BGH Beschluss v. - 1 StR 639/19

Absehen von der Anordnung einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt: Fehlende Erfolgsaussicht bei fehlender Therapiebereitschaft des Angeklagten

Gesetze: § 64 S 2 StGB, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Ravensburg Az: 26 Js 3812/19 - 7 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, jeweils in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und eine Einziehungsanordnung getroffen. Die hiergegen vom Angeklagten mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts geführte Revision erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Verfahrensbeanstandung greift aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durch.

32. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils lässt hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs sowie der Einziehungsanordnung keinen Rechtsfehler erkennen.

43. Das Urteil hält indes rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat.

5a) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der 32-jährige Angeklagte bereits in seinem Heimatland Gambia regelmäßig in seiner Freizeit bis zu fünf Gramm Marihuana am Tag, sofern das Betäubungsmittel für ihn verfügbar war. Sein Arbeitsverdienst in einem Restaurant ließ dies angesichts der dortigen niedrigen Preise für Cannabis finanziell zu. Er verließ Gambia im Jahr 2011 und kam schließlich 2015 ins Bundesgebiet. Der von ihm gestellte Asylantrag wurde abgelehnt. Seinen Betäubungsmittelkonsum setzte er in Deutschland wie in der Vergangenheit fort. Er arbeitete seit 2017 bis zu seiner Festnahme im März 2019 im Zweischichtbetrieb als Feuerverzinker und erzielte ein monatliches Bruttoeinkommen von 1.800 Euro. Seit Januar 2018 bezog er aus Spanien insgesamt 22,4 kg Marihuana, das er gewinnbringend weiterverkaufte. Zugleich rauchte er weitere 2,1 kg Marihuana - 150 Gramm pro Monat - selbst. Den Eigenkonsum finanzierte er durch seinen Betäubungsmittelhandel. Anlässlich seiner Festnahme wurden weitere 5,8 kg Marihuana sichergestellt, wovon 300 Gramm zum Konsum für den Angeklagten bestimmt waren.

6b) Die sachverständig beratene Strafkammer hat einen Hang im Sinne von § 64 StGB verneint. Eine körperliche oder psychische Betäubungsmittelabhängigkeit liege beim Angeklagten nicht vor, sondern lediglich ein Cannabismissbrauch. Er habe sowohl seinen Konsum steuern als auch seine Verkaufstätigkeit steigern können. Entzugssyndrome habe er „nicht geltend“ gemacht. Beeinträchtigungen während seiner Arbeitstätigkeit und im sozialen Bereich seien nicht erkennbar. Darüber hinaus sei ein symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang und Taten zweifelhaft, weil er durch seinen Betäubungsmittelhandel seinen Lebensunterhalt finanziert und seine Familie in seiner Heimat unterstützt habe; der Konsum von Cannabis stelle sich lediglich als „Nebenprodukt“ dar. Schließlich seien auch keinerlei Erfolgsaussichten für eine Therapie beim Angeklagten gegeben; er habe keine Krankheitseinsicht und sehe keinen Handlungsbedarf. Seinen Konsum von Marihuana betrachte er als eine Art „Drogen-lifestyle“.

7c) Die Ausführungen des Landgerichts lassen besorgen, dass es rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.

8aa) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist dann gegeben, wenn der Täter aufgrund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. Rn. 7; Urteil vom - 2 StR 329/04 Rn. 10). Eine soziale Gefährdung oder soziale Gefährlichkeit kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Täter Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden, sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität ( Rn. 10). Ebenso wenig steht die Tatsache, dass der Täter kurzzeitig in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder sogar einzustellen, dem Vorliegen eines Hanges entgegen ( Rn. 10).

9bb) Gemessen daran legt bereits der von der Strafkammer angenommene tägliche Konsum des Angeklagten von bis zu fünf Gramm Marihuana die Annahme eines beim Angeklagten bestehenden Hanges nahe. Trotz seiner Erwerbstätigkeit kann mit Blick auf die verfahrensgegenständlichen Taten, die sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckten und auch erhebliche Betäubungsmittelmengen für den Eigenkonsum betrafen, die Ursächlichkeit des jahrelangen Missbrauchs von Cannabis für die soziale Gefährdung und soziale Gefährlichkeit des Angeklagten nicht verneint werden. Bestätigt wird dies insbesondere durch den Umstand, dass der Angeklagte bei seiner Festnahme durch seinen Drogenkonsum dermaßen berauscht war, dass eine Beschuldigtenvernehmung zunächst nicht durchführbar war.

10d) Auch die Begründung, mit der das Landgericht einen symptomatischen Zusammenhang zwischen Taten und Hang verneint, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Schon der Umstand, dass der Angeklagte mit der Handelsmenge zugleich die Eigenbedarfsmenge erworben hat, legt einen solchen Zusammenhang nahe. Dem steht nicht entgegen, dass er mit dem gehandelten Marihuana auch seinen Lebensunterhalt finanziert und seine Familie in seiner Heimat unterstützt hat.

11e) Des Weiteren ist die fehlende Therapiebereitschaft des Angeklagten für sich genommen kein Grund, von der Anordnung einer Unterbringung gemäß § 64 StGB abzusehen (vgl. Rn. 5). Ob der Schluss von einem Mangel an Therapiebereitschaft auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht tragfähig ist, lässt sich nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonst maßgeblichen Umstände beurteilen. Hierbei hat das Landgericht nicht geprüft, ob eine Therapiebereitschaft des Angeklagten, der lediglich meint, mit seinem Drogenkonsum „kein Problem zu haben“, geweckt werden kann.

124. Die Frage der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatrichter insgesamt eine Überprüfung der Maßregelvoraussetzungen zu ermöglichen. Der Strafausspruch hat Bestand.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:310320B1STR639.19.0

Fundstelle(n):
CAAAH-80175