Strafverfahren: Sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung eines neuerlichen Antrags auf Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers
Leitsatz
Ist ein Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers rechtskräftig abgelehnt worden, kann er einen neuerlichen inhaltsgleichen Antrag und die sofortige Beschwerde gegen dessen Ablehnung grundsätzlich nicht erfolgreich auf Umstände stützen, die bereits Gegenstand der Erstentscheidung waren, sondern nur auf solche, die sich aufgrund einer wesentlichen Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ergeben haben.
Gesetze: § 142 Abs 7 S 1 StPO, § 144 Abs 1 StPO, § 304 Abs 4 S 2 Halbs 2 Nr 1 StPO
Gründe
I.
1Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts führt gegen den Angeklagten ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung u.a. ("Gruppe S. "). Die Hauptverhandlung findet seit dem statt, wobei regelmäßig zwei Fortsetzungstermine pro Woche zunächst bis zum vorgesehen sind. Dem Angeklagten sind Rechtsanwalt R. aus W. und Rechtsanwalt Dr. F. aus B. als Pflichtverteidiger bestellt.
2Mit Schriftsatz von Rechtsanwalt Re. aus We. vom beantragte der Angeklagte, ihm jenen als "weiteren notwendigen Verteidiger beizuordnen". Durch Beschluss vom lehnte der Vorsitzende des Oberlandesgerichtssenats den Antrag ab; der Beschluss wurde den drei Rechtsanwälten am 9., 11. und zugestellt.
3Mit Schriftsatz von Rechtsanwalt Re. vom beantragte der Angeklagte erneut dessen Bestellung zum Pflichtverteidiger. Diesen Antrag lehnte der Vorsitzende des Oberlandesgerichtssenats mit Beschluss vom ab. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der sofortigen Beschwerde, die er, nachdem der Generalbundesanwalt ihre Verwerfung beantragt hatte, ergänzend begründet hat.
II.
4Die gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte (vgl. , NJW 2020, 3736 Rn. 8) und auch im Übrigen zulässige (§ 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1 und 2 StPO) sofortige Beschwerde ist unbegründet.
51. Ihrem Erfolg in der Sache steht bereits die Rechtskraft des vorausgegangenen entgegen.
6Nach der seit dem geltenden Vorschrift des § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers oder ihre Ablehnung mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Gemäß § 311 Abs. 2 StPO ist das Rechtsmittel binnen einer Woche nach der Bekanntmachung (§ 35 StPO) der Entscheidung einzulegen. Nach Ablauf der Wochenfrist erwächst das Erkenntnis in Rechtskraft. Mit der Ausgestaltung des Rechtsmittels als sofortiger Beschwerde wollte der Gesetzgeber erreichen, dass im Vergleich zur alten Rechtslage "schneller Klarheit herrscht"; es soll verhindert werden, dass die Beschwerde "zu irgendeinem Zeitpunkt im späteren Verfahren" eingelegt wird "und dann zu einer Verfahrensverzögerung führen kann" (BT-Drucks. 19/13829 S. 44).
7Mit diesem gesetzgeberischen Anliegen ist es unvereinbar, wenn der Angeklagte, dessen Antrag auf Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers abgelehnt worden ist, nach Eintritt der Rechtskraft aufgrund eines neuerlichen inhaltsgleichen Antrags eine Neubeurteilung der Sach- und Rechtslage durch das Ausgangsgericht und anschließend durch das Beschwerdegericht erwirken könnte. Vielmehr ist in Bedacht zu nehmen, dass nach allgemeinen Grundsätzen die nachträgliche Änderung oder Aufhebung rechtskräftiger Erkenntnisse nur ausnahmsweise in Betracht kommt (vgl. LR/Matt, StPO, 26. Aufl., Vor § 304 Rn. 55 ff.). Daher kann der Angeklagte den weiteren Antrag auf Pflichtverteidigerbeiordnung und die sofortige Beschwerde gegen dessen Ablehnung grundsätzlich nicht erfolgreich auf Umstände stützen, die bereits Gegenstand der Erstentscheidung waren, anderenfalls diese Entscheidung trotz des Eintritts der Rechtskraft der Sache nach einer rechtlichen Kontrolle unterzogen würde. Vielmehr ist der Erfolg davon abhängig, dass sich eine wesentliche Veränderung der zugrundeliegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ergeben hat. Solches ist hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
82. Ungeachtet dessen begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass der Vorsitzende des Oberlandesgerichtssenats die Bestellung eines dritten Verteidigers nicht als im Sinne des § 144 Abs. 1 StPO zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich erachtet hat. Der Vorsitzende hat die Grenzen seines Beurteilungsspielraums zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift nicht überschritten (zu deren Auslegung und zum vom Beschwerdegericht anzulegenden Prüfungsmaßstab vgl. , NJW 2020, 3736 Rn. 12 ff., 15 ff.).
9Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
– Die lediglich abstrakte Gefahr einer Infektion mit dem Covid-19-Virus, die aktuell für die Bevölkerung insgesamt zum allgemeinen Lebensrisiko gehört (s. , NStZ-RR 2021, 22, 23), führt nicht dazu, dass die Entscheidung des Vorsitzenden des Oberlandesgerichtssenats, keinen dritten (Sicherungs-)Verteidiger zu bestellen, als unvertretbar zu bewerten wäre (vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom - 5 StS 1/20, NStZ 2021, 123 Rn. 17; hierzu , juris Rn. 4).
– Eine Gleichbehandlung mit dem Mitangeklagten K. kann der Beschwerdeführer schon deswegen nicht mit Erfolg geltend machen, weil - ausweislich des mit der abschließenden Stellungnahme vorgelegten Beiordnungsbeschlusses vom - der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts aufgrund konkreter Umstände in der Person eines der Verteidiger dieses Mitangeklagten besorgt hat, dass eine durchgehende Verteidigung durch ihn nicht gewährleistet ist.
Schäfer Berg Erbguth
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:210421BSTB17.21.0
Fundstelle(n):
NJW 2021 S. 1894 Nr. 26
PAAAH-78264