Rücktritt vom Versuch des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Gesetze: § 24 Abs 1 StGB, § 176a StGB
Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 51 KLs 4/19
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, in zwei Fällen tateinheitlich mit sexuellem Übergriff, und in einem Fall tateinheitlich mit sexueller Nötigung“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
2Die hiergegen gerichtete und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
31. Nach den Feststellungen zu den Fällen II.2. und II.3. der Urteilsgründe versuchte der Angeklagte, einen Finger in den Anus des Kindes zu stecken. Dies gelang ihm nicht, da der Geschädigte „seine Gesäßbacken fest zusammenzog“. Anschließend umarmte der Angeklagte das Kind und vollzog dabei beischlafähnliche Bewegungen (Fall II.2.) bzw. bewegte „seinen Finger zwischen den Gesäßbacken des Kindes und vollzog, hinter dem Kind stehend, beischlafähnliche Bewegungen“ (Fall II.3.).
42. Die Schuldsprüche wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in den Fällen II.2. und II.3. der Urteilsgründe halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Es fehlt an Feststellungen zum sogenannten Rücktrittshorizont (vgl. , BGHSt 39, 221, 227 f.; Urteil vom - 4 StR 99/15, StV 2017, 675, 676). Daher kann nicht geprüft und entschieden werden, ob das Landgericht im Ergebnis zu Recht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Versuch des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes verneint hat und rechtsfehlerfrei von einem fehlgeschlagenen Versuch ausgegangen ist.
5a) Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, liegt ein Fehlschlag vor. Ist dies der Fall, scheidet die Annahme eines Rücktritts vom Versuch nach § 24 Abs. 1 StGB aus. Nur dann, wenn ein Fehlschlag nicht gegeben ist, kommt es auf die Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an, die für die vom Täter zu erbringende Rücktrittsleistung gemäß § 24 Abs. 1 StGB von Bedeutung ist. Entscheidend ist auch hier das Vorstellungsbild des Täters zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsgerichtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (vgl. , StV 2017, 675, 676; Beschlüsse vom - 3 StR 205/18, NStZ 2018, 718, 720; vom - 4 StR 531/17, NStZ 2018, 468). Anderes gilt nur dann, wenn die festgestellte objektive Sachlage sichere Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Angeklagten gestattet (vgl. , StV 2017, 675, 676).
6b) Den hieraus folgenden Anforderungen werden die Darlegungen in den Urteilsgründen nicht gerecht. Ausdrückliche Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten fehlen. Auch Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der (letzten) Ausführungshandlung sind nicht gezogen. Dass es infolge der Reaktion des Kindes nicht zur Vollendung der Tat kam, vermag für sich genommen weder einen Fehlschlag des Versuchs zu begründen, noch können hieraus sichere Schlüsse auf das Motiv für das Nicht-Weiterhandeln gezogen werden, sodass es dem Senat möglich wäre, die vom Tatgericht nicht ausdrücklich getroffenen Feststellungen zweifelsfrei dem Gesamtzusammenhang des Urteils zu entnehmen. Bei dieser Sachlage bleibt offen, ob der Angeklagte sein Handlungsziel freiwillig aufgab oder annahm, dass er es nicht mehr werde erreichen können.
73. Der Darlegungs- und Erörterungsmangel nötigt zur Aufhebung der gesamten Schuldsprüche, wenngleich die tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes und wegen sexuellen Übergriffs rechtsfehlerfrei getroffen ist.
8Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben, da sie rechtsfehlerfrei getroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen bleiben möglich, soweit sie den bisherigen Feststellungen nicht widersprechen. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird Feststellungen zur subjektiven Tatseite und zum Vorstellungsbild des Angeklagten bei Aufgabe der auf die Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 176a Abs. 2 StGB zielenden Handlung sowie gegebenenfalls seinen Motiven zu treffen haben.
94. Der Wegfall der verhängten Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten und zwei Jahren führt zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.
10Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:150120B4STR587.19.0
Fundstelle(n):
BAAAH-46245