BGH Beschluss v. - 2 StR 526/19

Verfahrensverständigung: Verletzung der Mitteilungspflicht des Vorsitzenden

Gesetze: § 243 Abs 4 S 2 StPO, § 257c StPO

Instanzenzug: LG Erfurt Az: 950 Js 28290/17 - 8 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten T.   wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Den Nichtrevidenten C.   hat es wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Der Angeklagte T.   wendet sich mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensbeanstandung Erfolg, so dass es auf die Sachbeschwerde nicht ankommt.

2Mit Erfolg rügt die Revision eine Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO.

31. Mit der - in zulässiger Weise erhobenen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) - Verfahrensbeanstandung trägt der Beschwerdeführer folgendes Verfahrensgeschehen vor:

4a) Die Hauptverhandlung gegen die Angeklagten fand an zwei Verhandlungstagen am 26. und statt. Am ersten Hauptverhandlungstermin am kündigte der Verteidiger des Angeklagten T.   nach Verlesung des Anklagesatzes und Belehrung der Angeklagten über ihre Aussagefreiheit an, für seinen Mandanten eine Erklärung abzugeben. Nach Erklärungen der Verteidiger der anderen Angeklagten unterbrach der Vorsitzende die Hauptverhandlung für ca. zwanzig Minuten. In der Sitzungspause trat der Verteidiger des Angeklagten T.    an den im Sitzungssaal verbliebenen Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft heran und initiierte ein Gespräch über dessen Vorstellung zum Verfahren, in dessen Verlauf dieser hinsichtlich des Angeklagten T.   eine Straferwartung von dreieinhalb bis vier Jahren Freiheitsstrafe äußerte. Der Verteidiger ließ einfließen, dass er, nachdem ein Täter-Opfer-Ausgleich im Vorfeld der Hauptverhandlung gescheitert war, beabsichtige, einen solchen - bei Bereitschaft des Geschädigten - in der heutigen Hauptverhandlung durchzuführen und 500 Euro zu zahlen. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erwiderte, er könne sich unter dieser Voraussetzung einen Strafantrag von zweieinhalb bis drei Jahren vorstellen.

5b) Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung regte der Vorsitzende an, mit den Verfahrensbeteiligten ein Verständigungsgespräch zu führen. Daraufhin wurde die Hauptverhandlung erneut unterbrochen. Die Strafkammer in voller Besetzung, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger der Angeklagten zogen sich zu einem ca. 45-minütigen Gespräch in das Beratungszimmer zurück. Im Rahmen dieses Gesprächs erläuterte zunächst der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft unter Verweis auf das vorausgegangene Gespräch mit dem Verteidiger, anschließend der Vorsitzende und schließlich die Verteidiger ihre jeweiligen unterschiedlichen Straferwartungen.

6Der Vorsitzende legte dar, die Strafkammer könne der Auffassung der Staatsanwaltschaft zu einem Strafrahmen von dreieinhalb bis vier Jahren ohne Geständnis folgen; bei einem Geständnis und der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs in der Hauptverhandlung könne ein Strafrahmen zwischen zwei Jahren und sechs Monaten und drei Jahren in Aussicht gestellt werden. Zudem sei es aus Sicht der Strafkammer erforderlich, dass sich der Angeklagte T.    mit der Verlesung von bestimmten Urkunden zur Vereinfachung der Beweisaufnahme einverstanden erkläre. Der Verteidiger machte geltend, dass bei Zustandekommen eines Täter-Opfer-Ausgleichs eine Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werde, in Betracht kommen und von ihm angestrebt werde. Von dieser Auffassung konnte er die Strafkammer und den Vertreter der Staatsanwaltschaft jedoch nicht überzeugen. Zudem machte der Verteidiger des Angeklagten T.   gegen Ende der Erörterungen deutlich, dass auch die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen der Unterbringung gemäß § 64 StGB zu prüfen sei. Die Strafkammer erklärte dazu, nach Aktenlage gebe es hierfür keinen Anlass. Schließlich wurde durch den Verteidiger geltend gemacht, im Fall der Verständigung lägen die Voraussetzungen für den Untersuchungshaftbefehl nicht mehr vor. Im Rahmen der Erörterungen erhielten auch die Verteidiger des Mitangeklagten das Wort und die Möglichkeit, für ihren Mandanten vorzutragen.

7c) Am Ende der Erörterungen teilte der Vorsitzende für die Strafkammer mit, diese werde in der Hauptverhandlung eine Verständigung vorschlagen, die für den Angeklagten T.   im Falle eines Geständnisses und der Einverständniserklärung mit der Verlesung bestimmter Urkunden in der Hauptverhandlung einen Strafrahmen von zwei Jahren und sechs Monaten bis drei Jahren zusichert und zur Aufhebung des Haftbefehls führt. Nach Beendigung dieser Erörterungen hatten die Verteidiger jeweils Gelegenheit, das Ergebnis mit den Angeklagten zu besprechen. Der Verteidiger des Angeklagten T.   unterrichtete diesen nach seiner Wahrnehmung und seinem Verständnis vom Hergang der zuvor geführten Erörterungen. Nach dieser Besprechung signalisierten die Verteidiger der Angeklagten, den Vorschlägen des Gerichts zuzustimmen. Die Hauptverhandlung wurde ca. 40 Minuten nach Ende der Besprechung fortgesetzt. Der Vorsitzende teilte mit, dass in der Sitzungspause Verständigungsgespräche stattgefunden haben; darüberhinausgehende Mitteilungen zum Hergang, Ablauf und Inhalt der Verständigungsgespräche machte er weder zu diesem Zeitpunkt noch später. Danach schlug das Gericht eine Verständigung vor, der Staatsanwaltschaft, die Angeklagten und deren Verteidiger zustimmten. Am nachfolgenden Hauptverhandlungstag ließ sich der Angeklagte T.   daraufhin geständig zum Anklagevorwurf ein.

8Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten T.   auf dessen umfassendes Geständnis gestützt, für dessen Glaubhaftigkeit auch die Einlassung des Angeklagten C.   sowie die Aussage des Zeugen H.   spreche und dessen Richtigkeit „durch weitere Beweiserhebungen indiziell bestätigt“ werde.

92. Auf dieser Tatsachengrundlage beanstandet der Beschwerdeführer zu Recht, dass der Vorsitzende seiner Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht Genüge getan hat.

10a) Danach ist über Erörterungen zu berichten, die außerhalb einer laufenden Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Die Mitteilungspflicht umfasst nicht nur die Tatsache, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern erstreckt sich auch auf deren wesentlichen Inhalt. Dementsprechend ist darzulegen, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertraten und auf welche Resonanz dies bei den anderen am Gespräch Beteiligten jeweils stieß ( u.a., BVerfGE 133, 168, 217; , BeckRS 2015, 126428; Beschluss vom - 3 StR 216/16, NStZ 2017, 363, 364). Die Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO verfolgt dabei zwei Zielrichtungen. Sie soll einerseits dem Angeklagten die Möglichkeit eröffnen, autonom aufgrund umfassender Unterrichtung durch das Gericht über die regelmäßig in seiner Abwesenheit durchgeführten Erörterungen darüber zu entscheiden, ob er den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit aufgibt und sich mit einer geständigen Einlassung des Schweigerechts begibt (vgl. BVerfGEaaO, S. 231 f.; , NStZ 2015, 178). Die Mitteilung soll andererseits die effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit und alle Verfahrensbeteiligten sicherstellen (vgl. , NStZ 2015, 170, 171; Beschluss vom - 2 BvR 900/19, juris Rn. 22).

11b) Diesen Anforderungen entsprach die Mitteilung des Vorsitzenden nicht. Er äußerte sich nicht dazu, was im Einzelnen Gegenstand der Erörterungen war und welchen Standpunkt der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und die Strafkammer zu den in der Erörterung angesprochenen Punkten eingenommen haben.

12aa) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf der unzulänglichen Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO beruht. Bei einem solchen erheblichen Rechtsverstoß ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein Verständigungsurteil darauf beruht (, NStZ 2015, 170, 171 f.; , NStZ-RR 2015, 223, 224; Beschluss vom - 1 StR 149/15, StV 2016, 19). Ein Fall, in dem ausnahmsweise das Beruhen ausgeschlossen werden kann, liegt nicht vor.

13bb) Es ist nicht auszuschließen, dass der Mitteilungsverstoß hier das Einlassungsverhalten des Angeklagten beeinflusst hat. Darauf, dass der Angeklagte - wie die Revision selbst vorträgt - von seinem Verteidiger über den Inhalt des Verständigungsgesprächs unterrichtet wurde, kommt es nicht an, weil eine solche von Verständnis und Wahrnehmung des Verteidigers beeinflusste Information die Unterrichtung durch das Gericht grundsätzlich nicht ersetzen kann (, juris Rn. 38; Senat, Urteil vom - 2 StR 195/12, BGHSt 58, 310, 314; vom - 2 StR 381/13, BGHSt 59, 252, 259; Beschluss vom - 2 StR 367/16, NStZ 2017, 244, 245). Richterliche und nichtrichterliche Mitteilungen sind nicht von identischer Qualität; der Strafprozessordnung liegt an verschiedenen Stellen die Wertung zugrunde, dass Authentizität, Vollständigkeit und Verständlichkeit einer Mitteilung oder Belehrung nur durch richterliches Handeln verbürgt sind (vgl. , NStZ-RR 2015, 223, 224 f.; Beschluss vom - 2 StR 367/16, NStZ 2017, 244, 245; Beschluss vom - 3 StR 216/16, NStZ 2017, 363, 365). Auch hier kommt in Betracht, dass der Angeklagte im Falle einer prozessordnungsgemäßen Mitteilung durch den Vorsitzenden dessen Wort größeres Gewicht als den Erklärungen seines Verteidigers beigemessen hat (vgl. dazu , BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 10 Rn. 24 f.; Beschluss vom - 3 StR 336/19, NStZ-RR 2020, 87).

143. Die Sache bedarf daher erneuter tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:150720B2STR526.19.0

Fundstelle(n):
OAAAH-67662