Verständigung im Strafverfahren: Umfang der Mitteilungspflicht zu Verständigungsgesprächen
Gesetze: § 243 Abs 4 S 1 StPO, § 243 Abs 4 S 2 StPO, § 257c Abs 3 S 1 StPO, § 337 StPO
Instanzenzug: LG Erfurt Az: 620 Js 19250/18
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe sowie in weiterer Tateinheit mit fahrlässigem unerlaubtem Besitz einer verbotenen Waffe und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Einziehung des Wertersatzes von Taterträgen in Höhe von 15.885 Euro angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge einer Verletzung von Hinweispflichten des Gerichts Erfolg, so dass es auf die weiteren Rügen nicht ankommt.
I.
2Der Rüge liegt nach dem durch den Inhalt des Protokolls der Hauptverhandlung belegten Revisionsvorbringen folgendes Prozessgeschehen zu Grunde:
3Der Vorsitzende der Strafkammer stellte nach Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung fest, dass Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung nicht stattgefunden hätten. Daraufhin erklärte der Verteidiger des Angeklagten, dass vor Beginn der Hauptverhandlung zwischen ihm und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft ein Gespräch stattgefunden hätte, das zu keinem Ergebnis geführt habe. Anschließend erörterte das Gericht die Sach- und Rechtslage mit den Verfahrensbeteiligten. Die Hauptverhandlung wurde um 09.28 Uhr unterbrochen und um 10.16 Uhr fortgesetzt. In der Zwischenzeit fanden auf Anregung der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers Erörterungen „gemäß § 257c StPO“ statt. Dazu teilte der Vorsitzende mit, dass die Strafkammer im Fall einer geständigen Einlassung des Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe mit einem Strafrahmen von sechs bis sechseinhalb Jahren als tat- und schuldangemessen erachte. Eine Absprache zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung sei aber nicht erfolgt.
4Die Revision rügt unter anderem, der Vorsitzende habe nicht mitgeteilt, warum die Verständigung nicht zustande gekommen sei; über Äußerungen der Verfahrensbeteiligten sei im Hinweis des Vorsitzenden nichts ausgesagt worden.
II.
5Die Verfahrensrüge hat Erfolg.
61. Die Rüge ist zulässig im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
7Auf den Inhalt des Gesprächs zwischen dem Verteidiger und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft vor Beginn der Hauptverhandlung kommt es für die Frage der Verletzung einer Hinweispflicht des Gerichts nicht an, weshalb dieser von der Revision nicht dargelegt werden musste. Sie musste auch nicht den Inhalt der Erörterungen während der Unterbrechung der Hauptverhandlung mitteilen. Das war - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - auch nicht soweit erforderlich, dass der Senat erkennen kann, ob es sich um Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung gehandelt hat; denn die Revision hat den Inhalt des Protokolls der Hauptverhandlung vorgetragen, wonach „Gespräche gemäß § 257c StPO geführt wurden“. Daraus ist zu entnehmen, dass es auch nach der Beurteilung des Landgerichts um Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung ging.
82. Bei dieser Verfahrenslage ist § 243 Abs. 4 Satz 2 in Verbindung mit § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO verletzt.
9a) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende des Gerichts mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch im Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. Sie ist selbst dann zu beachten, wenn es um erfolglos geführte Gespräche geht, in deren Verlauf keine Verständigung zustande gekommen ist (vgl. Senat, Urteil vom - 2 StR 381/13, BGHSt 59, 252, 255).
10Die Pflicht zur Mitteilung der mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche erstreckt sich auf die Darlegung, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden und auf welche Resonanz diese bei den anderen Beteiligten gestoßen sind (vgl. , BVerfGE 133, 168, 215 f.; Senat, Beschluss vom - 2 StR 367/16, NStZ 2017, 244; Urteil vom - 2 StR 381/13, NStZ 2014, 601; Beschluss vom - 2 StR 417/18, StV 2019, 377 f.; , BGHSt 60, 150, 152; Beschluss vom - 4 StR 470/14, NStZ 2015, 353).
11b) Gemessen daran genügte die Mitteilung des Standpunktes des Gerichts zur Straferwartung im Fall eines Geständnisses sowie des Ausbleibens einer Übereinstimmung unter den Verfahrensbeteiligten den Anforderungen des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht.
12c) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler.
13Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verfahrensfehler und dem Schuldspruch kann nicht ausgeschlossen werden. Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung vom durch Bezugnahme auf eine Erklärung seines Verteidigers zur Sache eingelassen; dem ist die Strafkammer nur zum Teil gefolgt. In den Terminen vom 5. März und hat er sich zu seinem Drogenkonsum geäußert. Diese Einlassung hat die Strafkammer als widerlegt angesehen. Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte anders oder weitergehend zur Tat-, Schuld- und Rechtsfolgenfrage ausgesagt hätte, wenn er den nicht offen gelegten Inhalt der Erörterungen in seiner Abwesenheit gekannt hätte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:160920B2STR459.19.0
Fundstelle(n):
wistra 2021 S. 294 Nr. 7
FAAAH-76604