Abschiebungsanordnung gegen Gefährder
Leitsatz
Eine Gefahr im Sinne des § 58a AufenthG kann auch dann vorliegen, wenn der Ausländer zwar nicht selbst - gar vollständig oder nachhaltig - ideologisch radikalisiert ist, er sich jedoch von Dritten im Wissen um deren ideologische Zwecke für entsprechende Gewalthandlungen instrumentalisieren lässt.
Gesetze: § 58a Abs 1 S 1 AufenthG, § 50 Abs 1 Nr 3 VwGO
Tatbestand
1Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung seiner Abschiebung in die Türkei.
2Er wurde am als drittes Kind türkischer Eltern in K. geboren und besitzt ebenfalls die türkische Staatsangehörigkeit. Dort lebte er, bis er im Juni 2018 nach G. zog. Seit 2006 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Die Schule verließ er 2012 ohne Abschluss. Eine Berufsausbildung hat der Kläger nicht absolviert. Er ist keiner geregelten Erwerbstätigkeit nachgegangen, sondern hat Gelegenheitsjobs ausgeübt. Von Juli 2018 bis Ende 2019 bezog er überwiegend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.
3Durch Urteil des Amtsgerichts K. vom wurde der Kläger wegen Körperverletzung in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, die bis zum zur Bewährung ausgesetzt war. Mit Urteil des Amtsgerichts K. vom wurde er wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 25 € verurteilt. Wegen Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie Fahrens ohne Fahrerlaubnis wurde der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts K. vom zu einer Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 25 € sowie zu einem Monat Fahrverbot verurteilt. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts H. vom wurde er wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung (im Polizeigewahrsam am ) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 25 € verurteilt. Gegen den Kläger ist nach Angaben des Beklagten zudem ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Sozialleistungsbetruges, wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz und das Arzneimittelgesetz sowie wegen Betruges anhängig. Mit Beschluss des Amtsgerichts G. vom wurde die am verfügte Meldeauflage, nach der sich der Kläger dreimal wöchentlich bei der Polizeiinspektion G. zu melden hat, bis zum verlängert.
4Auf Grundlage eines Beschlusses des Amtsgerichts G. vom wurde der Kläger in Polizeigewahrsam genommen. Nach mündlicher Anhörung des Klägers verfügte das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport - gestützt auf § 58a AufenthG - mit Verfügung vom die Abschiebung des Klägers in die Türkei und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung führte es aus, aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte sei die Prognose gerechtfertigt, dass von dem Kläger eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und eine terroristische Gefahr ausgehe, die eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erforderlich mache. Auch wenn den Sicherheitsbehörden aktuell noch kein konkreter Plan zur Ausführung einer terroristischen Gewalttat bekannt geworden sei, gehe vom Kläger ein zeitlich und sachlich beachtliches Risiko aus, dass er einen terroristischen Anschlag begehen oder sich an einem solchen beteiligen werde. Gleichzeitig sei zu befürchten, dass er eine derart gravierende Straftat verübe, dass eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzunehmen sei. In Anbetracht der Gesamtumstände sei davon auszugehen, dass der Kläger nicht lediglich eine radikal-religiöse Einstellung habe, sondern mit dem "Islamischen Staat (IS)" und dessen Märtyrerideologie sympathisiere. Er habe sich in hohem Maße mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam identifiziert und halte den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung seiner islamistischen Auffassung für gerechtfertigt. Der Kläger strebe eine Bewaffnung an, um kampfbereit zu sein und zum Beispiel bei polizeilichen Maßnahmen Polizeibeamte zu erschießen. Aufgrund seiner Biographie sei davon auszugehen, dass er in der Lage sei, sich unerlaubt Schießfeuerwaffen oder Ähnliches zu beschaffen. Er schrecke nach seinen charakterlichen Eigenschaften nicht vor Straftaten zurück, sei gewaltbereit und zudem drogenabhängig. Sein Verhältnis zu den Strafverfolgungsbehörden sei derart hasserfüllt, dass er geradezu schwärmerisch Angriffe auf Leib und Leben der Bediensteten für angezeigt erachte. Gleichzeitig erlaube seine bisherige Biographie die Annahme, dass er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund zukünftiger strafrechtlicher Vorwürfe Ermittlungen der deutschen Strafverfolgungsbehörden zu befürchten habe, so dass insbesondere die von ihm angekündigte Ermordung von Polizeibeamten ein realistisches Szenario darstelle, das es zu verhindern gelte. Die Abschiebungsanordnung sei auch unter Berücksichtigung der familiären Beziehungen und der Verwurzelung des Klägers in Deutschland verhältnismäßig und (auch) unter Berücksichtigung seines bisherigen Aufenthalts in Deutschland angezeigt.
5Das Amtsgericht H. ordnete mit Beschluss vom Abschiebehaft an, deren Dauer in der Folgezeit mehrfach verlängert wurde.
6Am hat der Kläger gegen die Abschiebungsanordnung Klage beim Bundesverwaltungsgericht erhoben und zugleich einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt (1 VR 1.19).
7Zur Begründung wurde für den Kläger vorgetragen, von ihm gehe weder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung noch für einzelne Personen aus. Er habe lediglich versucht, mit durch den Islam inspirierten Motiven und Aussagen Anerkennung und Aufmerksamkeit bestimmter Personen zu erlangen. Dieses "Schocken" mit Angeberei über Waffen und Gewalt sei in Rockerkreisen üblich. Tatsächlich sei er weit davon entfernt, ein Sympathisant des Islamismus oder Salafismus zu sein. Er habe in G. schlicht die falschen "Freunde" gefunden. Diese seien jedoch nicht seine zentrale Bezugsgruppe, weil für ihn seine Familie im Vordergrund stehe. Im Zusammenleben mit seiner Lebensgefährtin habe er keinerlei islamistische oder auch nur religiöse Tendenzen gezeigt. Die Behörde habe ihre Entscheidung auf der Grundlage einer fehlerhaften Tatsachenermittlung getroffen und das Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Trotz durchgeführter Observations- und Abhörmaßnahmen gebe es keinerlei Belege für eine Islamisierung des Klägers. Er sei seit längerem straffrei und wolle ein bürgerliches Leben ohne Kontakt zu strafbaren Handlungen oder Straftätern führen. Eine Abschiebung könne nicht auf § 58a AufenthG gestützt werden, nur weil er schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten sei. In der Türkei hätte er als Kurde und Gefährder mit einer Inhaftierung ungewisser Länge zu rechnen.
8Mit Beschluss vom - 1 VR 1.19 - hat der Senat die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet. Das Verbleibensinteresse des Klägers überwiege das öffentliche Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung. Nach der gebotenen umfassenden Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung. Die zur Begründung der Abschiebungsanordnung angeführten tatsächlichen Anhaltspunkte in der Person des Klägers belegten - auch wenn sie als wahr unterstellt werden - in der Gesamtschau bei umfassender Würdigung seiner Persönlichkeit, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung und seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen nicht hinreichend die für § 58a AufenthG erforderliche, vom Beklagten angenommene ideologisch radikale Prägung der von dem Kläger ausgehenden Gefahr. Damit sei trotz der vom Beklagten angeführten Gefährlichkeit des Klägers die Prognose eines beachtlichen Risikos gerade auch im Sinne des § 58a AufenthG durch den Verbleib des Klägers im Bundesgebiet nicht gerechtfertigt.
9Am wurde der Kläger aus der Haft entlassen.
10Den Beteiligten wurde mit gerichtlicher Verfügung vom nach § 87b Abs. 2 VwGO unter anderem aufgegeben, bis zum in Auseinandersetzung mit dem Beschluss des Senats vom ergänzend zu den Sachverhalten und Feststellungen, welche die Verfügung des Beklagten vom zu stützen geeignet sind, vorzutragen.
11Der Kläger macht geltend, die angefochtene Verfügung sei ausweislich des Beschlusses des Senats rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Die Ausführungen des Beklagten nach Ergehen des Eilbeschlusses rechtfertigten keine andere Beurteilung.
12Der Kläger beantragt,
die Abschiebungsanordnung gemäß § 58a AufenthG des Beklagten vom aufzuheben.
13Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
14Er verteidigt die angefochtene Abschiebungsanordnung. Die Ausführungen des Klägers seien nicht geeignet, die Prognose für eine von ihm ausgehende besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und eine terroristische Gefahr zu entkräften oder zu relativieren. Seine Einlassungen begründeten keine Zweifel am Vorliegen einer solchen Gefahr. Sie gingen über bloße Behauptungen nicht hinaus und seien in vielfacher Hinsicht unglaubwürdig oder zu widerlegen.
15Die Gefahrenprognose bestehe unverändert fort. Der Kontakt des Klägers in die salafistische Szene dauere an beziehungsweise sei intensiviert worden. Seit Erlass der Abschiebungsanordnung sei es zu einer weiteren Abschottung der Szene gekommen. Trotz des äußerst konspirativen Verhaltens könne eine weitere religiöse Befassung und weitere Hinwendung des Klägers zum Islam belegt werden. Die formellen Riten der Religion würden einen immer höheren Stellenwert im Leben des Klägers einnehmen, und sein Verhalten gehe mit einem islamistischen Grundpotential einher. Er führe etwa seit dem regelmäßig islamische Gebete durch, lerne Gebetssuren, habe sich von seiner Mutter die rituelle Gebetswaschung erklären lassen und suche im Rahmen von Freitagsgebeten eine örtliche Moschee auf. Gegenüber seiner Mutter habe er erklärt, im Gefängnis sowohl den Koran als auch die Thora gelesen zu haben. Aus Äußerungen gegenüber seiner Mutter ergebe sich, dass der Kläger Polizeibeamte als "schmutzige Ungläubige" und (damit) als Teil des staatlichen Repressionsapparates als Feindbild ansehe. Er beabsichtige, sich im zeitlichen Kontext der gegen ihn betriebenen aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen an der Polizei sowie an dem Land Niedersachsen rächen zu wollen. In diesem Zusammenhang verweise der Kläger auf "Allah", welcher ihm bei seiner Tatbegehung helfen werde. Dieser eindeutige Gottesbezug im Zusammenhang mit der in Aussicht gestellten Rache zeige eindeutig, dass eine mögliche zukünftige Tatbegehung religiös motiviert wäre. Es sei davon auszugehen, dass es sich hierbei um eine ernst gemeinte Tatankündigung handele, weil der Kläger sich in seiner Lebensführung durch die verschiedenen aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen unmittelbar bedroht sehe. Er sei nicht nur mit der Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG belegt, sondern auch zu einer Ausweisung nach § 53 AufenthG angehört worden. Mit der Entscheidung über die Abschiebungsanordnung und dem möglichen Erlass einer Ausweisungsverfügung verdichte sich der Druck auf den Kläger ganz erheblich, der durch seine massiven persönlichen und finanziellen Schwierigkeiten erhöht werde. Zugleich spreche gerade ein feststellbar zunehmend konspiratives, auf äußerste Vorsicht gegenüber polizeilichen Maßnahmen ausgerichtetes Verhalten dafür, dass der Kläger sich weiter unter dem Einfluss von führenden Personen der salafistischen Szene befinde, die ihn in seinen Racheplänen bestärken und unterstützen könnten, um ihn so für eine salafistisch motivierte Straftat zu instrumentalisieren. Da der Kläger Zugang zu Schusswaffen, Messern und gefährlichen Gegenständen habe und bereit sei, diese auch gegen Personen einzusetzen, sei ihm eine Tatbegehung auch jederzeit möglich.
16Darüber hinaus setze sich auch nach der Haftentlassung die mangelnde Rechtstreue und Gewaltaffinität des Klägers fort. Bei ihm könne weiterhin eine hohe Aggressivität und schwindende Hemmschwelle zur Ausübung von Gewalt festgestellt werden. Nach weiteren Erkenntnissen habe der Kläger Kontakt zu Clanfamilien, dem Drogenmilieu sowie der Rockerszene und Zugang zu Waffen und anderen gefährlichen Gegenständen. Er erwerbe und konsumiere weiterhin Drogen, so dass sein Verhalten als unberechenbar beziehungsweise unkalkulierbar einzuschätzen sei und die Wahrscheinlichkeit drastisch erhöhe, dass er bei Hinzutreten nicht vorhersehbarer Umstände zumindest eine niedrigschwellige terroristische Einzeltat begehe.
17Nach der Gesamtbewertung gehe vom Kläger aufgrund des anhaltenden Drogenkonsums, gepaart mit einem Drang nach Profilierung durch Anwendung von Gewalt gegenüber Dritten, und der stetig fortschreitenden Einbettung in die salafistische Szene weiterhin eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise eine terroristische Gefahr aus. Ein Risikoanalysebericht des Bundeskriminalamtes (BKA) mit Stand komme im Kern zu der Bewertung, dass der Kläger auch in Zukunft (Gewalt-)Straftaten begehen werde. Es sei davon auszugehen, dass ein Opfer schwere Schäden davontragen oder sogar sein Leben verlieren könne. Allerdings sei es nach Einschätzung des BKA unwahrscheinlich, dass er eine schwere staatsgefährdende Gewalttat begehen werde. Sollte der Kläger dennoch eine schwere Gewalttat begehen, resultiere diese nach Einschätzung des BKA allerdings nicht aus feindseligen salafistischen Motiven. Die Polizeiinspektion G. und der Beklagte kämen auf der Grundlage aller vorliegenden Erkenntnisse weiterhin zu der Bewertung, dass bei dem Kläger von einer radikal-salafistischen Ideologisierung auszugehen und die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat im Sinne des § 89a StGB durch den Kläger möglich sei.
18Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat erklärt, dass er sich nicht am Verfahren beteiligt.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte dieses und des Verfahrens 1 VR 1.19, den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten und die Ausländerakte.
Gründe
20Die zulässige Klage ist begründet. Die Verfügung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
211. Maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG ist in Fällen, in denen der Ausländer weder abgeschoben wurde noch freiwillig ausgereist ist, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des nach § 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO in erster und letzter Instanz zuständigen Bundesverwaltungsgerichts (zuletzt 1 A 3.18 - NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 16 unter Hinweis auf Urteil vom - 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 14). Für die Rechtslage ist danach § 58a AufenthG in der seitdem nicht geänderten Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 162; die Neufassung tritt erst am in Kraft) maßgeblich. Bei der Beurteilung der Sachlage sind mithin das Verhalten des Klägers und die diesbezügliche Erkenntnislage des Beklagten bis zur mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen.
222. Nach § 58a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen.
232.1 Diese Regelung ist formell und materiell verfassungsgemäß (vgl. 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 16; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom - 2 BvR 1487/17 - NVwZ 2017, 1526 Rn. 20 ff. und vom - 2 BvR 1606/17 - NVwZ 2017, 1530 Rn. 18). Sie findet auch auf türkische Staatsangehörige Anwendung, denen als Arbeitnehmer und/oder Familienangehörige ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht aus Art. 6 und/oder Art. 7 ARB 1/80 zusteht ( 1 VR 3.18 - Buchholz 402.242 § 58a AufenthG Nr. 13 Rn. 12 ff.).
242.2 Der Begriff der "Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" ist - wie die wortgleiche Formulierung in § 54 Abs. 1 Nr. 2 und § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG - nach der Rechtsprechung des Senats enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des allgemeinen Polizeirechts. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasst die innere und äußere Sicherheit und schützt nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein ( 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <120 f.>). In diesem Sinne richten sich auch Gewaltanschläge gegen Unbeteiligte zum Zwecke der Verbreitung allgemeiner Unsicherheit gegen die innere Sicherheit des Staates ( 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 21).
252.3 Das Erfordernis einer "besonderen" Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bezieht sich allein auf das Gewicht und die Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie das Gewicht der befürchteten Tathandlungen des Betroffenen, nicht auf die zeitliche Eintrittswahrscheinlichkeit. In diesem Sinne muss die besondere Gefahr für die innere Sicherheit aufgrund der gleichen Eingriffsvoraussetzungen eine mit der terroristischen Gefahr vergleichbare Gefahrendimension erreichen. Da es um die Verhinderung derartiger Straftaten geht, ist es nicht erforderlich, dass mit deren Vorbereitung oder Ausführung in einer Weise begonnen wurde, die einen Straftatbestand erfüllt und etwa bereits zur Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen geführt hat ( 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 23).
262.4 Wesentliche Kriterien für die Bestimmung einer "terroristischen Gefahr" können insbesondere aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Union im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom (ABl. L 164 S. 3), dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates Nr. 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom (ABl. L 344 S. 93) und Art. 3 der Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates und zur Änderung des Beschlusses 2005/671/JI des Rates (ABl. L 88 S. 6) gewonnen werden (vgl. auch 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Senats liegt eine völkerrechtlich geächtete Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln jedenfalls dann vor, wenn politische Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter verfolgt werden ( 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 m.w.N.). Entsprechendes gilt bei der Verfolgung ideologischer Ziele. Eine terroristische Gefahr kann nicht nur von Organisationen, sondern auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht als Mitglieder oder Unterstützer in eine terroristische Organisation eingebunden sind oder in einer entsprechenden Beziehung zu einer solchen stehen. Erfasst sind grundsätzlich auch Zwischenstufen lose verkoppelter Netzwerke, (virtueller oder realer) Kommunikationszusammenhänge oder "Szeneeinbindungen", die auf die Realitätswahrnehmung einwirken und geeignet sind, die Bereitschaft im Einzelfall zu wecken oder zu fördern ( 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 22; siehe auch 1 A 3.18 - NVwZ-RR 2019, 738 Rn. 31).
272.5 Die für § 58a AufenthG erforderliche besondere Gefahrenlage muss sich aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ergeben. Aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich, dass die Bedrohungssituation unmittelbar vom Ausländer ausgehen muss, in dessen Freiheitsrechte sie eingreift. Ungeachtet ihrer tatbestandlichen Verselbständigung ähnelt die Abschiebungsanordnung in ihren Wirkungen einer für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung nebst Abschiebungsandrohung. Zum Zweck der Verfahrensbeschleunigung ist sie aber mit Verkürzungen im Verfahren und beim Rechtsschutz verbunden. Insbesondere ist die Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AufenthG).
28Die vom Ausländer ausgehende Bedrohung muss aber nicht bereits die Schwelle einer konkreten Gefahr im Sinne des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts überschreiten, bei der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des geschützten Rechtsguts zu erwarten ist. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, die zur Abwehr einer besonderen Gefahr lediglich eine auf Tatsachen gestützte Prognose verlangt. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen angesichts des hohen Schutzguts und der vom Terrorismus ausgehenden neuartigen Bedrohungen für einen abgesenkten Gefahrenmaßstab, weil seit den Anschlägen vom damit zu rechnen ist, dass ein Terroranschlag mit hohem Personenschaden ohne großen Vorbereitungsaufwand und mithilfe allgemein verfügbarer Mittel jederzeit und überall verwirklicht werden kann. Eine Abschiebungsanordnung ist daher schon dann möglich, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte ein beachtliches Risiko dafür besteht, dass sich eine terroristische Gefahr und/oder eine besondere Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in der Person des Ausländers jederzeit aktualisieren kann, sofern nicht eingeschritten wird ( 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 25). In Fällen, in denen sich eine Person in hohem Maße mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam identifiziert, den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung dieser radikal-islamischen Auffassung für gerechtfertigt und die Teilnahme am sogenannten Jihad als verpflichtend ansieht, kann von einer hinreichend konkreten Gefahr auszugehen sein, dass diese Person terroristische Straftaten begeht ( 1 VR 8.17 - juris Rn. 18).
29Für eine entsprechende "Gefahrenprognose" bedarf es - wie bei jeder Prognose - zunächst einer hinreichend zuverlässigen Tatsachengrundlage. Der Hinweis auf eine auf Tatsachen gestützte Prognose dient der Klarstellung, dass ein bloßer (Gefahren-)Verdacht oder Vermutungen beziehungsweise Spekulationen nicht ausreichen. Zugleich definiert dieser Hinweis einen eigenen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Abweichend von dem sonst im Gefahrenabwehrrecht geltenden Prognosemaßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit mit seinem nach Art und Ausmaß des zu erwartenden Schadens differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab muss für ein Einschreiten nach § 58a AufenthG eine bestimmte Entwicklung nicht wahrscheinlicher sein als eine andere. Vielmehr genügt angesichts der besonderen Gefahrenlage, der § 58a AufenthG durch die tatbestandliche Verselbstständigung begegnen soll, dass sich aus den festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergibt, dass die von einem Ausländer ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umschlagen kann ( 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 27).
30Dieses beachtliche Eintrittsrisiko kann sich auch aus Umständen ergeben, denen (noch) keine strafrechtliche Relevanz zukommt, etwa wenn ein Ausländer fest entschlossen ist, in Deutschland einen mit niedrigem Vorbereitungsaufwand möglichen schweren Anschlag zu verüben, auch wenn er noch nicht mit konkreten Vorbereitungs- oder Ausführungshandlungen begonnen hat und die näheren Tatumstände nach Ort, Zeitpunkt, Tatmittel und Angriffsziel noch nicht feststehen. Eine hinreichende Bedrohungssituation kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben.
31In jedem Fall bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Ausländers, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr und/oder eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgeht sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Ausländer in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu belassen oder zu bekräftigen. Ein beachtliches Risiko, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen kann, kann sich - abhängig von den Umständen des Einzelfalles - in der Gesamtschau schon daraus ergeben, dass ein im Grundsatz gewaltbereiter und auf Identitätssuche befindlicher Ausländer sich in besonderem Maße mit dem radikal-extremistischen Islamismus in seinen verschiedenen Ausprägungen bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islamismus identifiziert, über enge Kontakte zu gleichgesinnten, möglicherweise bereits anschlagsbereiten Personen verfügt und sich mit diesen in "religiösen" Fragen regelmäßig austauscht ( 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 28). Erst recht kann ein solches beachtliches Eintrittsrisiko anzunehmen sein, wenn die Radikalisierung eines solchen Ausländers ein Stadium erreicht, in dem sich dieser nach reiflicher Abwägung verpflichtet fühlt, seine Religion mit dem Mittel des gewaltsamen Kampfes zu verteidigen.
32Entgegen der Auffassung des Beklagten steht der obersten Landesbehörde bei der für eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erforderlichen Gefahrenprognose keine Einschätzungsprärogative zu. Als Teil der Exekutive ist sie beim Erlass einer Abschiebungsanordnung - wie jede andere staatliche Stelle - an Recht und Gesetz, insbesondere an die Grundrechte, gebunden (Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG) und unterliegt ihr Handeln nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG der vollen gerichtlichen Kontrolle. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für einen der gerichtlichen Überprüfung entzogenen behördlichen Beurteilungsspielraum. Auch wenn die im Rahmen des § 58a AufenthG erforderliche Prognose besondere Kenntnisse und Erfahrungswissen erfordert, ist sie nicht derart außergewöhnlich und von einem bestimmten Fachwissen abhängig, über das nur oberste (Landes-)Behörden verfügen. Vergleichbare Aufklärungsschwierigkeiten treten auch in anderen Zusammenhängen auf. Der hohe Rang der geschützten Rechtsgüter und die Eilbedürftigkeit der Entscheidung erfordern ebenfalls keine Einschätzungsprärogative der Behörde ( 1 A 3.17 - BVerwGE 159, 296 Rn. 29).
332.6 § 58a AufenthG erlaubt Maßnahmen nur zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr, die im vorbeschriebenen Umfang durch eine (vorrangig) ideologisch radikalisierte, insbesondere politisch oder religiös geprägte Gewaltanwendung oder -drohung gekennzeichnet ist. Fehlt es an einer ideologisch radikalen Prägung, ist einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch einen Ausländer auch bei drohenden Straftaten von erheblicher Bedeutung mit den Mitteln des Ausweisungsrechts (§§ 53 ff. AufenthG) oder nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht zu begegnen; hinzu tritt der Rechtsgüterschutz durch eine konsequente Verfolgung begangener Straftaten ( 1 VR 1.19 - NVwZ-RR 2019, 971 Rn. 17).
34Die ideologische Prägung der drohenden Gewaltanwendung muss dabei nicht notwendigerweise in der eigenen Überzeugung des Ausländers begründet liegen. Eine Gefahr im Sinne des § 58a AufenthG kann mit Blick auf die geschützten Rechtsgüter vielmehr auch dann vorliegen, wenn der Ausländer zwar nicht selbst - gar vollständig oder nachhaltig - ideologisch radikalisiert ist, er sich jedoch von Dritten im Wissen um deren ideologische Zwecke für entsprechende Gewalthandlungen instrumentalisieren lässt.
353. Unter Berücksichtigung der vom Beklagten nach Ergehen des Eilbeschlusses und der daraufhin erfolgten Entlassung aus der Abschiebungshaft vorgelegten Erkenntnisse erweist sich die Verfügung zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weiterhin als rechtswidrig. Auch nach dem unter 2.6 konkretisierten Maßstab gelangt der Senat in der Gesamtschau bei umfassender Würdigung des Verhaltens des Klägers, seiner Persönlichkeit, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung und seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen zu der Bewertung, dass die festgestellten Tatsachen im Ergebnis nicht die Bewertung tragen, dass aktuell von dem Kläger mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit eine nach § 58a AufenthG erforderliche besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr ausgeht.
36Der Kläger hatte zwar Kontakt zu Personen der salafistischen Szene und verhält sich konspirativ (3.1), ist gewaltbereit, hat eine Affinität zu Waffen, die er sich auch beschaffen kann, konsumiert Drogen und unterhält Kontakte in die Drogenszene und zu kriminellen Clanfamilien (3.2). Beim Kläger lässt sich aber weder eine religiöse Hinwendung zum Islam dahingehend feststellen, dass er sich in besonderem Maße mit dem radikal-extremistischen Islamismus bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islamismus identifiziert oder sich gar verpflichtet fühlt, seine Religion mit dem Mittel des gewaltsamen Kampfes zu verteidigen (3.3), noch besteht bei einer Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Klägers bereits ein beachtliches Risiko, dass er sich für derartige Ziele instrumentalisieren lässt (3.4).
373.1 Die vom Beklagten angeführten Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden belegen, dass der Kläger seit etwa Mitte 2018 bis zu seiner Inhaftierung Ende März 2019 regelmäßigen Kontakt zu Personen der salafistischen Szene in K. und G. hatte. Dabei handelt es sich unter anderem um Ih. Nrf., Pxu. W., K. Vd., Pr. Do. und Ü. Fhy. Nach Erkenntnissen des Beklagten sind diese Personen unter anderem verantwortlich für die Radikalisierung anderer Personen, haben persönlichen Kontakt zu Selbstmordattentätern und Jihadisten gehabt und stehen unter dem Verdacht, politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung zu begehen. Belegt sind neben regelmäßigen Telefonaten Verabredungen zu Treffen und der Versuch, den Kläger in der Haft zu besuchen und zu unterstützen (Vermerk des Beklagten vom ). Aus den in den Protokollen zur Telekommunikationsüberwachung dokumentierten Gesprächsinhalten ergibt sich auch, dass die Beteiligten konspirativ vorgehen und etwa die direkte Telefonkommunikation vermeiden und auf Messengerdienste oder Internettelefonie ausweichen. Seit Erlass der Abschiebungsanordnung gibt es Anhaltspunkte für eine weitere Abschottung der Szene. In Gesprächen des Klägers unter anderem mit seiner Schwester, seiner Mutter und seiner Lebensgefährtin werden verdeckte Maßnahmen der Sicherheitsbehörden erwähnt (Telefonüberwachung, verdeckte Ermittler und Vertrauenspersonen). Den Kontakt zu Personen aus der salafistischen Szene hat der Kläger nach der Haftentlassung auch nicht abgebrochen. Ausweislich der Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung hat er in der Zeit vom 30. Juli bis versucht, zu Nrf. und Fhy. Kontakt aufzunehmen. Mit Letzterem hat ein persönliches Zusammentreffen nachweislich am stattgefunden (Vermerk des Beklagten vom ).
38Zwar sind die Einlassungen des Klägers, wonach es sich bei den Kontakten um bloße Zufallsbekanntschaften gehandelt und er von den salafistischen Bestrebungen der Personen nichts gewusst habe, er lediglich die falschen Freunde gefunden und es sich nicht um seine zentrale Bezugsgruppe gehandelt habe, insgesamt als unglaubwürdig einzustufen. Sie werden unter anderem durch ein Telefonat vom mit einem R. S. widerlegt, nach dem er nur mit drei von "denen" (gemeint Mitglieder der Salafistenszene) zu tun gehabt haben will. Nrf. habe er beim Kampfsport kennengelernt und er hätte den Kontakt schon damals abgebrochen, wenn er "das" (gemeint wohl der Salafismusvorwurf gegenüber Nrf.) gewusst hätte. Auf die Vorhalte zu Treffen und Kontakten mit den genannten Personen in der mündlichen Verhandlung hat er diese zunächst abgestritten und erst auf weitere Vorhalte eingestanden. Dass es bei den Kontaktversuchen mit Nrf. nach seiner Haftentlassung nur um die Rückgabe von ausgeliehenem Handwerkzeug gegangen sei, lässt sich durch die vorgelegten Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden auch unter Berücksichtigung des konspirativen Verhaltens nicht dahingehend widerlegen, dass radikal-religiöse Inhalte und Bestrebungen das wesentliche Motiv für die Kontaktaufnahme gewesen sind. Obwohl er spätestens seit Erlass der Abschiebungsanordnung von der Einstufung der Kontaktpersonen durch den Beklagten wusste, hat er nach der Haftentlassung Kontakt zu Nrf. und Fhy. gesucht, wodurch bloße Zufallsbekanntschaften widerlegt werden.
39Ungeachtet dessen hat der bisherige Kontakt des Klägers zu maßgeblichen Mitgliedern der radikal-salafistischen Szene in K. und G. nicht schon zu einer erkennbaren, für den Kläger voraussichtlich auch handlungsleitenden Verwurzelung im radikal-religiösen Islamismus geführt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Kontaktaufnahmeversuche des Klägers nach seiner Haftentlassung auf die genannten beiden Mitglieder der salafistischen Szene G. beschränkt haben und ein persönliches Zusammentreffen nachweislich nur mit Fhy. stattgefunden hat. Eine Kontaktaufnahme mit anderen Mitgliedern der Szene, zu denen er vor seiner Verhaftung Kontakt hatte, ist nach den vorliegenden Erkenntnissen dagegen nicht erfolgt. Soweit der Kläger danach Kontakt zur Salafistenszene sucht, handelt es sich um eine austauschbare Bezugsgruppe (vgl. Risikoanalysebericht des Bundeskriminalamtes - BKA -, Stand , S. 9). So sucht er ebenso Kontakt zum Rockermilieu, zu Clanfamilien und - über den Ankauf von Betäubungsmitteln hinaus - auch zur Drogenszene (siehe unten 3.2). In dem jeweiligen Milieu verwendet er symbolische Begriffe und Gesten, um auf diese Weise seine Zugehörigkeit zur Gruppe auszudrücken und Anerkennung zu erhalten. Dass es bei den Kontakten zur Salafistenszene inhaltlich primär um religiöse oder gar jihadistische, also die religiöse Gewalt verherrlichende Inhalte geht, ist dagegen nicht hinreichend erkennbar oder gar mit der gebotenen Gewissheit (§ 108 VwGO) festzustellen.
403.2 Der Senat verkennt weiterhin nicht die tatsächlichen Anhaltspunkte, die für ein von dem Kläger ausgehendes, allgemeines Gefahrenpotential sprechen. Nach den eingeführten und nach den überwiegend nicht glaubhaften, verharmlosenden Einlassungen des Klägers nicht erschütterten Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden hat der Kläger einen Hang zu Waffen und gefährlichen Gegenständen und ist in der Lage, sich solche jederzeit zu beschaffen.
41Aus verschiedenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und den im Bundeszentralregister ausgewiesenen strafrechtlichen Verurteilungen wegen Gewaltdelikten ergeben sich gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte, dass der Kläger gewalttätig und -bereit ist und er über eine niedrige Hemmschwelle verfügt, Gewalt gegenüber anderen Personen nicht nur anzudrohen, sondern auch einzusetzen. In der Gesamtschau spricht der Inhalt der beigezogenen Akten auch in Ansehung des Vorbringens des Klägers für eine Persönlichkeit, die durch eine mangelnde wirtschaftliche, berufliche und gesellschaftliche Integration, Beeinflussbarkeit und Anerkennungsbedürfnis sowie die Bereitschaft geprägt ist, Gewalt nicht nur (situationsbedingt) anzudrohen, sondern auch einzusetzen. So war der Kläger Mitglied der Straßengang "Bad Boys K." und des Rockerclubs "United Tribuns" und in der Türsteherszene K. aktiv. Es wurde auch über körperliche Misshandlungen seiner Lebensgefährtin berichtet.
42In der jüngeren Vergangenheit wird durch ein Telefongespräch vom zwischen dem Kläger und Pxq. De. Ndg., einer Person aus der "Betäubungsmittelszene", belegt, dass der Kläger zu einer tätlichen Auseinandersetzung grundsätzlich bereit ist. Auch hat er gegenüber dem Genannten am am Telefon erklärt, dass er bereit sei, bei einer Auseinandersetzung dem De. Ndg. auch mit Waffen und/oder gefährlichen Gegenständen beizustehen, wenn er gerufen werde. Auf Fotos in einem sichergestellten Handy, die der Kläger versandt hat, sind drei unterschiedliche Pistolen, davon mindestens eine in der Hand des Klägers zu sehen. Nach weiteren Erkenntnissen des Beklagten hat der Kläger auch Kontakt mit Q. Ndun. aufgenommen, bei dem es sich um einen gewaltbereiten Straftäter der örtlichen Betäubungsmittelszene mit Bezug zur Clankriminalität handeln soll. So erwähnte er in einem Telefongespräch mit seiner Schwester am , dass er eine arabische Großfamilie kennengelernt habe und mit dieser Personengruppe unterwegs sei. In einem Telefongespräch am wurde der Kläger gefragt, ob er in einem Restaurant, das von der Großfamilie Ndun. als Sicherheitsdienst betreut wird, arbeiten möchte. Aus einem Gespräch am ergeben sich aus Äußerungen im Zusammenhang mit dem Konflikt mit einem Türsteher am Anhaltspunkte, dass Ndun. sehr wahrscheinlich im Besitz von scharfen Schusswaffen ist. Seit dem kam es im Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelkonsum des Klägers zum Kontakt zu Fhp. Vl. und Dk.-Vc. Vl. durch vermehrte Treffen in G. Diese Personen sollen ein hohes Gewalt- beziehungsweise Aggressionspotenzial und eine grundsätzlich negative beziehungsweise feindliche Einstellung gegenüber der Polizei besitzen. Der Kläger hatte nach Erkenntnissen des Beklagten nach seiner Haftentlassung nachweislich telefonischen Kontakt zu den Personen R. S. und Dp. U. Pk. Ndul.; bei Letzterem soll es sich um einen gewaltbereiten Straftäter aus dem Rockermilieu und dem strafbaren Menschenhandel handeln. Der Kläger soll nach polizeilicher Bewertung mit beiden Personen sehr vertraut wirken. Wegen dieser Kontakte zum Rockermilieu kann nach Einschätzung des Beklagten ein Zugang zu Waffen unterstellt werden. Der Kläger hat auch ein Gewaltvideo (Messerstiche und Zerstückelung eines menschlichen Körpers) in einer Chatgruppe ausgetauscht.
43Die vom Beklagten vorgelegten Erkenntnisse enthalten auch hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger weiterhin Drogen (neben Marihuana auch harte Betäubungsmittel) konsumiert und regelmäßigen Kontakt zu Personen aus der Drogenszene hat. Telefongespräche am mit Il.-Vh. Ndf. belegen, dass der Kläger an diesem Tage von dem Genannten Betäubungsmittel zum Eigenkonsum erworben hat. Am kam es ausweislich eines Telefongesprächs zu einem weiteren Treffen mit Ndf. In einem Telefonat mit seinem Bruder am erklärt der Kläger, dass er es genieße, und im Vergleich zu früher einen dicken Kopf bekomme, wo er immer morgens eine geraucht habe und dann mit dem Hund spazieren gegangen sei. Er, der Kläger, habe früher jeden Tag 25 € für Rauchen ausgegeben und immer zum Kaffee eine geraucht. Nach einem Telefongespräch vom mit Ndf. kam es zu einem Streit im Zusammenhang mit dem Erwerb von Betäubungsmitteln, am kam es zu einem weiteren Zusammentreffen. Am 7., 8. und sind durch Telefongespräche Betäubungsmittelgeschäfte zwischen dem Kläger und Ndg. belegt, die auf den Konsum von harten Betäubungsmitteln (u.a. Kokain, Amphetamin) hindeuten. In einem Telefongespräch am berichtet die Lebensgefährtin, dass der Kläger einen Joint geraucht hat.
44Der fortgesetzte Drogenkonsum des Klägers rechtfertigt zwar die Annahme des Beklagten, dass das Verhalten des Klägers als unberechenbar beziehungsweise unkalkulierbar eingeschätzt werden kann. Dies rechtfertigt aber nicht mit der gebotenen Klarheit den Schluss, dass sich die Wahrscheinlichkeit drastisch erhöhe, er werde bei Hinzutreten nicht vorhersehbarer Umstände zumindest eine niedrigschwellige terroristische Einzeltat begehen. Eine durch Drogenkonsum herabgesetzte Schwelle zur Gewaltbereitschaft kann für sich genommen das Hinzutreten einer hinreichenden ideologischen, politischen oder religiösen Radikalisierung beziehungsweise die Bereitschaft, sich zu diesen Zwecken instrumentalisieren zu lassen, als Voraussetzung für den Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG nicht ersetzen.
45Tatsächliche Anhaltspunkte für eine "besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" ergeben sich auch nicht aus dem wiederholten aggressiven bis bedrohlichen Auftreten des Klägers gegenüber Polizei- und Vollzugsbeamten. Verhalten und Äußerungen des Klägers lassen das für § 58a AufenthG erforderliche Moment nicht erkennen. Der Senat werte sie als - nicht zu billigende beziehungsweise gerechtfertigte - anlassbezogene Reaktion des Klägers auf konkrete Maßnahmen, die im jeweiligen Zusammenhang der Äußerungen zu betrachten sind. Sie erreichen - ihre Ernsthaftigkeit unterstellt - aber keine mit einer von § 58a AufenthG erfassten Gefahr vergleichbare Gefahrendimension. Dies gilt auch hinsichtlich der im Vermerk der Polizeiinspektion G. vom wiedergegebenen Angaben einer Person, nach denen der Kläger geäußert haben soll, dass er beabsichtige, sich im zeitlichen Kontext der gegen ihn betriebenen aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen an der Polizei sowie an dem Land Niedersachsen rächen zu wollen. In diesem Zusammenhang soll der Kläger auf "Allah" verwiesen haben, welcher ihm bei seiner Tatbegehung helfen werde.
46Auch wenn der Kläger danach situationsbedingt gewaltbereit und unberechenbar ist, rechtfertigt dies nicht hinreichend die Prognose einer beachtlichen Eintrittswahrscheinlichkeit einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder terroristischen Gefahr durch den Kläger. Hierin sieht sich der Senat durch einen Bericht des BKA bestätigt, das die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Straftat durch ihn unter Beibehaltung seines bisherigen Lebensstils für unwahrscheinlich hält. Voraussetzung hierfür wäre, dass sich der Kläger tiefgehend mit der salafistischen Ideologie auseinandersetzte, ihre Werte und Normen verinnerlichte oder sich politisch ideologisierte. Ferner müsste der Kläger ein dezidiertes Feindbild entwickeln, das er während seiner Zugehörigkeit zur radikalen Szene und trotz des Einflusses des als charismatisch und überzeugend zu beschreibenden Nrf. nicht gezeigt habe. Der Kläger müsste die Befriedigung seiner Bedürfnisse (nach Anerkennung, Status und Respekt) einem Gruppenwillen unterordnen und die Bereitschaft entwickeln, auf ein Leben in Deutschland zu verzichten. Die einzig feststellbare Angst des Klägers sei jedoch gerade die Aufgabe seines Lebens in Deutschland. Somit müsste der Kläger für die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat mehrere Bedingungen erfüllen, die im Widerspruch zu seinem bisher gezeigten Verhalten stehen, so dass diese Entwicklungsmöglichkeit derzeit für unwahrscheinlich gehalten werde (Risikoanalysebericht des BKA, Stand ).
473.3 Das Verhalten des Klägers gibt zwar Anhaltspunkte für seine weiter bestehende religiöse Orientierung. Sie trägt nach Art oder Gewicht der Anhaltspunkte aber (weiterhin) nicht die Bewertung einer inhaltlichen Hinwendung zum radikal-extremistischen Islamismus bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islam beziehungsweise zum militanten Jihad mit einer Intensität und Nachhaltigkeit, die die Prognose des Beklagten rechtfertigen, beim im Grundsatz gewaltbereiten Kläger bestehe wegen einer hohen Identifikation mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam oder seiner engen Kontakte zu gleichgesinnten Personen bereits ein beachtliches Risiko zu Handlungen im Sinne des § 58a AufenthG, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen kann. Der Annahme einer hinreichenden "Schnellradikalisierung", die sich in der Folgezeit verfestigt oder bestätigt habe, vermag der Senat auf der Grundlage der vorliegenden Tatsachen nicht zu folgen.
48In einem Telefonat mit Nrf. am hat er sich nach den Grundlagen des islamischen Glaubens erkundigt und berichtet seiner Lebensgefährtin am über die Auswirkungen und die Bedeutung des Gebets für ihn. Eine islamwissenschaftliche Bewertung des Beklagten vom kommt zu der Einschätzung, dass es sich bei dem Kläger nicht um eine Person mit fundiertem religiösem Wissen handelt. In einem Telefongespräch vom berichtet der Kläger seiner Mutter, dass er nach drei Monaten Gefängnisaufenthalt zu sich gekommen sei. Im Gefängnis habe er sowohl den Koran als auch die Thora gelesen. Den Koran finde er besser als die Bibel. Die anderen heiligen Bücher außer dem Koran seien im Laufe der Zeit geändert worden. Gott habe den Koran so herabgelassen, wie er jetzt sei. Er habe im Gefängnis etwas Einziges gelernt, das sei die Wahrheit. "Diese" (gemeint die Deutschen) hätten sehr viel Angst vor seiner Religion. In einem weiteren Telefongespräch am verlangt die Mutter vom Kläger, dass er schnellstmöglich mit dem Beten anfängt, was dieser zusagt. In einem Telefonat mit seiner Mutter am lobte der Kläger türkische Soldaten, die er in einem YouTube-Video gesehen hat. Er wolle sich bei einer türkischen Spezialeinheit bewerben und sich für diese Menschen (türkische Soldaten) opfern. Der Sieg sei für den Gott, diese Menschen seien wie Löwen. In Telefonaten am 6. und unterhält er sich mit seiner Mutter über das Beten und lässt es sich von ihr erklären. Er wolle täglich beten, er wolle Moslem sein und freitags beten gehen, auch wenn er deshalb Schwierigkeiten bekomme. Nach einem Telefonat mit seiner Mutter am sei er anlässlich des Freitagsgebets in der Moschee gewesen und habe den Hoca gefragt, ob er einen Hund besitzen dürfe, wenn er bete. Er habe sich erklären lassen, wie viele Male man beim Freitagsgebet auf die Knie gehen solle. Nach einem Bericht des Beklagten vom gehören zu den Besuchern der vom Kläger aufgesuchten Gebetsräumlichkeiten in der L.straße 2 in G., die von den Sicherheitsbehörden als salafistischer Brennpunkt bewertet wird, Nrf. und W., bei denen es sich um Kontakt- und Begleitpersonen des Klägers handele. In einem Telefongespräch am berichtete der Kläger, dass er gerade aus der Moschee gekommen sei (Freitagsgebet); in einem weiteren Telefongespräch erklärte er am , dass er weiterhin beten gehe.
49Die vom Beklagten dem Kläger vorgehaltene weitere religiöse Befassung und dessen weitere Hinwendung zum Islam wird durch die eingeführten Erkenntnisse dahingehend belegt, dass sich der Kläger für islamische Riten interessiert, mehr oder weniger regelmäßig betet und eine Moschee besucht. Die Einschätzung des Beklagten, die formellen Riten der Religion würden einen immer höheren Stellenwert im Leben des Klägers einnehmen und sein Verhalten gehe mit einem islamistischen Grundpotential einher, wird von den eingeführten Erkenntnissen dagegen nicht getragen.
50Eine hierfür erforderliche tiefergehende Auseinandersetzung des Klägers mit einer salafistischen Ideologie - trotz entsprechender Szenekontakte - ist weder festzustellen noch steht diese zu erwarten, weil sie im Widerspruch zu seinem bisherigen Verhalten und seinem mit einer radikal-islamistischen Ideologie unvereinbarem Lebensmodell (keine Unterordnung in Strukturen beziehungsweise einem Gruppenwillen, Drogenkonsum, westlich geprägte Lebensweise, auch seiner Lebensgefährtin) beziehungsweise seiner Angst vor einer Beendigung seines Lebensmittelpunktes in Deutschland steht (vgl. Risikoanalysebericht des BKA, Stand , S. 9). Auch haben die (bisherigen) Kontakte des Klägers zu maßgeblichen Mitgliedern der radikal-salafistischen Szene in K. und G. (vgl. oben 3.1) nicht schon zu einer erkennbaren, für den Kläger voraussichtlich auch handlungsleitenden Verwurzelung im radikal-religiösen Islamismus geführt. Auch in Ansehung der durchweg verharmlosenden Einlassungen sieht das Gericht weiterhin keinen tragfähigen Anlass für die prognostische Bewertung, dass sich der Kläger tiefgehend mit der salafistischen Ideologie auseinandersetzt, ihre Werte und Normen verinnerlicht oder sich politisch ideologisiert. Trotz seiner Kontakte zur radikalen Szene und trotz des Einflusses des als charismatisch und überzeugend zu beschreibenden Nrf. hat der Kläger kein dezidiertes Feindbild entwickelt (vgl. Risikoanalysebericht des BKA, Stand , S. 13).
51Mangels einer eigenen Ideologisierung des Klägers lässt sich auch aus seiner Verbindung mit jihadistischen Symbolen keine inhaltliche Radikalisierung begründen. Aus der Tätowierung eines zweischneidigen Schwerts (Schwert von Dhu l-faqar) auf seinem rechten Unterarm kann nach islamwissenschaftlicher Bewertung eine jihadistische Gesinnung nicht abgeleitet werden, weil es sich um ein in der türkisch-arabischen Tattooszene verbreitetes Kultsymbol für Ehre und Respekt handelt. Das Versenden eines Fotos mit der Shahada-Flagge an Nrf. und das Auffinden von Fotos in sichergestellten Mobiltelefonen mit einem den Tauhid-Finger zeigenden Kläger vor einer schwarzen Flagge des Takbir, von zwei Jungen mit Waffen und dem Tauhid-Finger posierend und mit einer Frau mit Nikab und einer Schnellfeuerwaffe mit einem Mann mit Schwert im Hintergrund kann - ähnlich dem oben unter 3.2 dargestellten Posieren mit Waffen - als Verhalten angesehen werden, mit dem er nach Geltung in der Gruppe sucht, ohne sich des ideologischen Gehalts der Symbole zu eigen gemacht oder diese gar verinnerlicht zu haben; die für das Gericht nicht glaubhafte Einlassung des Klägers, sich nicht einmal dieses Gehalts bewusst gewesen zu sein, rechtfertigt hier nicht den Umkehrschluss.
52Insgesamt ist daran festzuhalten, dass das Verhalten und die Äußerungen des Klägers eine religiös-ideologisierte Prägung seiner Person und seines Denkens nicht zur Überzeugung des Gerichts erkennen lassen. Sie tragen (weiterhin) nicht die Bewertung einer inhaltlichen Hinwendung zum radikal-extremistischen Islamismus bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islam beziehungsweise zum militanten Jihad mit einer Intensität und Nachhaltigkeit, die die Prognose rechtfertigt, bei dem im Grundsatz gewaltbereiten Kläger bestehe wegen einer hohen Identifikation mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam oder seiner engen Kontakte zu gleichgesinnten Personen bereits ein beachtliches Risiko zu Handlungen im Sinne des § 58a AufenthG, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen könne.
533.4 Auch die Gefahr einer Instrumentalisierung des Klägers für ideologisch geprägte Gewaltanwendungen ist nicht hinreichend wahrscheinlich.
54Das BKA kommt in dem Risikoanalysebericht (Stand , S. 11 ff.) zwar zu dem Ergebnis, dass für den Kläger ein Lebensentwurf ohne die Begehung von Straftaten als äußerst unwahrscheinlich erscheint. Sein bisher gezeigtes Verhalten, bei dem er sich trotz der drohenden Abschiebung nicht rechtskonform verhalten habe, spreche dafür, dass er weiterhin Gewaltstraftaten begehen werde. Aufgrund seiner Bereitschaft, Gewalt auch in massiver Form in unterschiedlichen Kontexten anzuwenden, sei davon auszugehen, dass hierbei in Zukunft ein Opfer massiv zu Schaden kommen oder unter Umständen sogar sein Leben verlieren werde. Im Lebenslauf des Klägers stellten Anschluss und Anerkennung in einer Gruppe handlungsleitende Motive dar, und er würde zu diesem Zweck auch Gewaltstraftaten begehen. Auf Grund dieser Motivation und seiner guten Beziehungen zu Nrf. hält es das BKA für möglich, dass der Kläger, ohne dass er die salafistische Ideologie übernimmt, wieder Anschluss an die salafistische Szene findet. Sollte er in diesem Umfeld eine schwere Gewalttat begehen, bestehe die Möglichkeit, dass diese - obwohl vom Kläger nicht mit feindseligen, salafistischen Motiven ausgeübt - in der Öffentlichkeit als islamistisch motivierte und damit staatsgefährdende Gewaltstraftat im Sinne des § 89a StGB wahrgenommen werde.
55Seine leichte Beeinflussbarkeit, die etwa durch die Mitgliedschaft in beziehungsweise Kontakte zu verschiedenen gewaltbereiten Gruppierungen (Straßengang "Bad Boys K.", Rockerclub "United Tribuns", Clanfamilie Ndun., Drogenszene) belegt ist, in denen er erkennbar Halt und Anerkennung gesucht hat, und sein Drogenkonsum sind zwar bei einer allgemeinen Gefahrenprognose in Bezug auf das Gewaltpotential des Klägers zu berücksichtigen (s.o. 3.2); über dessen religiös-extremistische Fundierung oder die Bereitschaft, dies auch zu Handlungen im Sinne des § 58a AufenthG einzusetzen beziehungsweise sich hierfür instrumentalisieren zu lassen, geben sie indes keinen hinreichenden Aufschluss.
56Bei dieser Einschätzung ist insbesondere die Persönlichkeit des Klägers zu berücksichtigen. Sie ist zwar geprägt von einer grundsätzlichen und chronifizierten Gewaltbereitschaft, und bei der Anwendung physischer Gewalt neigt der Kläger zu Überreaktionen. Dabei ist er durchaus in der Lage, sich zu regulieren, insbesondere, wenn er durch die Anwendung von Gewalt ein Ziel nicht erreichen kann und letztlich als Verlierer aus einer Situation hervorginge. Er kann den Aufwand gegenüber dem Nutzen sehr gut abschätzen. Auch wenn er stetig nach einem Status, Anerkennung und Respekt in einer Gruppe sucht, fehlt es ihm grundsätzlich an der Bereitschaft, sich dem Willen anderer Personen oder Gruppen anzupassen beziehungsweise unterzuordnen. Der Kläger ist egoistisch und verhält sich rücksichtslos bei der Erreichung seiner Ziele sowie der Befriedigung seiner Bedürfnisse. Hierdurch wird erkennbar, dass sein Verhalten von Denkmustern in Form von einfachen Kausalitäten geprägt ist und in der Folge nur kurzfristige Ziele angestrebt werden. Er besitzt keine ausgeprägte Weitsicht oder eine mittel- beziehungsweise langfristige Strategie sowie Planung, und eine Verhaltensänderung erscheint beim Kläger in Zukunft mangels Selbstreflexion als eher unwahrscheinlich (Risikoanalysebericht des BKA, Stand , S. 9 f.). Mit dieser Persönlichkeitsstruktur fehlt es dem Gericht an einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage für die Prognose, dass es hinreichend wahrscheinlich sei, dass er sich entgegen seinem Charakter den für eine terroristische Gewaltanwendung erforderlichen Organisationsstrukturen und Planungen unterwirft und dabei mit Blick auf die bei ihm ausgeprägte Aufwand-Nutzen-Kalkulation das Risiko der Verfolgung wegen einer terroristischen Straftat mit der erheblichen Gefahr einer Aufenthaltsbeendigung eingeht.
574. Mangels der hinreichenden Prognose einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr durch den Kläger und damit mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 58a AufenthG ist die angefochtene Abschiebungsanordnung aufzuheben. Damit entfällt auch die Grundlage für die Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten (§ 58a Abs. 3 AufenthG).
585. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:140120U1A3.19.0
Fundstelle(n):
NAAAH-47936