Eigenes Beschwerderecht des Pflichtverteidigers gegen Aufhebung seiner Bestellung
Leitsatz
Einem Pflichtverteidiger steht gegen die Aufhebung seiner Bestellung kein eigenes Beschwerderecht zu.
Gesetze: § 143a Abs 4 StPO, § 304 Abs 4 S 2 Halbs 2 Nr 1 StPO, Art 12 Abs 1 GG
Gründe
I.
1Das Oberlandesgericht führt gegen den Angeklagten ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Mordes.
2Der Angeklagte hat beantragt, die Pflichtverteidigerbestellung des Beschwerdeführers zurückzunehmen, weil das Vertrauensverhältnis zu diesem vollständig zerrüttet sei. Diesem Antrag ist der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats nach vorheriger Anhörung des Beschwerdeführers nachgekommen. Dieser wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen seine Entpflichtung. Zur Begründung führt er unter näherer Darlegung des Verfahrensganges und rechtlicher Erwägungen aus, einem Pflichtverteidiger stehe generell ein eigenes Beschwerderecht gegen die Aufhebung seiner Bestellung zu; zumindest sei ein solches bei willkürlichen oder unsachlichen, unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbaren Entscheidungen gegeben. Das Rechtsmittel sei auch begründet, denn das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und dem Angeklagten sei nicht zerrüttet.
3Der Generalbundesanwalt und der Angeklagte haben beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II.
4Die sofortige Beschwerde ist unzulässig. Sie ist zwar nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthaft, jedoch ist der Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung nicht im rechtlichen Sinne beschwert.
5Einem Pflichtverteidiger steht gegen die Aufhebung seiner Bestellung kein eigenes Beschwerderecht zu (vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom - 2 Ws 255/97, NJW 1998, 621; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom - 3 Ws 191/96, NStZ-RR 1996, 272; , MDR 1993, 1226; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 143 Rn. 6; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, § 143 Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 143a Rn. 36; für ein Beschwerderecht im Falle einer willkürlichen Entscheidung vgl. , NStZ 1986, 138; , NStZ 1982, 129; Dölling/Duttge/König/Rössner/Weiler, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 143 StPO Rn. 7; LR/Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 143 Rn. 16; SK-StPO/Wohlers, 5. Aufl., § 143 Rn. 26; für ein generelles Beschwerderecht hingegen Hilgendorf, NStZ 1996, 1, 6 f.; HK-StPO/Julius/Schiemann, 6. Aufl., § 143 Rn. 10; SSW-StPO/Beulke, 4. Aufl., § 143 Rn. 29 jeweils mwN). Nach der Regelung des § 304 Abs. 2 StPO können zwar andere Personen, zu denen auch Verteidiger zählen können (vgl. , NJW 2020, 1534 Rn. 3 mwN), (sofortige) Beschwerde einlegen, wenn sie in ihren Rechten betroffen sind. Anders als durch die Ablehnung der von einem Pflichtverteidiger beantragten Rücknahme seiner Beiordnung (vgl. , NJW 2020, 1534) ist eine die Beschwerdebefugnis begründende Rechtsbeeinträchtigung durch die gegen seinen Willen vorgenommene Entpflichtung jedoch nicht gegeben.
61. Der Zweck der Pflichtverteidigung, die ein Rechtsanwalt grundsätzlich übernehmen muss (§ 49 Abs. 1 BRAO), besteht - ausschließlich - darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen (§ 140 StPO) rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (vgl. , BVerfGE 39, 238, 242; , MDR 1993, 1226; , NStZ 1986, 138). Die Beiordnung eines Verteidigers erfolgt demzufolge nicht in dessen, sondern allein im öffentlichen Interesse zum Schutz des Beschuldigten. Ein Rechtsanwalt hat deshalb keinen aus eigenem Recht ableitbaren Anspruch darauf, in einer bestimmten Strafsache zum Verteidiger bestellt zu werden, eine ihm übertragene Pflichtverteidigung weiterzuführen und seiner - drohenden oder vollzogenen - Abberufung entgegenzutreten (vgl. , NStZ 1986, 138). Anders als die Ablehnung der von ihm nach § 49 Abs. 2 i.V.m. § 48 Abs. 2 BRAO beantragten Aufhebung seiner Beiordnung, die ihn mit Blick auf die ihm aus § 49 Abs. 1 BRAO erwachsende Berufspflicht in seinem Recht auf Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG beeinträchtigen kann (vgl. , NJW 2020, 1534 Rn. 3 ff.; s. auch , BVerfGE 39, 238, 241 f.), ist die Rücknahme der Bestellung kein ihn beschwerender Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. , BVerfGE 39, 238, 241 f.; so auch BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvQ 32/97, NJW 1998, 444; vom - 2 BvR 325/97, NStZ-RR 1997, 202, 203).
7Aus der ihm durch die staatliche Indienstnahme zukommenden öffentlichen Funktion folgt nichts anderes (so aber Hilgendorf, NStZ 1996, 1, 7; SSW-StPO/Beulke, 4. Aufl., § 143 Rn. 29), denn die Aufgabenerfüllung im öffentlichen Interesse endet mit der Aufhebung der Bestellung. Mit Blick auf seine öffentliche Funktion liegt auch keine vergleichbare Interessenlage zu einem Wahlverteidiger und dessen Beschwerderecht aus § 138d Abs. 6 Satz 1 StPO vor (anders Hilgendorf, NStZ 1996, 1, 6 f.). Zudem darf der ausgeschlossene Wahlverteidiger in dem betreffenden Verfahren für den Angeklagten in keiner Form mehr auftreten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 138a Rn. 22), während der Pflichtverteidiger nach seiner Abberufung grundsätzlich weiterhin als Wahlverteidiger tätig werden kann (vgl. , BVerfGE 39, 238, 245 f.). Da dem Verteidiger kein Anspruch auf Fortführung des Pflichtverteidigermandats zusteht, vermögen - anders als der Beschwerdeführer meint - damit ggf. verbundene wirtschaftliche Interessen oder ein Rehabilitationsinteresse eine Rechtsbetroffenheit ebenfalls nicht auszulösen.
82. Diese Grundsätze entsprechen auch dem Willen des Gesetzgebers nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom (BGBl. I, S. 2128 ff.). Insbesondere hat der Gesetzgeber in Kenntnis der bisherigen Rechtspraxis für die sofortige Beschwerde in § 143a Abs. 4 StPO nF an dem Erfordernis einer Beschwer festgehalten.
9Das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Prozesskostenhilfe für verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls (ABl. EU L 297 S. 1 ff.). In Beibehaltung des "bewährten Systems der notwendigen Verteidigung" (BT-Drucks. 19/13829, S. 2) regeln §§ 143, 143a StPO nF nunmehr die nach bisheriger Rechtslage nur ansatzweise und fragmentarisch normierten Fragen der Dauer, Aufhebung und Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestellung (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 20). Soweit Entscheidungen über einen Verteidigerwechsel, die nach bisheriger Gesetzeslage der (einfachen) Beschwerde unterlagen, nunmehr mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde angegriffen werden können (§ 143a Abs. 4 StPO), ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass für die Zulässigkeit des Rechtsmittels an dem Erfordernis einer Beschwer festgehalten wird. Denn der Gesetzgeber hat ausdrücklich Bezug auf die bisherige Rechtsschutzmöglichkeit genommen und dargelegt, die Einführung einer sofortigen Beschwerde diene ausschließlich dazu, rasch Klarheit über die Frage zu schaffen, wer die Verteidigung übernimmt (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 49 ["soweit eine Beschwer besteht"]).
10Auch das EU-Recht begründet keine Beschwerdebefugnis des Pflichtverteidigers in der hiesigen Konstellation. Art. 8 RL 2016/1919/EU verpflichtet die Mitgliedstaaten, verdächtigen, beschuldigten und gesuchten Personen einen wirksamen Rechtsbehelf für den Fall der Verletzung ihrer Rechte aus der Richtlinie zur Verfügung zu stellen; die Schaffung besonderer Rechtsschutzmöglichkeiten für Verteidiger intendiert die Richtlinie indes nicht.
113. Schließlich kann dahinstehen, ob ein Verstoß gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende objektive Willkürverbot (vgl. , juris Rn. 34 f.; Hömig/Wolff, GG, 12. Aufl., Art. 3 Rn. 5) ein Beschwerderecht zu begründen vermag (so , NStZ 1986, 138; , NStZ 1982, 129; Dölling/Duttge/König/Rössner/Weiler, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 143 StPO Rn. 7; LR/Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 143 Rn. 16; SK-StPO/Wohlers, 5. Aufl., § 143 Rn. 26), denn die angefochtene Entscheidung ist auch mit Blick auf die von dem Vorsitzenden abgegebenen Erklärungen in der Hauptverhandlung jedenfalls in der Sache nicht offensichtlich unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich unvertretbar (zu den Voraussetzungen eines Verstoßes s. , juris Rn. 35; BeckOK GG/Kischel, 43. Ed., Art. 3 Rn. 84, jeweils mwN).
Schäfer Wimmer Anstötz
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:180820BSTB25.20.0
Fundstelle(n):
AO-StB 2021 S. 24 Nr. 1
NJW 2020 S. 10 Nr. 39
NJW 2020 S. 3331 Nr. 45
wistra 2020 S. 472 Nr. 11
IAAAH-57422