BGH Beschluss v. - XIII ZB 136/19

Transitaufenthaltssache: Einstweilige Aussetzung der Anordnung der Haft zur Sicherung der Ausreise

Gesetze: § 15 Abs 6 S 1 AufenthG, § 15 Abs 6 S 2 AufenthG, § 62b Abs 2 AufenthG, § 65 AufenthG, § 64 Abs 3 FamFG, § 70 Abs 3 S 1 Nr 3 FamFG, § 71 FamFG

Instanzenzug: Az: 329 T 64/19vorgehend Az: 219f XIV 262/19nachgehend Az: XIII ZB 136/19 Beschluss

Gründe

I.

1Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, wurde am im der Passkontrolle vorgelagerten Transitbereich des Flughafens H.      angetroffen. Er hatte keine Papiere bei sich und gab an, per Flugzeug aus Teheran angekommen zu sein und seine Papiere sodann vernichtet zu haben. Er äußerte ein Schutzersuchen und wurde im Flughafen am durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angehört. An demselben Tag wurden der Antrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt und der ablehnende Bescheid dem Betroffenen mit der Entscheidung über die Einreiseverweigerung zugestellt. Dagegen erhob er am Klage bei dem Verwaltungsgericht, die er mit einem Antrag verband, ihm im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Einreise zu gestatten.

2Am beantragte die beteiligte Behörde, gemäß § 15 Abs. 6 AufenthG zur Sicherung der Abreise den Aufenthalt des Betroffenen im Transitbereich des Flughafens oder in einer Unterkunft, von der aus die Abreise des Betroffenen aus dem Bundesgebiet möglich ist, bis zum anzuordnen. Mit Beschluss vom selben Tag hat das Amtsgericht den Aufenthalt des Betroffenen antragsgemäß angeordnet. Mit Beschluss vom lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag des Betroffenen auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Am wurde der Betroffene aus dem Transitbereich des Flughafens in die Rückführungseinrichtung                       H.        in der Nähe des Flughafens verbracht.

3Das Landgericht hat die gegen die Anordnung des Amtsgerichts eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, der zugleich die einstweilige Aussetzung der Vollziehung der Anordnung beantragt. Die beteiligte Behörde tritt dem Antrag entgegen.

II.

41. Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen einer Anordnung nach § 15 Abs. 6 AufenthG seien erfüllt. Diese sei zur Sicherung der Ausreise erforderlich. Der Betroffene befinde sich in der Rückführungseinrichtung in unmittelbarer Nähe des Flughafens und könne von dort jederzeit, wenn er seine Ausreise selbst organisiert habe, zum Abflug begleitet werden. Die lange Dauer der Anordnung habe der Betroffene zu vertreten, da er seine Papiere zur Verhinderung einer schnellen Rückführung vernichtet habe.

52. Der Aussetzungsantrag ist in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (st. Rspr., vgl. , juris Rn. 7 mwN), nachdem auch die nach § 71 FamFG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ohne Zulassung statthaft ist. Denn der richterlich angeordnete Aufenthalt eines Ausländers nach § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG steht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Sinne von § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG einer Freiheitsentziehung gleich, wenn die richterliche Anordnung - wie hier - über den in § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG genannten Zeitraum von 30 Tagen hinausreicht (vgl. , juris Rn. 5).

63. Der Aussetzungsantrag hat allerdings nur Erfolg, soweit die Anordnung seit dem nicht mehr im Transitbereich des Flughafens, sondern in der Rückführungseinrichtung                         H.        vollzogen wird. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde voraussichtlich keinen Erfolg haben.

7Das Beschwerdegericht hat es bei der Aufrechterhaltung der Anordnung zu Unrecht nicht beanstandet, dass deren Vollzug zum Zeitpunkt seiner Entscheidung seit dem nicht mehr im Transitbereich des Flughafens oder einer den Anforderungen des § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG entsprechenden Unterkunft erfolgte. Denn die Verlegung des Betroffenen aus dem Transitbereich des Flughafens in die Rückführungseinrichtung                   H.      war unzulässig.

8a) Bei der Einführung des Flughafenasylverfahrens nach § 18a AsylG und des Transitaufenthalts nach § 15 Abs. 6 AufenthG mit jeweils reduzierten Verfahrensgarantien und Rechtsschutzmöglichkeiten hat der Gesetzgeber daran angeknüpft, dass dem Betroffenen das luftseitige Verlassen des Aufenthaltsbereichs offensteht (vgl. BR-Drucks. 224/07, S. 278; s.a. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 274/10, juris Rn. 17 und vom - V ZB 154/11, juris Rn. 4). Vor diesem Hintergrund handelt es sich nach dem Willen des Gesetzgebers bei einer "Unterkunft, von wo aus seine [des Betroffenen] Abreise aus dem Bundesgebiet möglich ist" (§ 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG a.E.), insbesondere um eine den Verlassensmöglichkeiten des Transitbereichs eines Flughafens vergleichbare "Flughafenasylunterkunft" (vgl. BR-Drucks. 224/07, S. 278). Dem Betroffenen muss die Abreise aus solch einer Unterkunft grundsätzlich jederzeit eigenständig möglich sein (vgl. HK-AuslR/Fränkel, 2. Aufl., § 15 AufenthG Rn. 24; Huber/Westphal, AufenthG, 2. Aufl., § 15 Rn. 32). § 65 AufenthG verpflichtet dementsprechend den Unternehmer eines Verkehrsflughafens, auf dem Flughafengelände (und zwar im Transitbereich, vgl. BeckOK AuslR/Kluth [Stand ], § 65 AufenthG Rn. 4; Bergmann/Dienelt/Bauer/Dollinger, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 65 AufenthG Rn. 3) geeignete Unterkünfte zur Unterbringung von Ausländern, die nicht im Besitz eines erforderlichen Passes oder eines erforderlichen Visums sind, bis zum Vollzug der grenzpolizeilichen Entscheidung über die Einreise bereitzustellen.

9b) Die Rückführungseinrichtung                       H.       erfüllt die Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG nicht. Unerheblich ist dabei, dass sich diese tatsächlich in unmittelbarer Nähe des Flughafens befindet. Entscheidend ist vielmehr, dass der Betroffene in einer Einrichtung untergebracht ist, deren luftseitiges Verlassen ihm nicht jederzeit eigenständig möglich ist. Das Beschwerdegericht hätte daher mit der Aufrechterhaltung der Anordnung sicherstellen müssen, dass deren weiterer Vollzug im Transitbereich des Flughafens oder einer den Anforderungen des § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG entsprechenden Unterkunft erfolgt (vgl. , juris Rn. 5).

10c) Entgegen der Ansicht der beteiligten Behörde ergibt sich aus § 62b Abs. 2 AufenthG in der seit dem geltenden Fassung, wonach der Ausreisegewahrsam inzwischen auch in einer Unterkunft vollzogen werden kann, von der aus die Ausreise ohne Zurücklegen einer größeren Entfernung zu einer Grenzübergangsstelle möglich ist, nichts anderes. Denn hier wurde ein Transitaufenthalt nach § 15 Abs. 6 AufenthG angeordnet und kein Ausreisegewahrsam.

11d) Die weitere Vollziehung der Anordnung ist vor diesem Hintergrund auf den Aussetzungsantrag des Betroffenen allerdings nicht einstweilen auszusetzen, sondern lediglich dahin zu beschränken, dass die weitere Vollziehung im Transitbereich des Flughafens oder einer den Anforderungen des § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG entsprechenden Unterkunft zu erfolgen hat. Eine einstweilige Aussetzung muss nur dann erfolgen, wenn eine ordnungsgemäße weitere Vollziehung ausscheidet, etwa weil sich die Behörde weigert, einen Betroffenen in eine den Anforderungen entsprechende Einrichtung zu verlegen (vgl. zu dieser Konstellation , juris Rn. 11). Von einer Weigerung der Behörde kann hier jedoch keine Rede sein. Denn die Verlegung des Betroffenen in die Rückführungseinrichtung diente nach den Angaben der Behörde der allgemeinen Verbesserung seiner Unterkunftssituation, sollte ihm aus Sicht der Behörde also zum Vorteil und nicht zum Nachteil gereichen. Die Behörde hat damit die jederzeitige Bereitschaft bekundet, den Betroffenen wieder in den Transitbereich oder eine den Anforderungen des § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG entsprechende Unterkunft zurückzuverbringen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:161219BXIIIZB136.19.0

Fundstelle(n):
UAAAH-47643