, weil bevollmächtigte Schornsteinfeger hoheitliche Tätigkeiten ausübten und behördlich bestellt seien. Die Beteiligten haben keine Rechtsmittel gegen den Verweisungsbeschluss eingelegt. Das Verwaltungsgericht hat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und das Landgericht gebeten, seinen Beschluss zu überdenken. Der Kläger mache einen Amtshaftungsanspruch geltend, für den ausschließlich die Landgerichte zuständig seien und über den das Verwaltungsgericht in der Sache nicht entscheiden dürfe. Das Landgericht hat an seiner Auffassung festgehalten. Der Verweisungsbeschluss sei rechtskräftig und damit bindend. Ein Amtshaftungsanspruch dürfte nicht gegeben sein.
3Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom dem Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des Rechtswegs und des zuständigen Gerichts vorgelegt. Es macht geltend, der Verweisungsbeschluss des Landgerichts entfalte ausnahmsweise keine Bindungswirkung, weil das Verwaltungsgericht wegen des Vorrangs des Art. 34 Satz 3 GG nicht über Amtshaftungsansprüche entscheiden dürfe und die Klage nur als unzulässig abweisen könnte.
4Die Beteiligten halten den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für gegeben.
II
5Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Landgericht Hildesheim und dem Verwaltungsgericht Hannover zuständig. Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Zwar ist diese Vorschrift auf den rechtswegübergreifenden Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Landgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird. Zwar unterliegt ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung. Eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO ist jedoch im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es - wie hier - in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (stRspr, vgl. 6 AV 14.19 - juris Rn. 7 m.w.N.; - NJW 2017, 1689 <1690>).
6Für die Entscheidung über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz ist das Verwaltungsgericht Hannover durch die gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindende Verweisung des Rechtsstreits mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss des Landgerichts Hildesheim zuständig geworden. Die Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war ( 6 AV 1.16 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4).
7Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete, hier ungenutzt gebliebene Möglichkeit, den Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzliche Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79 - BVerfGE 58, 1 <45> und vom - 2 BvR 121/90 - NJW 1992, 359 <361>). Hiervon kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerwG, Beschlüsse vom - 6 AV 1.16 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4 und vom - 6 AV 11.19 - NJW 2019, 2112 Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom - X ARZ 138/03 - NJW 2003, 2990 <2991>, vom - Xa ARZ 283/10 - MDR 2011, 253 und vom - X ARZ 95/11 - NJW-RR 2011, 1497; - BFHE 209, 1 <3 f.>). Das ist hier nicht der Fall.
8Die Annahme des Landgerichts, das Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten sei auch im Hinblick auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch dem öffentlich-rechtlich geregelten Schornsteinfegerhandwerksrecht zuzuordnen, erscheint trotz der vom Kläger gewählten Bezeichnung dieser Forderung als Amtshaftungsanspruch nicht als schlechthin unverständlich oder offensichtlich unhaltbar. Der Rechtsweg bestimmt sich allein nach der wirklichen Natur des behaupteten Rechtsverhältnisses und nicht nach dessen rechtlicher Einordnung durch den Kläger (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 7 AV 2.10 - juris Rn. 8 und vom - 8 AV 1.11 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 35 Rn. 16). Das Landgericht hat insoweit auf das die Berufsausübung beider Beteiligten regelnde Schornsteinfegerhandwerksrecht abgestellt, das auch Ansprüche des Nachfolgers gegen den bisherigen bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger auf Tragung der Kosten eines durch dessen Pflichtverletzung entstandenen Aufwandes kennt (vgl. § 19 Abs. 3 Satz 3 des Gesetzes über das Berufsrecht und die Versorgung im Schornsteinfegerhandwerk - Schornsteinfeger-Handwerksgesetz - vom , BGBl. I S. 2242, zuletzt geändert durch Gesetz vom , BGBl. I S. 2187). Ob hier ein solcher Anspruch in Betracht kommt, ist keine Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs, sondern der Begründetheit der Klage.
9Dass das Landgericht die öffentlich-rechtlichen Regelungen und nicht die seine Zuständigkeit begründende (Art. 14 Abs. 3 Satz 3, Art. 34 Satz 3 GG, § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG) Regelung des Amtshaftungsanspruchs (§ 839 BGB) als das streitige Rechtsverhältnis prägend angesehen hat, verletzt mit Blick auf die von ihm gegebene Begründung der Verweisung an das Verwaltungsgericht nicht den Grundsatz des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
10Die Verweisung schneidet dem Kläger auch nicht die Prüfung eines Amtshaftungshaftungsanspruchs ab und zwingt das Verwaltungsgericht nicht dazu, die Klage insoweit als unzulässig abzuweisen. Das Gericht des zulässigen Rechtsweges hat den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Das schließt in der Folge eines bindenden Verweisungsbeschlusses auch die Kompetenz des Verwaltungsgerichts zur Beurteilung von Ansprüchen nach Art. 14 Abs. 3 Satz 4, Art. 34 GG mit ein ( 7 C 59.70 - Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 123 S. 59; - NZA 1999, 390 <392>; - NVwZ-RR 2004, 463 f.). Insoweit tritt § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG hinter § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG zurück (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 41 VwGO Rn. 28; a.A. Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 17 GVG Rn. 56; Ehlers, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 17 GVG Rn. 40).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:230421B8AV1.21.0
Fundstelle(n):
OAAAH-80573