BGH Beschluss v. - VII ZR 89/19

Bauprozess: Gehörsverletzung durch Würdigung von Zeugenaussagen ohne Erfassung des wesentlichen Kerns des Sachvortrags einer Partei

Gesetze: § 13 Abs 2 VOB B, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 9 U 10/17vorgehend LG Dessau-Roßlau Az: 4 O 430/14

Gründe

I.

1Die Klägerin verlangt von der Beklagten eine Vergütung für die Herstellung und Lieferung nicht abgenommener Glaselemente.

2Die Beklagte verwirklichte in den Jahren 2013 und 2014 das Bauvorhaben "Städtebauliche Reparatur der Gesamtanlage der M.          in D.           " und schrieb hierzu als Los 07 die Maßnahme "Herstellung, Lieferung, Einbau von Sonderelementen aus Glas" aus. Die Ausschreibungsunterlagen gaben für die Konstruktion der Sonderelemente eine Isolierverglasung aus einem Verbund mehrerer Glasscheiben vor, von denen jedenfalls die äußerste aus ESG-H-Weißglas bestehen sollte. Außerdem sahen die Ausschreibungsbedingungen die Vereinbarung der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teile B und C (2012) vor. Die Klägerin erhielt mit einer Auftragssumme von 504.411,37 € brutto den Zuschlag.

3Nach der Beauftragung verständigten sich die Parteien auf eine Umplanung, wobei die für die optische Wirkung der Fenster maßgebliche Auswahlentscheidungen in einem Bemusterungsprozess getroffen werden sollten. In der Folgezeit fanden mehrere Bemusterungstermine statt, bei denen sich die Beklagte jeweils durch Mitarbeiter ihrer Streithelferin vertreten ließ. In dem Bemusterungstermin vom wurde ein in Originalgröße aus Weißglas bestehendes Muster, das mit einer grauen Beschichtung überzogen war, in den Baukörper eingefügt. Dieses Muster wurde von der Streithelferin als zu dunkel befunden. Es fand am ein weiterer Bemusterungstermin statt, dessen Ablauf zwischen den Parteien streitig ist.

4Mit E-Mail vom teilte die bei der Streithelferin angestellte Zeugin S.       der Klägerin mit:

"... wir haben uns bei der Beschichtung des Glases für den Pinselauftrag, der auch während der gesamten Bemusterung verfolgt wurde, entschieden."

5Mit Schreiben vom übersandte die Klägerin der Beklagten eine Abschlagsrechnung, in der die Innen- und die Außenscheiben als Weißglas bezeichnet sind. In dem Nachtragsangebot der Klägerin vom ist Folgendes aufgeführt:

"Innenscheiben aus Weissglas veredelt mit einer grauen ... Keramikfarbe. ... Wie bemustert. ...

Aussenscheibe aus Weissglas ...".

6Die Klägerin lieferte aus Grünglas bestehende Glaselemente, die im Oktober 2013 in die M.          eingebaut wurden.

7Der bei der Streithelferin angestellte Zeuge Z.    teilte mit Schreiben vom der Klägerin Folgendes mit:

"... bei meiner heutigen Baustellenbegehung ist mir aufgefallen, dass die von Ihnen angelieferten und zum Teil eingebauten Fenster eine deutlich wahrnehmbare Grünfärbung haben (siehe beiliegende Fotos). Auf meine telefonische Nachfrage hin haben Sie mir heute Nachmittag mitgeteilt, dass die von Ihnen angelieferten und zum Teil eingebauten Fenster aus Weißglas hergestellt worden sind.

Anscheinend wurde hier aber entgegen Ihrer Behauptung und entgegen der mit Ihnen getroffenen Vereinbarung statt Weißglas (Musterfenster, Bild 032) „normales Floatglas" (Bild 029) eingebaut, ...

Sollte für die Fenster kein Weißglas verwendet worden sein, fehlt eine entscheidende, von Ihnen vertraglich zugesicherte Produkteigenschaft. ..."

8Mit E-Mail vom teilte der Geschäftsführer der Klägerin der Beklagten und der Streithelferin mit:

"Bezüglich der Glaskunst in D.    gibt es in der Tat ein Problem. Hier ist uns im Eifer des Gefechts ein Fehler unterlaufen, den wir auch zu verantworten haben.

Die Entstehungsgeschichte dazu ist vielschichtig, aber müßig in allen Verästelungen aufzuzeigen. Tatsächlich war das letzte Muster, was wir vor Ort am [richtig: ] gezeigt haben und was als Muster an das Architekturbüro dann mitgenommen wurde, eben ein besagtes grünstichiges Glas, auf dem wir die schwimmende Malereioberfläche entsprechend realisiert haben. Von da an hat dann das Unglück seinen Lauf genommen. ..."

9Die Beklagte rügte die Grünfärbung als Mangel und verweigerte die Abnahme der Glaselemente. Eine in Weißglas ausgeführte Ersatzlieferung der Klägerin wurde von der Beklagten abgenommen und auf Grundlage einer gesonderten Entgeltvereinbarung vergütet.

10Das Landgericht hat die auf Zahlung von 370.349,96 € Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung die Beklagte antragsgemäß verurteilt und die Revision nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die von ihrer Streithelferin unterstützte Beschwerde der Beklagten, mit der der Klageabweisungsantrag weiterverfolgt wird.

II.

11Die von ihrer Streithelferin unterstützte Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch macht.

121. Das Berufungsgericht hat, soweit es für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Bedeutung ist, Folgendes ausgeführt:

13Der Klägerin stehe ein Anspruch auf die geltend gemachte Vergütung zu, weil die im Oktober 2013 eingebauten Glaselemente in Grünglas der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit entsprochen hätten. Da im Vertrag der optische Eindruck des zu verwendenden Glases nicht hinreichend beschrieben gewesen sei, hätten nach den Absprachen der Parteien die zu verwendende Glasqualität und die Oberflächenbeschichtung in einem Bemusterungsverfahren bestimmt werden sollen. Die beim Bemusterungstermin am ausgesuchte Probe habe den Inhalt der Leistungspflicht der Klägerin nicht nur im Hinblick auf die Oberflächenbeschichtung, sondern auch auf das zu verwendende Glas festgelegt. Es sei bewiesen, dass die in diesem Termin ausgewählte Probe aus Grünglas gefertigt gewesen sei. Die Glas-bauelemente seien mit diesem Glas herzustellen gewesen, weil es sich bei der ausgewählten Musterscheibe um eine Probe im Sinne von § 13 Abs. 2 VOB/B gehandelt habe.

14Soweit die Beklagte in zweiter Instanz erstmalig eine die Rechtsfolgen des § 13 Abs. 2 VOB/B einschränkende Vereinbarung behauptet habe, sei sie hierfür beweisfällig geblieben. In der Berufungsinstanz hätten die Zeuginnen S.      und F.     zwar ausgesagt, die Klägerin sei vor dem mit dem Ansinnen an sie herangetreten, die zu bemusternden Beschichtungen statt auf teurem Weißglas auf Glasunterlagen aus Grünglas zu zeigen. Sie hätten den Vorschlag der Klägerin akzeptiert, weil ihre fachliche Kompetenz und Erfahrung sie befähigt habe, bei der Bemusterung der Beschichtung einen (unterstellten) grünen Farbschimmer der jeweiligen Unterlage hinwegzudenken und sich auf die Gestaltung der Oberfläche - insbesondere Textur und Transparenz - zu konzentrieren. Der Senat erachte ihre Aussagen indes nicht für glaubhaft, weil die Zeuginnen die fragliche Absprache in ihrer Vernehmung in der ersten Instanz nicht erwähnt hätten. Angesichts der Abweichungen zwischen den Aussagen in beiden Instanzen und der Unschärfe zu der fraglichen Absprache könne der Senat nicht von einer Absprache ausgehen, die eine Abweichung von § 13 Abs. 2 VOB/B rechtfertige.

15Dass die Klägerin in ihrem Nachtragsangebot vom die Bezeichnung Weißglas verwendet habe, führe zu keinem anderen Beweisergebnis. Das Nachtragsangebot sei von dem Geschäftsführer der Klägerin erstellt worden, der bei dem Bemusterungstermin am nicht zugegen gewesen sei. Der Leistungsinhalt sei zu diesem Zeitpunkt durch Auswählen der Probe bereits bestimmt und die Produktion nach Freigabe durch die Streithelferin angelaufen gewesen. Die E-Mail des Geschäftsführers der Klägerin vom sei für die Bestimmung des Leistungsinhalts des Vertrages ohne Belang. Das Landgericht habe zutreffend ausgeführt, dass in der E-Mail kein Anerkenntnis einer von der Probe abweichenden Beschaffenheit des Glases gesehen werden könne.

162. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die im Oktober 2013 eingebauten Glasbauelemente aus Grünglas hätten die vereinbarte Beschaffenheit aufgewiesen, beruht auf einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung des rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

17a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dieses Gebot verpflichtet das Gericht unter anderem dazu, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft - in den Gründen zu bescheiden (vgl. Rn. 16, BauR 2018, 1162 = NZBau 2018, 349; Beschluss vom - V ZR 61/15 Rn. 7 m.w.N., NJW-RR 2016, 78). Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (vgl. Rn. 16, BauR 2018, 1162 = NZBau 2018, 349; Beschluss vom - V ZR 29/17 Rn. 6, NZM 2018, 289; Beschluss vom - I ZB 76/15 Rn. 9, WM 2016, 1706; Beschluss vom - V ZR 61/15 Rn. 7 m.w.N., NJW-RR 2016, 78).

18b) Diesen Maßstäben genügt das Berufungsurteil nicht. Das Berufungsgericht hat den durch die Aussagen der Zeuginnen F.     und S.      belegten Sachvortrag, bei der Bemusterung sei es nur um die Oberflächenbeschichtung gegangen, rechtlich nur unter dem Gesichtspunkt gewürdigt, ob die Beklagte eine die Rechtsfolgen des § 13 Abs. 2 VOB/B einschränkende Vereinbarung bewiesen habe. Es hat hingegen die Aussagen der Zeuginnen nicht unter dem zentralen Gesichtspunkt gewürdigt, dass nach dem Sachvortrag der Beklagten nur der optische Eindruck des zu verwendenden Glases in einem Bemusterungsprozess habe bestimmt werden sollen, die im Vertrag bereits vereinbarte Beschaffenheit des Glases als Weißglas habe hingegen unverändert bleiben sollen.

19Konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben sich daraus, dass die Klägerin nach dem letzten Bemusterungstermin in ihrer Abschlagsrechnung vom und in ihrem Nachtragsangebot vom selbst davon ausgegangen ist, dass die Glasbauelemente in Weißglas zu fertigen waren. Das Berufungsgericht hat diese Schreiben für unbeachtlich erachtet, weil dem Geschäftsführer die im Bemusterungstermin am festgelegten Leistungspflichten nicht bekannt gewesen seien. Dies lässt den Schluss zu, dass es den wesentlichen Kern des Sachvortrags der Beklagten nicht erfasst hat. Es hat die Schreiben nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt gewürdigt, dass der Geschäftsführer der Klägerin von einer im Bemusterungstermin vom erfolgten Änderung der Leistungspflichten hätte Kenntnis haben müssen, wenn die im Vertrag vereinbarte Beschaffenheit des Glases als Weißglas im Bemusterungstermin vom geändert worden wäre.

20Das Berufungsgericht hat zudem die E-Mail des Geschäftsführers der Klägerin vom nur unter dem Gesichtspunkt gewürdigt, dass darin kein Anerkenntnis einer von der Probe abweichenden Beschaffenheit des Glases gesehen werden könne. Es hat ihren Inhalt dagegen nicht unter dem zentralen Gesichtspunkt gewürdigt, dass der Geschäftsführer der Klägerin darin selbst eingeräumt hat, der Einbau der aus Grünglas bestehenden Glasbauelemente entspreche nicht der im Vertrag vereinbarten Beschaffenheit.

21Das Berufungsgericht hat weiter das - durch die Aussagen der Zeugen Z.   und S.       sowie durch das Schreiben vom belegte - Vorbringen der Beklagten nicht gewürdigt, der bei der Klägerin tätige Zeuge K.    habe bei einem Telefonat am gegenüber dem Zeugen Z.    geäußert, es seien Glasbauelemente in Weißglas eingebaut worden. Es fehlt insbesondere eine Würdigung ihrer Aussagen unter dem rechtlichen Gesichtspunkt, dass danach selbst der im Bemusterungstermin am für die Klägerin anwesende Zeuge K.     von Weißglas als geschuldeter Beschaffenheit ausgegangen ist.

22Das Berufungsgericht hat außerdem die Aussagen der Zeuginnen S.      und F.    nicht unter dem von der Beklagten vorgetragenen Gesichtspunkt gewürdigt, dass bei dem Bemusterungstermin am im Gegensatz zu dem Termin am keine Scheiben in der Originalgröße und Originalstärke als Muster verwendet worden sind. Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen hat das Berufungsgericht weiter nicht gewürdigt, dass die Zeuginnen bereits in erster Instanz ausgesagt hatten, dass es bei dem Bemusterungsprozess nur um die Oberflächenbeschichtung gegangen sei. Die fehlende Würdigung dieser Umstände lässt nur den Schluss zu, dass es den Sachvortrag der Beklagten in seinem wesentlichen Kern nicht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat.

23Auf dieser Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör beruht das angefochtene Urteil auch. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei gebotener Berücksichtigung der oben aufgezeigten Gesichtspunkte zu einem für die Beklagte günstigeren Ergebnis gelangt wäre.

24Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht zugleich Gelegenheit, sich mit den weiteren Rügen der Beklagten und ihrer Streithelferin in den Nichtzulassungsbeschwerdebegründungen auseinanderzusetzen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:260220BVIIZR89.19.0

Fundstelle(n):
QAAAH-50134