Zugang einer Wehrbeschwerde durch Abgabe beim Offizier vom Wachdienst
Leitsatz
Disziplinarvorgesetzte müssen durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür Sorge tragen, dass schriftliche Beschwerden bis zum Ablauf der Beschwerdefrist um 24 Uhr eingelegt werden können. Andernfalls kann die Berufung auf den Fristablauf treuwidrig sein und gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen.
Gesetze: § 5 Abs 1 WBO, § 6 Abs 1 WBO, § 242 BGB, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 6 Abs 1 MRK
Instanzenzug: Truppendienstgericht Süd Az: S 1 BLc 2/18 und S 1 RL 1/18 Beschluss
Tatbestand
1Die Rechtsbeschwerde betrifft Fragen des fristwahrenden Zugangs einer Wehrbeschwerde.
2Der Beschwerdeführer, ein Oberleutnant der Reserve, wendet sich gegen eine Disziplinarbuße in Höhe von 3 900 €. Ihm wird vorgeworfen, dass er seine gewerbliche Nebentätigkeit in einem nicht genehmigten Umfang ausgedehnt habe. Die Disziplinarverfügung wurde ihm vom stellvertretenden Kommandeur seiner Flugstaffel am ausgehändigt. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom Montag, den , erhob er Beschwerde. Da die Übermittlung der Beschwerde per Telefax mehrfach fehlschlug, begab sich ein Rechtsanwalt der Kanzlei am selben Tag zu der Kaserne in L. und übergab das Beschwerdeschreiben in einem an den Kommodore des Geschwaders adressierten Briefumschlag um 18:15 Uhr. Der Offizier vom Wachdienst quittierte den Empfang und trug ihn in das Wachbuch ein. Anschließend versuchte er, den Brief bei dem Kommodore oder anderen Beschäftigten des Stabes zu übergeben. Da er dort aber niemanden mehr antraf, wurde der Brief vorerst in der Wache verwahrt. Erst nach Ablauf des Feiertags, , wurde er im Vorzimmer des Kommodores abgegeben und mit dem Eingangsstempel "" versehen.
3Mit Beschwerdebescheid vom wies der Kommodore die Beschwerde als unzulässig zurück. Die Monatsfrist habe am zu laufen begonnen, die Beschwerde sei aber erst am bei der zuständigen Stelle eingegangen. Aus dem Beschwerdeschreiben sei ersichtlich, dass beabsichtigt gewesen sei, die Beschwerde am letzten Tag der Frist per Telefax einzulegen. Ein derartiges Fax sei aber weder beim Kommodore des Geschwaders noch beim Kapitän der Staffel eingegangen. Im Übrigen sei die Disziplinarmaßnahme auch in der Sache nicht zu beanstanden.
4Hiergegen legte der Antragsteller am weitere Beschwerde beim Truppendienstgericht ein und trug vor, die Kanzlei habe am Montag, dem , den ganzen Tag über erfolglos versucht, ein Telefaxgerät in der Kaserne zu erreichen. Auch Telefonanrufe seien an diesem Brückentag ohne Erfolg geblieben. Daher habe die Kanzlei das Beschwerdeschreiben persönlich am dem vor Ort tätigen Offizier vom Wachdienst ausgehändigt, der den Empfang schriftlich bestätigt und zugesagt habe, das Beschwerdeschreiben sofort im Bereich des Kommodores abzugeben.
5Das Truppendienstgericht wies die weitere Beschwerde mit Beschluss vom zurück. Die Erstbeschwerde sei nicht fristgemäß eingegangen und deshalb zu Recht als unzulässig zurückgewiesen worden. Zwar habe ein Mitarbeiter der Kanzlei des Verteidigers das Schreiben noch am dem vor Ort eingesetzten Offizier vom Wachdienst übergeben. Damit sei es jedoch noch nicht in den Empfangsbereich des zuständigen Kommodores gelangt. Der Zugang eines Schriftstücks beim Offizier vom Wachdienst sei dem Disziplinarvorgesetzten nicht zuzurechnen, weil dieser nicht als sein "verlängerter Arm" diene. Der Offizier vom Wachdienst sei auch keine Hilfsperson eines Disziplinarvorgesetzten, der im Rahmen einer arbeitsteiligen Aufgabenerfüllung für diesen tätig werde. Die Frist sei auch nicht unverschuldet verstrichen. Ein unabwendbarer Zufall sei insbesondere nicht darin zu sehen, dass die am entgegengenommene Beschwerde nicht noch am selben Tag an den Kommodore oder dessen Empfangsbereich geleitet worden sei. Der Offizier vom Wachdienst habe zwar versucht, das Schriftstück nach dessen Eingang dort abzugeben. Er habe jedoch niemanden mehr erreicht. Das Schreiben sei zu einer Zeit abgegeben worden, zu der eine Weiterleitung an den Adressaten am selben Arbeitstag nicht mehr habe erwartet werden können. Eine entsprechende Zusage habe es nicht gegeben. Ein unabwendbarer Zufall sei auch nicht darin zu sehen, dass die Übermittlung per Fax am erfolglos geblieben sei. Wie sich aus dem Beschwerdeschreiben ergebe, seien keine Telefaxnummern des Geschwaders angewählt worden. Die Empfangsgeräte seien am auch nicht abgeschaltet gewesen.
6Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat die Rechtsbeschwerde zugelassen. In der fristgerecht eingegangenen Begründung beruft sich der Antragsteller erneut darauf, dass der Offizier vom Wachdienst das Beschwerdeschreiben am letzten Tag der Frist gegen Quittung entgegengenommen habe.
7Das Bundesministerium der Verteidigung erwidert, dass der Offizier vom Wachdienst typischerweise Sicherungsaufgaben habe und nicht für die Post empfangsermächtigt sei. Nach Nr. 109 der Zentralen Dienstvorschrift A-1130/21 "Der Wachdienst in der Bundeswehr" sei der Wachdienst von anderen Diensten, insbesondere Pförtner-, Standort- und Sonderdiensten, abzugrenzen und kein Ersatz für diese Dienste. Der zuständige Kommodore habe das Schreiben damit erst nach Fristablauf erhalten. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat sich dieser Argumentation angeschlossen.
Gründe
8Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Truppendienstgericht hat die weitere Beschwerde zu Unrecht mit der Begründung zurückgewiesen, dass die gegen die Disziplinarverfügung vom gerichtete Erstbeschwerde bereits nicht fristgemäß eingelegt worden sei. Es hätte stattdessen in der Sache entscheiden müssen.
91. Die Einreichung der Erstbeschwerde durch Abgabe des Schreibens am wahrte die Monatsfrist des § 6 Abs. 1 WBO (a). Sie gelangte damit zwar noch nicht in den Empfangsbereich der für die Beschwerdeentscheidung zuständigen Stelle (b). Eine Empfangsberechtigung des Offiziers vom Wachdienst kann mangels entsprechender Tatsachenfeststellungen auch nicht aufgrund einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht angenommen werden (c). Der Kommodore des Geschwaders muss sich den Zugang bei seinem Offizier vom Wachdienst aber nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie dem Grundsatz des fairen Verfahrens zurechnen lassen (d).
10a) Gemäß § 6 Abs. 1 WBO darf die Beschwerde frühestens nach Ablauf einer Nacht und muss innerhalb eines Monats eingelegt werden, nachdem der Beschwerdeführer von dem Beschwerdeanlass Kenntnis erhalten hat. Kenntnis vom Beschwerdeanlass hat der Antragsteller dadurch erhalten, dass ihm die Disziplinarverfügung vom am selben Tag durch Aushändigung einer Abschrift dienstlich bekannt gegeben wurde (§ 37 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 3 WDO). Dass er die Unterschrift verweigerte, steht der Bekanntgabe nicht entgegen. Für die Bekanntgabe kommt es nicht auf eine solche Unterschrift, sondern auf den tatsächlichen Erhalt an. Die Frist für die Einlegung der Beschwerde begann am Tag nach diesem Ereignis, also am , zu laufen und endete an sich am (§ 31 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Da es sich dabei um einen Sonntag handelte, lief sie am um 24 Uhr ab (§ 31 Abs. 3 VwVfG). An diesem Tag und damit innerhalb der Monatsfrist reichte ein Anwalt die Beschwerde in Form eines Schriftstücks bei dem wachhabenden Offizier der Kaserne gegen Quittierung des Empfangs ein.
11b) Mit dieser Einreichung wurde die Beschwerde nicht bei einer für den Empfang zuständigen Stelle eingelegt. Der Beschwerdeführer hat sie nicht an seinen Staffelkapitän als nächsten Disziplinarvorgesetzten (§ 5 Abs. 1 Satz 1 WBO) adressiert, sondern an den Kommodore des Geschwaders als für die Entscheidung über die Beschwerde zuständige Stelle (§ 5 Abs. 1 Satz 2 WBO). Der Kommodore als weiterer Disziplinarvorgesetzter hat die Beschwerde am aber nicht erhalten. Für den fristgerechten Eingang einer schriftlichen Beschwerde genügt es zwar, dass sie vor Ablauf der Beschwerdefrist in den Empfangsbereich und damit in die Verfügungsgewalt des für die Beschwerde zuständigen Disziplinarvorgesetzten gelangt (vgl. 1 WB 1.08 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 73 Rn. 21 ff.). Es ist auch nicht erforderlich, dass der Dienststellenleiter von der Beschwerde persönlich Kenntnis nimmt. Vielmehr genügt es, wenn die Beschwerde beispielsweise durch Abgabe beim Kompaniefeldwebel in die Verfügungsgewalt der Dienststelle gelangt ( 1 WB 39.02 - BVerwGE 118, 21 <24>). Entscheidend ist, dass die betreffende Person nach innerdienstlicher Weisung oder Übung zur Entgegennahme von Schreiben für die Dienststelle befugt sein muss und sich damit - wie etwa ein S1-Offizier auf Bataillonsebene - gleichsam als "verlängerter Arm" des Vorgesetzten in Rechtsbehelfsangelegenheiten darstellt ( 1 WB 1.08 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 73 Rn. 21 f.). Wird durch Organisationsverfügung einer höheren militärischen Dienststelle für den Bereich einer Kaserne eine Zentrale Post- und Kurierstelle eingerichtet, kann auch über diesen "verlängerten Arm" mit Rechtswirkung für den nächsten Disziplinarvorgesetzten eine Beschwerde fristwahrend eingelegt werden ( 1 WB 30.17 - Buchholz 450.1 § 5 WBO Nr. 3 Rn. 33).
12Der Offizier vom Wachdienst war hier aber nach den tatsächlichen Feststellungen des Truppendienstgerichts nicht zur Entgegennahme von Beschwerden berechtigt. Einer entsprechenden Ermächtigung stand zwar nicht entgegen, dass der Offizier vom Wachdienst für die Zeit des Wachdienstes eine besondere Vorgesetztenstellung nach § 3 VorgV innehatte, besondere Eingriffsrechte erhielt, aus dem regulären Befehlsstrang herausgelöst und unmittelbar dem Kasernenkommandanten unterstellt war (vgl. Nr. 216 ZDv A-1130/21). Denn der Offizier des Wachdienstes und der Kasernenkommandant waren hier dem Kommodore des Geschwaders als weiterem Vorgesetzten unterstellt. Der Kommodore als Führer des Geschwaders war also nicht gehindert, den Offizier vom Wachdienst allgemein für bestimmte Zeiten oder im Einzelfall für bestimmte Fälle zur Entgegennahme von Briefen oder Beschwerden zu ermächtigen. Dem stand auch die allgemeine organisatorische Anweisung in Nr. 109 ZDv A-1130/21 nicht entgegen, wonach der Wachdienst von Pförtner-, Standort- und Sonderdiensten klar abzugrenzen ist und für diese kein Ersatz darstellt. Denn dies schließt die Übernahme von wachdienstfremden Aufgaben in Zeiten der Unerreichbarkeit der ansonsten vorhandenen Pförtner- oder Postdienste nicht kategorisch aus. Darüber kann im Rahmen der allgemein in der Bundeswehr geltenden Auftragstaktik vor Ort flexibel entschieden werden. Im vorliegenden Fall fehlte es jedoch an einer ausdrücklichen Ermächtigung des Offiziers vom Wachdienst zur Entgegennahme und Quittierung von fristwahrenden Schreiben.
13c) Auch eine Ermächtigung des Offiziers vom Wachdienst nach den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Truppendienstgerichts nicht nachweisbar. Eine Duldungsvollmacht ist gegeben, wenn der Vertretene es wissentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt und der Geschäftsgegner dieses Dulden nach Treu und Glauben dahin versteht und auch verstehen darf, dass der als Vertreter Handelnde bevollmächtigt ist (vgl. - BGHZ 189, 346 Rn. 15). Eine Anscheinsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und der andere Teil annehmen durfte, der Vertretene dulde und billige das Handeln des Vertreters. Voraussetzung ist dabei, dass das Verhalten des angeblich Vertretenen von einer gewissen Häufigkeit und Dauer ist (vgl. - BGHZ 189, 346 Rn. 16). Im vorliegenden Fall spricht zwar manches dafür, dass die Entgegennahme von Kurierpost nach dem allgemeinen Dienstschluss durch den Wachdienst schon wiederholt vorgekommen ist. Es sind jedoch weder für eine stillschweigende Billigung noch für eine rechtsscheinbegründende Häufigkeit und Dauer dieser Praxis tatsächliche Feststellungen vorhanden.
14d) Einer weiteren Aufklärung dieser Tatsachen bedarf es jedoch nicht, weil sich der Kommodore die Entgegennahme und Quittierung des Beschwerdeschreibens durch den Offizier vom Wachdienst jedenfalls nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben zurechnen lassen muss. Nach § 242 BGB kann sich der Adressat einer empfangsbedürftigen Willenserklärung nicht auf deren verspäteten Zugang berufen, wenn er die Verzögerung wegen einer in seinem Verantwortungsbereich liegenden Ursache selbst zu vertreten hat. Wer mit dem Zugang rechtserheblicher Erklärungen rechnen muss, hat geeignete Vorkehrungen zu treffen, damit die Erklärungen ihn rechtzeitig erreichen können. Verletzt der Empfänger diese Obliegenheit, kann er sich nach Treu und Glauben nicht auf einen dadurch bewirkten Fristablauf berufen. Dies gilt jedenfalls, wenn der Erklärende aus seiner Sicht alles Erforderliche und ihm Zumutbare getan hat, damit seine Erklärung den Adressaten erreichen konnte (vgl. - BGHZ 137, 205 <209>; Ellenberger, in: Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 130 Rn. 18; Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, Stand April 2018, § 242 Rn. 453 f.).
15Diese Grundsätze gelten auch im Wehrbeschwerderecht. Der zuständige Disziplinarvorgesetzte muss durch eine geeignete Organisation sicherstellen, dass der einzelne Soldat sein Beschwerderecht nach § 6 WBO (hier i.V.m. § 42 WDO) während der gesamten Monatsfrist und insbesondere noch am letzten Tag ausüben kann. Da der Soldat berechtigt ist, sich in jeder Lage des Verfahrens durch einen Verteidiger vertreten zu lassen, muss auch dem Verteidiger grundsätzlich die Möglichkeit zur Einlegung schriftlicher Beschwerden eröffnet werden. Wenn der zuständige Disziplinarvorgesetzte oder sein Stab nicht mehr im Dienst ist, muss er durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür Sorge tragen, dass schriftliche Beschwerden noch bis zum Ablauf der Beschwerdefrist eingelegt werden können.
16Dies folgt auch aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Nach diesem verfassungsrechtlichen Grundsatz darf der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden ( - BVerfGE 125, 104 <137>). Die Gerichte sind verpflichtet, geeignete Vorkehrungen zu treffen, um den Rechtssuchenden eine volle Ausnutzung der Rechtsmittelfrist zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 726/78 - BVerfGE 52, 203 <209> und vom - 2 BvR 616/75 - BVerfGE 44, 302 <306>). Dasselbe gilt auch für Verwaltungsbehörden, gegen deren Bescheide fristgebundene Rechtsmittel zulässig sind ( 1 C 158.60 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 17). Wird eine Rechtsbehelfsschrift nachweislich vor 24 Uhr am letzten Tag der Frist in einen zur Entgegennahme von Behördenpost bestimmten Briefkasten der zuständigen Behörde eingeworfen, so ist die Frist gewahrt, auch wenn der Einwurf nicht in einen sogenannten Nachtbriefkasten erfolgte ( 4 C 95.63 - BVerwGE 18, 51 <52>). Da auch eine wehrdienstgerichtliche Entscheidung über eine Disziplinarbuße nicht ohne vorherige Erhebung der Beschwerde ergehen kann, gelten diese in der Rechtsschutzgarantie und im Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) wurzelnden Organisationspflichten auch im Wehrbeschwerdeverfahren. Dementsprechend muss auch ein Disziplinarvorgesetzter die schriftliche Beschwerdeeinlegung bis zum letzten Tag und zur letzten Stunde der Beschwerdefrist des § 6 Abs. 1 WBO ermöglichen.
17Daran fehlt es hier. Geht man davon aus, dass der Offizier vom Wachdienst nicht zur Entgegennahme der Beschwerde berechtigt war, so waren keine ausreichenden organisatorischen Vorkehrungen für die in § 6 WBO vorgesehene schriftliche Beschwerdeeinlegung für die letzten Stunden der Frist getroffen. Es war niemand bestellt, einen schriftlichen Rechtsbehelf entgegenzunehmen. Ob die Möglichkeit bestanden hätte, die Beschwerde per Telefax einzulegen, ist ohne Relevanz, weil § 6 Abs. 1 WBO eine schriftliche Einlegung in Briefform zulässt und auch dafür die notwendigen Vorkehrungen zu treffen sind. Außerdem ist weder festgestellt noch ersichtlich, dass die Kaserne über einen Briefkasten verfügt hätte. Selbst wenn ein Briefkasten vorhanden gewesen wäre, würde dies am Ergebnis nichts ändern, weil der Offizier vom Wachdienst den Rechtssuchenden durch sein Verhalten dann schuldhaft von einer fristwahrenden Einlegung in den Briefkasten abgehalten hätte. Auch dieses Verhalten eines ihm unterstellten Soldaten hätte sich der Kommodore als zuständiger Disziplinarvorgesetzter zurechnen lassen müssen, so dass er sich auch in diesem Fall nach Treu und Glauben nicht auf den Fristablauf berufen dürfte.
182. Da die Erstbeschwerde nach § 242 BGB als fristgerecht zugegangen gilt, beruht die anderslautende Entscheidung des Truppendienstgerichts auf einer unzutreffenden Auslegung von Bundesrecht (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i.V.m. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Sie erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i.V.m. § 144 Abs. 4 VwGO). Da für eine Entscheidung in der Sache durch den Senat keine Tatsachenfeststellungen vorliegen, ist das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 22a Abs. 6 Satz 2 Alt. 2 WBO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:270220B2WRB1.19.0
Fundstelle(n):
XAAAH-46323