Energiewirtschaftsrechtliches Verwaltungsverfahren: Festlegung des Eigenkapitalzinssatzes zur Bestimmung der Erlösobergrenze für die Betreiber von Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetzen für die dritte Regulierungsperiode; Statthaftigkeit der Anschlussrechtsbeschwerde
Gesetze: § 7 Abs 4 GasNEV, § 7 Abs 5 GasNEV, § 7 StromNEV, § 24 Abs 1 S 1 Nr 1 EnWG, § 24 Abs 1 S 1 Nr 2 EnWG, § 554 ZPO
Instanzenzug: Az: VI-3 Kart 549/16 (V) Beschlussnachgehend Az: EnVR 56/18 Beschluss
Gründe
1I. Die Bundesnetzagentur hat mit zwei im Wesentlichen inhaltsgleichen Beschlüssen vom (BK4-16-160 und BK4-16-161) den Eigenkapitalzinssatz zur Bestimmung der Erlösobergrenze für die Betreiber von Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetzen für die dritte Regulierungsperiode für Neuanlagen auf 6,91% und für Altanlagen auf 5,12% (jeweils vor Steuer) festgelegt. Bei einem Steuerfaktor von 1,225 liegt dabei dem Eigenkapitalzinssatz für Neuanlagen ein Zinssatz von 5,64% nach Steuern zugrunde, der sich aus einem risikolosen Zinssatz von 2,49% und einem Zuschlag zur Abdeckung betriebsspezifischer unternehmerischer Wagnisse von 3,15% zusammensetzt. Der Wagniszuschlag errechnet sich in dieser Höhe aus dem Produkt einer Marktrisikoprämie von 3,8% und einem Risikofaktor für Betreiber von Elektrizitäts- oder Gasversorgungsnetzen (Betafaktor) von 0,83.
2Die Betroffene, die ein Gasverteilernetz betreibt, und eine große Anzahl von weiteren Netzbetreibern haben die Beschlüsse mit der Beschwerde angegriffen und die Festsetzung eines höheren Zinssatzes angestrebt. Das Beschwerdegericht hat 29 Verfahren als Pilotverfahren verhandelt und nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens und mündlicher Anhörung der gerichtlichen Sachverständigen entschieden. In den weitgehend wortgleichen Beschlüssen (vgl. etwa RdE 2018, 264) hat es die angefochtenen Festlegungen aufgehoben und die Bundesnetzagentur zur Neubescheidung verpflichtet.
3Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde strebt die Bundesnetzagentur weiterhin die Zurückweisung der Beschwerde an. Die Betroffene tritt der Rechtsbeschwerde entgegen und greift die Beschwerdeentscheidung in anderen Punkten mit der Anschlussrechtsbeschwerde an. Die Bundesnetzagentur beantragt die Zurückweisung dieses Rechtsbehelfs.
4II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
5Der Senat hat bereits in zwei anderen Verfahren entschieden, dass die angefochtenen Festlegungen der Bundesnetzagentur entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sind (BGH, Beschlüsse vom - EnVR 41/18, ZNER 2019, 431; EnVR 52/18, RdE 2019, 456 - Eigenkapitalzinssatz II). Das Vorbringen der Rechtsbeschwerdeerwiderung führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
61. Wie auch das Beschwerdegericht im Ansatz nicht verkannt hat, steht der Regulierungsbehörde bei der Ermittlung des Wagniszuschlags gemäß § 7 Abs. 5 GasNEV ein Spielraum zu.
7Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Regulierungsbehörde bei der Ermittlung des Zuschlags, soweit Gesetz und Verordnung hierzu keine Vorgaben enthalten, weder an ein bestimmtes wissenschaftliches Modell noch an bestimmte Methoden zur Ermittlung und Bemessung der im Rahmen des gewählten Modells heranzuziehenden Parameter gebunden. Vielmehr hat sie im Rahmen der ihr eingeräumten Befugnisse in eigener Würdigung zu entscheiden, welche Kriterien heranzuziehen und in welcher Weise diese anzuwenden und zu anderen Kriterien ins Verhältnis zu setzen sind. Hierbei kann sie sich gegebenenfalls sachverständiger Hilfe bedienen, wie dies die Bundesnetzagentur vor Erlass der angegriffenen Festlegung auch getan hat. Wenn aus sachverständiger Sicht mehrere Methoden in Betracht kommen, ist eine Auswahl zu treffen, die den Vorgaben des § 7 Abs. 4 und 5 GasNEV und dem Ziel einer angemessenen, wettbewerbsfähigen und risikoangepassten Eigenkapitalverzinsung gerecht wird. Diese Auswahlentscheidung kann von Rechts wegen nur dann beanstandet werden, wenn sich feststellen lässt, dass der gewählte methodische Ansatz von vornherein ungeeignet ist, die Funktion zu erfüllen, die ihm im Rahmen des zugrunde gelegten Modells zukommt, oder dass ein anderes methodisches Vorgehen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände so deutlich überlegen ist, dass die Auswahl einer anderen Methode nicht mehr als mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar angesehen werden kann (BGH, RdE 2019, 456 Rn. 37).
8Dies ergibt sich aus der Regelung in § 7 Abs. 4 und 5 GasNEV, die ihre Ermächtigungsgrundlage in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 EnWG hat. Danach hat die Regulierungsbehörde bei der Ermittlung des Wagniszuschlags eine komplexe Prüfung und Bewertung vorzunehmen, für die die - auch in diesem Zusammenhang gerichtlich vollständig nachprüfbare - Feststellung von tatsächlichen Marktverhältnissen lediglich den Ausgangspunkt bildet. Bei dieser Bewertung stellt sich eine Vielzahl von Fragen, die nicht exakt im Sinne von "richtig oder falsch", sondern nur durch eine wertende Auswahlentscheidung beantwortet werden können. Dies hat zur Folge, dass es in der Regel nicht nur einen einzigen Zinssatz gibt, der den Vorgaben von § 7 Abs. 5 GasNEV entspricht (, N&R 2015, 165 Rn. 18 - Thyssengas GmbH).
92. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung steht der Bundesnetzagentur ein solcher Spielraum im Streitfall auch im Hinblick auf die Frage zu, ob die mit Hilfe des Capital Asset Pricing Model (CAPM) und der historischen Datenreihen von Dimson, Marsh und Staunton (DMS) ermittelten Werte anhand von weiteren Indikatoren zu modifizieren oder einer zusätzlichen Plausibilisierung zu unterziehen sind.
10a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Regulierungsbehörde nicht generell gehalten, die theoretische Bandbreite, die sich aufgrund der einzelnen Entscheidungsmöglichkeiten bei der Anwendung der CAPM-Methode ergibt, zu ermitteln und aus diesem Bereich im Wege einer abstrakten Gesamtabwägung einen Wert auszuwählen. Erst recht ist es nicht die Aufgabe einer gerichtlichen Überprüfung, eine von der Regulierungsbehörde in Ausübung eines ihr zustehenden Spielraums getroffene Auswahlentscheidung durch eine alternative Modellierung zu ergänzen oder zu ersetzen (BGH, RdE 2019, 456 Rn. 43).
11b) Einen Teil dieser Methodenwahl bildet auch die Frage, ob ein aufgrund von CAPM und DMS-Datenreihen im Wege der Durchschnittsbildung ermitteltes Ergebnis einer Modifizierung anhand weiterer Indikatoren oder einer zusätzlichen Plausibilisierung bedarf. Eine solche Vorgehensweise wäre allerdings zwingend geboten, wenn eine abweichende Vorgehensweise als ungeeignet oder zumindest als so deutlich unterlegen anzusehen ist, dass sie nicht mehr als mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar angesehen werden kann. Wie der Senat bereits in seinen früheren Entscheidungen dargelegt hat, ergeben sich aus den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen und dem weiteren Vorbringen der Netzbetreiber indes keine Gründe, die eine solche Schlussfolgerung im Streitfall zu tragen vermögen.
12c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung nimmt der Senat damit keine Tatsachenwürdigung vor. Vielmehr geht es darum, den Bereich der tatrichterlichen Überprüfung und Würdigung in der gebotenen Weise von dem Spielraum abzugrenzen, der der Regulierungsbehörde bei der Ausfüllung der Zielvorgaben aus § 7 Abs. 5 GasNEV zusteht.
13Die Bundesnetzagentur ist nicht schon dann gehalten, eine bestimmte Methode oder Vorgehensweise zu wählen, wenn dies durch plausible wissenschaftliche Erwägungen nahegelegt wird. Zu ihren zentralen Aufgaben und Befugnissen gehört es vielmehr, zwischen verschiedenen in Betracht kommenden Ansätzen eine den Vorgaben und dem Zweck der einschlägigen Rechtsvorschriften entsprechende Auswahl zu treffen. Ihre Auswahlentscheidung kann von Rechts wegen nur dann beanstandet werden, wenn sich feststellen lässt, dass der gewählte methodische Ansatz von vornherein ungeeignet ist, die Funktion zu erfüllen, die ihm im Rahmen des zugrunde gelegten Modells zukommt, oder dass ein anderes methodisches Vorgehen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände, wie insbesondere seiner Eignung für die Zwecke der Ermittlung der zu bestimmenden Endgröße, der Verfügbarkeit der benötigten Datengrundlage, des zu ihrer Feststellung erforderlichen Aufwands und der Präzision und Belastbarkeit der mit diesem methodischen Vorgehen erzielbaren Ergebnisse, dem von der Regulierungsbehörde gewählten Vorbringen so deutlich überlegen ist, dass die Auswahl einer anderen Methode nicht mehr als mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar angesehen werden kann (BGH, N&R 2015, 165 Rn. 26).
14Im Streitfall ergeben sich aus den Feststellungen des Beschwerdegerichts keine Umstände, die es in diesem Sinne als zwingend erscheinen lassen, die als solche nicht zu beanstandende Vorgehensweise nach CAPM unter Heranziehung der nicht-modifizierten DMS-Datenreihen durch Berücksichtigung weiterer Indikatoren oder durch Plausibilisierung anhand anderer Methoden zu ergänzen. Aus dem Umstand, dass die gerichtlichen Sachverständigen solche Maßnahmen als erforderlich bezeichnet haben, konnte und durfte das Beschwerdegericht zwar rechtsfehlerfrei ableiten, dass dies ebenfalls einen zulässigen Weg dargestellt hätte, um zu einem den Vorgaben von § 7 Abs. 5 StromNEV entsprechenden Ergebnis zu gelangen. Seine Feststellungen tragen aber nicht die Schlussfolgerung, dass diese Vorgehensweise der an langfristigen Durchschnittswerten orientierten Vorgehensweise der Bundesnetzagentur so deutlich überlegen ist, dass diese als rechtswidrig anzusehen wäre.
15Insbesondere hat das Beschwerdegericht, das sich mit möglichen anderen Methoden zur Ermittlung der Marktrisikoprämie ausführlich befasst hat, diese gerade wegen derjenigen gegenwartsbezogenen Effekte als nicht überlegen angesehen, welche zur Folge haben, dass sich als Ergebnis der Abschätzung eine höhere Marktrisikoprämie ergibt als bei Anwendung des CAPM mit den DMS-Datenreihen. Ebenso wenig wie diese zu erwartende Ergebnisdiskrepanz dazu führen kann, die Anwendung einer dieser anderen Methoden für zwingend zu halten, kann sie eine Methodenmischung oder eine Korrektur des in fehlerfreier Anwendung des geeigneten methodischen Ansatzes gewonnenen Ergebnisses gebieten.
163. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung hat die Bundesnetzagentur die Auswahl ihrer Vorgehensweise hinreichend begründet.
17Die Bundesnetzagentur hat in der angefochtenen Festlegung dargelegt, weshalb sie sich trotz abweichender Forderungen für die Bildung von Mittelwerten auf der Grundlage der langjährigen DMS-Datenreihen entschieden hat. Diese Begründung ist zwar knapp gehalten. Sie lässt aber die wesentlichen Gründe erkennen, auf denen die getroffene Auswahl beruht, und wird den sich unter dem Aspekt des effektiven Rechtsschutzes ergebenden Anforderungen des nationalen und des Unionsrechts gerecht.
18III. Die Anschlussrechtsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
191. Der Rechtsbehelf ist zulässig.
20Nach der Rechtsprechung des Senats ist in energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungsverfahren - ebenso wie in Kartellsachen - eine Anschlussrechtsbeschwerde entsprechend den Regeln über die Anschlussrevision im Zivilprozess (§ 554 ZPO) statthaft (, RdE 2019, 330 Rn. 38 f. - Gewinnabführungsvertrag).
21Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
22a) Der Rechtsbehelf ist innerhalb der Monatsfrist des § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingelegt worden.
23b) Der entsprechend den Regeln des Zivilprozesses erforderliche (BGH, RdE 2019, 330 Rn. 40 ff.) Zusammenhang zum Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist gegeben.
24Die Anschlussbeschwerde hält die Vorgehensweise der Bundesnetzagentur bei der Ermittlung des Wagniszuschlags aus weiteren Gründen für fehlerhaft.
25Diese Angriffe betreffen denselben Berechnungsfaktor für die Ermittlung des Zinssatzes wie die von der Rechtsbeschwerde angegriffenen Erwägungen des Beschwerdegerichts.
26c) Die Betroffene ist hinsichtlich der von ihr geltend gemachten Beschwerdepunkte durch die angefochtene Entscheidung beschwert.
27Wie der Senat bereits in seinen früheren Entscheidungen zur angefochtenen Festlegung ausgeführt hat, ist ein Beteiligter, der eine Neubescheidung unter Beachtung einer abweichenden Rechtsauffassung begehrt hat, beschwert, soweit das Gericht der Behörde für die erneute Entscheidung zu einzelnen Punkten eine verbindliche Rechtsauffassung vorgibt, die nicht mit der vom Beteiligten vertretenen Auffassung übereinstimmt (BGH, RdE 2019, 456 Rn. 76).
28Diese Voraussetzung liegt im Streitfall vor.
292. Die Anschlussbeschwerde ist unbegründet.
30a) Die Bundesnetzagentur war nicht verpflichtet, weitere Untersuchungen zu der Frage anzustellen, ob die Marktrisikoprämie im Wesentlichen konstant ist oder, wie insbesondere die Befürworter des TMR-Ansatzes (Total Market Return) annehmen, mit abnehmendem Basiszinssatz ansteigt.
31Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist die Annahme, nicht der Wagniszuschlag, sondern die Gesamtverzinsung einer risikobehafteten Anlage sei im Wesentlichen konstant, wissenschaftlich umstritten. Wie der Senat bereits in seinen früheren Entscheidungen dargelegt hat, ist es angesichts dessen nicht zu beanstanden, wenn die Bundesnetzagentur und das Beschwerdegericht die TMR-Methode und andere Vorgehensweisen, die auf dieser Annahme beruhen, nicht als deutlich überlegen angesehen haben (BGH, RdE 2019, 456 Rn. 113).
32b) Wie der Senat ebenfalls bereits dargelegt hat, war die Bundesnetzagentur nicht gehalten, auf die Empfehlung des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) zurückzugreifen (BGH, RdE 2019, 456 Rn. 55 ff.).
33Angesichts dessen war das Beschwerdegericht weder gehalten noch berechtigt, der Bundesnetzagentur die Heranziehung dieser Empfehlung zwingend vorzugeben.
34c) Entgegen der Auffassung der Anschlussrechtsbeschwerde war die Bundesnetzagentur auch nicht gehalten, einen Vergleich mit der durchschnittlichen Verzinsung des Eigenkapitals der Betreiber von Gasversorgungsnetzen auf ausländischen Märkten durchzuführen (BGH, RdE 2019, 456 Rn. 69 ff.).
35d) Die Bundesnetzagentur war des Weiteren nicht gehalten, den Risikofaktor oder den Wagniszuschlag im Hinblick auf die so genannte Energiewende oder auf besondere Risiken für die Betreiber von Gasnetzen zu erhöhen (BGH, RdE 2019, 456 Rn. 132 ff.).
36IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:030320BENVR56.18.0
Fundstelle(n):
EAAAH-51123