Europäisches Patent: Auslegung eines im Patent eigenständig definierten Merkmals– Anhängerkupplung II
Leitsatz
Anhängerkupplung II
Bei der Auslegung eines Merkmals, das im Patent eigenständig definiert wird, ist nicht allein auf generelle Zielsetzungen in der Beschreibung abzustellen. Vielmehr sind auch die konkreten Funktionen zu berücksichtigen, die diesem Merkmal bei den Ausführungsbeispielen zukommen.
Gesetze: § 69 Abs 1 EuPatÜbk
Instanzenzug: Az: I-2 U 15/18vorgehend Az: 4c O 59/16 Urteil
Tatbestand
1Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Klageerhebung eingetragene Inhaberin des am mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland angemeldeten europäischen Patents 1 557 299 (Klagepatent), das eine Anhängekupplung betrifft. Patentanspruch 1 hat nach einem Einspruchsverfahren folgenden Wortlaut (die im Einspruchsverfahren hinzugefügten Merkmale sind unterstrichen):
Anhängekupplung für Kraftfahrzeuge umfassend ein fahrzeugfestes Lagerelement (20), ein gegenüber dem fahrzeugfesten Lagerelement (20) von einer Arbeitsstellung (A) in eine Ruhestellung (R) und umgekehrt bewegbares Anhängeelement (30), welches eine Kupplungskugel (34) und einen die Kupplungskugel (34) an einem ersten Ende (36) tragenden Kugelhals (32) umfasst, und eine eine Fixierstellung und eine Freigabestellung aufweisende Fixiereinrichtung (80), mit welcher das bewegbare Anhängeelement (30) mindestens in der Arbeitsstellung (A) durch die Fixierstellung an dem Lagerelement (20) fixierbar ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
das Anhängeelement (30) in der Freigabestellung mittels eines dreiachsig schwenkbaren Gelenks (40) gelenkig mit dem Lagerelement (20) verbunden ist, dass das dreiachsig schwenkbare Gelenk ein Kugelgelenk (40) ist, dass das Kugelgelenk (40) eine von einem der Elemente (30, 20) umfasste Gelenkkugel (54) und eine vom anderen der Elemente (20, 30) umfasste, die Gelenkkugel (54) aufnehmende Gelenkpfanne (60) aufweist und dass das Kugelgelenk (40) in der Fixierstellung durch Anhängelasten bedingte Kräfte aufnimmt und diese auf das Lagerelement (20) überträgt.
2Die Beklagte vertreibt in Deutschland Anhängekupplungen mit einem Gelenk, das einen Verschwenkvorgang ermöglicht, wie er in der nachfolgend wiedergegebenen Zeichnung schematisch dargestellt ist.
3Hierzu ist das am Fahrzeug befestigte Ende der Kupplung mit Nuten und Verzahnungen versehen, die in der nachfolgend wiedergegebenen Zeichnung schematisch dargestellt sind.
4Nach Auffassung der Klägerin machen diese Anhängekupplungen von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
5Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zu Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung verurteilt und festgestellt, dass sie der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet ist. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Gründe
6Die zulässige Revision hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
7I. Das Klagepatent betrifft eine Anhängekupplung.
81. Nach den Angaben der Klagepatentschrift war im Stand der Technik aus der deutschen Offenlegungsschrift 196 12 959 eine Anhängekupplung bekannt, bei der das Anhängeelement um eine schräg im Raum stehende Schwenkachse gegenüber dem Lagerelement verschwenkbar ist. Die Klagepatentschrift kritisiert daran, dass mit der um nur eine Achse möglichen Verschwenkbarkeit Raumverhältnisse vorausgesetzt werden, die nicht an jedem Kraftfahrzeug vorzufinden sind.
92. Das Klagepatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, eine Anhängekupplung zur Verfügung zu stellen, die in einfacher Weise bei unterschiedlichsten Raumverhältnissen einsetzbar ist.
103. Zur Lösung schlägt Patentanspruch 1 eine Anhängekupplung mit folgenden Merkmalen vor:
1. Anhängekupplung für Kraftfahrzeuge umfassend
2. ein fahrzeugfestes Lagerelement (20),
3. ein Anhängeelement (30),
a) welches gegenüber dem fahrzeugfesten Lagerelement (20) von einer Arbeitsstellung (A) in eine Ruhestellung (R) und umgekehrt bewegbar ist und
b) welches eine Kupplungskugel (34) und einen die Kupplungskugel (34) an einem ersten Ende (36) tragenden Kugelhals (32) umfasst, und
4. eine Fixiereinrichtung (80),
a) welche eine Fixierstellung und eine Freigabestellung aufweist,
b) mit welcher das bewegbare Anhängeelement (30) mindestens in der Arbeitsstellung (A) durch die Fixierstellung an dem Lagerelement (20) fixierbar ist.
5. Das Anhängeelement (30) ist in der Freigabestellung mittels eines Gelenks (40) gelenkig mit dem Lagerelement (20) verbunden.
a) Das Gelenk ist dreiachsig schwenkbar und
b) ein Kugelgelenk (40),
aa) welches eine von einem Element (30, 20) umfasste Gelenkkugel (54) und eine vom anderen der Elemente (20, 30) umfasste, die Gelenkkugel (54) aufnehmende Gelenkpfanne (60) aufweist.
bb) Das Kugelgelenk (409) nimmt in der Fixierstellung durch Anhängelasten bedingte Kräfte auf und überträgt diese auf das Lagerelement.
114. Ein in der Beschreibung des Klagepatents geschildertes Ausführungsbeispiel ist in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 2 und 3 schematisch dargestellt.
12Das Anhängeelement (30), das unter anderem einen Kugelhals (32) und eine hinter dem Stoßfänger (18) liegende Kupplungskugel (34) aufweist, kann aus einer Arbeitsstellung (A) in eine Ruhestellung (R) verschwenkt werden. In der Ruhestellung (R) erstreckt sich der Kugelhals (32) zwischen der Rückseite (14) des unteren Fahrzeug-Heckbereichs (16) und dem Stoßfänger (18) und wird von diesem im Wesentlichen überdeckt (Abs. 75). Um diese Verschwenkung zu ermöglichen, ist das Anhängeelement (30) mit "einem als Ganzes mit (40) bezeichneten im Raum um drei senkrecht zueinander verlaufende Achsen, das heißt dreiachsig, schwenkbaren Gelenk an dem Lagerelement (20)" gelagert (Abs. 76). Dieses Gelenk erlaubt es, den Kugelhals (32) so weit in einer von der Kupplungskugel (34) wegweisenden Richtung (44) zu verschwenken, dass sich die Kugel (34) in einer Richtung (46) zur Fahrbahn (48) hin in eine Tauchstellung (T) absenken lässt. In der Tauchstellung (T) lässt sich die Kupplungskugel (34) um eine Drehachse (50) drehen und unter der Unterkante (38) des Stoßfängers (18) hindurchbewegen (Abs. 76).
13Das dreiachsig schwenkbare Gelenk (40) besteht vorzugsweise aus einem Gelenkgehäuse (52), in dem eine Gelenkkugel (54) angeordnet ist, die im ihren Kugelmittelpunkt (62) allseits schwenkbar gelagert ist (Abs. 78).
14II. Das Berufungsgericht hat die Abweisung der Klage im Wesentlichen wie folgt begründet:
15Die dreiachsige Verschwenkbarkeit gemäß Merkmal 5 a gewährleiste eine Vielzahl von Schwenkbewegungen, um den unterschiedlichsten Raumverhältnissen an Kraftfahrzeugen gerecht zu werden.
16Bei der Auslegung des Merkmals 5 a gehe der Fachmann, ein Maschinenbauingenieur mit vertieften Kenntnissen der Getriebelehre und mehrjähriger Erfahrung in der Konstruktion von schwenkbaren Anhängekupplungen, von einem in der Fachsprache fest etablierten Verständnis aus, demzufolge jeder Gelenktyp sich durch einen ihm eigenen Gelenkfreiheitsgrad auszeichne. Damit werde im Falle einer Drehbeweglichkeit die Zahl der Drehachsen bezeichnet, um die relative Einzelbewegungen der Gelenkglieder im Verhältnis zueinander stattfinden könnten. Demnach besage der Begriff eines dreiachsig schwenkbaren Gelenks (Merkmal 5 a) folgerichtig, dass das Anhängeelement gegenüber dem Lagerelement um drei verschiedene Drehachsen beweglich sei.
17Die Beschreibung des Klagepatents definiere ein dreiachsig schwenkbares Gelenk als im Raum um drei senkrecht zueinander verlaufende Achsen schwenkbar. Dies bedeute ebenfalls, dass das Gelenk drei Freiheitsgrade für eine Verschwenkung des Anhängeelements aufweisen müsse. Soweit die Beschreibung eine senkrechte Anordnung der drei Achsen schildere, sei dies einer speziellen Ausgestaltung geschuldet, die fakultativ sei und nicht in Merkmal 5 a hineininterpretiert werden dürfe. Hingegen umschreibe die Schwenkbarkeit um drei Raumachsen allgemein, was ein dreiachsiges schwenkbares Gelenk ausmache. Dies leuchte dem Fachmann auch deshalb ein, weil mit jedem weiteren Freiheitsgrad die angestrebte Einsatzflexibilität der patentgemäßen Schwenkkupplung steige und das Anliegen des Klagepatents gerade in dieser Hinsicht außerordentlich ambitioniert sei.
18Bei der angegriffenen Ausführungsform sei Merkmal 5 a nicht verwirklicht, weil das Gelenk wegen der Bahnführungsmittel nur zwei Freiheitsgrade aufweise.
19III. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
20Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts setzt eine dreiachsige Verschwenkbarkeit im Sinne von Merkmal 5 a nicht voraus, dass das Gelenk drei Freiheitsgrade aufweist. Vielmehr genügt es, dass das Anhängeelement um drei Achsen verschwenkt werden kann.
211. Wie auch das Berufungsgericht im Ausgangspunkt nicht verkannt hat, ist die Auslegung eines Patentanspruchs auch dann geboten, wenn dessen Wortlaut nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder Fachverständnis eindeutig zu sein scheint.
22Ziel der Auslegung ist nicht ein bloß philologisches Verständnis. Zu ermitteln ist vielmehr der technische Sinngehalt des Patentanspruchs. Aus der Beschreibung und den Zeichnungen, die gemäß Art. 69 Abs. 1 Satz 2 EPÜ zur Auslegung heranzuziehen sind, kann sich ergeben, dass die Patentschrift Begriffe eigenständig definiert und insoweit ein patenteigenes Lexikon darstellt (, GRUR 1999, 909, 912 zu II 3 c - Spannschraube; Urteil vom - X ZR 43/13, GRUR 2015, 875 Rn. 16 - Rotorelemente).
232. Nach diesen Grundsätzen ist ein Gelenk schon dann als dreiachsig schwenkbar im Sinne von Merkmal 5 a anzusehen, wenn es eine Verschwenkung des Anhängeelements um drei unterschiedliche Raumachsen ermöglicht - unabhängig davon, ob die einzelnen Schwenkbewegungen gleichzeitig oder nur hintereinander möglich sind.
24a) Wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, nimmt das Klagepatent hinsichtlich des Begriffs "dreiachsig schwenkbar" weder auf einen allgemeinen technischen Sprachgebrauch noch auf die Zahl der gleichzeitig möglichen Freiheitsgrade Bezug. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Funktion, die dem so definierten Gelenk zukommt.
25Nach der Beschreibung hat das dreiachsig schwenkbare Gelenk die Funktion, den Kugelhals (32) unter dem Stoßfänger (38) hindurch in die hinter diesem gelegene Ruheposition (R) zu verbringen (Abs. 76 Z. 2-5; Abs. 7 Z. 41-44). Die Ausgestaltung als Kugelelement mit einer allseits schwenkbar gelagerten Gelenkkugel, die drei Freiheitsgrade im Sinne des vom Berufungsgericht festgestellten allgemeinen technischen Sprachgebrauchs ermöglicht, wird nur als bevorzugte Ausführungsform bezeichnet (Abs. 78). Zwingend erforderlich ist diese Anzahl an Freiheitsgraden bei dem in den Figuren 2 und 3 dargestellten Ausführungsbeispiel nicht.
26Bei diesem Ausführungsbeispiel wird die mit der Erfindung angestrebte Funktion durch drei aufeinanderfolgende Teilbewegungen verwirklicht, bei denen das Anhängeelement (30) jeweils nur um eine Achse verschwenkt wird. Das Anhängeelement (30) muss damit zwar bezogen auf das Fahrzeug und den umgebenden Raum um drei Achsen verschwenkbar sein. Bezogen auf das Gelenk (40) genügt hingegen eine Verschwenkbarkeit um zwei Achsen, weil sich die Ausrichtung jeder Schwenkachse bei einer Verschwenkung um eine andere Achse verändert.
27Diese funktionale Beschreibung spricht dafür, dass ein dreiachsig schwenkbares Gelenk im Sinne von Merkmal 5 a unabhängig vom allgemeinen technischen Sprachgebrauch lediglich diejenigen Freiheitsgrade aufweisen muss, die erforderlich sind, um die angestrebte Bewegung des Anhängeelements zu ermöglichen.
28b) Für dieses Verständnis spricht zudem die in diesem Zusammenhang in der Beschreibung verwendete Formulierung, wonach ein dreiachsiges Gelenk "im Raum" um drei orthogonale Achsen schwenkbar sein muss (Abs. 76 Z. 6 f.).
29Wie bereits oben dargelegt wurde, ermöglicht auch ein Gelenk mit nur zwei Freiheitsgraden, dass das Anhängeelement (30) bezogen auf den Raum zeitlich versetzt um drei Achsen verschwenkt werden kann, wie dies im Ausführungsbeispiel beschrieben ist.
30c) Vor diesem Hintergrund ergeben sich aus den allgemeinen Ausführungen in der Beschreibung des Klagepatents, wonach die patentgemäße Vorrichtung eine Vielzahl von Schwenkbewegungen ermöglicht (Abs. 7), keine weitergehenden Anforderungen.
31Diesen Ausführungen lässt sich zwar die generelle Zielsetzung des Klagepatents entnehmen. In welcher Weise und in welchem Umfang diese Zielsetzung zu verwirklichen ist, ist aber durch Auslegung des Patentanspruchs zu bestimmen. Hierbei darf auch bei einer weitreichenden Zielvorgabe in den einleitenden Bemerkungen der Beschreibung nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass das Patent eine optimale Verwirklichung dieser Ziele fordert. Vielmehr sind auch die in der Beschreibung geschilderten Ausführungsbeispiele zu berücksichtigen, die in der Regel dazu dienen, den Gegenstand, für den Schutz beansprucht wird, anhand seiner technischen Funktionen zu verdeutlichen. Zwar kann sich aus dem Gesamtinhalt der Patentschrift im Einzelfall ergeben, dass einzelne oder sogar alle in der Beschreibung geschilderten Ausführungsbeispiele nicht alle im Patentanspruch vorgesehenen Merkmale verwirklichen. Sofern sich vermeintliche Widersprüche, die sich aus dem Wortlaut oder dem allgemeinen technischen Verständnis ergeben könnten, durch eine an einem sinnvollen Zusammenhang orientierte Auslegung vermeiden lassen, gebührt diesem Verständnis aber grundsätzlich der Vorrang (, GRUR 2015, 972 Rn. 22 - Kreuzgestänge; Urteil vom - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 = GRUR 2011, 701 Rn. 24 - Okklusionsvorrichtung; Urteil vom - Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 Rn. 27 - Gelenkanordnung; Urteil vom - X ZR 95/05, BGHZ 180, 215 = GRUR 2009, 653 Rn. 16 - Straßenbaumaschine).
32Im Streitfall würde ein Gelenk mit drei Freiheitsgraden eine noch weitergehende Flexibilität ermöglichen. Dem Umstand, dass die Beschreibung des Streitpatents auch ein Ausführungsbeispiel, bei dem dieses Optimum nicht erreicht wird, als erfindungsgemäß schildert, und dass der Patentanspruch ein darüber hinausgehendes Maß an Flexibilität nicht vorsieht, ist jedoch zu entnehmen, dass es ausreicht, wenn das Anhängeelement bezogen auf den Raum um drei Achsen verschwenkbar ist.
33d) Schließlich enthält der Begriff einer dreiachsigen Verschwenkbarkeit auch keine Vorgabe, das Gelenk mit oder ohne eine Bahnführung zu realisieren.
34Patentanspruch 1 überlässt die Art und Weise, in der die Verschwenkung um (bezogen auf den Raum) drei Achsen durchgeführt wird, dem Fachmann. Merkmal 5 a ist angesichts dessen auch dann verwirklicht, wenn mit Hilfe einer Bahnführung ein bestimmter Bewegungsvorgang fest vorgegeben ist, sofern dieser zumindest eine zeitlich aufeinanderfolgende Verschwenkung um drei unterschiedliche Raumachsen umfasst.
35e) Diese Auslegung steht nicht in Widerspruch zur Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts.
36Die Einspruchsabteilung hat die (gemäß Art. 54 Abs. 3 EPÜ nur für die Neuheitsprüfung relevante) europäische Patentanmeldung 1 533 149 als nicht neuheitsschädlich angesehen, weil dort zwar eine Gelenkkugel offenbart ist, nicht aber ein dreiachsig schwenkbares Element (Beschluss vom , S. 9 oben). Diese Beurteilung erweist sich auf der Grundlage der vom Senat zugrunde gelegten Auslegung als zutreffend. Das in der Entgegenhaltung offenbarte Gelenk ermöglicht nur Drehbewegungen um eine Achse sowie leichte Taumelbewegungen um eine zweite Achse, nicht hingegen eine Verschwenkung um drei Raumachsen im oben aufgezeigten Sinn.
373. Ausgehend von dieser Auslegung ist Merkmal 5a bei der angegriffenen Ausführungsform wortsinngemäß verwirklicht.
38Nach den insoweit nicht angefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts wird das Anhängeelement der angegriffenen Ausführungsform zunächst horizontal quer zur Fahrzeuglängsrichtung, sodann vertikal und schließlich horizontal in Fahrzeuglängsrichtung verschwenkt. Dies ist bezogen auf den Raum eine Verschwenkung um drei unterschiedliche Achsen.
39Ob der bei der angegriffenen Ausführungsform gewählte Bewegungsablauf in jeder Hinsicht mit dem im ersten Ausführungsbeispiel des Klagepatents geschilderten Ablauf übereinstimmt, ist unerheblich. Patentanspruch 1 enthält keine Festlegung auf den beispielhaft geschilderten Bewegungsablauf. Er lässt es vielmehr genügen, wenn eine Verschwenkung um drei unterschiedliche Raumachsen stattfindet.
40IV. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig.
41Bei der angegriffenen Ausführungsform ist auch das Merkmal 5b verwirklicht.
421. Entgegen der Auffassung der Berufungserwiderung ist auch für die Auslegung des Begriffs "Kugelgelenk" nicht der allgemeine technische Sprachgebrauch ausschlaggebend, wie er etwa in der VDI-Richtlinie 2156 zum Ausdruck kommt. Vielmehr ist auch insoweit die Funktion maßgeblich, die das Streitpatent dem so bezeichneten Gelenk beimisst.
432. Danach genügt zur Verwirklichung der Merkmalsgruppe 5 b ein Gelenk, das aus einer Kugel und einer diese umgebende Gelenkpfanne besteht und damit die Voraussetzungen für eine dreiachsige Schwenkbewegung im Sinne von Merkmal 5 a schafft.
44a) Die Ermöglichung einer solchen Schwenkbewegung ist die Funktion, zu deren Verwirklichung das Streitpatent ein dreiachsiges Gelenk und vorzugsweise ein Kugelgelenk einsetzt. Folglich ist ein Gelenk unabhängig vom allgemeinen Sprachgebrauch als Kugelgelenk anzusehen, wenn es diese Funktion verwirklicht.
45b) Vor diesem Hintergrund führt der Umstand, dass ein Gelenk mit einer allseits schwenkbar gelagerten Gelenkkugel in der bereits oben zitierten Passage der Beschreibung (Abs. 78) als vorzugswürdig bezeichnet wird, nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
46Eine allseits schwenkbare Lagerung ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts und dem Vorbringen der Revisionserwiderung nach allgemeinem Sprachgebrauch eine für Kugelgelenke charakteristische Eigenschaft. In der Beschreibung des Streitpatents werden das Vorhandensein einer Gelenkkugel und einer diese aufnehmenden Gelenkpfanne sowie die allseits schwenkbare Lagerung der Kugel aber nicht als zwingend zusammengehörende Merkmale geschildert. Dies steht in Einklang damit, dass eine solche Verschwenkbarkeit zur Verwirklichung der erfindungsgemäßen Funktion nicht erforderlich ist. Der Umstand, dass nur die Gelenkkugel und die Gelenkpfanne in Patentanspruch 1 Niederschlag gefunden haben, spricht angesichts dessen dafür, dass die zuletzt genannte Eigenschaft nicht zwingend vorhanden sein muss.
47V. Der Rechtsstreit ist zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
48Die Berufung gegen die Entscheidung des Landgerichts erweist sich als unbegründet.
491. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung sind zur Auslegung von Merkmal 5 b und zu der Frage, ob dieses Merkmal bei der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht ist, weder die Einholung eines Sachverständigengutachtens noch ergänzende tatrichterliche Feststellungen erforderlich.
50a) Die Auslegung des Patentanspruchs ist eine Rechtsfrage, deren Beurteilung dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist. Die für die Auslegung maßgeblichen tatsächlichen Grundlagen sind durch die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen hinreichend geklärt. Aus dem Vorbringen der Revisionserwiderung ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass zusätzliche Feststellungen erforderlich sein könnten.
51b) Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aus den insoweit nicht angefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts. Auch insoweit ist nicht ersichtlich, dass ergänzende Feststellungen in Betracht kommen.
522. Wie das Landgericht zutreffend und insoweit nicht angegriffen ausgeführt hat, sind bei der angegriffenen Ausführungsform auch alle übrigen Merkmale des Patentanspruchs 1 wortsinngemäß verwirklicht und alle weiteren Voraussetzungen für die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche gegeben.
53VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:020221UXZR170.18.0
Fundstelle(n):
BB 2021 S. 1282 Nr. 22
HAAAH-79295