Anforderungen an Urteilsgründe und Urteilstenor bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und bei Anordnung der Einziehung: Abgrenzung zwischen Abhängigkeit und Hang zum übermäßigen Rauschmittelgenuss; gesamtschuldnerische Haftung bei Einziehung; Schätzung des Wertes des Erlangten
Gesetze: § 25 Abs 2 StGB, § 64 StGB, § 73 StGB, §§ 73ff StGB, § 73d Abs 2 StGB, § 242 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Magdeburg Az: 21 KLs 10/18
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des Raubes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung schuldig gesprochen, den Angeklagten U. in weiterer Tateinheit mit Körperverletzung und den Angeklagten B. „in Tatmehrheit mit Diebstahl“. Den Angeklagten U. hat es zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, den Angeklagten W. unter Einbeziehung einer früher gegen ihn verhängten Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten und den Angeklagten B. unter Einbeziehung von früher gegen ihn verhängten Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten. „Darüber hinaus“ hat das Landgericht den Angeklagten B. „wegen Diebstahls“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Ferner hat es gegen die Angeklagten jeweils die Einziehung „des Wertersatzes in Höhe von 1.750 Euro“ sowie gegen den Angeklagten B. außerdem die Einziehung „des Wertersatzes in Höhe von 400 Euro“ angeordnet. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben mit den Sachrügen in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verfahrensrügen dringen aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
32. Die Schuldsprüche halten sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Insbesondere die Verurteilung der Angeklagten wegen Raubes im Fall II. 1. der Urteilsgründe stößt auf keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der von § 249 Abs. 1 StGB vorausgesetzte finale Zusammenhang zwischen dem Einsatz des Nötigungsmittels und der Wegnahme (vgl. dazu etwa , BGHSt 20, 32, 33; Beschlüsse vom - 3 StR 3/06, NStZ 2006, 508; vom - 3 StR 68/12, NStZ-RR 2012, 270, jeweils mwN) lässt sich zumindest dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen.
4Das Landgericht hat im Urteilstenor indes nicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass der Angeklagte B. im Fall II. 1. der Urteilsgründe lediglich des Raubes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und im Fall II. 2. der Urteilsgründe des Diebstahls schuldig ist. Der Senat stellt den Schuldspruch gegen diesen Angeklagten deshalb klar.
53. Der Strafausspruch gegen den Angeklagten B. im Fall II. 2. der Urteilsgründe hat keinen Bestand. Die Strafkammer ist unzutreffend davon ausgegangen, dass der gemäß § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB eröffnete Strafrahmen, wonach die Tat mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bedroht ist, eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr vorsieht.
6Auf diesem Rechtsfehler beruht der Strafausspruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe. Da die Strafkammer die verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten dem unteren Bereich des von ihr zugrunde gelegten Strafrahmens entnommen hat, ist nicht auszuschließen, dass sich die fehlerhafte Bestimmung der Mindeststrafe zu Lasten des Angeklagten auf die Strafzumessung ausgewirkt hat.
7Die der Strafzumessung zugehörigen Feststellungen werden von dem Rechtsfehler nicht berührt und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
84. Die Entscheidung, von der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.
9a) Die sachverständig beratene Strafkammer hat in Bezug auf alle Angeklagten einen Hang verneint, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Zur Begründung hat sie ausgeführt:
10Sie habe insoweit keine „durchgreifenden“ Feststellungen getroffen. Zwar habe sie berücksichtigt, dass es im Hinblick auf die Feststellungen zur Person der Angeklagten Anhaltspunkte für den Konsum von Alkohol und Betäubungsmitteln gebe. Nicht festgestellt habe sie aber, dass „eine Abhängigkeit“ vorliege, welche „die Qualität des ‚Hanges‘ im Sinne des § 64 StGB“ erfülle. Der Sachverständige habe angegeben, dass er „durchaus Anhaltspunkte für einen Alkohol- und Drogenmissbrauch“ sehe, aufgrund der fehlenden Mitwirkung der Angeklagten jedoch keine genaue Diagnose stellen könne.
11b) Diese Ausführungen tragen das Absehen von der Unterbringungsanordnung nicht. Sie lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung, ob ein Hang im Sinne des § 64 StGB vorliegt, einen unzutreffenden Maßstab angelegt hat. Dazu gilt:
12Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 604/16 Rn. 16; vom - 3 StR 645/17 Rn. 8).
13Danach schließt der Umstand, dass nach den Ausführungen der Strafkammer keine „Abhängigkeit“ der Angeklagten feststellbar ist, das Vorliegen eines Hanges nicht aus. Dazu, ob die Angeklagten ungeachtet einer etwaigen Abhängigkeit einen Hang im vorbezeichneten Sinn aufweisen, verhalten sich die Urteilsgründe nicht, obwohl sich dies aufgrund der zur Person der Angeklagten getroffenen Feststellungen aufgedrängt hätte.
14Danach wurde der Angeklagte B. im Jahr 2016 wegen Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt, weil er mehrere Tütchen mit Metamphetamin gekauft und in seiner Wohnung aufbewahrt hatte; einer weiteren Verurteilung des Angeklagten B. wegen Besitzes von Betäubungsmitteln im Jahr 2019 lag zugrunde, dass er zahlreiche Ecstasy-Tabletten erworben hatte. Der Angeklagte U. konsumierte seit dem Jahr 1998 Cannabis, später auch LSD, Ecstasy, Kokain und Heroin. Um seinen „ständig steigenden Drogenbedarf“ finanzieren zu können, „stieg er“ im selben Jahr „in den Drogenhandel ein“. Im Zusammenhang damit wurde er in den folgenden Jahren mehrfach wegen Betäubungsmitteldelikten zu Jugend- bzw. Freiheitsstrafen verurteilt und verbüßte eine mehrjährige Haftzeit. Nachdem er vor dem Haftantritt einen „kalten Entzug“ gemacht hatte, begann er nach seiner Haftentlassung wieder mit dem Konsum von Drogen und Alkohol. Zeitweise trank er „zwei bis drei Flaschen Schnaps am Tag“; seinen „erheblichen Alkoholkonsum“ konnte er erst in den letzten zwei Jahren „reduzieren“. Der Angeklagte W. schließlich unterzog sich in der Zeit vom 30. August bis einer „Entgiftung“.
15c) Die Frage der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) - neuer Verhandlung und Entscheidung. Dem steht nicht entgegen, dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. , BGHSt 37, 5). Die Beschwerdeführer haben die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
16Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt die Strafaussprüche im Fall II. 1. der Urteilsgründe unberührt. Es ist auszuschließen, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung mildere Strafen verhängt hätte.
175. Schließlich sind auch die Einziehungsentscheidungen rechtsfehlerhaft.
18a) Die jeweils gegen die Angeklagten angeordnete Einziehung „des Wertersatzes in Höhe von 1.750 Euro“ bezieht sich auf den Wert der Taterträge der Angeklagten im Fall II. 1. der Urteilsgründe. Da die Angeklagten nach den dazu vom Landgericht getroffenen Feststellungen an der durch Raub und räuberische Erpressung erlangten Beute zumindest vorübergehend Mitgewahrsam erlangten, haften sie insoweit indes nur als Gesamtschuldner (vgl. , NJW 2020, 79 Rn. 17); die gesamtschuldnerische Haftung ist im Urteilstenor zum Ausdruck zu bringen (vgl. , Rn. 16; Beschluss vom - 4 StR 57/18, Rn. 3). Der Senat ergänzt die Einziehungsentscheidung in analoger Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO entsprechend.
19b) Die gegen den Angeklagten B. außerdem angeordnete Einziehung „des Wertersatzes in Höhe von 400 Euro“ wird von den Urteilsgründen nicht getragen.
20Sie bezieht sich auf die Beute, die der Angeklagte B. bei dem Diebstahl im Fall II. 2 der Urteilsgründe erlangte. Nach den dazu getroffenen Feststellungen stahlen B. und ein Mittäter ein Fernsehgerät. Feststellungen zu dessen Wert hat das Landgericht indes nicht getroffen. Der Umstand, dass es die nicht näher begründete Einziehungsanordnung auf „§§ 73c, 73d StGB“ gestützt hat, deutet zwar darauf hin, dass es insoweit eine Schätzung gemäß § 73d Abs. 2 StGB vorgenommen hat. Den Urteilsgründen müssen jedoch die Schätzungsgrundlagen nachvollziehbar zu entnehmen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 501/18, NStZ-RR 2019, 142; vom - 3 StR 26/19 Rn. 16, jeweils mwN). Ausführungen hierzu fehlen. Sie lassen sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.
21Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird Gelegenheit haben, für die Einziehung des Wertes von Taterträgen im Fall II. 2. der Urteilsgründe eine gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten B. mit dem Mittäter in Betracht zu ziehen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:070420B6STR28.20.0
Fundstelle(n):
XAAAH-75798