Pauschale nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB - Anspruch nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf Rückzahlung eines zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Betrags
Gesetze: § 288 Abs 5 S 1 BGB, § 717 Abs 2 S 1 Halbs 2 ZPO, § 12a Abs 1 S 1 ArbGG, § 62 Abs 2 S 1 ArbGG
Instanzenzug: ArbG Dresden Az: 11 Ca 114/18 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 2 Sa 364/18 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über die Zahlung von drei Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB iHv. insgesamt 120,00 Euro sowie darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, die von der Beklagten an ihn am zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleisteten 120,00 Euro zurückzuzahlen.
2Der Kläger hat die Beklagte ua. auf Zahlung rückständiger Vergütung für die Monate Oktober 2017 bis Dezember 2017 sowie von drei Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB iHv. insgesamt 120,00 Euro in Anspruch genommen.
3Er hat - soweit für die Revision von Belang - zuletzt beantragt,
4Die Beklagte hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - zuletzt Klageabweisung sowie - im Wege eines unechten Hilfsantrages - ua. beantragt,
5Das Arbeitsgericht hat dem Kläger die begehrte rückständige Vergütung sowie die begehrten drei Pauschalen iHv. insgesamt 120,00 Euro zugesprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Über den widerklagend gestellten unechten Hilfsantrag der Beklagten hat es nicht entschieden.
6Die Beklagte begehrt mit der Revision die Abweisung der auf Zahlung der Pauschalen iHv. insgesamt 120,00 Euro gerichteten Klage sowie die Rückzahlung der von ihr zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleisteten 120,00 Euro. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
7A. Mit dem Einverständnis der Parteien konnte vorliegend im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 128 Abs. 2 ZPO.
8B. Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts ist die auf Zahlung von drei Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB iHv. insgesamt 120,00 Euro gerichtete Klage unbegründet. Die auf Rückzahlung der am zum Zwecke der Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten 120,00 Euro gerichtete Widerklage der Beklagten ist begründet.
9I. Die auf Zahlung von drei Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB iHv. insgesamt 120,00 Euro gerichtete Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der Pauschalen.
101. Zwar war der Kläger, dem die Beklagte rückständige Vergütung für die Monate Oktober 2017 bis Dezember 2017 schuldete, Gläubiger von Entgeltforderungen iSv. § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB (zum Begriff der Entgeltforderung sowie dazu, dass der Arbeitnehmer „Gläubiger einer Entgeltforderung“ iSv. § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB sein kann, vgl. - Rn. 12 ff., BAGE 163, 309). Nach der insoweit rechtskräftigen Entscheidung des Berufungsgerichts befand sich die Beklagte mit der Zahlung der Vergütung für die Monate Oktober 2017 bis Dezember 2017 auch - teilweise - in Verzug.
112. Dem Anspruch des Klägers aus § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB steht aber § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG entgegen. Diese Bestimmung schließt - wie der Senat mit Urteil vom (- 8 AZR 26/18 - BAGE 163, 309; sh. auch - Rn. 33; - 8 AZR 528/18 - Rn. 23; - 8 AZR 509/18 - Rn. 25) entschieden und ausführlich begründet hat - als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung von bis zum Schluss einer eventuellen ersten Instanz entstandenen Beitreibungskosten und damit insoweit auch einen Anspruch auf Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB aus. Dieser Rechtsprechung haben sich der Fünfte, der Neunte und der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts angeschlossen ( - Rn. 46 f.; - 9 AZN 252/19 - Rn. 26; - 10 AZR 231/18 - Rn. 75, BAGE 165, 1; - 10 AZR 596/17 - Rn. 40).
123. Der Senat hat es in der Entscheidung vom (- 8 AZR 26/18 - Rn. 49, BAGE 163, 309) noch dahinstehen lassen, ob die in § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB bestimmte Pauschale auch der Pauschalierung externer Beitreibungskosten dient oder ob § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB im Hinblick auf die Vorgaben der Richtlinie 2011/7/EU unionsrechtskonform dahin auszulegen ist, dass er einen Anspruch auf Zahlung der Pauschale nur für interne Beitreibungskosten vorsieht, und welche Konsequenzen sich daraus ggf. für die in § 288 Abs. 5 Satz 3 BGB vorgesehene Anrechnung der Pauschale auf externe Beitreibungskosten ergeben.
13Inzwischen hat der Gerichtshof der Europäischen Union diese Fragen durch zwei Entscheidungen dahin geklärt, dass nach der Richtlinie 2011/7/EU mit dem Betrag von 40,00 Euro nicht nur die internen, sondern auch die externen Beitreibungskosten pauschaliert werden sollen ( - [Gambietz]; - C-287/17 - [Česká pojišťovna]). Insoweit spricht der Gerichtshof der Europäischen Union zum einen von einem angemessenen Ersatz für „Beitreibungskosten jedweder Art“ ( - [Gambietz] Rn. 17, 18). Zudem führt er aus, dass der von der Richtlinie geforderte wirksame Schutz des Gläubigers gegen Zahlungsverzug bedeute, dem Gläubiger einen möglichst umfassenden Ersatz der ihm entstandenen Beitreibungskosten zu bieten, so dass von solchem Zahlungsverzug abgeschreckt wird ( - [Gambietz] Rn. 21; - C-287/17 - [Česká pojišťovna] Rn. 26). Insbesondere ergebe sich aus den - nicht verbindlichen - Erwägungsgründen 19 und 20 der Richtlinie 2011/7/EU nicht, dass nur die internen Beitreibungskosten durch den Pauschalbetrag von 40,00 Euro ersetzt werden könnten und die übrigen Beitreibungskosten einen eigenständigen Schadensersatzanspruch begründeten ( - [Gambietz] Rn. 26, 27).
14Aus den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (- C-131/18 - [Gambietz]) und vom (- C-287/17 - [Česká pojišťovna]) folgt nicht nur, dass § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB keiner unionsrechtskonformen einschränkenden Auslegung dahin bedarf, dass er einen Anspruch auf Zahlung der Pauschale nur für interne Beitreibungskosten vorsieht; die Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union verdeutlichen zudem, dass die Pauschale nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB auch und zentral der Kompensation eines Verzugsschadens dient (vgl. BT-Drs. 18/1309 S. 19), und dass sie keinen Strafschadensersatz beinhaltet (vgl. - Rn. 44 ff., BAGE 163, 309).
15II. Die auf Rückzahlung der am zum Zwecke der Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten 120,00 Euro gerichtete Widerklage der Beklagten ist begründet.
161. Der lediglich hilfsweise für den Fall der Abweisung der auf Zahlung von drei Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB iHv. insgesamt 120,00 Euro gerichteten Klage widerklagend gestellte Antrag der Beklagten, den Kläger zur Zahlung der zum Zwecke der Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten 120,00 Euro zu verurteilen, ist dem Senat zur Entscheidung angefallen. Die Beklagte hat diesen Antrag in ihren Revisionsantrag einbezogen (zu dieser Voraussetzung vgl. - Rn. 24; - 2 AZR 720/14 - Rn. 103, BAGE 153, 138; - 9 AZR 573/19 - Rn. 47, BAGE 136, 156; GMP/Müller-Glöge 9. Aufl. § 74 Rn. 43). Ob es darüber hinaus erforderlich ist, dass zwischen dem Haupt- und dem Hilfsantrag ein enger sachlicher und rechtlicher Zusammenhang besteht (vgl. - zu A I der Gründe; - 2 AZR 620/96 - zu II 4 a der Gründe), kann offenbleiben, weil ein solcher Zusammenhang im vorliegenden Fall gegeben ist. Der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch betrifft die von der Beklagten zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil gezahlten drei Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB iHv. insgesamt 120,00 Euro.
172. Die zulässige Widerklage ist begründet. Die Beklagte kann vom Kläger die Zahlung von 120,00 Euro zuzüglich der eingeklagten Zinsen verlangen.
18a) Der Anspruch der Beklagten auf Zahlung von 120,00 Euro folgt aus § 717 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO iVm. § 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.
19aa) Wird ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert, ist der Kläger nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, welcher dem Beklagten durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung entstanden ist. Die in § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffene Regelung beruht auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass die Vollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Urteil auf Gefahr des Gläubigers erfolgt. Der Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO umfasst alle Schäden, die dem Beklagten durch die vorzeitige Leistung entstanden sind und die im Einzelfall den Wert des Klagegegenstandes übersteigen können (vgl. , 8 AZR 560/13 - Rn. 25). § 717 Abs. 2 ZPO ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren anwendbar.
20bb) Danach ist der Kläger verpflichtet, an die Beklagte 120,00 Euro zu zahlen.
21(1) Da der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung von drei Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB iHv. insgesamt 120,00 Euro hat, war das der Klage stattgebende arbeitsgerichtliche Urteil - teilweise - dahin abzuändern, dass die Klage insoweit abgewiesen wird. Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Urteile der Arbeitsgerichte, gegen die Einspruch oder - wie hier - Berufung zulässig ist, von Gesetzes wegen vorläufig vollstreckbar.
22(2) Die Beklagte hatte die drei Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB iHv. insgesamt 120,00 Euro auch zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem arbeitsgerichtlichen Urteil an den Kläger gezahlt.
23Zwar ist eine Leistung zur Abwendung der Vollstreckung nur anzunehmen, wenn sich der Schuldner einem gegen ihn ausgeübten „Vollstreckungsdruck“ beugt, wobei sich der vollstreckungsabwendende Zweck der Leistung auch aus den Umständen ergeben kann. Voraussetzung ist, dass die Vollstreckung konkret droht, der Schuldner also damit rechnen muss, dass die Vollstreckung demnächst beginnt (, 8 AZR 560/13 - Rn. 26; - 9 AZR 1/11 - Rn. 39; - 8 AZR 105/08 - Rn. 25 mwN; vgl. auch Xa ZR 66/10 - Rn. 19). Dass diese Voraussetzung erfüllt ist, steht unter den Parteien indes nicht im Streit. Durch ihre Zahlung ist der Beklagten damit adäquat kausal ein Schaden iHv. 120,00 Euro entstanden.
24b) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB iVm. § 717 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:221020.U.8AZR412.19.0
Fundstelle(n):
NJW 2021 S. 10 Nr. 5
NJW 2021 S. 717 Nr. 10
HAAAH-66422