BGH Urteil v. - 4 StR 552/19

Strafzumessung im Strafverfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln: Strafmilderung durch Anrechnung von Untersuchungshaft und wegen freiwilligen Verzichts auf Rückgabe sichergestellten Bargelds

Gesetze: § 46 StGB, § 56 Abs 2 StGB, § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG

Instanzenzug: LG Essen Az: 51 KLs 8/19

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Des Weiteren hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Mit ihrer im Ergebnis wirksam auf den Strafausspruch beschränkten, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verhängung einer zu vollstreckenden Gesamtfreiheitsstrafe. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2Nach den Feststellungen veräußerte der Angeklagte am gemeinsam mit einem unbekannt gebliebenen Tatgenossen nach telefonischer Anforderung 984,83 g Marihuana mit Wirkstoffgehalten von 15,1 und 15,6 % THC für 5.200 € an einen Abnehmer. Bei einer Durchsuchung am wurden in der Wohnung des Angeklagten ca. 735 g Marihuana aufgefunden. Das Marihuana, das Wirkstoffgehalte von 16 und 19,3 % THC aufwies, war vom Angeklagten zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt.

3Der bereits im Jahr 2008 mit einer Bewährungsstrafe von neun Monaten vorgeahndete Angeklagte war zuletzt am zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden und stand bei der Begehung der abgeurteilten Taten unter Bewährung.

4Die Strafkammer hat zur Ahndung der beiden jeweils als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gewürdigten Taten ausgehend vom Normalstrafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten sowie einem Jahr und drei Monaten verhängt und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gebildet, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Im Rahmen der Strafzumessung hat sie neben der jeweils erheblichen Überschreitung der Grenze zur nicht geringen Menge strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte bereits strafrechtlich ‒ wenn auch nicht einschlägig ‒ in Erscheinung getreten ist. Strafmildernd hat das Landgericht unter anderem die erlittene Untersuchungshaft von ca. fünf Monaten Dauer sowie ‒ bei der Prüfung besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB ‒ den Umstand gewertet, dass sich der Angeklagte mit der Einziehung bei ihm sichergestellter 22.700 € einverstanden erklärt hat.

II.

5Das Rechtsmittel ist wirksam auf den Strafausspruch des angefochtenen Urteils beschränkt.

6In ihrer Revisionsbegründung hat die Staatsanwaltschaft ausweislich der Einzelausführungen in der Begründungsschrift und des abschließenden Revisionsantrags ihr Rechtsmittel zunächst auf den Schuldspruch bezüglich der Tat am und im Übrigen auf den Strafausspruch des angefochtenen Urteils beschränkt. Die nur die Tat am betreffende Einziehungsentscheidung, die in der Revisionsbegründung nicht angesprochen und vom Aufhebungsantrag der Beschwerdeführerin nicht erfasst wird, ist damit nicht Gegenstand des Revisionsangriffs geworden. Durch die von der Generalstaatsanwaltschaft mit Vorlage der Akten ausdrücklich erklärte Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch, durch welche der Anfechtungsumfang nicht mehr erweitert werden konnte, ist des Weiteren auch der Schuldspruch hinsichtlich der Tat vom im Wege einer Teilrücknahme des Rechtsmittels vom Revisionsangriff ausgenommen worden.

7Die mithin aus den Rechtsmittelerklärungen von Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft resultierende Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist wirksam. Den Gründen des angefochtenen Urteils lassen sich keine Gesichtspunkte entnehmen, die der grundsätzlich gegebenen Trennbarkeit von Schuld- und Strafausspruch ausnahmsweise entgegenstehen (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 318 Rn. 16 ff. mwN).

III.

8Die Revision ist begründet. Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

91. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. In die Strafzumessungsentscheidung des Tatrichters kann das Revisionsgericht nur eingreifen, wenn diese Rechtsfehler aufweist, weil die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen hat oder sich die verhängte Strafe nach oben oder nach unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Nur in diesem Rahmen kann eine Verletzung des Gesetzes im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO vorliegen (st. Rspr.; vgl. nur ‒ GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349).

10Bei der Darstellung seiner Strafzumessungserwägungen im Urteil ist das Tatgericht nur gehalten, die bestimmenden Zumessungsgründe mitzuteilen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Aufzählung aller für die Strafzumessungsentscheidung relevanter Gesichtspunkte ist dagegen weder gesetzlich vorgeschrieben noch in der Praxis möglich (st. Rspr.; vgl. nur ‒ 2 StR 416/18, NStZ 2019, 138, 139; vom ‒ 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337). Ein der Strafzumessung in sachlich-rechtlicher Hinsicht anhaftender Rechtsfehler liegt auch dann vor, wenn das Tatgericht bei seiner Zumessungsentscheidung einen Gesichtspunkt, der nach den Gegebenheiten des Einzelfalls als bestimmender Strafzumessungsgrund in Betracht kommt, nicht erkennbar erwogen hat (vgl. ‒ 3 StR 31/19 Rn. 15; vom ‒ 2 StR 416/16, aaO, S. 140; vom ‒ 2 StR 554/08, NStZ-RR 2009, 203).

112. Diesen Anforderungen wird der Strafausspruch des angefochtenen Urteils nicht in jeder Hinsicht gerecht.

12a) Entgegen der Ansicht der Revision ist allerdings nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer die etwa fünfmonatige Untersuchungshaft des Angeklagten strafmildernd gewertet hat (vgl. ‒ 4 StR 312/18, NStZ 2019, 81; vom ‒ 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106; vom ‒ 4 StR 258/13 Rn. 18, insoweit in BGHSt 59, 28 nicht abgedruckt; vom ‒ 2 StR 34/06, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 21). Denn das Landgericht hat in diesem Zusammenhang die aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands erhöhte Haftempfindlichkeit des Angeklagten in den Blick genommen und auf die daraus für den Angeklagten resultierenden besonderen Belastungen abgestellt.

13Die im Rahmen der Prüfung besonderer Umstände gemäß § 56 Abs. 2 StGB erfolgte Berücksichtigung des freiwilligen Verzichts auf die Rückgabe des sichergestellten Bargelds begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Unbeschadet des Umstands, dass der Einziehung von Taterträgen oder des Wertes von Taterträgen auch nach der umfassenden Umgestaltung der gesetzlichen Regelungen zur Vermögensabschöpfung durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom (BGBl I. S. 872) kein strafender oder strafähnlicher Charakter zukommt (vgl. ‒ 1 StR 651/17, wistra 2018, 431; vom ‒ 5 StR 623 und 624/17 Rn. 17), liegt in dem Verzicht auf die Rückgabe sichergestellter Gegenstände eine freiwillige Leistung des Angeklagten, welcher der Tatrichter strafmildernde Bedeutung beimessen kann.

14b) Die Strafzumessungsentscheidung des Landgerichts erweist sich indes als lückenhaft, weil die strafrechtliche Vorbelastung des Angeklagten nur unvollständig gewürdigt worden ist. Die Strafkammer hatte zwar zum Nachteil des Angeklagten den Umstand in ihre Strafzumessungsüberlegungen eingestellt, dass der Angeklagte bereits ‒ wenn auch nicht einschlägig ‒ strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Sie hat aber nicht in den Blick genommen, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der beiden neuerlichen Taten hinsichtlich einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe unter Bewährung stand und er bei der Begehung der Taten jeweils die einer Bewährungsverurteilung zukommende gesteigerte Warnwirkung außer Acht ließ (vgl. ‒ 2 StR 13/71, BGHSt 24, 198, 200; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. Rn. 657 mwN). Das jeweilige Bewährungsversagen des Angeklagten ist ein Gesichtspunkt, der im Rahmen der Strafzumessungsentscheidung als bestimmender Strafschärfungsgrund erkennbar hätte erwogen werden müssen.

15c) Der Umstand, dass der Angeklagte während einer laufenden Bewährungszeit zwei gravierende Betäubungsmittelstraftaten beging, hätte auch in die nach § 56 Abs. 1 StGB zu treffende Prognoseentscheidung als prognostisch relevantes Kriterium miteinbezogen werden müssen (vgl. ‒ 1 StR 100/12, NStZ-RR 2012, 201; Urteil vom ‒ 1 StR 339/04, NStZ-RR 2005, 38; Beschluss vom ‒ 5 StR 573/90, BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 15).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:270220U4STR552.19.0

Fundstelle(n):
MAAAH-50290