BGH Urteil v. - 6 StR 115/20

Einstellung eines Strafverfahrens durch Urteil wegen eines Verfahrenshindernisses: Anforderungen an die Urteilsdarlegungen bei Einstellung wegen Strafklageverbrauchs

Gesetze: § 260 Abs 3 StPO, Art 103 Abs 3 GG

Instanzenzug: LG Magdeburg Az: 21 KLs 16/19

Gründe

1Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten durch Prozessurteil nach § 260 Abs. 3 StPO wegen Strafklageverbrauchs eingestellt. Hiergegen wendet sich erfolgreich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.

I.

2Dem Angeklagten liegt zur Last, vom 23. Juni bis als Geschäftsführer der S.                          GmbH auf der Internetplattform e.   Elektronikartikel zum Kauf angeboten und die per Vorauszahlung entrichteten Kaufpreise vereinnahmt zu haben, obwohl er weder leistungsfähig noch -willig war. Im Einzelnen listet die Anklage 106 im Verhältnis der Tatmehrheit stehende Taten auf und benennt jeweils den Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung, teilweise ergänzend auch denjenigen des Erwerbs. Das Landgericht hat das Hauptverfahren mit der Maßgabe eröffnet, dass auch Betrug in 106 tateinheitlichen Fällen in Betracht komme.

3In der Hauptverhandlung hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte inzwischen durch Strafbefehl des Amtsgerichts Schwerin rechtskräftig wegen Betruges verurteilt wurde, weil er am über die S.                          GmbH auf der Internetplattform e.   an den Geschädigten G.     einen Internetrouter verkauft und den Kaufpreis vereinnahmt hatte, ohne die Ware zu liefern. Es hat angenommen, dass hierdurch Strafklageverbrauch eingetreten sei, weil dem Strafbefehl und der Anklage dieselbe prozessuale Tat zugrunde liege. Hierbei ist es von einer einheitlichen Tat im Sinne des § 52 StGB ausgegangen, weil „der Aufbau und die Aufrechterhaltung eines auf Betrugstaten ausgerichteten Geschäftsbetriebes auf der Plattform e.   (…) die in Ausübung dieses Geschäftsbetriebes verwirklichten Einzeldelikte (106 Verkäufe) als – uneigentliches – Organisationsdelikt“ zusammenfasse.

II.

4Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

5Die Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses des Strafklageverbrauchs (Art. 103 Abs. 3 GG) hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat in rechtsfehlerhafter Weise keine eigenen Feststellungen getroffen, die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob es sich bei den gegen den Angeklagten im vorliegenden Verfahren erhobenen Tatvorwürfen um dieselbe Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO handelt, die bereits den Gegenstand des Strafbefehls des Amtsgerichts Schwerin bildete.

61. Stellt das Tatgericht das Verfahren durch Urteil wegen eines Verfahrenshindernisses ein, hat es ausgehend von der zugelassenen Anklage anzugeben, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen die Durchführung des Strafverfahrens unzulässig ist. Der Umfang der Darlegungen richtet sich dabei nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls, insbesondere der Eigenart des Verfahrenshindernisses (vgl. , NStZ 2020, 235 mwN).

7Hängt dessen Vorliegen von der strafrechtlichen Würdigung der Sache ab, erfordert die abschließende Beurteilung der Frage, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt, entsprechende Feststellungen (vgl. , NStZ 2020, 235). Der Bundesgerichtshof hat demgemäß Feststellungen für die Beurteilung der Verjährungsfrage (vgl. Urteil vom – 1 StR 266/10, BGHSt 56, 6, 8), für die Prüfung der anderweitigen Rechtshängigkeit (vgl. Urteil vom – 4 StR 601/18, aaO, 236) und diejenige des Verbots der Doppelbestrafung nach Art. 54 SDÜ (vgl. Beschluss vom – 5 StR 96/19, NStZ-RR 2019, 259) sowie bei Annahme eines Verfahrenshindernisses aufgrund rechtsstaatswidriger Tatprovokation (vgl. Urteil vom – 5 StR 650/17) für erforderlich gehalten.

82. Eine solche vom Tatgericht im Strengbeweis festzustellende Sachverhaltsgrundlage ist ebenfalls notwendig, wenn es von einem Strafklageverbrauch ausgehen möchte. Denn ob eine nach Art. 103 Abs. 3 GG verbotene Doppelbestrafung vorliegt, kann nicht nach Aktenlage geklärt werden, sondern hängt von den tatsächlichen Umständen der in der Anklage bezeichneten Tat ab. Das Tatgericht muss daher Feststellungen zu dieser treffen, sie in den Urteilsgründen darlegen und auf deren Grundlage eine konkurrenzrechtliche Bewertung des Verhaltens des Angeklagten vornehmen. Erst auf dieser Grundlage kann – unter Berücksichtigung des für die Frage des Strafklageverbrauchs zu beachtenden Zweifelssatzes (vgl. ; Beschlüsse vom – 5 StR 96/19, aaO, 260, und vom – 5 StR 574/01; LR-StPO/Sander, 26. Aufl., § 261 Rn. 123) – entschieden werden, ob dem Fortgang des Verfahrens das Verbot der Doppelbestrafung entgegensteht.

93. Diesen Maßstäben genügt das angefochtene Urteil nicht.

10a) Das Landgericht ist im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass sich das Vorliegen eines etwaigen Strafklageverbrauchs danach richtet, ob die zur Aburteilung stehende prozessuale Tat im Sinne von § 264 Abs. 1 StPO mit derjenigen identisch ist, die dem rechtskräftigen Erkenntnis zu Grunde lag (vgl. , BGHSt 59, 120, 124; Beschlüsse vom – 5 StR 366/19, ZfBR 2020, 589, 592; vom – 3 StR 264/19, NStZ-RR 2020, 172, 173, und vom – StB 52/18, BGHSt 64, 1, 6).

11Für die Identität eines so umschriebenen Lebenssachverhalts ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das materiell-rechtliche Konkurrenzverhältnis der Einzeltaten zueinander bedeutsam. Tateinheit gemäß § 52 StGB wird in aller Regel zur Annahme einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinne führen (vgl. , NStZ 2020, 235, 236; Beschluss vom – KRB 33/95, BGHSt 41, 385, 389), während im Falle sachlich-rechtlicher Tatmehrheit mehrere Taten im prozessualen Sinne naheliegen werden (vgl. , BGHSt 64, 1, 7; Urteil vom – 1 StR 635/96, BGHSt 44, 91, 94; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 264 Rn. 14). Dabei sind aber die Besonderheiten der abgeurteilten Delikte ebenso in den Blick zu nehmen wie der Umstand, dass bei einem weiten Verständnis des prozessualen Tatbegriffs die Kognitionspflicht des zuerst entscheidenden Tatgerichts ausgedehnt und damit dessen Leistungsfähigkeit möglicherweise überschritten wird.

12b) Für die Beurteilung der materiell-rechtlichen Lage ist beim Betrug über Onlineverkaufsplattformen – wie auch sonst – zunächst entscheidend, ob der Angeklagte eine oder mehrere (Täuschungs-)Handlungen begangen hat. Eine Handlung im natürlichen Sinn liegt vor, wenn die Plattform gleich einem „Webshop“ die Möglichkeit vorsieht, dass mehrere Kunden einen einmalig eingestellten Artikel bestellen können. Eine Verknüpfung mehrerer Handlungen im natürlichen Sinn zur Handlungseinheit kommt in Betracht, wenn entweder die Gegenstände in einem engen zeitlichen Zusammenhang und aufgrund eines einheitlichen Entschlusses eingestellt wurden oder eine Überschneidung der Täuschungshandlungen vorliegt (vgl. dazu , wistra 2017, 484, 485). Dabei können auch die Umstände des Vertragsschlusses maßgeblich sein, insbesondere wenn dieser aufgrund der Art des Angebots erst durch Annahme des Verkäufers zustande kommt. Sofern das Tatgericht hierzu allerdings keine näheren Feststellungen treffen kann, ist unter Heranziehung des Zweifelssatzes von einer prozessualen Tat und damit von Strafklageverbrauch auszugehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 96/19, NStZ-RR 2019, 259, 260; vom – 5 StR 574/01; Urteil vom – 3 StR 651/17; LR-StPO/Sander, aaO).

134. Das Fehlen derartiger Feststellungen zwingt zur Aufhebung des Urteils und zur Neuverhandlung der Sache durch ein anderes Tatgericht.

14Dieses wird bei der konkurrenzrechtlichen Bewertung zu bedenken haben, dass die vom Landgericht ergänzend herangezogenen Grundsätze des uneigentlichen Organisationsdelikts (vgl. ) – jedenfalls nach dem Anklagesachverhalt – nicht zur Anwendung gelangen können, weil hiernach der Angeklagte allein tätig wurde und es deshalb keine Tatbeiträge gibt, die zu einer einheitlichen Tat zusammengefasst werden können.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:260820U6STR115.20.0

Fundstelle(n):
XAAAH-63197