Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Anwaltliche Ausgangs- und Erledigungskontrolle bezüglich der verwendeten Nummer bei Telefaxübersendung fristwahrender Schriftsätze
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 519 Abs 1 ZPO, § 520 ZPO
Instanzenzug: Az: 1 S 263/16vorgehend AG Borken (Westfalen) Az: 16 C 5/14
Gründe
I.
1Das Landgericht Dortmund hat die Frist zur Begründung der Berufung der Beklagten gegen ihre Verurteilung durch das Amtsgericht antragsgemäß bis zum verlängert. Die Beklagte hat ihre Berufung mit einem am bei dem Berufungsgericht mit normaler Post eingegangenen Schriftsatz vom begründet. Mit Schriftsatz vom hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und diesen Antrag unter Vorlage der eidesstattlichen Versicherung einer Mitarbeiterin ihres Prozessbevollmächtigten damit begründet, dass diese sowohl bei dem Heraussuchen der Telefaxnummer des Berufungsgerichts für das Adressfeld der Berufungsbegründung als auch bei der Kontrolle der Absendung per Fax in dem in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten verwendeten Kanzleiverwaltungsprogramm in der Zeile verrutscht sei und versehentlich die falsche Nummer angegeben habe. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
2Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unbegründet, weil die Fristversäumung nicht unverschuldet und als Folge dessen die Berufung wegen Versäumung dieser Frist als unzulässig zu verwerfen war. Die Beklagte müsse sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Dieser habe sich selbst von der Korrektheit der Faxnummer bei der Unterzeichnung des Schriftsatzes überzeugen müssen. Eine solche Überprüfung habe nicht stattgefunden, weil andernfalls schon anhand der Vorwahl aufgefallen wäre, dass nicht die Faxnummer des Landgerichts Dortmund, sondern die des Landgerichts Düsseldorf auf der Berufungsbegründung vermerkt gewesen sei. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe darüber hinaus auch die anwaltliche Sorgfalt bei der Erteilung der Arbeitsanweisung für die Behandlung fristgebundener Schriftsätze nicht eingehalten.
III.
3Das Rechtsmittel der Beklagten hat keinen Erfolg.
41. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Entgegen der Auffassung der Beklagten verletzt der angefochtene Beschluss auch nicht ihren verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 20 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (st. Rspr.; vgl. nur , WM 2014, 2388 Rn. 6 mwN). Dies ist hier im Ergebnis nicht der Fall.
52. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt und folglich die Berufung der Beklagten zu Recht wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung als unzulässig verworfen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach § 233 Satz 1 ZPO voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzungen bejaht das Berufungsgericht im Ergebnis in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
6a) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat der Prozessbevollmächtigte einer Partei allerdings bei der Unterzeichnung einer Berufungsbegründung grundsätzlich nicht nachzuprüfen, ob die Telefaxnummer, die seine Mitarbeiter bei der Erstellung der Begründung ermittelt und auf dem Schriftsatz angebracht haben, richtig ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich ein Rechtsanwalt vielmehr bei der Übermittlung eines fristgebundenen Antrags als Telefax hinsichtlich der Richtigkeit der Telefaxnummer des Gerichts grundsätzlich auf sein zuverlässiges Personal verlassen. Die anwaltliche Prüfungspflicht bezieht sich nur auf die Richtigkeit der Bezeichnung des Gerichts im Sinne des § 519 Abs. 1 ZPO, nicht dagegen auf die richtige postalische Anschrift oder die richtige Wahl der Telefaxnummer. Hierbei handelt es sich um eine einfache büromäßige Aufgabe ohne jeden rechtlichen Bezug, deren Erledigung der Rechtsanwalt seinem geschulten, zuverlässigen Personal überlassen darf (st. Rspr., siehe nur BGH, Beschlüsse vom - VII ZB 19/94, NJW 1995, 2105, 2106, vom - XI ZB 20/96, NJW 1997, 948 und vom - II ZB 8/15, BRAK-Mitt. 2016, 123 = juris Rn. 9).
7b) Die Annahme des Berufungsgerichts, der Prozessbevollmächtigten der Beklagten sei bei der Unterzeichnung der Berufungsbegründung ein eigenes Versäumnis unterlaufen, trifft aber dennoch zu.
8aa) Ein Rechtsanwalt muss nämlich, auch wenn er sich grundsätzlich auf seine Mitarbeiter verlassen kann, selbst tätig werden und für die ordnungsgemäße Erfüllung der betreffenden Aufgabe Sorge tragen, wenn für ihn bei gehöriger Aufmerksamkeit und Sorgfalt erkennbar ist, dass seinem Büropersonal im Rahmen des ihm übertragenen Aufgabenkreises Fehler unterlaufen sind oder es Anweisungen nicht beachtet hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IX ZR 171/72, VersR 1973, 1144, 1145, vom - NotZ 99/07, NJW 2008, 924 Rn. 12 und vom - II ZB 8/15, BRAK-Mitt. 2016, 123 = juris Rn. 9). Diesen Fall hat das Berufungsgericht hier zu Recht angenommen.
9bb) Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hätte ohne Weiteres und rechtzeitig erkennen können, dass seine Mitarbeiterin nicht die richtige Telefax-Nummer des Berufungsgerichts herausgesucht oder sich nicht an seine Anweisungen bezüglich des Heraussuchens der Nummer gehalten hat. Oberhalb der Adresszeile der Berufungsbegründungsschrift vom , die der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bei der ihm obliegenden Endkontrolle des Schriftsatzes auf die richtige Bezeichnung des Berufungsgerichts überprüfen musste (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 153/08, NJW 2009, 1750 Rn. 8; BGH, Beschlüsse vom - VII ZB 19/94, NJW 1995, 2105, 2106 und vom - II ZB 8/15, BRAK-Mitt. 2016, 123 = juris Rn. 10; BVerfG, NJW 2002, 3692, 3693 mwN), ist aufgrund der drucktechnischen Hervorhebung in Fettdruck eindeutig und auf den ersten Blick erkennbar eine Telefaxnummer angegeben, die nicht diejenige des Landgerichts Dortmund sein konnte und die mithin ersichtlich falsch war. Dass eine Telefaxnummer, die mit der Vorwahl 0211 der Landeshauptstadt Düsseldorf des Landes Nordrhein-Westfalen beginnt, für ein Telefax, das nach Dortmund gesendet werden soll, nicht zutreffen kann, konnte und musste dem in Vreden (Nordrhein-Westfalen) ansässigen Prozessbevollmächtigten bei der ihm obliegenden Endkontrolle des Schriftsatzes auch ohne Kenntnis der richtigen Telefaxnummer des Landgerichts Dortmund ohne Weiteres auffallen. Es drängte sich auf, dass mit der in dem Adressfeld der Berufungsbegründung angegebenen Faxnummer das Landgerichts Dortmund etwas nicht stimmen konnte. Bei einem dermaßen offensichtlichen Fehler an solch prominenter Stelle wie unmittelbar über der Gerichtsbezeichnung, die der Rechtsanwalt ohnehin kontrollieren muss, kann er sich nicht mehr darauf verlassen, dass seine Mitarbeiterin den Schriftsatz gleichwohl ordnungsgemäß an die richtige Telefaxnummer versendet (vgl. , BRAK-Mitt. 2016, 123 = juris Rn. 10 für einen vergleichbaren Fall). Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist war damit nicht unverschuldet.
IV.
10Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts entspricht der Festsetzung durch das Berufungsgericht.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:140520BVZB162.16.0
Fundstelle(n):
VAAAH-60289