Instanzenzug: VG Freiburg (Breisgau) Az: 4 K 7063/17 Beschluss
Gründe
I
1Mit Bescheid vom stellte das Bundesministerium des Innern das Verbot des Vereins "linksunten.indymedia" fest. Im Bescheid wurde zugleich die Beschlagnahme und Einziehung des Vereinsvermögens verfügt und die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet. Unter dem gleichen Datum wandte sich die Verbotsbehörde an das Baden-Württembergische Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration und ersuchte es, die Verbotsverfügung zeitgleich mit der Zustellung am zu vollziehen und die erforderlichen Maßnahmen zum Zwecke der Sicherstellung des beschlagnahmten Vereinsvermögens sowie der weiteren Aufklärung der Vereinsstrukturen durchzuführen. Dem Schreiben war eine Auflistung beigefügt, in der Personen und Räumlichkeiten benannt wurden, die Gegenstand der Vollzugs- und Ermittlungsmaßnahmen sein sollten. Für die dort genannten Personen - unter ihnen auch die Antragstellerin des vorliegenden Verfahrens - ersuchte die Verbotsbehörde u.a. um Durchführung einer Postbeschlagnahme. Das Baden-Württembergische Innenministerium leitete das Ersuchen mit Schreiben vom mit der Bitte um Vollzug an das Regierungspräsidium Freiburg weiter.
2Auf Antrag des Regierungspräsidiums Freiburg ordnete das Verwaltungsgericht Freiburg mit Beschluss vom für einen Zeitraum von sechs Wochen ab Zustellung des Vereinsverbots die Sicherstellung der an den Wohnsitz der Antragstellerin adressierten organisationsbezogenen Briefe und anderer Postsendungen gegen die Deutsche Post AG an. Die Öffnung der Post wurde einem namentlich genannten Bediensteten des Landeskriminalamts Baden-Württemberg übertragen. Die Voraussetzungen einer Anordnung nach § 4 Abs. 4 Satz 1 und § 10 Abs. 2 Satz 4 VereinsG i.V.m. § 99 StPO seien erfüllt. Im Zeitpunkt der Zustellung der Verbotsverfügung liege eine wirksame Verbots- und Beschlagnahmeverfügung vor. Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verbotsbescheids und der Vermögensbeschlagnahme drängten sich nicht auf. Einwänden gegen deren Rechtmäßigkeit sei in einem Klageverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nachzugehen. Die Anordnung diene dem legitimen Zweck der Durchsetzung der Vermögensbeschlagnahme und der weiteren Ermittlungen von für das Vereinsverbot relevanten Tatsachen. Dafür erweise sich die Postbeschlagnahme auch als geeignet. Es bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich bei den organisationsbezogenen Postsendungen, die an die Antragstellerin adressiert seien, auch solche befänden, die von der vollziehbaren Beschlagnahme des Vereinsvermögens erfasst seien. Denn aus den vorgelegten Unterlagen ergebe sich, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum engen Kreis der Betreiber des Vereins Postsendungen erhalte, die den verbotenen Verein beträfen. Die Sicherstellungsanordnung sei auch erforderlich, weil auf anderem Wege nicht gleichermaßen sicher auf die Postsendungen zugegriffen werden könne. Auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sei vor dem Hintergrund der im Vereinsgesetz grundsätzlich vorgesehenen Postbeschlagnahme und angesichts des beschränkten Zeitraums zu bejahen. Um den Untersuchungserfolg und den staatlichen Zugriff auf das Vereinsvermögen nicht durch Verzögerungen zu gefährden, sei die Öffnung der Postsendungen einem Bediensteten des Landeskriminalamts Baden-Württemberg zu übertragen.
3Nach Abschluss der Postbeschlagnahme übermittelte das Regierungspräsidium Freiburg den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg mit Schreiben vom an die Bevollmächtigte der Antragstellerin und wies sie auf die Möglichkeit des nachträglichen Rechtsschutzes entsprechend § 101 Abs. 7 StPO hin. Mit Schriftsatz vom beantragte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Freiburg,
festzustellen, dass die Sicherstellung der an ihre Wohnsitzadresse adressierten organisationsbezogenen Briefe und Postsendungen, die als Vermögen von "linksunten.indymedia" durch die Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern vom (ÖSII3-20106/2#9) eingezogen worden sind, sowohl dem Grunde nach wie auch nach der durchgeführten Art und Weise rechtswidrig gewesen ist.
4Das Verwaltungsgericht behandelte den Antrag als Beschwerde gegen seinen Beschluss vom und legte ihn dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vor. Der Verwaltungsgerichtshof reichte den Antrag zur Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurück. In der vorliegenden Konstellation könne Rechtsschutz für die am Ausgangsverfahren nicht beteiligte Antragstellerin nur gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 VereinsG i.V.m. § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO gewährt werden.
5Mit Schreiben vom erläuterte das Landeskriminalamt die Art und Weise seines Vorgehens. Die Deutsche Post AG habe neun an die Antragstellerin adressierte Postsendungen zu Händen des beauftragten Mitarbeiters ausgeliefert, die sämtlich nach einer äußerlichen Sichtung ohne Öffnung zurückgeleitet worden seien. Nach Ablauf der Frist von der Deutsche Post AG versehentlich noch übermittelte Postsendungen seien ungeöffnet und umgehend zurückgeleitet worden.
6Mit Beschluss vom hat das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen. Gegenstand des Verfahrens sei eine gerichtlich angeordnete verdeckte Maßnahme in Form einer Postbeschlagnahme nach § 99 StPO. Rechtsschutz dagegen sei gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 VereinsG i.V.m. § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO zu gewähren. § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO ordne eine Entscheidung durch das in der Hauptsache befasste Gericht an. Daher sei das mit der Rechtmäßigkeit des Vereinsverbots befasste Gericht, vorliegend das Bundesverwaltungsgericht, zuständig.
7Der Antragsgegner hat gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht sinngemäß beantragt,
die Anträge abzulehnen.
II
8Die statthaften Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin bleiben ohne Erfolg. Die im Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom angeordnete Postbeschlagnahme und die Art und Weise ihrer Durchführung waren rechtmäßig.
91. Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Entscheidung über den vorliegenden Rechtsstreit in Folge der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Verwaltungsgerichts Freiburg vom berufen (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG). Dagegen ergibt sich eine sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht aus einer in § 4 Abs. 4 Satz 1, § 10 Abs. 2 Satz 4 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts vom (BGBl. I S. 593), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom (BGBl. I S. 419) <VereinsG>, angeordneten entsprechenden Anwendung des § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO. Für die Anwendung dieser strafprozessualen Zuständigkeitsnorm fehlt es im vereinsrechtlichen Rechtsbehelfsverfahren an einer die entsprechende Anwendung rechtfertigenden Vergleichbarkeit.
10a. Den zuständigen Behörden nach dem Vereinsgesetz sind besondere Aufklärungsbefugnisse eingeräumt, die denen der Staatsanwaltschaft ähnlich sind (vgl. 6 B 3.01 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 33 S. 30). So kann die Verbotsbehörde im Zuge ihrer Ermittlungen die richterliche Vernehmung von Zeugen beantragen, Beweismittel beschlagnahmen oder Durchsuchungen ausführen (§ 4 Abs. 2 VereinsG). Auch zur Durchsetzung einer im Verbotsbescheid ausgesprochenen Beschlagnahme des Vereinsvermögens kann die zuständige Behörde Sachen im Gewahrsam des Vereins und auf Grund besonderer Anordnung im Gewahrsam Dritter sicherstellen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 VereinsG). Diese erweiterten Befugnisse sind an die gleichen verfahrensrechtlichen Vorkehrungen gebunden, die auch für Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft nach der Strafprozessordnung gelten, insbesondere besteht für einzelne Maßnahmen ein Richtervorbehalt. An die Stelle des Ermittlungsrichters (§ 162 Abs. 1 StPO) tritt im vereinsrechtlichen Verfahren das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk die Handlung vorzunehmen ist (§ 4 Abs. 2 Satz 1, § 10 Abs. 2 Satz 5 VereinsG).
11b. Der Rechtsschutz gegen Ermittlungsmaßnahmen ergibt sich - soweit keine spezielle vereinsrechtliche Regelung vorliegt - aus der Verwaltungsgerichtsordnung. Ergeht zur Durchführung einer solchen Maßnahme eine gerichtliche Entscheidung, so steht dem Betroffenen dagegen grundsätzlich die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 1 VwGO offen (OVG Lüneburg, Beschluss vom - 11 OB 144/19 [ECLI:DE:OVGNI:2019:0704.11OB144.19.00] - NVwZ-RR 2019, 910 Rn. 13; VGH Mannheim, Beschlüsse vom - 1 S 2071/17 [ECLI:DE:VGHBW:2018:0619.1S2071.17.00] - Justiz 2019, 33 Rn. 2 und vom - 1 S 982/18 [ECLI:DE:VGHBW:2019:0402.1S982.18.00] - NVwZ-RR 2019, 901 Rn. 17; Albrecht, in: Albrecht/Roggenkamp, Vereinsgesetz, 1. Aufl. 2014, § 4 Rn. 77; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 4 VereinsG Rn. 47 m.w.N.).
12c. Sind von der Beschlagnahme Postsendungen und Telegramme erfasst, die sich im Gewahrsam von Personen oder Unternehmen befinden, die geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, verweisen die § 4 Abs. 4 Satz 1, § 10 Abs. 2 Satz 4 VereinsG allerdings auf eine entsprechende Anwendung der strafprozessualen Bestimmungen über die Postbeschlagnahme (§ 99 StPO). Neben den Vorschriften über die Art und Weise der Durchführung einer Postbeschlagnahme (§§ 100, 101 StPO) sind damit nach dem Wortlaut auch die besonderen strafprozessualen Rechtsschutzmöglichkeiten für sog. verdeckte Ermittlungsmaßnahmen in § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO in Bezug genommen. Dies entspricht dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers. Der Wortlaut des § 10 Abs. 2 Satz 4 VereinsG wurde im Zuge des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom (BGBl. I S. 3198) neu gefasst und nimmt nunmehr ausdrücklich Bezug auf die Absätze 3 bis 8 des geänderten § 101 StPO. Damit soll ausweislich der Begründung des Gesetzesvorschlags die Neugestaltung des nachträglichen strafprozessualen Rechtsschutzes auf die Postbeschlagnahme nach dem Vereinsgesetz ausgedehnt werden, um eine unterschiedliche Handhabung der strafprozessualen Postbeschlagnahme nach § 99 StPO einerseits und nach § 10 Abs. 2 VereinsG i.V.m. § 99 StPO andererseits zu vermeiden (BT-Drs. 16/5846 S. 76). Dass eine Angleichung des Wortlauts des § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG in diesem Zusammenhang unterblieben ist, dürfte mangels anderweitiger Hinweise in den Materialien auf einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers beruhen. Der Gesetzgeber hat das Grundanliegen verfolgt, für die Postbeschlagnahme nach der Strafprozessordnung und dem Vereinsgesetz abweichende Verfahrensvorschriften und Rechtsbehelfe zu vermeiden. Daher ist auch die unverändert gebliebene Verweisung in § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG auf §§ 99 und 101 StPO als Verweisung auf den in § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO eröffneten strafprozessualen Rechtsbehelf zu verstehen.
13d. Ordnet das Verwaltungsgericht im Zuge vereinsrechtlicher Ermittlungen oder zur Sicherstellung von Vereinsvermögen eine verdeckte Postbeschlagnahme an, ist daher den im Katalog des § 101 Abs. 4 Satz 1 StPO genannten Personen nach Beendigung der Maßnahme eine fristgebundene nachträgliche Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet, die sowohl auf eine Überprüfung der gerichtlichen Anordnung wie auch der Art und Weise ihrer Durchführung gerichtet ist. Auf diese Möglichkeit und die dafür zu wahrende Zweiwochenfrist sind sie hinzuweisen (§ 101 Abs. 4 Satz 2 StPO). Zur Entscheidung über den Rechtsbehelf ist gemäß § 101 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. Satz 1 StPO das für die ursprüngliche Anordnung der Maßnahme zuständige Gericht berufen. Gegen seine Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft (§ 101 Abs. 7 Satz 3 StPO).
14Das Verfahren nach § 101 Abs. 7 StPO beinhaltet eine spezielle Regelung, die im Strafverfahren die allgemeinen Rechtsbehelfe nach der Strafprozessordnung verdrängt ( u.a. - BGHSt 53, 1 Rn. 6). Auch im Verwaltungsprozess tritt dieses Verfahren an die Stelle anderweitiger Rechtsschutzmöglichkeiten nach der Verwaltungsgerichtsordnung, um eine Verdopplung des Rechtsschutzes zu vermeiden (vgl. ähnlich zum Verhältnis weiterer Rechtsschutzmöglichkeiten Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 4 VereinsG Rn. 54).
15e. Allerdings ordnet die Strafprozessordnung in § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO für den Fall, dass "öffentliche Klage erhoben und der Angeklagte benachrichtigt ist", eine Sonderzuständigkeit und eine besondere Form der Entscheidung an. In diesem Stadium des Strafverfahrens entscheidet über einen Rechtsbehelf nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO anstelle des anordnenden Gerichts das "mit der Sache befasste Gericht" und zwar in der das Strafverfahren abschließenden Entscheidung. Das Verwaltungsgericht legt seinem Verweisungsbeschluss zugrunde, dass auch § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO im vereinsrechtlichen Verfahren entsprechende Anwendung finde und daher mit der Erhebung der Anfechtungsklage gegen die Verbotsverfügung die Entscheidungszuständigkeit auf das Hauptsachegericht, also das zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Verbots berufene Gericht, vorliegend das Bundesverwaltungsgericht (§ 50 Abs. 1 Nr. 2 VwGO), übergehe. Die vom Verwaltungsgericht zur Annahme einer entsprechenden Anwendung des § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO angeführten Erwägungen vermögen eine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts allerdings nicht zu begründen. Die in § 4 Abs. 4 Satz 1 und § 10 Abs. 2 Satz 4 VereinsG angeordnete entsprechende Geltung von §§ 99 bis 101 StPO bzw. von §§ 99, 100 und 101 Abs. 3 bis 8 StPO erstreckt sich nicht auf den Zuständigkeitsübergang nach § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO, weil diese Bestimmung auf den Strafprozess zugeschnitten ist. Sie kann ihren Zweck im Vereinsverbotsverfahren nicht erreichen. Es fehlt an der für eine entsprechende Anwendbarkeit erforderlichen Vergleichbarkeit der dort geregelten Sachverhalte.
16aa. Hintergrund der in § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO getroffenen Regelung sind nach der Gesetzesbegründung Gründe der Zweckmäßigkeit und Effizienz des Strafprozesses (BT-Drs. 16/5846 S. 63). Nach Anklageerhebung soll das Strafgericht aus einer Hand über die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Maßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzugs und die Verwertbarkeit der hierdurch gewonnenen Beweismittel entscheiden. Divergierende Entscheidungen zu einer Entscheidung durch den Ermittlungsrichter sollen vermieden werden. § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO verleiht damit dem in § 162 StPO verankerten Rechtsgedanken Ausdruck, dass mit Anklageerhebung jedwede Kompetenz des Ermittlungsrichters beendet ist und diese auf das erkennende Gericht übergeht ( u.a. - BGHSt 53, 1 Rn. 11). Dies ist aus zwei Gründen sinnvoll: Zum einen stehen diesem Gericht eigene Ermittlungsbefugnisse zu (§ 162 Abs. 3 Satz 1, § 173 Abs. 3, § 202 Satz 1, §§ 221, 222 Abs. 1 StPO). Zum anderen entscheidet es in dem Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 199 Abs. 1 StPO und im abschließenden Urteil inzident über die Rechtmäßigkeit strafprozessualer Untersuchungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft und des Ermittlungsrichters sowie im Falle der Rechtswidrigkeit über die Verwertbarkeit des dadurch gewonnenen Beweismaterials. Der Angeklagte wird regelmäßig auch Betroffener der Untersuchungsmaßnahmen sein, sodass deren Rechtmäßigkeit unter Wahrung seines rechtlichen Gehörs im Hauptsacheverfahren erörtert werden kann.
17bb. Dagegen stellt sich die Ausgangslage im Rahmen einer verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage gegen eine Vereinsverbotsverfügung völlig anders dar. Das Verbot richtet sich gegen die Vereinigung und nicht gegen einzelne Personen. Behördliche Ermittlungsmaßnahmen dienen daher insbesondere der Aufklärung, ob in Bezug auf eine Vereinigung Verbotsgründe im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG vorliegen. Sie treffen aber häufig nicht die Vereinigung, sondern mutmaßliche Vereinsmitglieder oder Dritte, die keine Beteiligten im Anfechtungsprozess sind. Das Ergebnis der gerichtlichen Rechtmäßigkeitsprüfung kann daher gegenüber den Betroffenen der Ermittlungsmaßnahmen regelmäßig keine rechtlichen Wirkungen entfalten, weil diese am Klageverfahren nicht beteiligt sind (§ 121 Nr. 1 i.V.m. § 63 VwGO). Klagen ausnahmsweise Mitglieder der verbotenen Vereinigung oder Dritte gegen das Verbot, erfolgt in diesem Prozess gerade keine inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit von behördlichen Ermittlungsmaßnahmen. Denn ob auf der Grundlage der dort gewonnenen Ergebnisse Verbotsgründe im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG bejaht werden können, kann im Rahmen der Anfechtungsklagen Dritter nicht geprüft werden ( 6 A 2.19 [ECLI:DE:BVerwG:2020:290120U6A2.19.0] - Rn. 14 ff. m.w.N.). Aus diesem Grund müssen den Betroffenen derartiger Maßnahmen zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG eigenständige Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnet werden. Ein Effizienzgewinn wäre mit einem Übergang der Zuständigkeit regelmäßig nicht verbunden.
18cc. Ebenso wenig findet im Rahmen von Anfechtungsklagen gegen das Vereinsverbot eine im Lichte des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebotene Prüfung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen nach § 10 Abs. 2 VereinsG statt, die darauf gerichtet sind, Gegenstände des eingezogenen Vereinsvermögens zu ermitteln. Die Einziehung des Vereinsvermögens wird zwar regelmäßig in der Verbotsverfügung ausgesprochen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VereinsG). Sie ist aber nicht Voraussetzung, sondern Rechtsfolge des Verbots. Bei behördlichen Zugriffen auf Gegenstände mit der Begründung, sie gehörten zu dem eingezogenen Vereinsvermögen, handelt es sich um eigenständige Eingriffsakte ( 6 A 2.19 - Rn. 20). Sie lassen die Rechtmäßigkeit des Vereinsverbots unberührt und sind demgemäß ohne Bedeutung für den Erfolg einer Anfechtung der Verbotsverfügung. Der Rechtsschutz gegen eine Verbotsverfügung einerseits und mögliche Vollzugsmaßnahmen andererseits findet in unterschiedlichen gerichtlichen Verfahren statt.
19dd. Soweit im Rahmen der Anfechtung einer Maßnahme zum Vollzug des Vereinsverbots die Gefahr divergierender Entscheidungen besteht, trägt der Vereinsgesetzgeber dem bereits mit einer nach § 6 Abs. 1 VereinsG gegebenenfalls gebotenen Aussetzung des Verfahrens Rechnung. Einer Konzentration der Entscheidungszuständigkeit über die Rechtmäßigkeit von vereinsrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen beim zur Entscheidung über die Anfechtungsklage berufenen Gericht bedarf es daher zur Vermeidung abweichender gerichtlicher Entscheidungen anders als im Strafprozess nicht.
202. Das Rechtsschutzbegehren ist innerhalb der Zweiwochenfrist des § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO erhoben worden und erweist sich auch im Übrigen als zulässig. Die Antragstellerin gehört als Adressatin der sichergestellten Postsendungen zum Kreis der nach § 101 Abs. 7 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO Antragsberechtigten. Die von der Postbeschlagnahme erfassten organisationsbezogenen Postsendungen waren an die Postadresse und die Person der Antragstellerin adressiert. Auch wenn sich die Postbeschlagnahme nach Ablauf der angeordneten Dauer von sechs Wochen bereits vollständig erledigt hat, kann mit dem vorliegenden Antrag noch das Ziel verfolgt werden, die Rechtmäßigkeit der richterlichen Beschlagnahmeanordnung und der Art und Weise ihres Vollzuges überprüfen zu lassen (§ 4 Abs. 4 Satz 1, § 10 Abs. 2 Satz 4 VereinsG i.V.m. § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO).
213. Der auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Freiburg vom gerichtete Antrag bleibt ohne Erfolg, weil die gerichtlich angeordnete Postbeschlagnahme formell rechtmäßig ergangen ist (a.), dem Anordnungsverfahren ein ordnungsgemäßer Antrag des zuständigen Regierungspräsidiums Freiburg zugrunde lag (b.) und die materiellen Voraussetzungen einer Anordnung gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1, § 10 Abs. 2 Satz 4 VereinsG i.V.m. § 99 Satz 1 und 2 StPO erfüllt waren (c.). Die Anordnung erweist sich auch als verhältnismäßig (d.).
22a. Das Verwaltungsgericht Freiburg war als das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk die Postbeschlagnahme der an die Wohnsitzadresse der Antragstellerin in Freiburg gerichteten Poststücke durch die "Niederlassung Brief" in Freiburg stattfinden sollte, zur Entscheidung über den Antrag sachlich und örtlich zuständig (§ 4 Abs. 2 Satz 1, § 10 Abs. 2 Satz 5 VereinsG). Zur Entscheidung im Anordnungsverfahren war gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2, § 10 Abs. 2 Satz 6 VereinsG der Vorsitzende der Kammer berufen. Gerichtliche Anordnungen im Rahmen eines Richtervorbehalts nach der Strafprozessordnung ergehen grundsätzlich ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Form eines Beschlusses (Reichert, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 13. Aufl. 2016 Rn. 6583).
23Der Antrag richtete sich gegen die Deutsche Post AG als ein Unternehmen im Sinne des § 99 StPO, welches geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringt. Die Antragstellerin war trotz ihrer Stellung als Betroffene im Rahmen des Anordnungsverfahrens nicht durch Beiladung und Anhörung zu beteiligen. Die Postbeschlagnahme nach § 99 StPO stellt eine verdeckte Ermittlungsmaßnahme dar. Vor diesem Hintergrund ermöglicht es § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO, den Betroffenen vor der Anordnung einer Eingriffsmaßnahme nicht anzuhören, wenn deren Offenlegung vor Durchführung den Ermittlungserfolg gefährden könnte. Rechtliches Gehör kann und muss dann aber nachträglich gewährt werden. In einem solchen Fall ist dem Gehörsrecht des Betroffenen im Beschwerdeverfahren uneingeschränkt zur Wirkung zu verhelfen (vgl. m.w.N. - NJW 2004, 2443 Rn. 24). Dafür bietet das in § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO für verdeckte Ermittlungsmaßnahmen vorgesehene Verfahren hinreichend Raum.
24b. Dem Verfahren lag ein ordnungsgemäßer Antrag des zuständigen Regierungspräsidiums Freiburg zugrunde. Soweit die Postbeschlagnahme als Ermittlungsmaßnahme im Vereinsverbotsverfahren auf § 4 Abs. 2 VereinsG gestützt wird, trat das Regierungspräsidium Freiburg zulässigerweise als Hilfsbehörde an die Stelle der Verbotsbehörde. § 4 Abs. 1 Satz 1 VereinsG ermöglicht es der Verbotsbehörde für konkrete Ermittlungshandlungen die Hilfe der für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuständigen Behörden und Dienststellen in Anspruch zu nehmen. § 4 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VereinsG verleiht der von der Verbotsbehörde um eine konkrete Ermittlungshandlung ersuchten Behörde die Befugnis, von der Ermächtigung des § 4 Abs. 2 VereinsG eigenständig Gebrauch zu machen und als Antragstellerin für Ermittlungsmaßnahmen im eigenen Namen aufzutreten. Die Verbotsbehörde muss aber als "Herrin des Verbotsverfahrens" die Ermittlungen initiieren, steuern und kontrollieren (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom - 1 S 10/02 [ECLI:DE:VGHBW:2002:0514.1S10.02.0A] - NVwZ 2003, 368 Rn. 20 m.w.N.). Ermittlungsersuchen des Bundesministers des Innern sind an die zuständige oberste Landesbehörde zu richten (§ 4 Abs. 1 Satz 2 VereinsG). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, insbesondere hat das Bundesministerium des Innern in seinem Schreiben vom hinreichend konkret bezeichnet, welche Objekte und Personen Gegenstand der Vollzugs- und Ermittlungsmaßnahmen durch die Landesbehörden sein sollen.
25Soweit die Postbeschlagnahme als Vollzugsmaßnahme zur Sicherstellung des eingezogenen Vermögens auf § 10 Abs. 2 Satz 1 VereinsG gestützt wird, ergibt sich die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Freiburg als Vollzugsbehörde aus § 5 Abs. 1 Alt. 2 VereinsG i.V.m. §§ 1, 3 der Gemeinsamen Verordnung der Landesregierung und des Innenministeriums Baden-Württemberg über die Zuständigkeiten nach dem Vereinsgesetz vom (GBl. BW 1994, 160).
26c. Auch die materiellen Voraussetzungen einer gerichtlichen Anordnung der Postbeschlagnahme waren gegeben. Die Sicherstellung der an die Adresse der Antragstellerin gerichteten organisationsbezogenen Post war sowohl als Ermittlungsmaßnahme im Verbotsverfahren gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG i.V.m. § 99 StPO (aa.) wie auch als Maßnahme zur Sicherstellung des Vereinsvermögens nach § 10 Abs. 2 Satz 4 VereinsG i.V.m. § 99 StPO (bb.) rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen waren vorliegend erfüllt (cc.).
27aa. Der Maßstab für die rechtliche Beurteilung von Beschlagnahmen zu Ermittlungszwecken ergibt sich aus § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG. Danach gelten die dort aufgeführten Ermittlungsbefugnisse der Strafprozessordnung für die Beschlagnahme von Gegenständen, die als Beweismittel von Bedeutung sein können. Die Bedeutung dieser gesetzlichen Voraussetzung für die Zulässigkeit von Beschlagnahmen in einem Vereinsverbotsverfahren ergibt sich aus dem Ermittlungszweck. Da die behördlichen Ermittlungen klären sollen, ob ein verbotsfähiger Verein im Sinne von § 2 Abs. 1 VereinsG besteht und ein Verbotsgrund im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG gegeben ist, müssen die Gegenstände zu dieser Klärung beitragen können. Dieser Maßstab wird durch die gleichlautenden Formulierungen in § 94 Abs. 1 und § 99 Satz 2 StPO bestätigt, die nach § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG entsprechend gelten. Auch nach § 94 Abs. 1 StPO ist die Sicherstellung von Gegenständen zulässig, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können. Nach § 99 Satz 2 StPO ist eine Beschlagnahme von Postsendungen zulässig, bei denen aus vorliegenden Tatsachen zu schließen ist, dass sie von dem Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind und dass ihr Inhalt für die Untersuchung Bedeutung hat.
28Die gerichtliche Anordnung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen setzt auch im vereinsrechtlichen Verfahren einen durch Tatsachen begründeten Verdacht voraus, dass ein Ermittlungsanlass gegeben ist, also ein verbotsfähiger Verein im Sinne von § 2 Abs. 1 VereinsG besteht und ein Verbotsgrund im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG vorliegt. Ein solcher, durch Tatsachen begründeter Anlass entspricht qualitativ dem Anfangsverdacht als Anlass für strafprozessuale Zwangsmaßnahmen (§ 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO). Der Anfangsverdacht muss auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützt werden können; Vermutungen ohne Tatsachengrundlage reichen nicht aus. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - dagegen nicht (stRspr, vgl. - NStZ 2016, 370 Rn. 4). Auch in der verfassungsgerichtlichen Judikatur ist geklärt, dass für strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen nicht ausreichen. Ermittlungsmaßnahmen dürfen nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind, denn sie setzen einen Verdacht bereits voraus. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende Gründe für diese Ermittlungsmaßnahmen nicht finden lassen (stRspr, vgl. [ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20180920.2bvr070818] - NJW 2018, 3571 Rn. 27 m.w.N.).
29Liegt - wie hier - eine behördliche Verbotsfeststellung bereits vor, so gelten diese Grundsätze fort. Behördliche Ermittlungsmaßnahmen dürfen auch nach Erlass der Vereinsverbotsverfügung ergriffen werden, wenn die Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG gegeben sind, d.h. wenn die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass sie neue tatsächliche Erkenntnisse erbringen oder bisherige Erkenntnisse erhärten, aber auch in Frage stellen können (vgl. 6 B 3.01 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 33).
30bb. Dieser Beurteilungsmaßstab ist auch anzuwenden, wenn die Ermittlungsmaßnahmen zum Zwecke der Sicherstellung des Vereinsvermögens gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 VereinsG erfolgen. Neben der auf konkrete Tatsachen gestützten Erwartung, Vereinsvermögen aufzufinden, bedarf es aber zusätzlich eines vollziehbaren Verbotsbescheids und einer vollziehbaren Beschlagnahme des Vereinsvermögens. Die Beschlagnahme des Vereinsvermögens ist gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG regelmäßig mit dem Verbotsbescheid zu verbinden. Ob diese behördliche Verfügung und die ihr zugrundeliegende Verbotsfeststellung zu Recht ergangen sind, bedarf in diesem Verfahrensstadium keiner abschließenden Beurteilung. Das anordnende Gericht ist mit Rücksicht auf die von einer Ermittlungsmaßnahme betroffenen Grundrechte allerdings verpflichtet, die für die Verbots- und Beschlagnahmeverfügung angeführten Gründe in summarischer Form auf ihre Schlüssigkeit und Plausibilität hin zu überprüfen (vgl. [ECLI:DE:OVGHB:2013:0911.1S131.13.0A] - NordÖR 2013, 534 Rn. 9; 4 C 14.1708 [ECLI:DE:BAYVGH:2015:0108.4C14.1708.0A] - DÖV 2015, 671 (Leitsatz), juris Rn. 24). Auch muss geprüft werden, ob tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dass die Postbeschlagnahme zur Sicherstellung von Gegenständen des Vereinsvermögens führen kann. Insoweit gilt das soeben unter 3.c.aa. Ausgeführte entsprechend.
31cc. Legt man diese Maßstäbe zugrunde, so bestand im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ein hinreichender Anlass für die Anordnung einer Postbeschlagnahme gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG i.V.m. § 99 Satz 1 und 2 StPO wie auch zur Sicherstellung des Vereinsvermögens nach § 10 Abs. 2 Satz 4 VereinsG. Die an die Wohnsitzadresse der Antragstellerin gerichtete organisationsbezogene Post besaß mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Beweisbedeutung für die Frage, ob es sich bei "linksunten.indymedia" um einen verbotsfähigen Verein im Sinne von § 2 Abs. 1 VereinsG handelt und ob Verbotsgründe im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG gegeben sind. Ihre Sicherstellung ließ auch das Auffinden von Vereinsvermögen erwarten.
32aaa. In dem Verbotsbescheid vom ist auf der Grundlage der zum damaligen Zeitpunkt im Internet frei verfügbaren Inhalte der Plattform "linksunten.indymedia.org" dargelegt, dass "linksunten.indymedia" die Strukturmerkmale eines Vereins im Sinne von § 2 Abs. 1 VereinsG aufweist. Dass damit hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Bestehen einer verbotsfähigen Vereinigung vorlagen, bedarf vor dem Hintergrund der im Urteil des Senats vom im Verfahren 6 A 1.19 vorgenommenen rechtlichen und tatsächlichen Würdigung vorliegend keiner weiteren Ausführungen mehr.
33bbb. Der Verbotsbescheid vom legt auf der Grundlage der Eigendarstellung der Vereinigung und zahlreicher auf der von ihr betriebenen Internetplattform veröffentlichter Beiträge schlüssig und nachvollziehbar dar, dass "linksunten.indymedia" jedenfalls einen der in Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG bezeichneten Verbotsgründe erfüllt haben könnte, weil ihre Zwecke und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderliefen. Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung setzt dieser Verbotsgrund voraus, dass die Verletzung von Strafgesetzen durch Organe, Mitglieder oder auch Dritte der Vereinigung zuzurechnen ist, weil sie erkennbar für die Vereinigung auftreten und diese das zumindest billigt, oder weil die Begehung von Straftaten durch die Vereinigung bewusst hervorgerufen oder bestärkt, ermöglicht oder erleichtert wird. Das kann auch der Fall sein, wenn eine Vereinigung solche Handlungen nachträglich billigt und fördert, sich also mit ihnen identifiziert, oder wenn zunächst nur einzelne Tätigkeiten die Strafgesetze verletzen, diese jedoch mit Wissen und Wollen der Vereinigung fortgesetzt werden ( u.a. [ECLI:DE:BVerfG:2018:rs20180713.1bvr147412] - BVerfGE 149, 160 Rn. 106).
34Davon ausgehend liegt es nahe anzunehmen, dass sich "linksunten.indymedia" die auf ihrer Internetplattform eingestellten Bekennerschreiben und Aufrufe zu Straftaten zurechnen lassen muss, weil sie mit deren Verbreitung Straftaten bewusst hervorgerufen oder bestärkt, ermöglicht oder erleichtert hat. "linksunten.indymedia" hat gegenüber potentiellen Nutzern ausdrücklich für die Einstellung solcher Inhalte geworben und deren ungeschmälerte Verbreitung an ein interessiertes Publikum zugesichert. Die Moderationspraxis sah vor, dass strafrechtlich relevante Beiträge regelmäßig nicht gelöscht, "versteckt" oder mit einer redaktionellen Beanstandung versehen werden. Da dieses Vorgehen seit Gründung von "linksunten.indymedia" praktiziert wurde, ist davon auszugehen, dass es vom Willen der verbotenen Vereinigung gedeckt war. Daher lagen im Zeitpunkt der Anordnung der Postbeschlagnahme ausreichende, durch tatsächliche Feststellungen gedeckte Anhaltspunkte dafür vor, dass die verbotene Vereinigung "linksunten.indymedia" einen Verbotsgrund erfüllte.
35ccc. Auch die Erwartung, dass sich in der an die Wohnsitzadresse der Antragstellerin gerichteten Post Unterlagen befinden könnten, die Aufschluss über die Zielrichtung, die Struktur, die Tätigkeiten und Vorgehensweisen oder die Vermögenswerte des Vereins geben können, war im Zeitpunkt der Anordnung gegeben. In Ermangelung einer eigenen Rechtspersönlichkeit der Vereinigung oder eines eigenen Auftretens nach außen war die Annahme gerechtfertigt, dass organisationsbezogene Post an die Postadresse führender Vereinsmitglieder gerichtet sein könnte.
36Dass die Antragstellerin ein führendes Mitglied der verbotenen Vereinigung sein und zum Betreiberteam der vom verbotenen Verein unterhaltenen Internetplattform "linksunten.indymedia.org" zählen könnte, lässt sich den vorliegenden Auswertungsvermerken und Personendossiers des Bundesamts für Verfassungsschutz und den Behördenzeugnissen des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg mit der für das Bestehen eines Anfangsverdachts ausreichenden Wahrscheinlichkeit entnehmen. Zwar handelt es sich bei den dem Gericht vorliegenden behördlichen Zusammenstellungen nur um sog. sekundäre Beweismittel, weil sie die unmittelbaren Quellen der dort wiedergegebenen Erkenntnisse nicht erkennen lassen und dem Senat daher nur eine eingeschränkte tatrichterliche Würdigung, insbesondere keine Prüfung der Glaubwürdigkeit der Quelle(n), gestatten (vgl. zur Problematik der Überzeugungsbildung im Rahmen eines Verbotsverfahrens - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 41 Rn. 16 und Beschluss vom - 1 B 45/19 [ECLI:DE:BVerwG:2019:100719B1B45.19.0] - juris Rn. 8).
37Dies nimmt diesen Unterlagen jedoch nicht von vornherein jeglichen Beweiswert für die Frage, ob bezüglich der Person der Antragstellerin eine ausreichende Erwartung bestand, Beweismittel oder Vereinsvermögen aufzufinden. Auch nach Rechtsprechung der Strafgerichte können Behördenzeugnisse und Auswertungsvermerke grundsätzlich dazu beitragen, einen Anfangsverdacht zu begründen. Sie bedürfen allerdings einer vorsichtigen Würdigung und der Heranziehung weiterer zur Verfügung stehender Erkenntnismöglichkeiten. Hier kann etwa die Konkretheit der Ausführungen ebenso von Bedeutung sein wie deren Umfang oder Objektivierung anhand weiterer, unmittelbar vorliegender Beweismittel ( - NStZ 2016, 370 Rn. 4).
38Unter Beachtung dieser Vorgaben lassen sich insbesondere dem Auswertungsvermerk des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom sowie dem Behördenzeugnis des Landesamtes für Verfassungsschutz vom tatsächliche Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Antragstellerin bei "linksunten.indymedia" eine Führungsrolle innegehabt haben kann. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht davon aus, dass die Antragstellerin mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem 12. "Linksunten-Treffen" vom 1. bis im "Kulturtreff in Selbstverwaltung" (KTS) in Freiburg/Breisgau anwesend war und dort eine zentrale organisatorische und inhaltliche Rolle spielte. Diese Einschätzung beruht auf den ausführlichen Schilderungen einer unbenannten nachrichtendienstlichen Quelle, die einerseits Gegenstand, Verlauf und Themen des 12. "linksunten.indymedia"-Treffens in Übereinstimmung mit öffentlich zugänglichen Inhalten auf der Plattform "linksunten.indymedia.de" wiedergibt und andererseits detaillierte Angaben zu körperlichen Merkmalen, Alter, Auftreten und dem fachlichen Engagement einer dort anwesenden, als "..." bezeichneten Person lieferte. Die Personenbeschreibung der Quelle deckt sich demnach mit beim Bundesamt bereits vorhandenen Erkenntnissen über die Antragstellerin.
39Der Senat misst der ungenannt gebliebenen Quelle jedenfalls einen gewissen Grad der Zuverlässigkeit zu, weil sich ihre Angaben über den Ablauf und den Inhalt des 12. "Linksunten-Treffens" anhand der Eigendarstellung der Vereinigung über dieses Treffen verifizieren lassen. Zudem sind die Schilderungen detailreich und liefern eine augenscheinlich erlebnisbasierte Wiedergabe der Veranstaltung. Dies rechtfertigt es, auch den personenbezogenen Angaben der Quelle, die eine Identifizierung der Antragstellerin ermöglichen sollen, ein ausreichendes Maß an Plausibilität und Verlässlichkeit zuzusprechen. Dazu kommt, dass das Behördenzeugnis des Landesamtes für Verfassungsschutz vom auf der Grundlage mehrerer konkreter Indizien eine enge personelle und sächliche Verflechtung des Betreiberteams des Internetportals "linksunten.indymedia.org" mit der "Autonomen Antifa Freiburg" (AAFR) und dem KTS annimmt. Das Landesamt führt dafür an, dass sowohl "linksunten.indymedia" wie auch die AAFR linksextremistische Gewalt befürworteten und sich beide Organisationen der lokalen, vom KTS verwalteten Infrastruktur bedienten, insbesondere deren Räumlichkeiten. Zudem hätten die AAFR und der KTS die Gründung und eine "Soliparty" für "IMC linksunten" auf ihren Internetseiten beworben. Auf der Seite der AAFR sei Insiderwissen über "linksunten.indymedia" vorhanden gewesen, in einem konkreten - später gelöschten - Beitrag eines Freiburger Szenemitglieds sei die enge personelle Verknüpfung bestätigt worden. Im Hinblick auf die Antragstellerin sei bekannt, dass sie zu besonders gesicherten Räumen im KTS einen exklusiven Zugang besitze. Die Antragstellerin sei die Freundin einer weiteren, aufgrund zahlreicher Indizien als Führungsmitglied identifizierten Person. Zwar fehlen - anders als im Hinblick auf jenes weitere Führungsmitglied im Behördenzeugnis vom geschilderte - zusätzliche Aspekte, die ergänzend eine Verbindung der Antragstellerin zu AAFR oder zum KTS herstellen. Allerdings kann das gemeinsame Auftreten dieser beiden Personen beim 12. "Linksunten-Treffen" als zusätzliches Indiz für die vom Landesamt vorgetragene Freundschaft und damit eine Zugehörigkeit zu beiden Personenkreisen herangezogen werden. Diese zahlreichen Details und Einzelaspekte bilden in der Gesamtheit eine ausreichend tatsachenbasierte Grundlage dafür, dass die Antragstellerin als Führungsmitglied der verbotenen Vereinigung in Betracht kommt.
40ddd. Die für die Anordnung der Postbeschlagnahme gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 VereinsG i.V.m. § 99 Abs. 1 und 2 StPO zusätzlich erforderliche wirksame und vollziehbare Verbots- und Beschlagnahmeverfügung war nach Zustellung des für sofort vollziehbar erklärten Bescheids vom am und damit im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der gerichtlichen Anordnung gegeben. Hinsichtlich der Schlüssigkeit und Plausibilität der Verbots- und Beschlagnahmeverfügung kann auf die obigen Erläuterungen verwiesen werden. Offenkundige Mängel weisen der Verbotsbescheid und die dort angeordnete Beschlagnahme des Vereinsvermögens nicht auf.
41d. Im Lichte des mit der Postbeschlagnahme verbundenen Eingriffs in das in Art. 10 Abs. 1 GG geschützte Brief- und Postgeheimnis bedarf es einer sorgfältigen Prüfung des inhaltlichen und zeitlichen Umfangs der Maßnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit und in Abwägung mit den Interessen des Betroffenen. Der Richter darf eine Ermittlungsmaßnahme nur anordnen, wenn er sich auf Grund eigenverantwortlicher Prüfung überzeugt hat, dass sie verhältnismäßig ist. Er hat zudem durch geeignete Formulierungen des Beschlusses im Rahmen des Möglichen sicherzustellen, dass der Grundrechtseingriff angemessen begrenzt wird sowie messbar und kontrollierbar bleibt (vgl. grundlegend zum Durchsuchungsbeschluss: - BVerfGE 96, 44 <51 f.>).
42Diesen Anforderungen trägt der angegriffene Beschluss Rechnung. Insbesondere durfte das Verwaltungsgericht in seine Abwägung einstellen, dass dem staatlichen Interesse an der Ermittlung der für die Verbotsverfügung relevanten Umstände und dem Ziel, einem verbotenen Verein seine sächliche und wirtschaftliche Grundlage in Form des Vereinsvermögens zu entziehen, angesichts der in Art. 9 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden Wertentscheidung des Grundgesetzes eine hohe Bedeutung zukommt. Der Senat nimmt auf die dortigen Ausführungen Bezug. Der Anordnungsbeschluss beschränkte die von der Sicherstellung betroffenen Postsendungen ausdrücklich auf solche, bei denen ein Bezug zum verbotenen Verein tatsächlich in Betracht kam. Er benannte einen Katalog von Suchkriterien, die für die vollziehenden Stellen den Gegenstand der Ermittlungen von vornherein auf solche Postsendungen begrenzte, denen Bedeutung für das Verbotsverfahren oder für die Sicherstellung des Vereinsvermögens zukommen konnte. Die Dauer der angeordneten Postbeschlagnahme erscheint unter den vorgegebenen Umständen noch angemessen. Mit dem Eingang von Postsendungen, die an den Verein gerichtet waren, war vor dem Hintergrund seiner internationalen Vernetzung auch noch für einen gewissen Zeitraum nach Bekanntgabe des Verbotsbescheids zu rechnen. Auch Hinweise auf Vermögenswerte oder Warensendungen waren in diesem Zeitraum noch zu erwarten.
434. Auch soweit die Antragstellerin die Feststellung begehrt, dass die Art und Weise der Durchführung der Postbeschlagnahme rechtswidrig gewesen sei, bleibt ihr Begehren ohne Erfolg. Das Vorgehen des Landeskriminalamts Baden-Württemberg bei der Ausleitung, Sichtung und Öffnung der von der Sicherstellung betroffenen Post erfolgte im Einklang mit den entsprechend anwendbaren Bestimmungen der §§ 100, 101 Abs. 3 bis 8 StPO.
44a. Die Übertragung der Befugnis zur Durchsicht auf einen Beamten des höheren Dienstes beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg in der Anordnung des Verwaltungsgerichts war rechtmäßig. Sie stützt sich auf eine entsprechende Anwendung der in § 4 Abs. 4 Satz 1, § 10 Abs. 2 Satz 4 VereinsG in Bezug genommenen Vorschrift des § 100 Abs. 3 Satz 2 StPO. Voraussetzung der Übertragung der Öffnungsbefugnis auf die Ermittlungsbehörden ist ausweislich der Gesetzesbegründung, dass andernfalls eine Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung zu besorgen ist, weil der Erfolg der Ermittlungen von einem sofortigen Zugriff abhängt und damit zu rechnen ist, dass sich aus der beschlagnahmten Post Anhaltspunkte für die Art, den Umfang oder den Ort weiterer Ermittlungshandlungen ergeben (BT-Drs. 7/551 S. 65). Eine solche Gefährdung des Untersuchungserfolgs hat das Verwaltungsgericht im Hinblick darauf, dass die mit der Postbeschlagnahme bezweckte Sicherstellung des Vereinsvermögens, etwa durch die Beschlagnahme von Forderungen gegen Dritte, ggf. eines umgehenden Handelns der Behörden bedurfte, zutreffend bejaht.
45b. Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten hat die Deutsche Post AG die nach Maßgabe des Anordnungsbeschlusses relevanten Postsendungen aussortiert und in Großumschlägen ungeöffnet ausgeliefert. Der auf der Grundlage des Anordnungsbeschlusses zuständige Beamte des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg hat die insgesamt neun Postsendungen anhand der im Beschluss genannten Suchkriterien geprüft und mangels Beweisbedeutung sämtliche Sendungen ungeöffnet weitergeleitet (§ 100 Abs. 3 Satz 1 und 2, Abs. 5 StPO). Eine förmliche Beschlagnahme einzelner Postsendungen ist nicht erfolgt. Nach Ablauf der im Beschluss genannten Frist von sechs Wochen von der Deutsche Post AG versehentlich noch ausgelieferte Poststücke sind ungeöffnet geblieben und umgehend zurückgeleitet worden. Die vom Antragsgegner zur Entbehrlichkeit einer Benachrichtigung der jeweiligen Absender angestellten Erwägungen sind in den Unterlagen dokumentiert und begegnen keinen Bedenken (§ 101 Abs. 4 Satz 1 und 3 StPO). Schließlich ist die Antragstellerin als Adressatin mit Schreiben des Regierungspräsidiums Freiburg vom unmittelbar nach dem Ende der Maßnahme über die erfolgte Postbeschlagnahme unterrichtet und auf die Möglichkeit des nachträglichen Rechtsschutzes und die dafür bestehende Frist hingewiesen worden (§ 101 Abs. 5, Abs. 4 Satz 2 StPO).
465. Die Antragstellerin hat die Kosten ihrer erfolglos gebliebenen Anträge zu tragen, § 154 Abs. 1 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung kann unterbleiben, weil Gerichtskosten mangels eines für den vorliegenden Rechtsstreit maßgeblichen Gebührentatbestands im Kostenverzeichnis zum Gerichtskostengesetz (§ 3 Abs. 2 GKG) nicht erhoben werden.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:100620B6AV3.19.0
Fundstelle(n):
CAAAH-55321