BGH Urteil v. - X ZR 110/18

Sturz des Reisenden im regennassen Hoteleingangsbereich: Reisemangel trotz Warnschild mit Hinweis auf Rutschgefahr

Gesetze: § 651c Abs 1 BGB vom , § 651d Abs 1 BGB vom , § 651f Abs 1 BGB vom

Instanzenzug: OLG Celle Az: 11 U 147/17vorgehend Az: 8 O 19/17

Tatbestand

1Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aufgrund eines Unfalls geltend, der sich am im Rahmen einer bei der Beklagten gebuchten Pauschalreise nach Lanzarote ereignet hat.

2Der Kläger ist linksseitig oberschenkelamputiert, trägt eine Prothese und ist auf eine Unterarmstütze angewiesen. Am Tag nach der Ankunft geriet er beim Verlassen des Hotels zu Fall, als er die regennasse Rollstuhlrampe vor dem Hoteleingang zu Fuß passieren wollte. Infolge des Sturzes erlitt er eine Handgelenksfraktur.

3Die auf Rückzahlung des Reisepreises, Schadensersatz, Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit und Schmerzensgeld sowie Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

4Die zulässige Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

5I. Das Berufungsgericht hat die geltend gemachten Ansprüche als unbegründet angesehen. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liege nicht darin, dass vor der nässebedingten Rutschgefahr nicht hinreichend gewarnt worden sei. Dem Kläger sei nicht der Beweis gelungen, dass keine dementsprechenden Warnschilder aufgestellt gewesen seien. Daher könne offenbleiben, ob der Bodenbelag den Anforderungen an die Rutschfestigkeit nach den örtlichen Sicherheitsvorschriften genügt habe.

6II. Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

71. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung können Ansprüche aus § 651d Abs. 1 oder § 651f Abs. 1 BGB aF nicht verneint werden.

8a) Auf den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag ist gemäß Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO deutsches Recht anwendbar. Maßgeblich sind gemäß Art. 229 § 42 EGBGB die Vorschriften des Reisevertragsrechts in der bis zum geltenden Fassung (nachfolgend: BGB aF).

9b) Gemäß § 651c Abs. 1 BGB aF ist der Reiseveranstalter verpflichtet, die Reise so zu erbringen, dass sie die zugesicherten Eigenschaften aufweist und nicht mit Fehlern behaftet ist, die ihren Wert oder ihre Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder vertraglich vorausgesetzten Nutzen aufheben oder mindern. Ein Reisemangel liegt vor, wenn die tatsächliche Beschaffenheit der Reiseleistungen von derjenigen abweicht, die die Parteien bei Vertragsschluss vereinbart oder gemeinsam, auch stillschweigend, vorausgesetzt haben, sofern dies den Nutzen der Reise für den Reisenden beeinträchtigt.

10Der Reiseveranstalter hat unabhängig von einem Verschulden für den Erfolg und die Fehlerfreiheit der Gesamtheit der Reiseleistungen einzustehen (, NJW 2019, 3374 = RRa 2019, 262 Rn. 10; Urteil vom - X ZR 117/15, NJW 2017, 958 = RRa 2017, 65 Rn. 6). Beeinträchtigungen aufgrund von Sicherheitsdefiziten in seinem Verantwortungsbereich, mit denen der Reisende nicht zu rechnen braucht und die er deshalb nicht willentlich in Kauf nimmt, stellen daher ungeachtet ihrer Ursache einen Reisemangel dar (BGH, NJW 2019, 3374 Rn. 10; Urteil vom - X ZR 87/06, NJW 2007, 2549 = RRa 2007, 215 Rn. 20).

11Allerdings muss der Reiseveranstalter nicht gegen alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Abwehrmaßnahmen treffen. Er schuldet nur solche Vorkehrungen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der jeweiligen Berufsgruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schaden zu bewahren, und die ihm (bzw. dem örtlichen Leistungsträger) den Umständen nach zuzumuten sind ( Xa ZR 99/06, NJW 2009, 2811 = RRa 2009, 252 Rn. 25). Dazu kann die Einhaltung von Bau- oder Sicherheitsvorschriften bzw. deren Überprüfung gehören (BGH, NJW 2019, 3374 Rn. 11).

12c) Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass die Reise nicht deshalb mangelhaft war, weil kein Warnschild aufgestellt war.

13Die diesbezügliche Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

14Das Berufungsgericht hat den Umstand, dass der Zeuge S.   erst später zur Unfallstelle gelangt ist und deshalb nicht aus eigener Wahrnehmung beurteilen kann, ob das nach seinen Angaben vorhandene Warnschild im Bereich der Rampe bereits zum Zeitpunkt des Unfalls aufgestellt war, berücksichtigt. Seine Würdigung, mangels diesbezüglicher Anhaltspunkte könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass das Warnschild erst nach dem Unfall aufgestellt wurde, ist möglich und lässt auch ansonsten keinen revisionsrechtlich erheblichen Rechtsfehler erkennen. Dass die Aussagen der vernommenen Zeugen möglicherweise auch ein abweichendes Ergebnis hätten stützen können, begründet einen solchen Rechtsfehler nicht.

15d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Reise aber auch bei Vorhandensein eines Warnschilds mangelhaft, wenn die Beschaffenheit des Bodenbelags mit den örtlichen Sicherheitsvorschriften nicht in Einklang stand.

16aa) Im Streitfall richtet sich die Frage, ob die Rollstuhlrampe, auf der der Kläger nässebedingt gestürzt ist, den Bau- und Sicherheitsvorschriften entsprochen hat, grundsätzlich nach dem in Lanzarote als dem Ort der Hotelanlage geltenden Recht. Denn auch ohne gesonderte Vereinbarung darf der Reisende erwarten, dass die am Ort der Hotelanlage geltenden Sicherheitsvorschriften als Mindeststandard eingehalten werden (BGH, NJW 2019, 3374 Rn. 18).

17bb) Umstände im Vorbringen des Klägers, aus denen sich ergeben könnte, dass die Beklagte darüber hinausgehende Sicherheitsvorkehrungen treffen musste, zeigt die Revision nicht auf.

18Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Bewerbung einer Hotelanlage als barrierefrei ähnlich wie eine Bewerbung als kindgerecht (dazu , NJW 2006, 2918 = RRa 2006, 2006, 210 Rn. 6) eine Pflicht zur Einhaltung erhöhter Sicherheitsstandards begründen kann und ob solche Verpflichtungen auch dann entstehen können, wenn die Anlage nicht vom Reiseveranstalter, sondern lediglich vom Hotelbetreiber so beworben wird, wie dies das Landgericht für den Streitfall festgestellt hat.

19Im Streitfall konnte und durfte ein Reisender aus der Angabe "barrierefrei" jedenfalls nur entnehmen, dass die Anlage auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich ist und dass die dafür vorgesehenen Einrichtungen wie etwa eine Rollstuhlrampe den einschlägigen Sicherheitsbestimmungen entsprechen. Die diesbezüglichen Verpflichtungen gehen nicht über das hinaus, was ein Reisender auch ohne entsprechende Werbung erwarten darf, wenn ein Hotel über solche Einrichtungen verfügt.

20cc) Der Kläger hat einen Verstoß gegen die einschlägigen spanischen Vorschriften hinreichend substantiiert dargelegt.

21Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Reisender grundsätzlich nicht gehalten, eine Vorschrift des maßgeblichen örtlichen Rechts oder eine dort anwendbare Vorschrift des Unionsrechts zu benennen, aus der sich die einschlägigen Sicherheitsanforderungen ergeben. Es genügt, wenn er die Kriterien benennt, denen die Anlage nach seiner Auffassung entsprechen muss (BGH, NJW 2019, 3374 Rn. 21 ff.).

22Im Streitfall hat der Kläger unter Beweisantritt geltend gemacht, die Bodenfliesen auf der Rampe hätten nicht der Kategorie R11 gemäß DIN 51130 entsprochen. Die Einhaltung dieser Norm sei auch nach dem in Spanien geltenden Recht vorgeschrieben.

23Damit ist ein Sachverhalt vorgebracht, der einer rechtlichen Subsumtion unmittelbar zugänglich ist. Der Vortrag bezieht sich auf eine konkrete Eigenschaft der Rampe, nämlich deren Rutschfestigkeit bei Nässe, und ermöglicht dem Gericht die Prüfung der Fragen, ob die in DIN 51130 niedergelegten Anforderungen nach dem einschlägigen Recht auch für Anlagen in Lanzarote gelten und ob diese Anforderungen im Streitfall gegebenenfalls eingehalten worden sind.

24dd) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die Prüfung dieser Fragen nicht deshalb entbehrlich, weil nach der Beweisaufnahme vom Vorhandensein eines Warnschilds auszugehen ist.

25Ein Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften, die dem Schutz vor Verletzungen dienen, kann nach der Rechtsprechung des Senats nicht ohne weiteres durch Warnschilder kompensiert werden (BGH, NJW 2019, 3374 Rn. 36; vgl. auch Staudinger/Fricke, jurisPR-IWR 3/2019, Anm. 2). Im Streitfall dienen die vom Kläger als verletzt gerügten Bestimmungen über die Rutschfestigkeit von Böden dem Schutz vor Verletzungen, die von einem nicht hinreichend gegen Rutschgefahr gesicherten Belag ausgehen. Ein Verstoß gegen eine solche Norm begründet auch dann einen Reisemangel, wenn ein Warnschild aufgestellt war, das allgemein auf eine bestehende Rutschgefahr hinweist.

26Warnschilder dienen wie Markierungen grundsätzlich nur dem Zweck, auf eine trotz Einhaltung der einschlägigen Vorschriften verbleibende Gefahr aufmerksam zu machen. Bei festen Bodenbelägen ist die Gefahr eines Ausrutschens in der Regel unabhängig vom konkret eingesetzten Material bei Nässe deutlich erhöht. Ein auf die Rutschgefahr hinweisendes Warnschild signalisiert, dass eine solche Gefahr besteht. Das Aufstellen solcher Schilder ist insbesondere dann angebracht, wenn mit dem Auftreten von Feuchtigkeit nicht ohne weiteres zu rechnen ist. Je nach den Umständen des Falles kann sich daraus auch ein Hinweis auf eine außergewöhnliche Gefahrenlage ergeben, etwa auf einen unvorhergesehenen Wassereintritt in einem geschlossenen Raum. Aus dem Vorhandensein eines solchen Schilds ist aber grundsätzlich nicht zu entnehmen, dass der Bodenbelang nicht einmal denjenigen Sicherheitsvorschriften entspricht, die für die Nutzung unter üblichen Verhältnissen vorgesehen sind. Zu diesen Vorschriften gehören gegebenenfalls auch Bestimmungen, die eine erhöhte Rutschfestigkeit für Bodenbeläge im Außenbereich, auf Treppen oder auf Rollstuhlrampen vorsehen. Entspricht der Belag den sich daraus ergebenden Anforderungen nicht, kann dieser Mangel folglich nicht durch das Aufstellen eines Warnschilds behoben werden.

272. Deliktische Ansprüche lassen sich mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung ebenfalls nicht verneinen.

28a) Auch insoweit gilt deutsches Recht, weil die Beklagte und die geschädigten Personen ihren gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt des Schadenseintritts in der Bundesrepublik Deutschland hatten (Art. 4 Abs. 2 und Art. 23 Rom II-VO).

29b) Danach gehört es zur Verkehrssicherungspflicht des Reiseveranstalters, sich bei seinem örtlichen Leistungsträger zu erkundigen, ob bei einer Hotelanlage, in der die Reiseleistung erbracht werden soll, alle maßgeblichen baulichen Sicherheitsvorschriften eingehalten worden sind (BGH, NJW 2019, 3374 Rn. 39 f.).

30Ob die Beklagte diesen Anforderungen im Streitfall genügt hat, ist nicht festgestellt.

313. Zu der vom Landgericht behandelten Frage des Mitverschuldens hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Ob und in welchem Umfang sich der Kläger ein Mitverschulden anspruchsmindernd anrechnen lassen muss, hängt ohnehin davon ab, ob und in welchem Umfang der Zustand des Bodenbelags von demjenigen abwich, was der Kläger aufgrund der maßgeblichen Sicherheitsvorschriften erwarten durfte.

32III. Das Berufungsurteil ist daher gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

33Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob der Bodenbelag auf der Rampe den maßgeblichen Vorschriften entsprach. Sofern dies nicht der Fall war, wird es sich ferner mit der Frage zu befassen haben, ob dieser Mangel für den Sturz des Klägers ursächlich war. Wenn diese Frage zu bejahen ist, wird die Frage eines eventuellen Mitverschuldens zu prüfen sein. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen (vgl. etwa , NJW 2014, 217 Rn. 9) dürfen hierbei nur solche Umstände berücksichtigt werden, deren Vorliegen unstreitig oder bewiesen ist.

34Ein Mitverschulden des Klägers wird sich nicht auf den bloßen Umstand stützen lassen, dass er die Rollstuhlrampe anstelle der Treppe benutzt hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es als schuldhaft im Sinne von § 254 BGB angesehen werden kann, wenn eine in der Gehfähigkeit nicht eingeschränkte Person eine Einrichtung benutzt, die in erster Linie für Personen mit Gehbehinderung vorgesehen ist. Der Kläger ist aufgrund der Oberschenkelamputation in seiner Gehfähigkeit eingeschränkt. Wenn er sich dafür entschieden hat, anstelle der Treppe, deren Begehung ebenfalls mit Gefahren verbunden sein kann, die Rollstuhlrampe zu nutzen, ist dies grundsätzlich nicht zu beanstanden. Besondere Umstände, aufgrund derer für den Kläger offensichtlich erkennbar war, dass die Nutzung der Rampe erheblich gefährlicher ist als die Nutzung der Treppe, sind nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht festgestellt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:140120UXZR110.18.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2020 S. 751 Nr. 12
QAAAH-52195