BVerwG Urteil v. - 4 CN 5/18

Unzulässige Wahl des beschleunigten Verfahrens zur Änderung eines Bebauungsplans

Leitsatz

1. Für die Anwendbarkeit des beschleunigten Verfahrens nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB kommt es maßgeblich auf die tatsächlichen Verhältnisse und nicht auf den planungsrechtlichen Status der zu überplanenden Flächen an.

2. Wird in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans auf nicht öffentlich zugängliche technische Vorschriften verwiesen, genügt auch ein Hinweis in der ortsüblichen Bekanntmachung des Bebauungsplans, dass die in Bezug genommene technische Vorschrift bei der Verwaltungsstelle, bei der der Bebauungsplan eingesehen werden kann, zur Einsicht bereit gehalten wird.

Gesetze: § 47 Abs 2 S 1 VwGO, § 1 Abs 6 Nr 4 BauGB, § 1 Abs 8 BauGB, § 2 Abs 4 BauGB, § 2a S 2 Nr 2 BauGB, § 3 Abs 2 S 1 BauGB, § 9 Abs 8 BauGB, § 10 Abs 3 BauGB, § 13 Abs 3 S 1 BauGB, § 13a Abs 1 S 1 BauGB, § 13a Abs 2 Nr 1 BauGB, § 13a Abs 2 Nr 4 BauGB, § 13a Abs 4 BauGB, § 34 Abs 1 BauGB, § 214 Abs 1 S 1 Nr 3 BauGB, § 215 Abs 1 S 1 Nr 1 BauGB, Art 3 Abs 5 S 1 EGRL 42/2001, Anh II Nr 1 EGRL 42/2001

Instanzenzug: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Az: 3 S 1523/16 Urteil

Tatbestand

1Gegenstand des Verfahrens ist die im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB beschlossene 3. Änderung des Bebauungsplans "Marrbacher Öschle (Marrbachöschle)".

2Der aus dem Jahr 1983 stammende Bebauungsplan Marrbachöschle umfasst ein insgesamt 6,1 ha großes Gebiet. Er setzt für den nördlichen Teil des Plangebiets ein Dorfgebiet und im Übrigen ein allgemeines Wohngebiet fest. Die Planung wurde im Wesentlichen nicht umgesetzt.

3Die Antragsteller sind Eigentümer des im Geltungsbereich des Bebauungsplans gelegenen unbebauten Grundstücks Flurstück Nr. ...1. Der Antragsteller zu 2 ist außerdem Eigentümer des ebenfalls im Geltungsbereich des Bebauungsplans gelegenen, mit Wohnhäusern sowie ehemals landwirtschaftlich genutzten Gebäuden bebauten Grundstücks Flurstück Nr. ...0, für das der Bebauungsplan ein Dorfgebiet festsetzt.

4Mit der 3. Änderung wird der Bebauungsplan Marrbachöschle mit Ausnahme eines das Grundstück Flurstück Nr. ...0 umfassenden Bereiches im Norden sowie eines weiteren, zwischenzeitlich bebauten Teilbereichs im Süden entlang der B...straße auf einer Fläche von 4,2 ha geändert. Der Plan setzt für seinen gesamten Geltungsbereich ein allgemeines Wohngebiet fest und regelt die innere Erschließung neu.

5Auf einen Normenkontrollantrag der Antragsteller hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom - 8 S 1597/13 - die am bekannt gemachte 3. Änderung für unwirksam erklärt, weil sie nicht ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden sei. Es fehle ein Hinweis in der Bebauungs-planurkunde, dass die im Bebauungsplan in Bezug genommene VDI-Richtlinie 2719 zur Einsicht bereitgehalten werde oder wo diese ansonsten problem- und kostenlos eingesehen werden könne.

6Die Antragsgegnerin hat die 3. Änderung rückwirkend zum am erneut bekannt gemacht. In der Bekanntmachung wird darauf hingewiesen, dass der Bebauungsplan einschließlich seiner Begründung und der VDI-Richtlinie 2719 im Rathaus während der üblichen Dienststunden eingesehen werden könne.

7Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag der Antragsteller gegen die neu bekannt gemachte 3. Änderung zurückgewiesen. Der zulässige Normenkontrollantrag sei unbegründet. Die Bekanntmachung sei nunmehr ordnungsgemäß erfolgt. Die Wahl des beschleunigten Verfahrens nach § 13a BauGB sei nicht zu beanstanden, denn bei der 3. Änderung handele es sich um einen Bebauungsplan der Innenentwicklung. Auch in materieller Hinsicht begegne die 3. Änderung keinen Bedenken, insbesondere liege kein Abwägungsfehler vor.

8Die Antragsteller haben die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt. Nach ihrer Auffassung verstößt der Bebauungsplan gegen § 13a BauGB und weitere Vorschriften.

9Die Antragsgegnerin hält den Normenkontrollantrag bereits für unzulässig. Es fehle am Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen verteidigt sie das angefochtene Urteil.

10Am hat die Antragsgegnerin die 4. Änderung des Bebauungsplans Marrbachöschle bekannt gemacht. Über den Normenkontrollantrag der Antragsteller vom ist noch nicht entschieden.

Gründe

11Die Revision ist begründet. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor (A). Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verstößt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Bebauungsplan "Marrbacher Öschle (Marrbach-öschle)" - 3. Änderung vom , bekannt gemacht am (im folgenden: "Änderungs-Bebauungsplan"), ist unwirksam (B).

12A. Die in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfenden Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor.

131. Die Antragsteller sind antragsbefugt.

14Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden.

15Mit dem Änderungs-Bebauungsplan wird das Grundstück Flurstück Nr. ...1 der Antragsteller (neu) überplant. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Antragsbefugnis wegen einer möglichen Eigentumsverletzung grundsätzlich zu bejahen, wenn sich ein Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine bauplanerische Festsetzung wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft ( 4 CN 6.97 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 123). In diesem Fall kann der Eigentümer die Festsetzung gerichtlich überprüfen lassen, weil eine planerische Festsetzung Inhalt und Schranken seines Grundeigentums bestimmt (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG); die (potenzielle) Rechtswidrigkeit eines derartigen normativen Eingriffs braucht der Antragsteller nicht ungeprüft hinzunehmen ( 4 BN 17.17 - BauR 2018, 814 Rn. 5).

16Die Antragsbefugnis ist nicht durch die 4. Änderung des Bebauungsplans "Marrbachöschle" entfallen. Diese ist im Revisionsverfahren zu beachten, weil die Vorinstanz sie berücksichtigen müsste, wenn sie im Zeitpunkt des Revisionsurteils entschiede ( 4 CN 3.18 - BVerwGE 164, 74 Rn. 11 m.w.N.). Jedenfalls die Fläche auf dem Grundstück Flurstück Nr. ...1, die im Änderungs-Bebauungsplan für Parkplätze vorgesehen ist, ist nicht Bestandteil der 4. Änderung.

172. Für den Antrag besteht ein Rechtsschutzbedürfnis.

18Die Antragsgegnerin meint, das Rechtsschutzbedürfnis sei entfallen, weil die Antragsteller sehenden Auges die Verwirklichung des Änderungs-Bebauungsplans nicht verhindert hätten. Es seien praktisch alle Grundstücke bebaut bzw. lägen für die Bebauung entsprechende Baugenehmigungen vor. Auch die Erschließungsanlagen seien hergestellt und schafften unveränderliche Tatsachen. Dem ist nicht zu folgen.

19Bei bestehender Antragsbefugnis ist regelmäßig das erforderliche Rechtsschutzinteresse gegeben. Das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses soll nur verhindern, dass Gerichte in eine Normprüfung eintreten, deren Ergebnis für den Antragsteller wertlos ist, weil es seine Rechtsstellung nicht verbessern kann (BVerwG, Beschlüsse vom - 4 N 3.87 - BVerwGE 82, 225 <231>, vom - 4 NB 18.95 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 108 und vom - 4 BN 13.08 - BRS 73 Nr. 51 Rn. 5). Es ist aber nicht erforderlich, dass die begehrte Erklärung einer Norm als unwirksam unmittelbar zum eigentlichen Rechtsschutzziel führt ( 4 CN 3.01 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 156 S. 87 und vom - 4 CN 6.14 - BVerwGE 152, 49 Rn. 15). Ist ein Bebauungsplan durch genehmigte oder genehmigungsfreie Maßnahmen vollständig verwirklicht, so wird der Antragsteller allerdings in der Regel seine Rechtsstellung durch einen erfolgreichen Angriff auf den Bebauungsplan nicht mehr aktuell verbessern können (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 N 3.86 - BVerwGE 78, 85 <92> und vom - 4 NB 1.89 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 37; Urteil vom - 4 CN 5.99 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 134 = juris Rn. 14). Insofern kommt eine das Rechtsschutzbedürfnis ausschließende Verwirklichung einer angegriffenen Festsetzung nach der Senatsrechtsprechung aber nur dann in Betracht, wenn die Festsetzung im Baugebiet auch räumlich "vollständig verwirklicht" ist (BVerwG, Beschlüsse vom - 4 BN 36.09 - juris Rn. 7 und vom - 4 N 3.86 - BVerwGE 78, 85 <92>).

20Danach ist das Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Der Änderungs-Bebauungsplan erfasst das im Eigentum der Antragsteller stehende Grundstück Flurstück Nr. ...1; die dort ausgewiesenen Baurechte wurden bisher nicht ausgenutzt. Die das Grundstück durchschneidende Straße ist noch nicht verwirklicht, auch nicht die auf diesem Grundstück festgesetzten Parkplätze an der D... Straße, Ostseite. Bei einem Erfolg des Normenkontrollantrages würden diese die Antragsteller in ihrem Eigentum beschränkenden Festsetzungen entfallen.

21B. Der Normenkontrollantrag ist begründet. Der Änderungs-Bebauungsplan leidet an formellen Fehlern (1.), die nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich sind und zur Unwirksamkeit des Änderungs-Bebauungsplans führen (2.).

221. Der Änderungs-Bebauungsplan durfte nicht im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden; die Voraussetzungen des § 13a Abs. 4, Abs. 1 Satz 1 BauGB liegen nicht vor.

23Nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB kann ein Bebauungsplan für die Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Nachverdichtung oder andere Maßnahmen der Innenentwicklung (Bebauungsplan der Innenentwicklung) im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden. Dies gilt entsprechend für die Änderung und Ergänzung eines Bebauungsplans (§ 13a Abs. 4 BauGB).

24Nach Auffassung der Vorinstanz hat der Änderungs-Bebauungsplan eine Maßnahme der Innenentwicklung zum Gegenstand. Das Plangebiet sei aufgrund der Überplanung im Jahr 1983 rechtlich nicht mehr dem Außenbereich nach § 35 BauGB, sondern dem Siedlungsbereich zuzurechnen; auf die tatsächlichen Verhältnisse komme es insoweit nicht an. Diese Auslegung des Tatbestandsmerkmals Innenentwicklung verstößt gegen revisibles Recht. Die Abgrenzung von Innen- und Außenentwicklung richtet sich grundsätzlich nach den tatsächlichen Verhältnissen und nicht nach dem planungsrechtlichen Status der Flächen (vgl. auch .N - ZfBR 2017, 156 Rn. 28 f. und vom - 4 C 969/16.N - juris Rn. 52; OVG 2 A 8.16 - juris Rn. 33; ferner Gierke/Scharmer, in: Brügelmann, BauGB, Stand Oktober 2019, § 13a Rn. 34; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 13a Rn. 4; Uechtritz, BauR 2007, 476; Schmidt-Eichstaedt, BauR 2007, 1148; Robl, Das beschleunigte Verfahren für Bebauungspläne der Innenentwicklung, 2010, S. 122 ff. insb. S. 127, 128; Dillmann, BauR 2019, 1546 <1555>; a.A. Spieß, in: Jäde/Dirnberger, BauGB, 9. Aufl. 2018, § 13a Rn. 1; Jaeger, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, Stand , § 13a Rn. 8.1; Rieger, in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 13a Rn. 9).

25a) Der Begriff der Innenentwicklung ist nicht legal definiert. Er nimmt bewusst nicht die herkömmliche Abgrenzung von Innen- und Außenbereich auf, sondern wird vom Gesetzgeber als städtebaufachlicher Terminus vorausgesetzt. Seine Interpretation durch die Gemeinde unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, einen Beurteilungsspielraum hat die Gemeinde nicht ( 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 22).

26Mit § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB knüpft der Gesetzgeber an die ältere Bodenschutzklausel des § 1a Abs. 2 Satz 1 BauGB an, wonach mit Grund und Boden sparsam und schonend umgegangen werden soll und dabei zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Maßnahmen der Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen sind. Er grenzt Bebauungspläne der Innenentwicklung von Bebauungsplänen ab, die gezielt Flächen außerhalb der Ortslagen einer Bebauung zuführen, und will mit § 13a Abs. 1 BauGB Planungen fördern, die der Erhaltung, Erneuerung, Fortentwicklung, Anpassung und dem Umbau vorhandener Ortsteile dienen (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB). Als Gebiete, die für Bebauungspläne der Innenentwicklung in Betracht kommen, nennt er beispielhaft die im Zusammenhang bebauten Ortsteile im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB, innerhalb des Siedlungsbereichs befindliche brachgefallene Flächen sowie innerhalb des Siedlungsbereichs befindliche Gebiete mit einem Bebauungsplan, der infolge notwendiger Anpassungsmaßnahmen geändert oder durch einen neuen Bebauungsplan abgelöst werden soll (BT-Drs. 16/2496 S. 12 zu Nr. 8 und Absatz 1). Mit dem beschleunigten Verfahren und den damit verbundenen Verfahrenserleichterungen, u.a. dem Verzicht auf die Durchführung einer Umweltprüfung (§ 13a Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB) sowie der Eingriffs-Ausgleich-Fiktion des § 13a Abs. 2 Nr. 4 BauGB für die Fälle des § 13a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauGB, will der Gesetzgeber einen Anreiz dafür setzen, dass die Gemeinden von einer Neuinanspruchnahme von Flächen durch Überplanung und Zersiedlung des Außenbereichs absehen (vgl. Söfker, in: Mitschang <Hrsg.>, Innenentwicklung - Fach- und Rechtsfragen der Umsetzung, 2014, 191) und darauf verzichten, den äußeren Umgriff vorhandener Siedlungsbereiche zu erweitern ( 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 24).

27b) Diese gesetzgeberische Intention hat in § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB durch die Nennung der Wiedernutzbarmachung von Flächen und der Nachverdichtung als spezielle Maßnahmen der Innenentwicklung beispielhaft ihren Niederschlag gefunden. Darüber hinaus werden aber auch "andere Maßnahmen der Innenentwicklung" genannt. "Innenentwicklung" ist deshalb der Oberbegriff (zutreffend Krautzberger, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2020, § 13a Rn. 30), der die Anwendung des beschleunigten Verfahrens eröffnet. Für die Anwendbarkeit des beschleunigten Verfahrens gemäß § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB kommt es daher nicht darauf an, wie die Gemeinde die von ihr mit dem Bebauungsplan beabsichtigten Maßnahmen bezeichnet, sondern allein darauf, ob sie damit "Innenentwicklung" im Sinne dieser Vorschrift betreibt ( 4 BN 30.16 - Buchholz 406.11 § 13a BauGB Nr. 4 Rn. 4).

28Mit dem Tatbestandsmerkmal der Innenentwicklung beschränkt § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB seinen räumlichen Anwendungsbereich. Innenentwicklung ist nur innerhalb des Siedlungsbereichs zulässig; das gilt ausweislich der Gesetzesbegründung auch für die Änderung oder Anpassung von Bebauungsplänen (BT-Drs. 16/2496 S. 12). Überplant werden dürfen Flächen, die von einem Siedlungsbereich mit dem Gewicht eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils umschlossen werden. Die äußeren Grenzen des Siedlungsbereichs dürfen durch den Bebauungsplan nicht in den Außenbereich erweitert werden ( 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 22 f.). Die Grenzen des Siedlungsbereichs werden nicht durch Planung bestimmt; die Planung findet diese in der jeweiligen Örtlichkeit vor. Dass es für die Bestimmung der Grenzen des Siedlungsbereichs auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt, zeigen - neben den in der Gesetzesbegründung beschriebenen Anwendungsfällen - die gesetzlichen Beispielsfälle der Wiedernutzbarmachung von Flächen und der Nachverdichtung, die an einen ehemals oder aktuell noch vorhandenen Baubestand anknüpfen. Darin kommt zum Ausdruck, dass für die Innenentwicklung auf solche Flächen zugegriffen werden soll, die bereits baulich in Anspruch genommen wurden und ihre bodenrechtliche Schutzwürdigkeit durch die damit einhergehende Versiegelung jedenfalls teilweise schon verloren haben. Für dieses enge Verständnis streitet auch die Entstehungsgeschichte der Norm. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollte das beschleunigte Verfahren für einen Bebauungsplan gelten, der "der Innenentwicklung dient" (BT-Drs. 16/2496 S. 5). Im Gesetzgebungsverfahren ist der Wortlaut geändert worden, um sicherzustellen, dass nicht auch solche Bebauungspläne als Pläne der Innenentwicklung gelten, die Bauland im bisherigen Außenbereich ausweisen und sich damit mittelbar positiv auf die Innenentwicklung auswirken (vgl. BT-Drs. 16/3308 S. 17).

29c) Eine Auslegung des Begriffs Innenentwicklung, die an die tatsächlichen Verhältnisse anknüpft, steht mit Unionsrecht im Einklang.

30Mit § 13a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauGB hat der nationale Gesetzgeber von der zweiten Variante des Art. 3 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197/30 vom ; im folgenden: "SUP-Richtlinie") Gebrauch gemacht und abstrakt-generell festgelegt, dass bestimmte Pläne ausnahmsweise im beschleunigten Verfahren und damit nach § 13a Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB ohne Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB erlassen werden können (BT-Drs. 16/2496 S. 13). Eine solche abstrakte Regelung ist zulässig, weil es denkbar ist, dass eine besondere Art von Plan, die bestimmte qualitative Voraussetzungen erfüllt, a priori voraussichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen hat, da die Voraussetzungen gewährleisten, dass ein solcher Plan den einschlägigen Kriterien des Anhangs II der Richtlinie entspricht (vgl. 4 BN 12.14 - Buchholz 406.11 § 13a BauGB Nr. 1 Rn. 10; [ECLI:EU:C:2013:247] -Rn. 39). Das mit Bebauungsplänen der Innenentwicklung verfolgte Ziel, die Flächeninanspruchnahme zu begrenzen und Eingriffe in Natur und Landschaft zu vermeiden, rechtfertigt auch die Eingriffs-Ausgleichs-Fiktion des § 13a Abs. 2 Nr. 4 BauGB für die Fälle des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 (vgl. BT-Drs. 16/2496 S. 15). Mit diesem Ziel leistet der Bebauungsplan der Innenentwicklung zugleich einen Beitrag zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung im Sinne des Anhangs II Nr. 1 Spiegelstrich 3 der SUP-Richtlinie ( 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 24; vgl. BT-Drs. 16/2496 S. 1). Für den Flächenverbrauch und die Eingriffsqualität ist aber unerheblich, ob eine unbebaute Fläche bereits überplant ist oder nicht. Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass ein Gebiet schon einmal überplant worden ist, nicht den Schluss, dass bei einer Inanspruchnahme der Flächen nicht (mehr) mit erheblichen Umweltauswirkungen zu rechnen ist. Das gilt erst recht dann, wenn - wie hier - die erste Überplanung ohne Umweltprüfung erfolgt ist.

31d) Der Verwaltungsgerichtshof hat mit bindender Wirkung für den Senat festgestellt (§ 137 Abs. 2 VwGO), dass das Plangebiet trotz Überplanung im Jahr 1983 bis zum Erlass des Änderungs-Bebauungsplans nicht bebaut worden ist. Die Neuplanung verschiebt damit die Grenze des Siedlungsbereichs der Antragsgegnerin, die durch die Bebauung westlich der D... Straße und südlich der B...straße geprägt wird, in den bisher unbebauten Bereich. Das Plangebiet kann nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs schon angesichts seiner Größe von ca. 4,2 ha nicht als Teil der sich nach Süden (B...straße) und Westen (D... Straße) anschließenden Bebauung angesehen werden, zumal selbst eine Prägung des Plangebiets durch die umliegende Bebauung im Grundsatz die Inanspruchnahme von Außenbereichsflächen nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 25). Dass sich die Inanspruchnahme der mit dem Änderungs-Bebauungsplan überplanten Flächen für die Innenentwicklung der Antragsgegnerin möglicherweise positiv auswirkt, mag naheliegen, genügt aber nicht, um die Durchführung des beschleunigten Verfahrens zu rechtfertigen. Damit liegt kein Fall der Innenentwicklung i.S.v. § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB vor.

322. Der Änderungs-Bebauungsplan leidet aufgrund der Wahl des beschleunigten Verfahrens an beachtlichen Mängeln.

33Nach § 1 Abs. 8 i.V.m. § 2 Abs. 4 BauGB hat die Gemeinde im Verfahren zur Änderung eines Bebauungsplans für die Belange des Umweltschutzes nach § 1 Abs. 6 Nr. 7 und § 1a BauGB eine Umweltprüfung durchzuführen. Gemäß § 2a Satz 2 Nr. 2 BauGB ist ferner ein Umweltbericht zu erstellen, in dem die voraussichtlich erheblichen Umweltauswirkungen beschrieben und bewertet werden. Der Umweltbericht ist zusammen mit dem Entwurf des Bebauungsplans nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB öffentlich auszulegen und gemäß § 9 Abs. 8 BauGB der Begründung beizufügen. Gegen diese Vorschriften hat die Antragsgegnerin verstoßen, weil sie weder eine Umweltprüfung vorgenommen noch einen Umweltbericht erstellt hat.

34Der Fehler ist nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB beachtlich ( 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 29). Daran ändert § 214 Abs. 2a Nr. 1 BauGB a.F. nichts. Die Norm ist durch Art. 1 Nr. 30 des Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts vom (BGBl. I S. 1548) mit Wirkung zum aufgehoben worden; sie war bereits vorher nicht (mehr) anwendbar, weil sie mit Unionsrecht unvereinbar war ( - BRS 80 Nr. 1 Rn. 44; 4 CN 9.14 - BVerwGE 153, 174 Rn. 27).

35Der Mangel wurde von den Antragstellern innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB gerügt. Er führt zur Gesamtunwirksamkeit des Änderungs-Bebauungsplans.

363. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die öffentliche Bekanntmachung des Änderungs-Bebauungsplans am nicht zu beanstanden ist.

37Das Normenkontrollgericht hält es für ausreichend, wenn nur in der öffentlichen Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses darauf hingewiesen wird, dass die im Bebauungsplan in Bezug genommene technische Vorschrift bei der Gemeinde zur Einsichtnahme bereitliegt. Eine solche Bekanntgabe genüge den sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und aus § 10 Abs. 3 BauGB an die Verkündung von Normen ergebenden Anforderungen. Das trifft zu.

38Die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips an die Verkündung von Normen stehen einer Verweisung auf nicht öffentlich zugängliche technische Vorschriften in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht von vornherein entgegen ( 4 BN 21.10 - Buchholz 406.11 § 10 BauGB Nr. 46 Rn. 9 ff.). Verweist eine Festsetzung auf eine solche Vorschrift und ergibt sich erst aus dieser Vorschrift, unter welchen Voraussetzungen ein Vorhaben planungsrechtlich zulässig ist, muss der Plangeber aber sicherstellen, dass die Planbetroffenen sich auch vom Inhalt der jeweiligen technischen Vorschrift verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis verschaffen können. Den rechtsstaatlichen Anforderungen genügt die Gemeinde, wenn sie die in Bezug genommene Vorschrift bei der Verwaltungsstelle, bei der auch der Bebauungsplan eingesehen werden kann, zur Einsicht bereithält und hierauf in der Bebauungsplanurkunde hinweist (BVerwG, Beschlüsse vom a.a.O. Rn. 13 und vom - 4 BN 24.16 - Buchholz 406.11 § 10 BauGB Nr. 47 Rn. 7). Ebenso genügt ein entsprechender Hinweis in der ortsüblichen Bekanntmachung, weil dieser in gleicher Weise wie der Hinweis in der Bebauungsplanurkunde geeignet ist, die Planbetroffenen über die Möglichkeit und den Ort der Einsicht in die technische Vorschrift zu informieren (ebenso Reidt, in: Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 8. Aufl. 2014, Rn. 919; Spieß, in: Jäde/Dirnberger, BauGB, 9. Aufl. 2018, § 10 Rn. 45; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2020, § 10 Rn. 127c; Ziegler, DVBl. 2016, 551 <555>; offen gelassen in 4 BN 24.16 - Buchholz 406.11 § 10 BauGB Nr. 47 Rn. 8). Für die Bekanntmachung eines Bebauungsplans genügt es, wenn in der Bekanntmachung darauf hingewiesen wird, wo der Plan eingesehen werden kann (§ 10 Abs. 3 Satz 3 BauGB). Warum für nicht öffentlich zugängliche technische Vorschriften, auf die der Plan verweist, anderes gelten sollte, ist nicht ersichtlich.

39Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:250620U4CN5.18.0

Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 10 Nr. 39
AAAAH-57468