Bestimmung des Inhaltsadressaten einer Prüfungsanordnung; Festsetzungsverjährung; Treu und Glauben
Leitsatz
1. Zur Inhaltsbestimmung eines Verwaltungsakts ist zwar der erklärte Wille der Behörde zu erfassen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften; allerdings ist ein in seinem Ausspruch eindeutig an einen bestimmten Adressaten gerichteter Bescheid insofern keiner Auslegung zugänglich.
2. Eine Außenprüfung, die aufgrund einer gegenüber dem Steuerpflichtigen nicht wirksam gewordenen Prüfungsanordnung durchgeführt wird, kann den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht hemmen.
3. Ist Festsetzungsverjährung eingetreten, ermöglicht es der Grundsatz von Treu und Glauben nicht, dass zu Lasten des Steuerpflichtigen ein erloschener Steueranspruch wieder auflebt; dies gilt unabhängig davon, ob dem Steuerpflichtigen der Eintritt der Verjährung „vorwerfbar“ ist oder nicht.
Gesetze: AO § 119 Abs. 1; AO § 169 Abs. 1 Satz 1; AO § 171 Abs. 4; AO § 47; BGB § 133; BGB § 242;
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I.
1 Streitig ist, ob bei Erlass der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war.
2 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betrieb in den Besteuerungszeiträumen 2004 bis 2007 (Streitjahre) eine…Klinik, bis sie aufgrund Ausgliederungs- und Übernahmevertrags vom ihr gesamtes Vermögen gegen Gewährung einer Kommanditbeteiligung an der A GmbH & Co. KG (KG) auf diese übertrug. Beide Gesellschaften gehören der sog. X-Gruppe an.
3 Ihre Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre, die Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstanden, hatte die Klägerin jeweils im zweiten nach dem jeweiligen Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahr beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) abgegeben.
4 Mit Schreiben vom informierte das FA im Vorfeld einer geplanten Umsatzsteuerprüfung bei der KG u.a. darüber, dass es davon ausgehe, dass diese als Rechtsnachfolgerin der Klägerin anzusehen sei. Am ordnete es unter Verwendung der Steuernummer der Klägerin eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) „bei der Firma A GmbH & Co. KG als RNF der B GmbH“ an. Diese —der damaligen steuerlichen Vertreterin aller Gesellschaften und Einzelpersonen der X-Gruppe bekannt gegebene— Prüfungsanordnung erging „an Sie als Empfangsbevollmächtigten mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten (§ 183 Abs. 1 AO)“. Die Außenprüfung sollte sich u.a. auf die Körperschaftsteuer und die Umsatzsteuer der Zeiträume 2003 bis 2006 erstrecken.
5 Im Einspruchsverfahren gegen die Prüfungsanordnung mit der Begründung, die Frist zwischen der Bekanntgabe der Anordnung und dem Beginn der Prüfung sei zu kurz bemessen, erklärte die steuerliche Vertreterin unter Bezugnahme auf die vom FA verwendete Adressatenbezeichnung, sie gehe davon aus, dass es sich um eine einheitliche Prüfung bei allen Gesellschaften und Einzelpersonen der X-Gruppe handele. Mit Schreiben vom erklärte sie die Rücknahme des Einspruchs. Das FA nahm mit Bescheid vom die Prüfungsanordnung für den Zeitraum 2003 zurück.
6 Am erließ das FA unter derselben Adressatenbezeichnung und Verwendung der Steuernummer der Klägerin eine „geänderte Prüfungsanordnung“, nunmehr betreffend die Zeiträume 2004 bis 2007.
7 Im Rahmen der Außenprüfung wurden der steuerlichen Vertreterin u.a. Fragen/vorläufige Feststellungen übermittelt, die als zur „Betriebsprüfung bei B GmbH“ gehörend gekennzeichnet waren. Auch die Antworten der Mitarbeiter der steuerlichen Vertreterin mit Bezug zur Steuernummer der Klägerin und zur Auftragsbuchnummer der betreffenden Außenprüfung erfolgten mit Hinweis auf die Klägerin.
8 In seinem Bericht vom „über die Außenprüfung bei der Firma B GmbH“ stellte der Prüfer zur Umsatzsteuer der Streitjahre fest, dass die Klägerin trotz Ausführung auch steuerfreier Umsätze keine Vorsteueraufteilung vorgenommen hatte. Die gebotene Aufteilung führte zu Mehrsteuern von ... € (2004), ... € (2005), ... € (2006) und ... € (2007). In der Schlussbesprechung vom wurde hinsichtlich aller Prüfungsfeststellungen Einvernehmen erzielt. Die Prüfungsfeststellungen wertete das FA mit Änderungsbescheiden vom aus.
9 Die Einsprüche, mit denen die nunmehr durch die Prozessbevollmächtigte vertretene Klägerin Festsetzungsverjährung geltend machte, wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Das Finanzgericht (FG) München wies die Klage mit Urteil vom - 2 K 33/16 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 1018) ab.
10 Mit der Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, bei Erlass der angefochtenen Steuerbescheide sei bereits Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen. Eine Prüfungsanordnung für sie, die Klägerin, fehle von Beginn an, da die Prüfungsanordnung vom bzw. an die KG adressiert gewesen sei. Hilfsweise sei die nicht an den Inhaltsadressaten gerichtete Prüfungsanordnung nichtig. Für den Fall, dass nicht von deren Nichtigkeit auszugehen sei, sei sie nicht auslegungsfähig, weil eindeutig an die KG als Inhaltsadressatin gerichtet. Soweit das FG die Prüfungsanordnung für mehrdeutig und auslegungsfähig halte, berücksichtige es unzulässigerweise Handlungen nach Ergehen der fehlerhaften Prüfungsanordnung; insbesondere könne ihr Mitwirken an der Außenprüfung nicht zu ihren Lasten gehen. Schließlich sei ihr Berufen auf die Nichtigkeit der Prüfungsanordnung entgegen der Auffassung des FG nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen.
11 Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung vom und die Umsatzsteuerbescheide für 2004 bis 2007 vom aufzuheben.
12 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
13 Es verteidigt die Vorentscheidung. Das FG habe die Prüfungsanordnung zu Recht nicht als nichtig, sondern als auslegungsfähig angesehen. Dies beruhe auf den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen und der Gesamtwürdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls, was im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden könne, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßen habe. Ein solcher Verstoß liege hier nicht vor. Die Adressierung der Prüfungsanordnung sei, soweit sie die KG als „Rechtsnachfolgerin“ in Bezug genommen habe, unter einem zivilrechtlichen Gesichtspunkt der „teilweisen Gesamtrechtsnachfolge“ bzw. „Sonderrechtsnachfolge“, den das FG hervorgehoben habe, zutreffend gewesen. Aus dieser Dualität der zivil- und steuerrechtlichen Beurteilung ergebe sich über die vom FG angeführten Punkte hinaus ein weiteres Element einer Unsicherheit und damit Auslegungsfähigkeit des Verwaltungsakts. Aus den bereits bei Bekanntgabe der Prüfungsanordnung erkennbaren Umständen zur Bestimmung des Inhaltsadressaten habe das FG zutreffend geschlossen, dass der Klägerin „klar“ gewesen sei, Adressatin der Prüfungsanordnung zu sein. Der Inhaltsadressat müsse nicht zwingend für einen Dritten aus dem Bescheid selbst oder aus beigefügten Unterlagen erkennbar sein; entscheidend sei vielmehr, ob der Inhaltsadressat durch Auslegung anhand der den Betroffenen bekannten Umstände hinreichend sicher bestimmt werden kann, was das FG hier zutreffend bejaht habe.
14 Der Grundsatz von Treu und Glauben könne nicht einseitig zulasten der Verwaltung wirken. Dies wäre jedoch der Fall, wenn eine Nichtigkeit der Prüfungsanordnung bedingt, dass diese nicht die Rechtsfolge der Ablaufhemmung zeitigen könne, und jegliches Verhalten des Steuerpflichtigen unbeachtlich sein müsse.
Gründe
II.
15 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
16 Zu Unrecht hat das FG erkannt, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist für das jeweilige Streitjahr dadurch gehemmt gewesen sei, dass vor deren Ablauf mit einer Außenprüfung begonnen wurde. Ferner ist die Klägerin entgegen der Auffassung des FG nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben daran gehindert, den Ablauf der regulären Festsetzungsfrist geltend zu machen. Die tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) reichen jedoch nicht aus, um den Streitfall abschließend zu entscheiden; das FG hat es ausdrücklich —auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung zu Recht— offengelassen, ob aufgrund Steuerhinterziehung eine verlängerte Festsetzungsfrist gilt.
17 1. Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Erlass eines Steuerbescheides nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Diese Frist begann für das Streitjahr 2004 infolge der Abgabe der gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung im Jahre 2006 mit Ablauf des , für die übrigen Streitjahre entsprechend mit Ablauf des , des bzw. des (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Die reguläre Festsetzungsfrist endete gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO jeweils nach vier Jahren mit Ablauf des , des , des bzw. des , sofern ihr Ablauf nicht nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO durch den Beginn der Außenprüfung, die sich auf die steuerlichen Verhältnisse der Streitjahre erstreckte, gehemmt wurde.
18 2. Im Streitfall ist der Ablauf der jeweiligen Festsetzungsfrist nicht gemäß § 171 Abs. 4 AO dadurch gehemmt worden, dass vor Fristablauf mit einer Außenprüfung begonnen wurde. Zwar hat das FA für die Streitjahre Prüfungsanordnungen erlassen, doch sind diese gegenüber der Klägerin nicht wirksam geworden. Eine Außenprüfung, die aufgrund einer unwirksamen Prüfungsanordnung durchgeführt wird, kann den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht hemmen (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. , BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649, unter B.II.1.c bb, Rz 37; vom - IV R 20/14, BFH/NV 2017, 475, Rz 39).
19 a) Eine Ablaufhemmung durch eine Außenprüfung setzt u.a. voraus, dass eine förmliche Prüfungsanordnung erlassen wurde (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. , BFHE 189, 302, BStBl II 2000, 306, unter II.3.c, Rz 21; vom - I R 76/15, BFHE 258, 210, BStBl II 2017, 1159, Rz 21). Das FA hat am eine Prüfungsanordnung zu den Zeiträumen 2003 bis 2006 und, nachdem es am die Prüfungsanordnung für den Zeitraum 2003 zurückgenommen hatte, am eine „geänderte Prüfungsanordnung“ zu den Zeiträumen 2004 bis 2007 erlassen.
20 Regelungscharakter kommt dabei lediglich der Anordnung vom zu den Zeiträumen 2004 bis 2006 sowie der Anordnung vom zu dem Zeitraum 2007 zu. Denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das FA seine Ermessensentscheidung (zur Prüfungsanordnung allgemein vgl. z.B. , BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, Rz 15 ff.) vom , die steuerlichen Verhältnisse der Zeiträume 2004 bis 2006 zu prüfen, nochmals einer inhaltlichen Prüfung unterzogen und für diese Zeiträume am eine neue Regelung erlassen hätte. Vielmehr stellt sich die „geänderte Prüfungsanordnung“ insoweit als bloß wiederholende Verfügung dar, die keine neue Regelung mit unmittelbarer Rechtserheblichkeit traf (vgl. z.B. allgemein , BFHE 181, 107, BStBl II 1997, 79, unter 2.b, Rz 27; vom - III R 14/14, BFHE 249, 292, BStBl II 2015, 850, Rz 39). Lediglich für den Zeitraum 2007 hat das FA am (erstmals) eine Regelung erlassen.
21 b) Diese der vormaligen steuerlichen Vertreterin bekannt gegebenen Prüfungsanordnungen vom und vom sind der Klägerin gegenüber nicht wirksam geworden, weil sie das FA nicht dieser gegenüber als Inhaltsadressatin, sondern gegenüber der KG erlassen hat. Dies ergibt sich aus der Anordnung einer Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO „bei der Firma A GmbH & Co. KG als RNF der B GmbH“.
22 aa) Mit der KG hat das FA nicht den zutreffenden Inhaltsadressaten herangezogen. Denn wie sich aus der Bezeichnung der KG als (vermeintlicher) Rechtsnachfolgerin der Klägerin, der Angabe der Steuernummer der Klägerin sowie aus der Anordnung der Außenprüfung u.a. zur Körperschaftsteuer ergibt, sollten nicht die steuerlichen Verhältnisse der KG, sondern diejenigen der Klägerin geprüft werden. Da aufgrund erfolgter Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 Nr. 1 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) weder die Klägerin als übertragende Rechtsträgerin untergegangen noch eine Gesamtrechtsnachfolge eingetreten war (vgl. hierzu z.B. , BFHE 199, 489, BStBl II 2003, 835, unter II.1., Rz 17 f.), wären die Prüfungsanordnungen an die Steuerschuldnerin, die Klägerin, und nicht wie geschehen an die KG zu richten gewesen (vgl. allgemein , BFHE 211, 387, BStBl II 2006, 404, unter I.2., Rz 16).
23 Hiervon geht auch die Finanzverwaltung aus. Da in Fällen einer Ausgliederung (§ 123 Abs. 3 UmwG) keine Gesamtrechtsnachfolge i.S. des § 45 Abs. 1 AO vorliegt (so auch Tz. 2 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung —AEAO— zu § 45 AO), ist eine Prüfungsanordnung, die sich auf Zeiträume bis zur Ausgliederung bezieht, stets an den ausgliedernden Rechtsträger —im Streitfall die Klägerin— zu richten (Tz. 9.3 AEAO zu § 197 AO).
24 bb) Fehler in der Bezeichnung des Steuerschuldners —bzw. der Person, die die Außenprüfung zu dulden hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 211, 387, BStBl II 2006, 404, unter I.2., Rz 16)— können nicht durch Richtigstellung im weiteren Verfahren geheilt werden, auch nicht dadurch, dass sich der Empfänger als Adressat angesehen hat (vgl. Beschluss des Großen Senats des , BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230, unter C.I.1., Rz 35; , BFH/NV 2006, 1243, unter II.1.b cc, Rz 15). Denn die objektive Richtigkeit oder Unrichtigkeit eines Bescheides kann nicht vom Verhalten der Beteiligten abhängig sein (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230, unter C.II.1., Rz 39).
25 cc) Die Prüfungsanordnungen vom und vom können entgegen der Rechtsauffassung des FG auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sie sich gegen die Klägerin als Inhaltsadressatin richteten.
26 (1) Eine Bindung des erkennenden Senats an die Auslegung des FG nach § 118 Abs. 2 FGO besteht nicht. Die Frage, welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, ist vom Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit zu beantworten (vgl. z.B. , BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120, unter B.III.1.a, Rz 18; in BFH/NV 2017, 475, Rz 50; vom - V R 3/17, BFHE 259, 140, BStBl II 2018, 372, Rz 18).
27 (2) Die Angabe des Inhaltsadressaten ist konstituierender Bestandteil eines jeden Verwaltungsakts. In diesem muss gemäß § 119 Abs. 1 AO hinreichend bestimmt sein, wem gegenüber der Einzelfall geregelt werden soll. Der Inhaltsadressat ist genügend bestimmt, wenn Zweifel durch Auslegung behoben werden können (vgl. BFH-Urteil in BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120, unter B.III.1.a, Rz 18). Bei der Auslegung eines Verwaltungsakts ist —der in § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) niedergelegten Regel entsprechend— der erklärte Wille der Behörde zu erfassen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2006, 1243, unter II.1.b bb, Rz 13; in BFHE 259, 140, BStBl II 2018, 372, Rz 18). Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein seinem Ausspruch nach eindeutig an einen bestimmten Adressaten gerichteter Bescheid insofern einer Auslegung zugänglich wäre (vgl. z.B. , BFH/NV 2010, 1606, Rz 23 f.; in BFH/NV 2017, 475, Rz 49).
28 (3) Auch wenn die Prüfungsanordnungen vom und vom —ebenfalls fehlerhaft— „mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten (§ 183 Abs. 1 AO)“ ergingen, was auf die steuerlichen Verhältnisse der KG als beabsichtigten Prüfungsgegenstand hindeuten könnte, war der Wille des FA erkennbar, die steuerlichen Verhältnisse der Klägerin in den Zeiträumen 2004 bis 2007 einer Außenprüfung zu unterziehen. In der —rechtlich unzutreffenden und in Widerspruch zu Tz. 9.3 AEAO zu § 197 AO stehenden— Annahme, aufgrund vollzogener Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 Nr. 1 UmwG seien Bescheide an den übernehmenden Rechtsträger zu richten, hat das FA die Prüfungsanordnungen —erkennbar— willentlich an die KG als (vermeintliche) Rechtsnachfolgerin der Klägerin adressiert. Zweifel an der eindeutigen Bezeichnung der KG als der falschen Inhaltsadressatin bestehen nicht.
29 (4) Ist danach im Streitfall mangels Mehrdeutigkeit für eine Auslegung kein Raum (vgl. z.B. allgemein , BFHE 139, 291, BStBl II 1984, 63, unter II.1., Rz 19; in BFHE 211, 387, BStBl II 2006, 404, unter I.4., Rz 18), kann es auf das vom FG angeführte weitere Verhalten der Beteiligten nicht ankommen. Dass sich die Klägerin als Adressatin der Prüfungsanordnung angesehen habe und an der Außenprüfung mitgewirkt hat, ist —wie nachgelagerte Umstände überhaupt— ohnehin unbeachtlich (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230, unter C.II.1., Rz 39; BFH-Urteile in BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120, unter B.III.1.a, Rz 18; in BFH/NV 2006, 1243, unter II.1.b bb, Rz 13; vom - II R 31/13, BFHE 250, 505, BStBl II 2016, 637, Rz 15).
30 c) Soweit nicht eine verlängerte Verjährungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) greift, sind mithin die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis der Streitjahre erloschen (§ 47 AO).
31 3. Entgegen der Rechtsauffassung des FG ist es der Klägerin nicht verwehrt, sich auf den Ablauf der Festsetzungsfrist zu berufen.
32 Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet es, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teiles angemessen Rücksicht nimmt und sich zu seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt. Gleichwohl dürfen sich daraus keine Steuerrechtsfolgen ergeben, ohne dass der Sachverhalt vorliegt, an den das Gesetz diese Rechtsfolgen knüpft. Denn der Grundsatz von Treu und Glauben bringt keine Steueransprüche zum Entstehen oder zum Erlöschen, er kann allenfalls verhindern, dass —wie mit (BFHE 169, 103, BStBl II 1993, 174, unter 1.b, Rz 34 ff.) entschieden— eine Forderung oder ein Recht geltend gemacht werden kann. Ist aber —wie im Streitfall— Festsetzungsverjährung eingetreten, darf die Geltung von Treu und Glauben nicht dazu führen, dass zu Lasten des Steuerpflichtigen ein erloschener Anspruch des FA aus dem Steuerschuldverhältnis wieder auflebt, unabhängig davon, ob dem Steuerpflichtigen der Eintritt der Verjährung vorwerfbar ist oder nicht (vgl. z.B. , BFH/NV 1996, 733, unter II.2.b, Rz 17; vom - III R 57/98, BFHE 191, 198, BStBl II 2000, 330, Rz 12; vom - IX R 1/12, BFHE 239, 385, BStBl II 2013, 663, Rz 21).
33 4. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil war daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat —von seinem Standpunkt aus konsequenterweise— nicht geprüft, ob im Streitfall die verlängerte Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO gilt (vgl. dazu den zwischen den Beteiligten ergangenen , nicht veröffentlicht, unter II.2.c). Dies wird es im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.
34 5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2020:U.111120.XIR11.18.0
Fundstelle(n):
BStBl 2021 II Seite 415
AO-StB 2021 S. 166 Nr. 5
BB 2021 S. 1189 Nr. 20
BB 2021 S. 853 Nr. 15
BFH/NV 2021 S. 685 Nr. 6
BFH/PR 2021 S. 241 Nr. 7
BStBl II 2021 S. 415 Nr. 10
DB 2021 S. 769 Nr. 15
DStR 2021 S. 12 Nr. 13
DStR 2021 S. 863 Nr. 15
DStRE 2021 S. 569 Nr. 9
GStB 2021 S. 33 Nr. 10
HFR 2021 S. 542 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2021 S. 1018
StuB-Bilanzreport Nr. 13/2021 S. 556
UAAAH-75585