Keine grundsätzliche Bedeutung, wenn Entscheidungserheblichkeit nicht feststellbar
Gesetze: § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 8 A 47/17 Urteilvorgehend VG Arnsberg Az: 4 K 1589/15 Urteil
Gründe
I
1Gegenstand des Klageverfahrens ist eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von zwei Windenergieanlagen. Ursprünglich hatte der Beklagte die Errichtung und den Betrieb von vier Windenergieanlagen genehmigt, die in räumlicher Nähe zu einem Natura 2000-Gebiet und dem Wohngrundstück der Klägerin errichtet werden sollten. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab, das Oberverwaltungsgericht ließ die Berufung zu und ordnete mit Beschluss vom - 8 B 548/17 - die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage an. Es bestünden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheides im Hinblick auf die fehlende Nachvollziehbarkeit der zugrunde liegenden Umweltverträglichkeits-Vorprüfung.
2Die Bauherren verzichteten auf die Genehmigung von zwei der vier Anlagen. Das Verfahren wurde insoweit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Oberverwaltungsgericht änderte mit Beschluss vom - 8 B 1113/17 - den Beschluss vom und lehnte den Antrag auf Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage ab. Mit dem angegriffenen Urteil stellte es das Verfahren ein, soweit es für erledigt erklärt wurde und wies die Berufung im Übrigen zurück. Die Klägerin könne (u.a.) eine Aufhebung der Genehmigung nicht wegen eines etwaigen Verstoßes gegen habitat- bzw. artenschutzrechtliche Vorschriften verlangen, da sie als natürliche Person bei einem Verstoß gegen diese Vorschriften nicht in ihren Rechten verletzt würde.
II
3Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
4Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>).
5Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob Vorschriften des europäischen bzw. unionsbasierten Habitatschutzrechts (Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, § 34 Abs. 1, 2 BNatSchG) einzelnen Privatpersonen, die dem Kreis der von einem Projekt unmittelbar betroffenen Öffentlichkeit angehören, ein Recht auf Beachtung der sich aus diesen Bestimmungen ergebenden Anforderungen einräumt, dessen Verletzung von den unmittelbar Betroffenen gerichtlich geltend gemacht werden kann und zur Aufhebung einer angegriffenen Zulassungsentscheidung bzw. zur Erklärung ihrer Rechtswidrigkeit und mangelnden Vollziehbarkeit nötigt.
6Diese Frage kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil Tatsachen, die vorliegen müssten, damit die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Fragen sich in einem Revisionsverfahren stellen könnten, von der Vorinstanz nicht festgestellt worden sind (BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 387.96 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 12, vom - 8 B 287.99 - BVerwGE 111, 61 <62> und vom - 4 B 40.13 - juris Rn. 9). Das Oberverwaltungsgericht hat keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, ob das streitgegenständliche Vorhaben gegen Vorschriften des europäischen oder auf Unionsrecht beruhenden nationalen Habitatschutzrechts verstößt. Damit bleibt offen, ob sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren überhaupt stellen würde. Ziel der Grundsatzrevision ist es indes, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (stRspr, vgl. 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>). Dem würde es widersprechen, die Revision in Bezug auf Fragen zuzulassen, deren Entscheidungserheblichkeit nicht feststeht ( 4 BN 36.15 - juris Rn. 12).
7Das Oberverwaltungsgericht hat einen Verstoß gegen habitat- bzw. artenschutzrechtliche Vorschriften ausdrücklich offengelassen und insoweit nur von einem "(etwaigen)" Verstoß gesprochen (UA S. 14). Ausreichende Feststellungen lassen sich auch nicht seinem Beschluss vom - 8 B 548/17 - entnehmen, auf den das Urteil am Ende des Tatbestandes (UA S. 11) und für die Begründung der Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO (UA S. 29) verweist. Die in diesem Eilbeschluss vorgenommene Tatsachenwürdigung betrifft die Nachvollziehbarkeit der standortbezogenen Umweltverträglichkeits-Vorprüfung für vier Windenergieanlagen und damit ein anderes Vorhaben und eine andere Rechtsfrage. Sie ist - dem Maßstab des § 80b Abs. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO geschuldet - nur vorläufig (vgl. auch 4 BN 37.13 - juris Rn. 12). Es fehlen damit bindende Feststellungen nach § 137 Abs. 2 VwGO, die es dem Senat ermöglichten zu entscheiden, ob ein Verstoß gegen § 34 Abs. 1 und 2 BNatSchG vorliegt. Der Rechtsstreit müsste zur Klärung dieser Frage daher an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden, wenn die als grundsätzlich aufgeworfene Frage im Sinne der Klägerin beantwortet würde (vgl. 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 10 und 31, vom - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 29 und vom - 4 C 35.13 - Buchholz 442.42 § 27a LuftVO Nr. 8 Rn. 33).
8Der Beschwerde verhilft auch nicht zum Erfolg, dass sie ihre Grundsatzfrage auf den Umfang der Rügebefugnis münzt. Die so formulierte Frage mag ohne weitere Feststellungen klärungsfähig sein, die tatrichterlichen Feststellungen reichen aber zur Beurteilung ihrer Entscheidungserheblichkeit nicht aus. Darin liegt keine unzulässige Erschwerung des Zugangs zur Revisionsinstanz. Denn der Einwand fehlender tatrichterlicher Feststellungen kann einer Beschwerde nicht entgegengehalten werden, wenn eine in der Vorinstanz ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung nur deswegen unterblieben ist, weil das Tatsachengericht eine als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage anders als der Beschwerdeführer beantwortet und deswegen die Beweisaufnahme als nicht entscheidungserheblich abgelehnt hat (BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 287.99 - BVerwGE 111, 61 <62>, vom - 9 BN 1.13 - Buchholz 401.68 Vergnügungssteuer Nr. 56 Rn. 7, vom - 4 B 8.15 - juris Rn. 3 und vom - 4 BN 36.15 - juris Rn. 13). Ein solcher Fall liegt indes nicht vor, weil die anwaltlich vertretene Klägerin Anträge zur Sachverhaltsaufklärung nicht gestellt hat.
9Für Überlegungen dazu, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen auf das Erfordernis eines (unbedingten) Beweisantrages ausnahmsweise verzichtet werden kann, bietet der Fall keine Veranlassung. Die Klägerin war schon deshalb gehalten, hinsichtlich der geltend gemachten Verstöße gegen Habitat- und Artenschutzrecht auf eine Beweisaufnahme hinzuwirken, weil sie ihre Auffassung, die Vorschriften des Habitat- und Artenschutzrechts hätten drittschützenden Charakter, vor allem auf jüngere Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-664/15 <Protect>) und vom (C-323/17) stützte. Sie hatte daher Anlass und es war ihr ohne Weiteres zuzumuten, sich in der mündlichen Verhandlung am mittels Beweisantrag Klarheit darüber zu verschaffen, ob das Berufungsgericht angesichts dieser Rechtsprechung eine weitere Sachverhaltsaufklärung für erforderlich halten oder seine Rechtsauffassung aus dem Eilbeschluss vom (- 8 B 1113/17 - ZUR 2018, 117 <118 > = juris Rn. 11) bestätigen würde. Wie in Bezug auf Verfahrensrügen gilt auch hier, dass das Revisionsverfahren nicht dazu dient, Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren (vgl. auch 7 BN 3.18 - Buchholz 406.27 § 32 BBergG Nr. 2 Rn. 8).
10Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 sind erstattungsfähig, weil sie sich im Verfahren zur Sache eingelassen und durch Stellung eines Sachantrags einem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Es entspricht indes nicht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2 aufzuerlegen. Deren Beteiligtenstellung beruht allein auf dem zwischen den Beigeladenen veranlassten, nachträglichen Bauherrenwechsel. Es hätte der Beiladung der Beigeladenen zu 2 auch nicht notwendigerweise bedurft, da ihre Rechte gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 265 ZPO im Wege der Prozessstandschaft durch die Beigeladene zu 1 wahrgenommen worden sind (vgl. 6 C 11.10 - Buchholz 442.066 § 37 TKG Nr. 3).
11Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:280420B4B49.18.0
Fundstelle(n):
AAAAH-51480