Fortführung einer Unternehmensflurbereinigung als vereinfachtes Flurbereinigungsverfahren
Leitsatz
1. Der Beschluss über die Einleitung eines Unternehmensflurbereinigungsverfahrens wird nicht durch bloßen Zeitablauf unwirksam.
2. Zur (teilweisen) Umstellung eines Unternehmensflurbereinigungsverfahrens auf ein vereinfachtes Flurbereinigungsverfahren nach § 87 Abs. 3 Satz 2 FlurbG.
Gesetze: § 87 Abs 3 S 2 FlurbG
Instanzenzug: OVG Lüneburg Az: 15 KF 45/17 Urteil
Gründe
I
1Der Kläger wendet sich gegen den Beschluss des Beklagten, mit dem das Unternehmensflurbereinigungsverfahren Bensersiel teilweise eingestellt und im Übrigen als vereinfachtes Flurbereinigungsverfahren fortgeführt wird (im Folgenden: Teileinstellungs- und Umstellungsbeschluss).
2Das streitgegenständliche Flurbereinigungsverfahren wurde mit Beschluss vom nach § 87 FlurbG angeordnet. Anlass war die geplante Errichtung einer kommunalen Entlastungsstraße, für die ein straßenrechtliches Planfeststellungsverfahren eingeleitet worden war. Nachdem die als Unternehmensträgerin zuständige Stadt entschieden hatte, den Bau der Entlastungsstraße über einen Bebauungsplan voranzutreiben, wurde das Planfeststellungsverfahren im Dezember 2003 eingestellt. Mit Beschluss vom wurde daraufhin der Einleitungsbeschluss für die Flurbereinigung insoweit geändert, als das Flurbereinigungsverfahren auf der neuen enteignungsrechtlichen Grundlage unter Beibehaltung der Vorschriften der §§ 87 ff. FlurbG fortgeführt wurde. Im Jahr 2004 und vorsorglich erneut 2010 beschloss die Stadt Bebauungspläne für die Errichtung der Entlastungsstraße, die jeweils gerichtlich für unwirksam erklärt wurden. Mit Urteil vom hob das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht den Änderungs-Einleitungsbeschluss vom auf.
3Die Entlastungsstraße wurde in der Folgezeit errichtet und war zeitweise unter Verkehr, bis sie gemäß einem Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom teilweise gesperrt wurde. Im Jahr 2018 beschloss die Stadt einen weiteren Bebauungsplan mit dem Ziel, die Straße nachträglich zu legalisieren. Über die dagegen eingelegte Normenkontrollklage wurde - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.
4Mit dem angefochtenen Teileinstellungs- und Umstellungsbeschluss vom ordnete der Beklagte hinsichtlich einer Fläche von rd. 112 ha die Einstellung des Unternehmensflurbereinigungsverfahrens nach § 87 Abs. 3 Satz 1 FlurbG und hinsichtlich der übrigen rd. 1 103 ha gemäß § 87 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 86 FlurbG die Fortführung als vereinfachtes Flurbereinigungsverfahren an, um die geplanten Maßnahmen der Agrarstrukturverbesserung weiterhin zu ermöglichen. Die dagegen erhobene Klage hat das Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf die Teileinstellung als unzulässig und im Übrigen insgesamt als unbegründet abgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
5Die der Sache nach auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
61. Die Revision ist nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt, d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
7a) Die Beschwerde besteht in weiten Teilen aus der Wiedergabe und Bewertung bestimmter Sachverhaltselemente unter Bezugnahme auf konkrete Bescheide und Gerichtsentscheidungen und beschränkt sich damit auf eine inhaltliche Kritik an der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des Falls durch das Flurbereinigungsgericht. Dabei geht es ihr nicht um die Beantwortung abstrakter, bislang ungeklärter Rechtsfragen, sondern (nur) um die Überprüfung der konkreten Entscheidung. Mit derartigen Angriffen gegen die Rechtsanwendung der Vorinstanz im Einzelfall lässt sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aber nicht begründen. Das gilt auch dann, wenn - wie teilweise hier - verfassungsrechtliche Erwägungen zur abweichenden Ansicht angeführt werden (vgl. 9 B 13.19 - K&R 2019, 752 Rn. 7).
8b) In Bezug auf verallgemeinerungsfähige Fragestellungen lässt sich der Beschwerde noch hinreichend deutlich entnehmen, dass sie etwa mit den Fragen,
ob ein nicht angefochtener Einleitungs-(Anordnungs-)Beschluss aus dem Jahr 2002 für eine Unternehmensflurbereinigung gemäß § 87 FlurbG im Jahr 2016 über 14 Jahre lang seine anordnende Wirkung behalten hat und eine Rechtsgrundlage für die Fortführung der Unternehmensflurbereinigung im Sinne des § 87 Abs. 3 FlurbG darstellen kann, bzw.
ob es zutrifft, dass die Regelung in § 75 VwVfG nur Planfeststellungsbeschlüsse betrifft und daher auf Flurbereinigungsverfahren nicht anwendbar ist,
geklärt wissen will, ob ein Flurbereinigungsbeschluss aufgrund Zeitablaufs außer Kraft treten und als Grundlage für eine Fortführung des Flurbereinigungsverfahrens nach § 87 Abs. 3 Satz 2 FlurbG entfallen kann, wobei insbesondere auf eine analoge Anwendung des § 75 Abs. 4 Satz 1 VwVfG verwiesen wird.
9Diese Frage knüpft an die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts an, ein Unternehmensflurbereinigungsverfahren könne nur dann nach § 87 Abs. 3 Satz 2 FlurbG als vereinfachtes Flurbereinigungsverfahren fortgeführt werden, wenn es im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung noch existiert habe; seine Anordnung dürfe nicht außer Kraft getreten sein (UA S. 18). Das Oberverwaltungsgericht hat ein solches Außerkrafttreten im Hinblick auf den Einleitungsbeschluss aus dem Jahr 2002 verneint und dabei eine analoge Anwendung des § 75 Abs. 4 Satz 1 VwVfG oder eine Übertragung seines Rechtsgedankens abgelehnt (UA S. 19 f.). Mit dieser Argumentation setzt sich die Beschwerde nicht konkret auseinander. Ob sie gleichwohl dem Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt (vgl. dazu etwa 3 B 105.92 - NJW 1993, 2825 <2826>), kann hier dahinstehen. Denn die aufgeworfene Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision jedenfalls deshalb nicht, weil sie sich auf der Grundlage des Gesetzes ohne Weiteres beantworten lässt, ohne dass es dazu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
10Das Flurbereinigungsgesetz sieht keine Frist vor, nach deren Ablauf ein Beschluss über die Einleitung eines Unternehmensflurbereinigungsverfahrens unwirksam werden könnte. Welche Folgen es für die Unternehmensflurbereinigung hat, wenn das Unternehmen als Grundlage der Flurbereinigung entfällt, ist in § 87 Abs. 3 FlurbG geregelt. Danach bedarf es einer förmlichen behördlichen Entscheidung über die Einstellung oder - bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - die Fortführung des Verfahrens als Regel- oder vereinfachtes Flurbereinigungsverfahren. Der zeitliche Faktor spielt dabei keine Rolle. Zwischen der bereits nach Einleitung des Planfeststellungs- oder eines entsprechenden Verfahrens zulässigen Anordnung der Flurbereinigung (§ 87 Abs. 2 Satz 1 FlurbG) und der ggf. erst nach Unanfechtbarkeit der Planfeststellung oder des entsprechenden Verwaltungsakts möglichen Bekanntgabe des Flurbereinigungsplans (§ 87 Abs. 2 Satz 2 FlurbG) können insbesondere dann, wenn gegen einen Planfeststellungsbeschluss Rechtsstreitigkeiten in mehreren Instanzen geführt werden, viele Jahre vergehen. Dies hat der Gesetzgeber gesehen (vgl. BT-Drs. 7/3020 S. 30) und damit, wie bereits das Oberverwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat (UA S. 20), bewusst eine unter Umständen sehr lange Dauer eines Unternehmensflurbereinigungsverfahrens in Kauf genommen.
11Vor diesem Hintergrund fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke, so dass für eine analoge oder rechtsgedankliche Anwendung von § 75 Abs. 4 Satz 1 VwVfG kein Raum ist. Im Übrigen lässt sich aus dieser Vorschrift auch keine allgemeingültige Vorstellung über angemessene Fristen für das Außerkrafttreten von Plänen oder anderen relevanten Zulassungsentscheidungen entnehmen. Sie bestimmt zwar, dass der Plan, wenn mit seiner Durchführung nicht innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit begonnen wird, außer Kraft tritt. Diverse Fachgesetze sehen aber abweichende Fristen oder Verlängerungsmöglichkeiten vor, so etwa § 17c Nr. 1 FStrG eine Frist von zehn Jahren für straßenrechtliche Planfeststellungsbeschlüsse (vgl. zu diversen Modifikationen etwa Uschkereit, in: Pautsch/Hoffmann, VwVfG, 2016, § 75 Rn. 68).
12Auf die vom Kläger angeführte Rechtsprechung zur Funktionslosigkeit von Bebauungsplänen und deren Übertragung auf Flurbereinigungspläne (vgl. 9 CN 1.14 - Buchholz 424.01 § 58 FlurbG Nr. 5 Rn. 28) kommt es schon deshalb nicht an, weil es vorliegend nicht um Festsetzungen eines Flurbereinigungsplans geht, sondern um den das Flurbereinigungsverfahren einleitenden Flurbereinigungsbeschluss.
13c) Soweit die Beschwerde mit den Fragen,
ob § 87 Abs. 3 FlurbG auch den Fall einbezieht, dass das zugrunde gelegte Straßenbauverfahren bereits verwirklicht ist und dabei zwingendes europäisches und bundesdeutsches Recht verletzt hat,
ob eine Verfahrensumstellung nach § 87 Abs. 3 FlurbG nach dem Vollzug des Straßenbaus noch rechtlich möglich ist,
ob unter diesen - von der Beschwerde im Einzelnen dargelegten - Umständen die Anwendung des § 87 Abs. 3 FlurbG rechtlich vertretbar ist oder ob eine bereits erfolgte (rechtswidrige) Verwirklichung des Straßenbauunternehmens ein solches Vorgehen in Gänze ausschließt,
ob die aus § 87 Abs. 3 FlurbG hervorgehenden Gestaltungsmöglichkeiten der Flurbereinigungsbehörde sich auch auf Situationen ausdehnen lassen, in denen das Unternehmen, das den Einleitungsbeschluss veranlasst hat, bereits vollzogen ist und sich nachträglich herausstellt, dass der Vollzug rechtswidrig war,
der Sache nach geklärt wissen will, ob eine Fortführung des Unternehmensflurbereinigungsverfahrens als vereinfachtes Flurbereinigungsverfahren nach § 87 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 86 FlurbG auch dann zulässig ist, wenn das Unternehmen, das Anlass für die Anordnung der Flurbereinigung war, vollständig verwirklicht worden ist, ist auch insoweit ein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf nicht dargetan.
14Hierzu führt die Beschwerde zusammengefasst aus, § 87 Abs. 3 Satz 2 FlurbG sei nach seinem Sinn und Zweck (nur) dann anwendbar, wenn ein Planfeststellungs- oder entsprechendes Verfahren vor Verwirklichung des geplanten Vorhabens eingestellt bzw. aufgehoben werde. Sei das Vorhaben (hier: der Straßenbau) bereits vollendet, habe die Fremdnützigkeit der Unternehmensflurbereinigung das Verfahren bereits so sehr geprägt, dass dies der Privatnützigkeit eines vereinfachten Verfahrens zwingend entgegenstehe. Im Übrigen werde der Teileinstellungs- und Umstellungsbeschluss vom jedenfalls angesichts verschiedener Umstände des Einzelfalls dem Erfordernis vorrangiger Privatnützigkeit nicht gerecht und verfolge in Wahrheit das vorrangige Ziel, eine fremdnützige und bereits durchgeführte Infrastrukturmaßnahme nachträglich zu legalisieren, indem ihr ein "Tarnmäntelchen der Privatnützigkeit umgehängt" werde.
15Es kann wiederum dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 2 VwGO entspricht. Denn jedenfalls lassen sich die aufgeworfenen Fragen, soweit sie in einem Revisionsverfahren überhaupt klärungsfähig wären, bereits auf der Grundlage des Gesetzes ohne Weiteres beantworten.
16Die in § 87 Abs. 3 Satz 2 FlurbG vorgesehene Fortführung eines Unternehmensflurbereinigungsverfahrens als Regel- oder vereinfachte Flurbereinigung schließt an den vorhergehenden Satz 1 an und stellt sich als - an weitere Voraussetzungen gebundene - Alternative zu der dort geregelten Einstellung des Unternehmensflurbereinigungsverfahrens dar. Beide Entscheidungsmöglichkeiten knüpfen an dieselbe Ausgangssituation an, nämlich die Einstellung des Planfeststellungs- oder des entsprechenden Verfahrens. Dabei geht es nicht um das Unternehmen selbst, das Anlass für die Einleitung des Unternehmensflurbereinigungsverfahrens nach § 87 FlurbG war, sondern um dessen rechtliche Grundlage, die maßgeblich ist für die Zulässigkeit der Enteignung im Rahmen der Flurbereinigung. Fällt diese rechtliche Grundlage dauerhaft weg, was typischerweise in der Einstellung des jeweiligen Verfahrens zum Ausdruck kommt, fehlt es an einem zulässigen Anknüpfungspunkt für eine Unternehmensflurbereinigung, so dass dieses Verfahren zu beenden ist, indem es eingestellt oder - bei Vorliegen der entsprechenden weiteren Voraussetzungen - als ein anderes, gerade nicht mehr auf das Unternehmen bezogenes Flurbereinigungsverfahren fortgesetzt wird. Ein Zusammenhang mit dem Unternehmen selbst besteht nicht (mehr), so dass es für das Flurbereinigungsverfahren ohne Bedeutung ist, ob das Unternehmen realisiert wird und inwieweit dafür eine (neue) rechtliche Grundlage besteht.
17Dieses aus Wortlaut und Systematik des Gesetzes folgende Ergebnis entspricht auch dem Gesetzeszweck. Die Gesetzesbegründung bei Einführung des § 87 Abs. 3 FlurbG verweist darauf, dass es bei Einstellung des Planfeststellungs- oder des entsprechenden Verfahrens einem praktischen Bedürfnis und insbesondere den allgemeinen Grundsätzen über eine sparsame Verwendung öffentlicher Mittel entspricht, ein begonnenes Verfahren, für das bereits personelle und materielle Aufwendungen erfolgt sind, nach Maßgabe der §§ 1 und 37 oder des § 86 FlurbG durchzuführen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind (BT-Drs. 7/3020 S. 30). Maßgebend für die Schaffung des § 87 Abs. 3 Satz 2 FlurbG waren somit vor allem verfahrensökonomische Gründe. Diese Gründe gelten unabhängig davon, ob das Unternehmen, das Anlass der Unternehmensflurbereinigung sein sollte, verwirklicht wird oder nicht.
18Dass vorliegend die Voraussetzungen des § 87 Abs. 3 Satz 1 FlurbG für eine Einstellung des Unternehmensflurbereinigungsverfahrens erfüllt sind, stellt im Übrigen auch der Kläger nicht in Abrede, der - wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht klargestellt hat - mit seiner Klage gerade eine vollständige Einstellung der Flurbereinigung erreichen will. Dann ist aber auch § 87 Abs. 3 Satz 2 FlurbG anwendbar, sofern die weiteren Voraussetzungen - Erforderlichkeit einer Regel- oder vereinfachten Flurbereinigung und Interesse der Beteiligten - gegeben sind. Dies beurteilt sich allein nach den Umständen des Einzelfalls und hat keine darüber hinausgehende Bedeutung.
19Soweit der Kläger auf das Erfordernis einer privatnützigen Zweckverfolgung verweist und hier einen Widerspruch zu der fremdnützigen Realisierung des Unternehmens sieht, zeigt er auch insoweit keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Es ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die Anordnung eines vereinfachten Flurbereinigungsverfahrens nach § 86 FlurbG in erster Linie privatnützigen Zwecken dient, hinter denen fremdnützige Zwecke im Konfliktfall zurücktreten, und dass ein objektives Interesse der Teilnehmer im Sinne des § 4 FlurbG bestehen muss. Mit dem Erfordernis überwiegender Privatnützigkeit ist es nicht vereinbar, eine vereinfachte Flurbereinigung anzuordnen, um in erster Linie Land für ein im Interesse der Allgemeinheit liegendes Vorhaben zu beschaffen ( 9 C 1.10 - BVerwGE 139, 296 Rn. 13 ff., 20 f.; Beschluss vom - 9 B 30.14 - ZUR 2015, 290 Rn. 4). Maßgeblich für die Beurteilung, welche Zwecke mit einem Flurbereinigungsverfahren vorrangig verfolgt werden sollen, ist in erster Linie, was die zuständigen Behörden in Erfüllung ihrer Begründungspflicht nach § 4 Halbs. 2 FlurbG als Zwecke angegeben haben. Daneben ist die Berücksichtigung weiterer Gesichtspunkte, die Aufschluss darüber geben können, ob die Flurbereinigung im konkreten Fall vorrangig privat- oder fremdnützigen Zwecken dienen soll, nicht ausgeschlossen ( 9 B 40.17 - RdL 2019, 61 f.). Diese Grundsätze gelten auch für den in § 87 Abs. 3 Satz 2 FlurbG vorgesehenen Übergang vom fremdnützigen Verfahren der Unternehmensflurbereinigung zum vereinfachten Verfahren (vgl. dazu bereits 9 C 1.10 - BVerwGE 139, 296 Rn. 16).
20Von diesen Maßgaben ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen (UA S. 20 f.). Es hat die ausweislich des Teileinstellungs- und Umstellungsbeschlusses und des nachfolgenden Widerspruchsbescheids verfolgten Zwecke der vereinfachten Flurbereinigung (Zusammenlegung zersplitterten Grundbesitzes auf der Grundlage des ausgeführten Wirtschaftswegebaus und Vorteilsziehung der Bewirtschafter aus den bereits durchgeführten Wegebau- und vorläufigen Flächentauschmaßnahmen) geprüft und als privatnützig bewertet. Auch die besonderen Voraussetzungen für eine Fortführung der Unternehmensflurbereinigung als vereinfachtes Flurbereinigungsverfahren - Erforderlichkeit und Interesse der Beteiligten - hat es bejaht und dabei bei der Bewertung der bereits getätigten erheblichen personellen und materiellen Aufwendungen die Frage eines rechtsmissbräuchlichen Vorgehens des Beklagten verneint (UA S. 23 ff.). Die Kritik der Beschwerde richtet sich in weiten Teilen gegen diese tatsächliche und rechtliche Würdigung des Einzelfalls.
21d) Auch mit der Rüge einer Abweichung von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann die Beschwerde keine grundsätzliche Bedeutung aufzeigen. Hierzu hätte sie dartun müssen, welche von dieser Rechtsprechung abweichenden Rechtssätze das Oberverwaltungsgericht aufgestellt hat und inwieweit diese geeignet sein könnten, die mit der erwähnten Rechtsprechung erreichte Klärung wieder in Frage zu stellen und deshalb Anlass zu erneuter Klärung in einem Revisionsverfahren und gegebenenfalls einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV zu geben (vgl. 9 B 15.08 - Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 35 Rn. 11 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Die Beschwerde wendet sich im Wesentlichen gegen den - nicht streitgegenständlichen - Bau der Entlastungsstraße und rügt erneut angebliche Rechtsanwendungsfehler des Oberverwaltungsgerichts.
222. Schließlich greifen die Verfahrensrügen nicht durch.
23a) Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, das Oberverwaltungsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO bzw. die richterliche Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) verletzt und eine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen.
24Die Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt in dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Ein Verstoß des Gerichts liegt vor, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit welcher der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. etwa 9 BN 9.18 - juris Rn. 34 m.w.N.). Dass dies hier der Fall gewesen wäre, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen.
25Der Kläger sieht in dem angefochtenen Urteil einen Widerspruch zu dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom - 15 KF 3/14 - (RdL 2015, 128), mit dem der Änderungs-Einleitungsbeschluss vom aufgehoben wurde, und rügt eine überraschende abweichende Bewertung der unveränderten Sach- und Rechtslage. Das damalige Urteil des Oberverwaltungsgerichts hat sich jedoch ausschließlich mit dem Änderungsbeschluss aus dem Jahr 2006 befasst und die Voraussetzungen für eine Fortführung der Unternehmensflurbereinigung verneint. Für die vom Kläger gezogenen Schlüsse auf eine - damals vom Beklagten noch gar nicht thematisierte - Möglichkeit der Umstellung des Flurbereinigungsverfahrens nach § 87 Abs. 3 Satz 2 FlurbG bietet die Begründung des Urteils keine Grundlage. Insofern bestand auch kein Anlass für einen gerichtlichen Hinweis.
26Soweit die Beschwerde rügt, das Oberverwaltungsgericht hätte dem Beklagten aufgeben müssen, die in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen "Ausführungen zu den Flurneuordnungsmaßnahmen" bereits rechtzeitig vor dem Termin schriftsätzlich darzulegen, lässt auch dies keine Gehörsverletzung erkennen. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung die Angaben aus den angefochtenen Bescheiden näher erläutert. Der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter waren dabei anwesend und hatten Gelegenheit, sich hierzu zu äußern und, falls sie von dem Vortrag überrascht waren, ggf. eine Schriftsatzfrist oder eine Vertagung zu beantragen. Dies ist nicht erfolgt. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs kann aber nicht mit Erfolg rügen, wer es unterlässt, von den prozessualen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr, vgl. etwa 2 B 63.17 - Buchholz 310 § 95 VwGO Nr. 8 Rn. 12 m.w.N.).
27b) Schließlich liegt auch der geltend gemachte Verstoß gegen die Rechtskraftwirkung des Urteils des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom - 15 KF 3/14 - (RdL 2015, 128) nicht vor. Die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung nach § 121 VwGO beschränkt sich zwar nicht auf nachfolgende Prozesse mit identischen Streitgegenständen, sondern erfasst auch Fälle, in denen die rechtskräftige Zu- oder Aberkennung eines prozessualen Anspruchs für einen anderen prozessualen Anspruch, der zwischen denselben Beteiligten streitig ist, vorgreiflich ist (vgl. nur 9 C 501.93 - NVwZ 1994, 1115 m.w.N). Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom ist jedoch nicht in diesem Sinne "vorgreiflich". Die im damaligen Verfahren ausgesprochene gerichtliche Aufhebung des angefochtenen Abänderungs-Einleitungsbeschlusses aus dem Jahr 2006, die mit der fehlenden (bauplanungs-)rechtlichen Grundlage für die Unternehmensflurbereinigung begründet war, entfaltet keine Vorwirkung für die nunmehr aufgeworfene Frage nach der Fortführung des Flurbereinigungsverfahrens auf einer anderen rechtlichen Grundlage.
28Der Hinweis des Klägers auf eine Bindungswirkung der rechtskräftigen Entscheidungen zur Unwirksamkeit der erlassenen Bebauungspläne ( 4 CN 3.13 - BVerwGE 149, 229 und Beschluss vom - 4 BN 37.13 - juris) führt zu keiner anderen Bewertung. Denn § 121 VwGO gilt nur zwischen den Beteiligten des rechtskräftig entschiedenen Verfahrens. Die zitierten Entscheidungen betreffen jedoch Verfahren, an denen der Beklagte nicht beteiligt war und die deshalb im Verhältnis zu ihm in nachfolgenden Prozessen keine Bindungswirkung entfalten können.
29Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:260820B9B26.19.0
Fundstelle(n):
KAAAH-68670