Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Revisionszulassung - Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache - Verfassungsmäßigkeit einer Regelung <hier: Anhebung des Beitragssatzes in der sozialen Pflegeversicherung auf 2,55%>
Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 55 Abs 1 S 1 SGB 11 vom , Art 14 GG
Instanzenzug: SG Freiburg (Breisgau) Az: S 3 R 2704/17 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 4 R 1583/18 Urteil
Gründe
1I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Höhe des Abzugs der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung von der Regelaltersrente des Klägers.
2Der Kläger bezieht seit eine Regelaltersrente, welche die beklagte Deutsche Rentenversicherung unter Abzug der monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung auszahlt. Gegen die Höhe des einbehaltenen Beitrags zur sozialen Pflegeversicherung wendet der Kläger ein, die alljährlich steigenden Belastungen führten zur Aushöhlung seiner Rente in einem die Grenzen der Verhältnis- und Verfassungsmäßigkeit übersteigenden Maße. Er ist mit seinem Anliegen bei der Beklagten (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ) sowie in den Vorinstanzen (Urteil des SG Freiburg vom , ) erfolglos geblieben. Das LSG hat ausgeführt, die Einbehaltung der Beiträge von der Rente durch die Beklagte sowie der dem festgesetzten Beitrag zugrunde liegende Beitragssatz seien gesetzlich geregelt. Die Beklagte habe den Bescheid vom , dem noch ein niedrigerer Beitragssatz zugrunde gelegen habe, nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X wegen Änderung der Verhältnisse mit dem angefochtenen Bescheid vom rechtmäßig für die Zeit ab aufgehoben, weil der Beitragssatz ab diesem Zeitpunkt gestiegen sei. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die gesetzlich angeordnete Anhebung des Beitragssatzes zur sozialen Pflegeversicherung beständen nicht. Ein Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsgarantie aus Art 14 GG liege nicht vor, weil die Bruttorente des Klägers unverändert geblieben sei. Selbst wenn die Beitragserhöhung in den Schutzbereich von Art 14 Abs 1 GG eingreifen sollte, wäre dieser Eingriff aus Gründen des öffentlichen Interesses an der Funktionsfähigkeit der Pflegekassen und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
3Mit der hiergegen erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
4II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht hinreichend dargelegt.
5Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf und fähig ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt ( - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN).
6Der Kläger hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:"Verstößt Art. 2 Nr. 32 des 2. Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (2. Pflegestärkungsgesetz - PSG II vom (BGBl. I, S. 2424) mit dem der Beitragssatz in der gesetzlichen Pflegeversicherung auf 2,55 % angehoben wurde, gegen Art. 14 GG und gegen das Rechtsstaatsgebot im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne?"
7Es fehlt allerdings an hinreichenden Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit dieser Frage. Wird die Beschwerde mit einem Grundrechtsverstoß begründet, hat sie unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufzeigen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll ( - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; ferner zB - juris RdNr 7 mwN). Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden. Die Beschwerdebegründung darf sich im Fall einer aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Frage nicht darauf beschränken, die Verfassungswidrigkeit zu behaupten und die als verletzt angesehenen Normen des Grundgesetzes zu benennen ( - juris RdNr 5 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
8Das Vorbringen des Klägers erschöpft sich darin, einen Verstoß gegen das Eigentumsrecht aus Art 14 GG im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des Beitragssatzes zu behaupten und das Umlagesystem zu kritisieren. Er setzt sich aber nicht mit dem Inhalt der Entscheidungen des BSG und des BVerfG auseinander, in denen bereits über die verfassungsrechtlichen Grundlagen und Grenzen der Beitragserhebung - auch betreffend die Beitragspflicht der Rentner - entschieden wurde (vgl zB BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom - 1 BvR 2995/06 - juris - zur Verfassungsmäßigkeit der vollen Beitragspflicht von Rentnern zur sozialen Pflegeversicherung; vgl auch - BVerfGE 149, 86 RdNr 69 ff; B12 R 11/06 R - SozR 4-2500 § 241a Nr 2 RdNr 18). Insoweit genügt auch der Hinweis auf die ständigen Beitragssteigerungen im Wege der sog "Salamischeibentaktik" nicht, denn es fehlt auch jede Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in der gerade auch solche kumulativen Effekte besonders berücksichtigt werden (vgl zum Begriff des additiven Grundrechtseingriffs - BVerfGE 112, 304; - BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9 sowie auch - SozR 4-2500 § 241a Nr 2 RdNr 18).
9Eine Rechtsfrage ist auch dann als höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden ist, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben ( - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN). Der Kläger hätte daher unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung vortragen müssen, weshalb das BVerfG noch keine einschlägigen Entscheidungen getroffen hat oder durch schon vorliegende Rechtsprechung die für klärungsbedürftig erachtete Frage nicht oder nicht umfassend beantwortet sein soll (vgl - juris RdNr 29).
10Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
11Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2020:080420BB12R4519B0
Fundstelle(n):
CAAAH-50879