Rückforderung von Beiträgen zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft - unwirksame AVE VTV 2013 I und AVE VTV 2013 II - Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG
Gesetze: § 812 Abs 1 S 1 Alt 1 BGB, § 7 Abs 3 SokaSiG, Anl 29 SokaSiG, Anl 30 SokaSiG, § 1 Abs 1 VTV-Bau, § 1 Abs 2 VTV-Bau, § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 VTV-Bau, § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 VTV-Bau, § 15 Abs 2 S 1 VTV-Bau, § 16 S 1 VTV-Bau, § 18 Abs 1 S 1 VTV-Bau, § 5 TVG, Art 9 Abs 3 GG, Art 20 Abs 2 S 2 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 1 S 1 GG, Art 1 Abs 3 GG
Instanzenzug: ArbG Wiesbaden Az: 11 Ca 2015/16 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 10 Sa 1275/17 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Beiträgen zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft, die die Klägerin im Kalenderjahr 2013 leistete.
2Der Beklagte zu 1. ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK), eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft verpflichtet. Bei der Beklagten zu 2. handelt es sich um die in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft organisierte Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK-Bau). Sie gewährt zusätzliche Leistungen zu den gesetzlichen Renten. Seit dem zieht der Beklagte zu 1. neben seinen eigenen Beiträgen auch die Beiträge für die tarifliche Zusatzrente ein. Diese führt er an die Beklagte zu 2. ab.
3Die Klägerin mit Sitz im baden-württembergischen S ist nicht Mitglied eines der die Verfahrenstarifverträge schließenden Verbände. Sie unterhielt im Streitzeitraum einen Gewerbebetrieb, in dem arbeitszeitlich überwiegend Bautätigkeiten iSd. Verfahrenstarifverträge ausgeführt wurden. Im Kalenderjahr 2013 entrichtete sie auf der Grundlage der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom idF vom (VTV 2012) und vom (VTV 2013 I) Beiträge an den Beklagten zu 1.
4Der Senat hat festgestellt, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV 2012 und des VTV 2013 I unwirksam sind ( -).
5Die Klägerin hat behauptet, dass sie im Beitragsjahr 2013 insgesamt Beiträge iHv. 116.841,49 Euro gezahlt und Erstattungen iHv. 78.924,23 Euro erhalten habe. In Höhe der Differenz, so hat sie gemeint, seien die insoweit gesamtschuldnerisch haftenden Beklagten ungerechtfertigt bereichert. Sie habe die Beiträge ohne rechtlichen Grund geleistet, weil sie nicht an den VTV 2012 und den VTV 2013 I gebunden gewesen sei. Das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom (SokaSiG) verstoße gegen das Verbot rückwirkender Gesetze und sei weder mit der Koalitionsfreiheit noch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar. Zudem stelle es ein unzulässiges Einzelfallgesetz dar, das den Grundsatz der Gewaltenteilung verletze.
6Zuletzt hat die Klägerin beantragt,
7Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben gemeint, die Beklagte zu 2. sei nicht passivlegitimiert. Rückforderungsansprüche bestünden auch gegenüber dem Beklagten zu 1. nicht. Die Klägerin habe die Beiträge mit Rechtsgrund geleistet, weil die Verfahrenstarifverträge in der jeweiligen Fassung nach § 7 SokaSiG kraft Gesetzes anzuwenden seien.
8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Rückzahlungsanspruch weiter.
Gründe
9Die Revision der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Klägerin stehen keine Ansprüche gegen die Beklagten auf Rückzahlung der geleisteten Sozialkassenbeiträge zu.
10I. Die Revision ist zulässig.
111. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision müssen nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revisionsgründe angegeben werden. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO). Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Der Revisionskläger muss sich mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Es genügt nicht, das bisherige Vorbringen zu wiederholen (st. Rspr., vgl. etwa - Rn. 11; - 4 AZR 456/18 - Rn. 13 mwN).
122. Nach diesen Grundsätzen ist die Revision - noch - zulässig. Zwar wiederholt die Klägerin in der Revisionsbegründung ganz überwiegend wörtlich den Vortrag aus der Berufungsbegründung. Sie hält jedoch ausdrücklich an ihrem - vom Landesarbeitsgericht nicht abgehandelten - Vorbringen fest, das SokaSiG verstoße gegen das Verbot des Einzelfallgesetzes nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG. Zudem vertieft sie ihre rechtliche Argumentation, indem sie auf das Zweite Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz (SokaSiG2) verweist. Auf diese Weise werden Gegenstand und Ziel ihres Revisionsangriffs hinreichend erkennbar.
13II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zu Recht zurückgewiesen und die Klage als unbegründet angesehen. Das Landesarbeitsgericht hat - ohne zwischen den beiden Beklagten zu unterscheiden - im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die Klägerin keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Rückzahlung der Differenz zwischen den für das Jahr 2013 gezahlten Beiträgen und den Erstattungsleistungen hat.
141. Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 2. keinen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung.
15a) Ein Anspruch ergibt sich nicht aufgrund einer sog. Leistungskondiktion. Die Voraussetzungen der insoweit allein in Betracht kommenden sog. condictio indebiti nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB sind nicht erfüllt (zu der Abgrenzung der Leistungskondiktionen - Rn. 18 f.).
16aa) Danach ist, wer durch die Leistung eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat, ihm zur Herausgabe verpflichtet. Unter einer Leistung im Sinn dieser Vorschrift ist die bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens zu verstehen. Für die Beurteilung, wer Leistender und wer Empfänger einer Leistung ist, kommt es in erster Linie auf die der Zuwendung gegebene Zweckbestimmung an. Maßgeblich ist grundsätzlich der Zweck, den die Beteiligten im Zeitpunkt der Zuwendung mit ihr nach dem zum Ausdruck gekommenen Willen verfolgt haben ( - Rn. 19; - Rn. 17).
17bb) Die Sozialkassenbeiträge sind von den Arbeitgebern an den Beklagten zu 1. als der von den Tarifvertragsparteien bestimmten Einzugsstelle abzuführen (§ 3 Abs. 3 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 VTV 2012 bzw. § 3 Abs. 3 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV 2013 I). Der Beklagte zu 1. war und ist nach den Bestimmungen der Verfahrenstarifverträge ausdrücklich ermächtigt, auch Sozialkassenbeiträge einzuziehen, soweit sie nicht ihm selbst, sondern anderen Sozialkassen zustehen. Die Arbeitgeber können und konnten im Klagezeitraum nach der tariflichen Regelung des Beitragseinzugsverfahrens auf die Beitragsforderungen aller systemangehöriger Sozialkassen befreiend nur an den Beklagten zu 1. leisten. Dieser hatte und hat die ausschließliche Empfangszuständigkeit für die Sozialkassenbeiträge. Er tritt gegenüber den Arbeitgebern wie ein Vollrechtsinhaber auf, wenn er die ihm tariflich eingeräumten Befugnisse wahrnimmt ( - Rn. 20; - 10 AZR 400/18 - Rn. 20; - 10 AZR 108/07 - Rn. 19).
18cc) Der Annahme einer alleinigen Empfangszuständigkeit des Beklagten zu 1. im Außenverhältnis zu den Arbeitgebern als Beitragsschuldnern steht nicht entgegen, dass der Beklagte zu 1. die fremdnützig eingezogenen, nach den tariflichen Regelungen anderen Sozialkassen zustehenden Beiträge an diese anderen Sozialkassen nach § 667 BGB herauszugeben hat. Das Innenverhältnis zwischen dem Beklagten zu 1. als Einzugsstelle und den hinter ihm stehenden anderen Sozialkassen spielt bei der Rückabwicklung des Leistungsverhältnisses zwischen dem Beklagten zu 1. und einem Arbeitgeber, der ohne rechtlichen Grund Beiträge an den Beklagten zu 1. abgeführt hat, keine entscheidende Rolle ( - Rn. 21; - 10 AZR 108/07 - Rn. 20).
19dd) Von einer ausschließlichen Empfangszuständigkeit des Beklagten zu 1. für die vom Arbeitgeber abzuführenden Sozialkassenbeiträge ging auch die Klägerin aus. Sie wollte erkennbar ihre tarifliche Verpflichtung zur Beitragsleistung vollständig erfüllen und führte die Beiträge deshalb bewusst und zweckgerichtet an den Beklagten zu 1. ab, ohne zwischen den einzelnen Beitragsanteilen zu differenzieren.
20b) Auf eine andere bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlage kann sich die Klägerin gegenüber der Beklagten zu 2. nicht stützen. Die Klägerin kann wegen des Vorrangs der Leistungskondiktion bei der Rückabwicklung des Leistungsverhältnisses ausschließlich den Beklagten zu 1. als Empfänger einer vermeintlich grundlosen Beitragsleistung in Anspruch nehmen ( - Rn. 23 ff.; - Rn. 16 mwN).
212. Ein Zahlungsanspruch gegen den Beklagten zu 1. aus ungerechtfertigter Bereicherung scheidet ebenfalls aus. Die Klägerin leistete die Beiträge nicht ohne Rechtsgrund iSv. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Dem Beklagten zu 1. standen die Beiträge für das Kalenderjahr 2013 nach § 7 Abs. 4 und Abs. 5 iVm. den Anlagen 29 und 30 SokaSiG zu. Die Anlagen 29 und 30 SokaSiG enthalten den vollständigen Text des VTV 2012 und des VTV 2013 I (vgl. den Anlageband zum BGBl. I Nr. 29 vom S. 296 bis 322). Die in § 7 Abs. 4 und Abs. 5 SokaSiG angeordnete Geltungserstreckung des VTV 2012 und des VTV 2013 I auf nicht Tarifgebundene ist aus Sicht des Senats verfassungsgemäß. Die Beitragspflicht der Klägerin an den Beklagten zu 1. folgt für den Zeitraum vom 1. Januar bis aus § 1 Abs. 1 und Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 iVm. § 18 Abs. 2 Satz 1, § 19 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 VTV 2012. Für den Zeitraum vom 1. Juli bis ergibt sich die Beitragspflicht aus § 1 Abs. 1 und Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 iVm. § 15 Abs. 2 Satz 1, § 16 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 VTV 2013 I. Die Klägerin hat auch keinen Rückzahlungsanspruch gegen den Beklagten zu 1. aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB wegen - vermeintlich - im Jahr 2013 überzahlter Beiträge.
22a) Der im Land Baden-Württemberg gelegene Betrieb der Klägerin unterfällt dem räumlichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge (§ 1 Abs. 1 VTV 2012 und VTV 2013 I). Die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer werden vom persönlichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge erfasst (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 VTV 2012 und VTV 2013 I).
23b) Der Betrieb der Klägerin fällt in den betrieblichen Geltungsbereich des VTV 2012 und des VTV 2013 I. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass sie im Streitzeitraum einen Gewerbebetrieb unterhielt, in dem arbeitszeitlich überwiegend Bautätigkeiten iSd. Verfahrenstarifverträge ausgeführt wurden. Dies greift die Revision nicht an.
24c) Die Klägerin war ungeachtet ihrer fehlenden Verbandszugehörigkeit nach § 7 Abs. 4 und Abs. 5 iVm. den Anlagen 29 und 30 SokaSiG an den VTV 2012 und den VTV 2013 I gebunden. Gegen die Geltungserstreckung auf die Klägerin durch § 7 Abs. 4 und Abs. 5 iVm. den Anlagen 29 und 30 SokaSiG bestehen aus Sicht des Senats keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken ( - Rn. 71 ff.; - 10 AZR 399/18 - Rn. 28 ff.; - 10 AZR 400/18 - Rn. 28 ff.; - 10 AZR 567/17 - Rn. 49 ff.; - 10 AZR 38/18 - Rn. 15 ff.; - 10 AZR 531/18 - Rn. 17 ff.; - 10 AZR 562/18 - Rn. 20 ff.; - 10 AZR 549/18 - Rn. 84 ff.; - 10 AZR 550/18 - Rn. 23 ff.; - 10 AZR 498/17 - Rn. 39 ff.; - 10 AZR 499/17 - Rn. 81 ff.; - 10 AZR 559/17 - Rn. 29 ff.; - 10 AZR 318/17 - Rn. 47 ff.; - 10 AZR 512/17 - Rn. 32 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 42 ff., BAGE 164, 201).
25aa) § 7 SokaSiG ist aus Sicht des Senats entgegen der Auffassung der Klägerin formell verfassungsgemäß. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Art. 70 Abs. 2, Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien in § 5 TVG die Möglichkeit eingeräumt hat, die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen zu beantragen, ergibt sich keine wie auch immer geartete „Selbstbindung“ des Gesetzgebers. Insbesondere war er nicht wegen § 5 TVG daran gehindert, das SokaSiG zu erlassen ( - Rn. 29 ff. mwN).
26bb) § 7 SokaSiG verstößt nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG ( - Rn. 34 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 45 ff., BAGE 164, 201).
27(1) Nach Auffassung des Senats verletzt das SokaSiG nicht die negative Koalitionsfreiheit. Soweit die gesetzliche Geltungserstreckung der Verfahrenstarifverträge einen mittelbaren Druck erzeugen sollte, um der größeren Einflussmöglichkeit willen Mitglied einer der tarifvertragsschließenden Parteien zu werden, ist dieser Druck jedenfalls nicht so erheblich, dass die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde ( - Rn. 35; - 10 AZR 121/18 - Rn. 52, BAGE 164, 201).
28(2) Ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit kann entgegen der Auffassung der Revision nicht darin gesehen werden, dass der Gesetzgeber „erstmals derart in gesetzlich privatautonom geregelte Regelungsbereiche der Tarifvertragsparteien vordringt“ und es wegen des unterschiedlichen Grads der Grundrechtsbindung „einen erheblichen Unterschied macht, ob der Gesetzgeber eine Regelung trifft oder die Tarifvertragsparteien“. Die Tarifvertragsparteien hatten für alle von § 7 SokaSiG in Bezug genommenen Verfahrenstarifverträge einen Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung gestellt. Beim Erlass einer Allgemeinverbindlicherklärung unterliegt der Normgeber der Grundrechtsbindung ( - Rn. 36; - 10 AZR 38/18 - Rn. 23).
29(3) Ein etwaiger Eingriff in die Tarifautonomie durch die gesetzliche Geltungserstreckung ist jedenfalls im Interesse der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie gerechtfertigt. Das SokaSiG dient einem legitimen Zweck, weil es den Fortbestand der Sozialkassenverfahren in der Bauwirtschaft sichern und Bedingungen für einen fairen Wettbewerb schaffen soll. Indem § 7 SokaSiG nicht nur Rückforderungsansprüche ausschließt, sondern auch den zukünftigen Beitragseinzug sicherstellt, kann dieser Zweck erreicht werden. Eine auf Rückforderungsansprüche beschränkte Regelung wäre zwar milder gewesen, aber nicht gleich wirksam. Die mit § 7 SokaSiG verbundenen Belastungen für nicht tarifgebundene Arbeitgeber hält der Senat angesichts der mit der Norm verfolgten Ziele für zumutbar ( - Rn. 37; - 10 AZR 38/18 - Rn. 24 mwN).
30cc) § 7 SokaSiG „annulliert“ nicht unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung. Mit der gesetzlichen Erstreckungsanordnung sollte - letztlich mit Rücksicht auf die Forderungen der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit - statt anfechtbaren Rechts unanfechtbares Recht gesetzt werden. Der Gesetzgeber hat dabei weder die Rechtsprechung des Senats „kassiert“, noch hat er „neues“ Recht geschaffen oder in die allein dem Bundesverfassungsgericht zukommende Kompetenz zur Aufhebung von Akten der Judikative eingegriffen ( - Rn. 38; - 10 AZR 121/18 - Rn. 92 f., BAGE 164, 201).
31dd) § 7 SokaSiG verletzt nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden ( - Rn. 78 ff.). Es kommt allein darauf an, ob die betroffene Personengruppe bei objektiver Betrachtung auf den Fortbestand der bisherigen Regelung vertrauen konnte. Das ist nicht der Fall ( - Rn. 26 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 68 ff., BAGE 164, 201).
32(1) Mit Blick auf die von § 7 Abs. 4 und Abs. 5 SokaSiG erfassten Zeiträume konnte sich bei der Klägerin aufgrund der Entscheidung des Senats vom (- 10 ABR 34/15 -) kein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, nicht zu Sozialkassenbeiträgen herangezogen zu werden. Vielmehr musste sie nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge von § 7 Abs. 4 und Abs. 5 SokaSiG zurückbezogen wird, damit rechnen, dass die tariflichen Rechtsnormen durch Gesetz rückwirkend wieder auf nicht originär tarifgebundene Arbeitgeber erstreckt werden würden. Der Gesetzgeber brauchte auf zwischenzeitlich dennoch getätigte gegenläufige Vermögensdispositionen keine Rücksicht zu nehmen ( - Rn. 27; vgl. - 10 AZR 121/18 - Rn. 82 ff., BAGE 164, 201). Der in diesem Zusammenhang von der Revision angebrachte Hinweis auf § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG verfängt schon deshalb nicht, weil die Norm nur das Vertrauen in die Wirksamkeit, nicht aber in die Unwirksamkeit eines Verwaltungsakts schützt ( - Rn. 40).
33(2) Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie aufgrund der Entscheidungen des Senats vom auf den Fortbestand des tariflosen Zustands vertraut habe. Der Bildung von Vertrauen auf den Bestand dieser Rechtslage steht entgegen, dass die gesetzliche Wiederherstellung der Normerstreckung auf tariffreie Arbeitgeber bereits vor der Veröffentlichung der Entscheidungsformel im Bundesanzeiger absehbar war ( - Rn. 42; - 10 AZR 121/18 - Rn. 82 ff. mwN, BAGE 164, 201). Die beiden hier in Rede stehenden Allgemeinverbindlicherklärungen wurden ohnehin erst am für unwirksam erklärt ( -).
34ee) Das SokaSiG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG ( - Rn. 43 ff.; - 10 AZR 121/18 - Rn. 63 ff., BAGE 164, 201).
35(1) § 7 SokaSiG führt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu einer Ungleichbehandlung, sondern zu einer Gleichbehandlung aller Baubetriebe, die unter den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich der dort genannten Verfahrenstarifverträge fallen, unabhängig von einer bestehenden Verbandsmitgliedschaft. Die tarifgebundenen Betriebe müssen dieselben Beiträge leisten wie die Nichtmitglieder. Sie genießen ihnen gegenüber auch keine sonstigen Privilegien ( - Rn. 44; - 10 AZR 121/18 - Rn. 65, BAGE 164, 201).
36(2) Ob die entgegen der Auffassung der Revision nicht vom Gesetzgeber, sondern von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Differenzierung zwischen den Tarifgebieten West und Ost mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, kann dahinstehen. Eine sich als materiell unwirksam erweisende tarifliche Regelung wird durch § 7 SokaSiG nicht „geheilt“. Nach § 11 SokaSiG gelten die tarifvertraglichen Rechtsnormen, auf die in § 7 SokaSiG verwiesen wird, lediglich unabhängig davon, ob die Tarifverträge wirksam abgeschlossen wurden. Damit gelten die jeweils statisch in Bezug genommenen Verfahrenstarifverträge nur in verfassungskonformem Zustand. Ihre Normen unterliegen ebenso wie für allgemeinverbindlich erklärte Tarifnormen der Bindung an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG ( - Rn. 45; - 10 AZR 121/18 - Rn. 67, BAGE 164, 201).
37ff) Bei dem SokaSiG handelt es sich nicht um ein nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG unzulässiges Einzelfallgesetz. Die Bestimmung greift nicht aus einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle einen einzelnen Fall oder eine bestimmte Gruppe heraus ( - Rn. 47; - 10 AZR 121/18 - Rn. 105 ff., BAGE 164, 201).
38d) Die Klägerin hat aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auch keinen Rückzahlungsanspruch gegen den Beklagten zu 1. wegen einer - vermeintlich - zu ihren Gunsten bestehenden Differenz zwischen den für das Jahr 2013 gezahlten Beiträgen und den Erstattungsleistungen des Beklagten zu 1. Zwar streiten die Parteien über die Höhe der von der Klägerin gezahlten und der vom Beklagten zu 1. erstatteten Beträge. Die Darlegungs- und Beweislast für einen Bereicherungsanspruch aufgrund einer Überzahlung trifft den Gläubiger ( - Rn. 39 mwN). Die Klägerin hat bereits nicht schlüssig vorgetragen, dass sie nach den maßgeblichen Regelungen des VTV 2012 und des VTV 2013 I für das Jahr 2013 überhöhte Beiträge geleistet oder zu geringe Erstattungsleistungen erhalten habe.
39III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:220120.U.10AZR324.18.0
Fundstelle(n):
XAAAH-48105