Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrundes bei behauptetem Verlust eines fristgebundenen Schriftsatzes auf dem Postweg
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 S 1 ZPO, § 236 Abs 2 S 1 ZPO
Instanzenzug: Az: I-17 U 241/19vorgehend LG Duisburg Az: 1 O 175/18nachgehend Az: II ZB 2/20 Beschluss
Gründe
1I. Der Beklagte ist durch ihm am zugestelltes Urteil des Landgerichts zur Zahlung von 22.500 € nebst Zinsen verurteilt worden. Dagegen hat er mit am beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt, für deren Begründung ihm eine Fristverlängerung bis zum eingeräumt worden ist. Mit dem Beklagten am zugestellter Verfügung hat der Senatsvorsitzende darauf hingewiesen, dass bislang keine Berufungsbegründung eingegangen war und deswegen die Verwerfung des Rechtsmittels beabsichtigt sei.
2Der Beklagte hat daraufhin am eine Ablichtung der auf den datierenden Berufungsbegründung eingereicht und die Wiedereinsetzung in die Frist zur Berufungsbegründung beantragt. Zur Begründung hat sein Prozessbevollmächtigter vorgetragen und anwaltlich versichert, die Berufungsbegründung sei am zur Post gegeben worden. Nach den üblichen Postlaufzeiten habe er daher von einem rechtzeitigen Eingang beim Oberlandesgericht ausgehen können. Zwar könne aufgrund des zurückliegenden Zeitraums naturgemäß nicht jedes Schriftstück, das an einem bestimmten Tag zur Post gegeben werde, exakt bestimmt werden. Es entspreche jedoch einer ständigen Übung in seiner Kanzlei, dass die Briefe gegen 17.00 Uhr des jeweiligen Tages zur ca. 100 m von der Kanzlei liegenden Deutschen Post AG gegeben würden.
3Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Beschluss vom zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte habe keine geeigneten organisatorischen Maßnahmen zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen anwaltlichen Postausgangskontrolle dargelegt. Sein Hinweis auf die ständige Übung in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten reiche dafür nicht aus. Auch zu einer Fristenkontrolle anhand eines Fristenkalenders fehle jeder Vortrag.
4Dagegen hat der Beklagte Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er beantragt, den Beschluss aufzuheben und ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Er macht geltend, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an die anwaltlichen Sorgfaltspflichten für die Postausgangskontrolle überspannt. Sein Prozessbevollmächtigter habe hinreichend dargelegt und durch anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründung mit großer Wahrscheinlichkeit außerhalb des Verantwortungsbereichs seiner Kanzlei verloren gegangen sei. Dies sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausreichend; weiterer Vortrag zur Organisation der Postausgangskontrolle sei nicht erforderlich gewesen. Sehe man das anders, habe das Oberlandesgericht zumindest auf den seiner Auffassung nach fehlenden Vortrag hinweisen müssen. In diesem Fall hätte er - wie nunmehr mit der Rechtsbeschwerde - ergänzend zur Regelung der Fristenkontrolle in der Kanzlei vorgetragen und diesen Vortrag durch eine eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht.
5II. Die Rechtsbeschwerde ist zwar statthaft gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO. Sie ist aber unzulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung ablehnenden und die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, nicht erfüllt sind.
6Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss nicht die verfassungsrechtlich verbürgten Ansprüche des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden beziehungsweise die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG, NJW 2012, 2869 Rn. 8; NZA 2016, 122 Rn. 10; , NJW-RR 2020, 52 Rn. 9; Beschluss vom - V ZB 162/16, juris Rn. 4 mwN). Das ist hier nicht der Fall. Das Oberlandesgericht hat die Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht versagt und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen.
7Der Beklagte hat nicht gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht, ohne ein - ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares - Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gemäß § 233 Satz 1 ZPO an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert gewesen zu sein.
8a) Wird - wie hier - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Behauptung begehrt, ein fristgebundener Schriftsatz sei auf dem Postweg verloren gegangen, kann eine Partei dies regelmäßig nicht anders glaubhaft machen als durch Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Aufgabe des Schriftstücks zur Post, die als letztes Stück des Übermittlungsgeschehens noch ihrer Wahrnehmung zugänglich ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist daher Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn der Antragsteller aufgrund einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen Schriftsatzes zur Post glaubhaft macht, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich seines Verfahrensbevollmächtigten eingetreten ist (vgl. nur , NJW 2015, 3517 Rn. 14; Beschluss vom - VII ZB 41/16,NJW-RR 2017, 627 Rn. 14; Beschluss vom - V ZB 97/18,NJW-RR 2019, 827 Rn. 21 mwN). Ein "Nachweis" dafür, dass das Schriftstück tatsächlich in den Postlauf gelangt ist, ist dagegen - wie der Beklagte zutreffend geltend macht - ebenso wie eine Glaubhaftmachung, wo und auf welche Weise es zum Verlust des Schriftstücks gekommen ist, nicht erforderlich (vgl. , NJW 2001, 1577, 1578; Beschluss vom - IV ZB 34/02, NJW-RR 2003, 862; Beschluss vom - XII ZB 356/17, NJW-RR 2018, 445 Rn. 14 mwN).
9b) Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor. Der Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass der Verlust der Berufungsbegründung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich seines Prozessbevollmächtigten eingetreten ist.
10Der Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass es für diese Glaubhaftmachung keiner Darlegung und Glaubhaftmachung der organisatorischen Maßnahmen zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Postausgangs- und Fristenkontrolle (vgl. dazu , NJW-RR 2020, 52 Rn. 12 f.; Beschluss vom - II ZB 7/19, juris Rn. 13 f. mwN) bedarf, wenn auf andere Weise glaubhaft gemacht wird, dass der Schriftsatz tatsächlich rechtzeitig zur Post aufgegeben wurde (vgl. ,NJW-RR 2003, 862; Beschluss vom - VIII ZB 20/17, juris Rn. 9). Das ist hier aber entgegen der Ansicht des Beklagten nicht der Fall.
11aa) Das anwaltlich versicherte Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten reicht für eine Glaubhaftmachung nach den obigen Maßstäben nicht aus. Es fehlt bereits an der dafür notwendigen, aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur Aufgabe der Berufungsbegründung zur Post am . Diese Schilderung hätte, wenn schon nicht die Übergabe des speziell in Rede stehenden Schriftsatzes in den Postlauf dokumentiert ist oder sonst Gegenstand der konkreten Wahrnehmung einer mit der damaligen Bearbeitung befassten Person war, jedenfalls eine lückenlose, nicht nur auf allgemeine Vermutungen oder Erfahrungswerte gegründete Darstellung des Weges des konkreten Schriftstücks in den dafür vorgesehenen Postausgang als der letzten Station auf dem Weg zum Adressaten erfordert, wobei die Darstellung den hinreichend sicheren Schluss hätte erlauben müssen, dass das Schriftstück nach der Unterschrift durch den Prozessbevollmächtigten nur in den Postausgang gelangt sein konnte (vgl. , NJW-RR 2016, 1402 Rn. 10; Beschluss vom - VIII ZB 20/17, juris Rn. 12; siehe auch Beschluss vom - III ZR 148/00, NJW 2001, 1577 Rn. 8).
12Dem genügt das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten nicht. Sein Vortrag beschränkt sich auf die Erklärung, dass die Berufungsbegründung am zur Post gegeben worden sei. Nähere Angaben zum damaligen Ablauf, etwa dazu, wann und von wem die Berufungsbegründungsschrift fertiggestellt, versandfertig gemacht und letztlich zu den für den Postausgang bestimmten Briefen gelegt wurde, fehlt ebenso wie etwa konkreter Vortrag zur damaligen Fristenkontrolle durch Streichung der Frist für die Berufungsbegründung im Fristenkalender und zur abschließenden abendlichen Kontrolle der Erledigung der Berufungsbegründung. Eine Schilderung, die den hinreichend sicheren Schluss hätte erlauben können, dass die Berufungsbegründung tatsächlich am fertiggestellt und in den Postausgang gegeben wurde, liegt damit nicht vor. Die anwaltliche Versicherung der Erklärung kann den fehlenden Sachvortrag nicht ersetzen.
13bb) Der Vortrag des Beklagten zur ständigen Übung in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten, Briefe gegen 17.00 Uhr des jeweiligen Tages zur Post zu geben, und sein ergänzendes Vorbringen im Rechtsbeschwerdeverfahren zur Regelung der Fristenkontrolle in der Kanzlei rechtfertigen keine andere Beurteilung. Aus dieser abstrakten Schilderung der Organisation der Fristenüberwachung und des Postausgangs folgt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, dass auch die Berufungsbegründung im vorliegenden Verfahren am entsprechend bearbeitet und in den Postausgang gegeben wurde. Konkrete Anhaltspunkte, die einen solchen Schluss erlauben könnten, hat der Beklagte nicht dargetan, geschweige denn glaubhaft gemacht. Insbesondere wurde auch der Fristenkalender, in dem nach dem eidesstattlich versicherten Vortrag des Beklagten erst dann eine Streichung der Frist erfolgt, wenn das fristwahrende Schriftstück tatsächlich dem Postausgangskorb entnommen wird, nicht vorgelegt.
14c) Einer Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, um dem Beklagten Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu den konkreten Abläufen am zu geben, bedarf es nicht. Es kann dahinstehen, ob schon das fehlende Vorbringen zum konkreten Ablauf bis zur Aufgabe der Berufungsbegründung zur Post - wie fehlendes Vorbringen zur wirksamen Organisation des Fristenwesens (vgl. dazu , NJW-RR 2012, 747 Rn. 12; Beschluss vom - II ZB 13/12, WM 2014, 424 Rn. 12) - den Schluss darauf erlaubt, dass entsprechender Vortrag nicht mehr möglich ist, weil die Anforderungen der Rechtsprechung an die Darlegung und Glaubhaftmachung des unverschuldeten Verlusts eines Schriftsatzes auf dem Postweg bekannt sind und einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein müssen. Denn der Beklagte hat mit seinem Wiedereinsetzungsantrag bereits selbst eingeräumt, dass wegen des zurückliegenden Zeitraums nicht mehr jedes Schriftstück, das an einem bestimmten Tag zur Post gegeben werde, exakt bestimmt werden kann. Näherer Vortrag zu den tatsächlichen Abläufen bis zur Aufgabe der Berufungsbegründung zur Post am ist ihm demnach nach seinem eigenen Vorbringen nicht mehr möglich.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:220920BIIZB2.20.0
Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 45/2020 S. 3307
SAAAH-62795