BFH Beschluss v. - VIII B 34/19 (VIII B 33/17)

Aufnahme eines ausgesetzten Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens durch die Erben oder den Testamentsvollstrecker

Leitsatz

NV: Wird ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren aufgrund des Todes der Beschwerdeführerin auf Antrag gemäß § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO ausgesetzt und ein Testamentsvollstrecker bestellt, kann nur der Erbe das Verfahren aufnehmen, wenn die dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Bescheide einen Steueranspruch begründen, der zu den Nachlassverbindlichkeiten gehört.

Gesetze: ZPO § 246 Abs. 1 Halbsatz 2, Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist unbegründet.

2 Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) legt die Voraussetzungen der geltend gemachten Verfahrensfehler nicht den Anforderungen der § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügend dar; die Rüge eines schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehlers des Finanzgerichts (FG) gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist nicht begründet.

3 1. Über die Beschwerde der Klägerin kann entschieden werden. Die Ansicht des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—), das ausgesetzte Verfahren habe nur gemäß § 246 Abs. 2, § 243, § 241 der Zivilprozessordnung (ZPO) vom Testamentsvollstrecker der früheren Beschwerdeführerin (Rechtsvorgängerin der Klägerin) aufgenommen werden können, trifft nicht zu.

4 a) Gemäß § 155 FGO i.V.m. § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO hatte der Senat mit Beschluss vom  - VIII B 33/17 das Verfahren auf Antrag der Bevollmächtigten nach dem Tod der Rechtsvorgängerin der Klägerin am ...03.2017 ausgesetzt. Zur Abwicklung des Nachlasses der Rechtsvorgängerin der Klägerin ist seit dem ...07.2017 ein neuer Testamentsvollstrecker bestellt worden. Mit am beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Schriftsatz wurde namens der Klägerin durch die Prozessbevollmächtigte die Aufnahme des Verfahrens erklärt. Das Verfahren wurde durch Senatsbeschluss vom fortgeführt. Von der Bestellung des Testamentsvollstreckers erlangte der Senat erst durch einen am beim BFH eingegangenen Schriftsatz des FA Kenntnis.

5 b) Entgegen der Ansicht des FA hat die —jetzige— Klägerin als Erbin das ausgesetzte Verfahren wirksam aufgenommen, da (auch nur) sie im Streitfall gemäß § 40 Abs. 2 FGO klagebefugt ist. Ansprüche des FA aufgrund von Hinterziehungszinsen, die die Erben für ungerechtfertigt halten, müssen die Erben —wie z.B. Einkommensteueransprüche des Fiskus oder belastende Feststellungen in einem Gewinnfeststellungsbescheid— trotz einer angeordneten Testamentsvollstreckung ungeachtet der Regelungen in §§ 2212, 2213 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) durch eigene Rechtsbehelfe abwehren. Dies gilt jedenfalls für Steueransprüche aus Bescheiden, die —wie im Streitfall— gegenüber dem Erblasser noch zu Lebzeiten ergangen sind und Nachlassverbindlichkeiten begründen (vgl. , BFHE 125, 112, BStBl II 1978, 491, unter 2.b; vom  - VIII R 16/90, BFH/NV 1992, 223, unter 1.). Anders ist dies nur bei Erlass eines Steuerbescheids gegenüber dem Testamentsvollstrecker als Adressaten (s. , BFHE 157, 111, BStBl II 1989, 782, unter 1.; vom  - X R 37/99, BFHE 203, 14, BStBl II 2003, 867). Auf die Aussagen in dem vom FA angeführten IVa ZR 163/87 (BGHZ 104, 1) kommt es daher im Streitfall nicht an, da dieses sich nur zur Auslegung der hier nicht einschlägigen Regelungen in §§ 2212, 2213 BGB verhält.

6 c) Auf dieser Grundlage hat die Klägerin als Erbin und Rechtsnachfolgerin der verstorbenen Frau A durch die Prozessbevollmächtigte wirksam die Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens erklärt. Der Senat hat keinen Anlass, an einer Bevollmächtigung der Prozessbevollmächtigten durch die Klägerin zu zweifeln. Die Prozessbevollmächtigte war nach der in den Akten des FG befindlichen Vollmacht von Frau A bevollmächtigt worden. Die auch zur Einlegung von Rechtsmitteln berechtigende Vollmacht blieb vom Tod der Frau A als Vollmachtgeberin unberührt. Die Prozessbevollmächtigte hat nach dem zwischenzeitlich gestellten Aussetzungsantrag die Aufnahme des Rechtsstreits namens der Klägerin als Erbin der Frau A erklärt. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dies „vollmachtslos“ geschehen sein könnte, sind nicht ersichtlich.

7 2. Soweit die Klägerin rügt, das FG habe bei seiner Entscheidung die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt, weil es keine Umstände ermittelt habe, aus denen sich ein Hinterziehungsvorsatz der Rechtsvorgängerin der Klägerin ableiten lasse, macht sie zwar einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend, sie legt die Voraussetzungen des Verfahrensfehlers aber nicht hinreichend dar.

8 a) Die schlüssige Darlegung einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) erfordert Angaben, welche Tatsachen das FG mit welchen Beweismitteln noch hätte aufklären sollen und weshalb sich dem FG eine Aufklärung unter Berücksichtigung seines —insoweit maßgeblichen— Rechtsstandpunktes hätte aufdrängen müssen. Weiter ist darzulegen, welches Ergebnis die Beweiserhebung hätte erwarten lassen und inwiefern dieses zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. , BFH/NV 2017, 57). Die Sachaufklärungspflicht des FG kann zudem nicht losgelöst von den Mitwirkungspflichten der Beteiligten (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO) gesehen werden (, BFH/NV 2019, 1116).

9 b) Diesen Darlegungsanforderungen genügt das Vorbringen in der Beschwerdebegründung nicht.

10 Soweit von der Klägerin im Zusammenhang mit der Feststellung eines Hinterziehungsvorsatzes eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung durch das FA und die Bußgeld- und Strafsachenstelle gerügt wird, kann kein gerichtlicher Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gegeben sein.

11 Hinsichtlich der gerügten unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung durch das FG beschränkt sich die Begründung der Beschwerde auf den Vorwurf, das FG habe die genauen inneren Beweggründe, die zur Nichtdeklaration der Einkünfte durch die Rechtsvorgängerin der Klägerin geführt haben, nicht aufgeklärt und die Rechtsvorgängerin auch nicht persönlich angehört, sondern aus objektiven Umständen auf deren Hinterziehungsvorsatz geschlossen. Es wird von der Klägerin aber nicht dargelegt, aufgrund welcher Umstände sich dem FG diese weitere Sachverhaltsaufklärung aufdrängen musste, zumal in der mündlichen Verhandlung weder Beweisanträge gestellt noch eine Befragung der Rechtsvorgängerin der Klägerin als Beteiligte beantragt wurde.

12 Soweit die Klägerin geltend macht, dass das FG das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 370 der Abgabenordnung nicht allein aus den von ihm festgestellten objektiven Umständen habe ableiten dürfen, richtet sich ihr Vorbringen inhaltlich gegen die tatrichterliche Überzeugungsbildung der Vorinstanz gemäß § 96 Abs. 1 FGO und enthält die Behauptung eines materiell-rechtlichen Fehlers des FG (BFH-Beschlüsse vom  - VIII B 14/11, BFH/NV 2012, 594; in BFH/NV 2017, 57; , BFHE 254, 105, BStBl II 2016, 868, Rz 14), nicht aber eine Sachaufklärungsrüge.

13 3. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) legt die Klägerin ebenfalls nicht schlüssig dar.

14 Zur schlüssigen Erhebung dieser Rüge ist auszuführen, wozu sich der Beteiligte nicht hat äußern können, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und dass bei Berücksichtigung dieses Sachvortrags eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre. Insbesondere ist darzulegen, inwieweit der Beteiligte alle zumutbaren Möglichkeiten genutzt hat, sich das rechtliche Gehör vor dem FG auch zu verschaffen. Da das FG nach § 80 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht verpflichtet ist, einen ordnungsgemäß vertretenen Kläger —hier die Rechtsvorgängerin der Klägerin— persönlich zum Termin zur mündlichen Verhandlung zu laden, es dem Prozessvertreter indes unbenommen bleibt, seinerseits eine persönliche Anhörung herbeizuführen oder ggf. sogar eine Beteiligtenvernehmung nach § 450 ZPO i.V.m. § 82 FGO zu beantragen, ist zu erläutern, aus welchen Gründen es gerade im konkreten Streitfall nicht möglich gewesen sein soll, eine Anhörung oder Beteiligtenvernehmung zu erreichen (vgl. , BFH/NV 2007, 2312). Hierzu fehlen Ausführungen der Klägerin. Allein der Hinweis, das FG habe zwar den Vertreter des FA persönlich befragt, nicht aber die Rechtsvorgängerin der Klägerin, genügt nicht, um einen Gehörsverstoß des FG darzulegen.

15 4. Schließlich ist die Revision nicht wegen der Rüge zuzulassen, die Beweiswürdigung des FG verstoße gegen Denkgesetze.

16 a) Die Sachverhaltswürdigung und die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung durch den BFH im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde entzogen. Die Rüge eines materiell-rechtlichen Fehlers liegt insbesondere in dem Vorbringen, die Beweiswürdigung des FG verstoße gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze (BFH-Beschlüsse vom  - II B 63/11, BFH/NV 2012, 1455; in BFH/NV 2012, 594; vom  - XI B 117/17, BFH/NV 2018, 953). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nur vor, wenn der vom FG gezogene Schluss schlechthin unmöglich ist, d.h. wenn nach dem festgestellten Sachverhalt nur eine Folgerung möglich, jede andere denkgesetzlich ausgeschlossen ist und das Gericht die in diesem Sinne allein denkbare Folgerung nicht gezogen hat (BFH-Beschluss in BFH/NV 2018, 953, Rz 66, m.w.N.). Eine Zulassung der Revision kommt unter diesem Gesichtspunkt nur in Betracht, wenn dem FG durch den Verstoß gegen Denkgesetze zugleich ein schwerwiegender Rechtsanwendungsfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO unterläuft. Diese Voraussetzung ist nur bei offensichtlichen materiellen oder formellen Fehlern des FG im Sinne einer objektiv willkürlichen und unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbaren Entscheidung erfüllt (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2018, 953, Rz 58).

17 b) Ein solcher Verstoß gegen Denkgesetze ist dem FG indes nicht unterlaufen. Es hat sich zur Begründung eines bedingten Hinterziehungsvorsatzes der Rechtsvorgängerin der Klägerin im Wesentlichen auf die von dieser im September 2000 mit der X-Bank und der Präsidialanstalt der liechtensteinischen Stiftung abgeschlossenen Vereinbarungen gestützt und daraus auf deren Kenntnis der Verhältnisse der Stiftung und einer eigenen Verfügungsbefugnis über die Stiftungsmittel geschlossen. Das FG hat ferner den Vortrag, die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe die von der Stiftung erwirtschafteten Kapitalerträge als nicht steuerbar angesehen, weil sie dieser und nicht ihr persönlich zugeflossen seien und das Vermögen der liechtensteinischen Stiftung nicht für private Zwecke habe verwendet, sondern gemeinnützigen Institutionen habe zugewendet werden sollen, in seine Würdigung einbezogen. Für das FG kam —anders als die Klägerin meint— auf dieser Grundlage nicht nur die Schlussfolgerung in Betracht, die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe ohne bedingten Vorsatz gehandelt, indem sie die Kapitalerträge in ihren Steuererklärungen der Streitjahre unerwähnt ließ. Es konnte auf Grundlage der von ihm festgestellten Tatsachen und des klägerischen Vortrags auch zu dem Schluss kommen, die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe die über die liechtensteinische Stiftung erzielten Kapitalerträge jedenfalls möglicherweise als von ihr zu versteuernde Kapitalerträge angesehen.

18 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2020:B.270120.VIIIB34.19.0

Fundstelle(n):
HFR 2020 S. 708 Nr. 8
PAAAH-45290