Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 11 Ca 1132/18 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 17 Sa 1528/18 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung sowie hilfsweise ua. über einen Anspruch auf Nachteilsausgleich.
2Die Klägerin war bei der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (Schuldnerin) mit Sitz in Berlin bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem als Flugbegleiterin beschäftigt.
3Die Schuldnerin war eine Fluggesellschaft und bediente mit mehr als 6.000 Beschäftigten im Linienflugverkehr inner- und außereuropäische Ziele. Hierfür unterhielt sie ua. Stationen an den Flughäfen Berlin-Tegel, Düsseldorf und Frankfurt am Main. In Berlin war der Leiter des Flugbetriebs („Head of Flight Operations“) ansässig. Diesem oblag die Leitung und Führung des Cockpitpersonals im operativen Geschäft. Die Umlauf- und Dienstplanung erfolgte für den gesamten Flugbetrieb zentral von Berlin aus. Für das Cockpitpersonal waren vier Area Manager tätig, die jeweils für mehrere Stationen zuständig und dem Flottenmanagement unterstellt waren. Das Kabinenpersonal wurde ua. durch zwei Regional Manager betreut. Den Regional Managern waren sog. Area Manager Kabine („Area Manager Cabin“) untergeordnet. Der vertraglich vereinbarte Einsatzort der Klägerin war die Station am Flughafen Frankfurt am Main, der auch eine bestimmte Anzahl von Flugzeugen nebst Parkplätzen zugeordnet war. Diese Station fiel in den Zuständigkeitsbereich der Regional Managerin Nord und Süd. Die Kompetenzen der genannten Positionen sowie deren Pflichten und Aufgaben ergeben sich aus dem sog. „Operations Manual Part A“ (OM/A, Stand ), welches die Organisationsstruktur des Flugbetriebs abbildete. Darüber hinaus enthält § 12 des zwischen der Schuldnerin und der Vereinten Dienstleistungsgesellschaft ver.di abgeschlossenen Tarifvertrags „Werdegang Kabine airberlin“ vom eine Definition des Area Managers Kabine sowie eine Beschreibung seiner Aufgaben.
4Für das Cockpitpersonal war gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG durch Abschluss des „Tarifvertrags Personalvertretung (TVPV) für das Cockpitpersonal der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“ eine Personalvertretung (PV Cockpit) gebildet. Für das Kabinenpersonal wurde durch den „Tarifvertrag Personalvertretung (TVPV) für das Kabinenpersonal der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“ (im Folgenden TVPV) die Personalvertretung Kabine (PV Kabine) errichtet. Die §§ 80 ff. TVPV entsprechen den §§ 111 ff. BetrVG. § 83 Abs. 3 TVPV ist § 113 Abs. 3 BetrVG nachgebildet und sieht in Verbindung mit § 83 Abs. 1 TVPV die Gewährung eines Nachteilsausgleichs vor, falls die Schuldnerin eine geplante Betriebsänderung durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit der PV Kabine versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden.
5Am beantragte die Schuldnerin beim zuständigen Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen bei Eigenverwaltung. Das Gericht ordnete zunächst die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten am zum vorläufigen Sachwalter. Danach leitete die Schuldnerin eine Investorensuche ein, die eine Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen einer übertragenden Sanierung ermöglichen sollte. Nach Ablauf der Angebotsfrist am lag kein annahmefähiges Angebot vor. Daraufhin wurde beschlossen, weitere Verhandlungen mit der Lufthansa-Gruppe und der britischen Fluggesellschaft easyJet Airline Company Limited (easyJet) zu führen.
6Am unterzeichneten der Executive Director der persönlich haftenden Gesellschafterin der Schuldnerin, der Generalbevollmächtigte der Schuldnerin und der Beklagte für die Schuldnerin eine Erklärung. Demnach war beabsichtigt, den Betrieb bis spätestens stillzulegen.
7Mit Schreiben vom wandte sich die Schuldnerin an die PV Kabine. Es sei beabsichtigt, die durch die Betriebsstilllegung bedingten Kündigungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Laufe des Monats Oktober 2017, voraussichtlich ab , unter Wahrung der gegebenenfalls durch § 113 InsO begrenzten Kündigungsfrist zu erklären. Wegen der Beendigung aller Arbeitsverhältnisse sei eine Sozialauswahl nicht erforderlich. Da es sich um eine anzeigepflichtige Massenentlassung iSd. § 17 Abs. 1 KSchG handle, werde das Konsultationsverfahren hiermit gemäß § 17 Abs. 2 KSchG eingeleitet.
8Mit Beschluss vom eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Es ordnete Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten zum Sachwalter. Dieser zeigte noch am gleichen Tage gegenüber dem Insolvenzgericht eine drohende Masseunzulänglichkeit an.
9Bezüglich der beabsichtigten Kündigung des Kabinenpersonals fanden zwischen der Schuldnerin und der PV Kabine Verhandlungen hinsichtlich des Abschlusses eines Interessenausgleichs statt. Es bestand bis zuletzt Uneinigkeit über die Frage, ob die Schuldnerin die PV Kabine ausreichend unterrichtet habe. Im Einigungsstellenverfahren kam kein Interessenausgleich zu Stande.
10Mit Formular und Begleitschreiben vom erstattete die Schuldnerin bei der Agentur für Arbeit Berlin Nord eine Massenentlassungsanzeige bezüglich des Kabinenpersonals.
11Das Begleitschreiben nimmt Bezug auf die am und gestellten Massenentlassungsanzeigen für das Boden- bzw. Cockpitpersonal und erläutert den Grund für die Entlassung des Kabinenpersonals. Dieses umfasse in der Regel 3.126 Mitarbeiter. Es sei die Kündigung des gesamten Kabinenpersonals beabsichtigt, allerdings unterlägen davon 455 Beschäftigte einem gesetzlichen Sonderkündigungsschutz. Insoweit müssten erst die behördlichen Verfahren durchgeführt werden. Die Personalleitung für das Kabinenpersonal erfolge in sämtlichen Angelegenheiten von Berlin aus. Dort habe auch die auf tariflicher Grundlage gebildete PV Kabine ihren Sitz. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG sei mit dem Schreiben an die PV Kabine vom eingeleitet worden. Die Personalvertretung habe auch die Personalliste erhalten. Der Ablauf der Beratungen mit der PV Kabine wurde wie folgt dargestellt:
12In dem Formular „Entlassungsanzeige gemäß § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)“ der Bundesagentur für Arbeit (Stand 06/2017) hat die Schuldnerin angegeben, die Anzeige beziehe sich auf den „Hauptsitz der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“. Hinsichtlich der Angabe der in der Regel Beschäftigten wird maschinenschriftlich auf eine „extra Anlage“ verwiesen. In den Anlagen wird unter „Angaben zu Entlassungen Kabine“ die Zahl von insgesamt 3.126 Beschäftigten, welche der Berufsgruppe 51422 angehören, genannt. Die Anlage 3.31 schlüsselt die Angaben „nach Base“, dh. nach Flughafenstationen, auf. Zudem wurde eine anonymisierte Personalliste eingereicht, welche Geschlecht und Wohnort angibt.
13Mit Beschluss vom hob das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung auf und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.
14Mit Schreiben vom hörte der Beklagte die PV Kabine und die Schwerbehindertenvertretung Bord zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung sämtlicher in einer Anlage 2 benannten Beschäftigten des Kabinenpersonals an. Die PV Kabine widersprach den beabsichtigten Kündigungen mit Schreiben vom .
15Der Beklagte kündigte der Klägerin mit einem am zugegangenen Schreiben vom zum .
16Mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage hat sich die Klägerin gegen diese Kündigung gewandt. Sie sei unwirksam. Eine Betriebsstilllegung sei weder beabsichtigt gewesen noch vollzogen worden. Es habe vielmehr ein Betriebs(teil)übergang auf ein Unternehmen der Lufthansa-Gruppe bzw. auf easyJet stattgefunden. Zudem sei die PV Kabine nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Dies gelte sowohl bezüglich des nach § 17 Abs. 2 KSchG durchzuführenden Konsultationsverfahrens als auch bezüglich der erforderlichen Anhörung vor Erklärung der Kündigung. Die Massenentlassungsanzeige sei fehlerhaft.
17Sollte die Kündigung wirksam sein, bestünde jedenfalls ein Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG bzw. § 83 Abs. 3 TVPV sowie auf Abschluss eines Fortsetzungsvertrags zu den Bedingungen des bisherigen Arbeitsvertrags.
18Die Klägerin hat daher - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - zuletzt beantragt
19Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei wegen der beabsichtigten und tatsächlich erfolgten Stilllegung des Flugbetriebs sozial gerechtfertigt. Ein Betriebs(teil)übergang sei nicht geplant gewesen und habe auch nicht stattgefunden. Die Rechte der PV Kabine seien gewahrt. Die Massenentlassung sei ordnungsgemäß gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt worden.
20Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das arbeitsgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen und damit die arbeitsgerichtliche Klageabweisung im Hinblick auf die nicht zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gewordenen Anträge auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses (erstinstanzlicher Antrag zu 2.) sowie auf Auskunft im Hinblick auf einen möglichen Betriebsübergang bestätigt. Die Hilfsanträge seien aufgrund des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag nicht zur Entscheidung angefallen. Mit der vom Landesarbeitsgericht für den Beklagten zugelassenen Revision verfolgt dieser seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision. Im Wege der Anschlussrevision begehrt die Klägerin hilfsweise die Zahlung eines der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellten Nachteilsausgleichs, äußerst hilfsweise die Feststellung einer diesbezüglichen Zahlungsverpflichtung des Beklagten als Neumasseverbindlichkeit.
Gründe
21Die von den Parteien erhobenen Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
22I. Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet.
231. Die streitgegenständliche Kündigung ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, wegen einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam. Dies hat der Senat in einem Parallelverfahren entschieden und nimmt auf die Begründung dieses Urteils Bezug ( - Rn. 113 ff.). Die Schuldnerin hat den Betriebsbegriff des Massenentlassungsrechts verkannt und deswegen die Anzeige bei der unzuständigen Agentur für Arbeit Berlin Nord erstattet. Eine Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit Frankfurt am Main erfolgte vor Zugang der Kündigung bei der Klägerin hingegen nicht. Darüber hinaus entspricht die Anzeige im Hinblick auf die sog. „Muss-Angaben“ nicht den Vorgaben des § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG. Schließlich hat die Schuldnerin den Stand der Beratungen mit der PV Kabine gegenüber der Agentur für Arbeit nicht ausreichend dargelegt und dadurch gegen § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG verstoßen.
242. Die Hilfsanträge zu 2. bis 4. fielen nicht zur Entscheidung an. Sie waren für den Fall des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellt. Diese innerprozessuale Bedingung ist nicht eingetreten.
25II. Die Anschlussrevision der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen.
261. Mit dieser wendet sich die Klägerin zum einen im Rahmen des Kündigungsschutzantrags insofern gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, als dieses die Kündigung ausschließlich wegen einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige als unwirksam erachtet hat. Die Klägerin möchte im Rahmen ihres Anschlussrechtsmittels darüber hinaus die Feststellung erreichen, dass die streitgegenständliche Kündigung wegen eines Betriebs(teil)übergangs (§ 613a Abs. 4 BGB) unwirksam ist. Zum anderen verfolgt die Klägerin mit der Anschlussrevision für den Fall ihres Unterliegens mit dem Antrag, die Revision des Beklagten zurückzuweisen, dh. der Abweisung der Kündigungsschutzklage, die Hilfsanträge bezüglich des Nachteilsausgleichs weiter.
272. Soweit die Klägerin sich dagegen richtet, dass das Landesarbeitsgericht die Kündigung (nur) gemäß § 134 BGB iVm. § 17 KSchG und nicht (auch) nach § 613a Abs. 4 BGB bzw. nach § 1 Abs. 3 KSchG für unwirksam erachtet hat, fehlt es ihrer Anschlussrevision an der erforderlichen Beschwer. Die Klägerin wendet sich insoweit nur gegen die Entscheidungsgründe und erstrebt lediglich denselben Entscheidungstenor mit einer anderen Begründung (vgl. - zu II 1 der Gründe mwN). Auf die Erstattung eines solchen Rechtsgutachtens hat die Klägerin keinen Anspruch. Es handelt sich entgegen dem Vorbringen der Klägerin auch nicht um unterschiedliche Streitgegenstände, soweit die Unwirksamkeit ein und derselben Kündigung wegen eines Betriebs(teil)übergangs und daneben wegen eines fehlerhaften Konsultationsverfahrens geltend gemacht wird. Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG ist stets die Wirksamkeit der Kündigung und der (Fort-)Bestand des Arbeitsverhältnisses bis zu dem beabsichtigten Kündigungstermin unter Berücksichtigung aller innerhalb der Frist des § 6 KSchG geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe (vgl. Eylert NZA 2012, 9, 10). Alle geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe sind daher nur Sachvortrag innerhalb eines einzigen Streitgegenstands (vgl. - Rn. 13, BAGE 140, 261).
283. Soweit die Klägerin mit ihrer Anschlussrevision die Hilfsanträge auf Nachteilsausgleich weiterverfolgt hat, sind diese aufgrund des Obsiegens der Klägerin in Bezug auf den Kündigungsschutzantrag dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen.
29III. Wegen der Erfolglosigkeit der Revision und der Anschlussrevision waren die Kosten des Revisionsverfahrens gemäß § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO verhältnismäßig zu teilen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:140520.U.6AZR674.19.0
Fundstelle(n):
BB 2020 S. 2099 Nr. 38
BB 2020 S. 2099 Nr. 38
YAAAH-57207