BVerwG Beschluss v. - 9 B 31/19

Instanzenzug: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Az: 3 S 2608/18

Gründe

1 Die Beschwerde, die sich auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO stützt, bleibt ohne Erfolg.

2 1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

3 Die Frage,

ob im straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren bereits eine Prognose für eine etwaige spätere Enteignung der betroffenen Grundstückseigentümer abzugeben ist und ob den Überlegungen des sowie 1 BvR 3386/08 - "Garzweiler II" zu folgen ist,

ist nicht klärungsbedürftig. Sie kann sich im vorliegenden gegen die Besitzeinweisung gerichteten Verfahren lediglich stellen im Rahmen einer Prüfung der Nichtigkeit des Planfeststellungsbeschlusses vom und sie ist durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts bereits in bejahendem Sinne geklärt. Ein straßenrechtlicher Planfeststellungsbeschluss muss eine Gesamtabwägung der für das Vorhaben sprechenden Belange mit den gegenläufigen Belangen der im nachfolgenden Enteignungsverfahren von Eigentumsentzug betroffenen Grundstückseigentümern enthalten und gegen diese Abwägung muss effektiver Rechtsschutz gegeben sein.

4 a) Gemäß Art. 14 Abs. 3 GG ist für eine Enteignung eine Gesamtabwägung zwischen dem verfolgten Gemeinwohlziel und entgegenstehenden öffentlichen und privaten Belangen erforderlich. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) stellt ein wesentliches Element der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG dar. Enteignungsbetroffene haben einen Anspruch darauf, dass durch ein Gericht geprüft wird, ob die gesetzlichen Voraussetzungen einer Enteignung im konkreten Fall dem Grunde und dem Umfang nach vorliegen. Der Gesetzgeber hat bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Verfahrens dazu einen weiten Spielraum, darf jedoch keine Verfahrensgestaltung wählen, die den Anspruch des Bürgers auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz unzumutbar erschwert oder gar faktisch unmöglich macht ( u.a. - BVerfGE 134, 242 Rn. 189 ff.).

5 b) In diesem von der Beschwerde in Bezug genommenen Urteil vom kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass die gesetzliche Ausgestaltung des Eigentumsschutzes bei bergrechtlichen Zulassungen den genannten verfassungsrechtlichen Anforderungen bis zur Änderung der Rechtsprechung im - 7 C 11.05 - BVerwGE 126, 205) nicht hinreichend genügte und die im Grundabtretungsbeschluss vorzunehmende Gesamtabwägung der Eigentumsbelange auch nicht deshalb entbehrlich ist, weil nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein betroffener Grundeigentümer seine Belange schon gegenüber der Zulassung des Rahmenbetriebsplans verteidigen kann. Dies wurde maßgeblich damit begründet, dass das Bundesberggesetz - anders als § 19 Abs. 2 FStrG - keine förmliche Bindungswirkung und damit keine enteignungsrechtliche Vorwirkung der Zulassungsentscheidung für das nachfolgende Grundabtretungsverfahren vorsieht ( u.a. - BVerfGE 134, 242 Rn. 213 f., 218). Die danach erforderliche Gesamtabwägung im Grundabtretungsbeschluss war in dem konkreten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht defizitär und führte zum Erfolg der Verfassungsbeschwerde (s. Rn. 225, 228).

6 c) Demgegenüber entspricht die gesetzliche Ausgestaltung des straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahrens und gegebenenfalls nachfolgender Enteignungsverfahren ohne weiteres den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts.

7 In einem straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschluss wird mit der Zulassung des Vorhabens (§ 17c FStrG i.V.m. § 75 Abs. 1 VwVfG) darüber entschieden, welche Flächen für das Vorhaben benötigt werden und dem bisherigen Eigentümer entzogen werden dürfen; dem hat die Abwägung vorauszugehen, ob der Eigentumsentzug und die sonstigen mit der Inanspruchnahme verbundenen Nachteile für den Betroffenen im Interesse der für das Vorhaben sprechenden öffentlichen Belange in Kauf genommen werden sollen. Der Rechtsentzug selbst und die Entscheidung über die damit verbundenen Entschädigungsfragen sind hingegen dem gesondert durchzuführenden Enteignungsverfahren vorbehalten ( 9 A 21.03 - Buchholz 406.16 Grundeigentumsschutz Nr. 87 Rn. 17).

8 Nach § 19 Abs. 2 FStrG ist der festgestellte Plan dem Enteignungsverfahren zugrunde zu legen und für die Enteignungsbehörde bindend. Durch die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen den Planfeststellungsbeschluss, der die erforderliche Gesamtabwägung der für das Vorhaben sprechenden Belange mit den Eigentumsbelangen der Betroffenen enthält, wird den von dem Vorhaben mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung Betroffenen die gerichtliche Kontrolle der Gesamtabwägung ermöglicht. Diesen rechtlichen Vorgaben entsprechend enthält vorliegend der dem Enteignungsverfahren zugrundeliegende Planfeststellungsbeschluss vom die von der Beschwerde verlangte Gesamtabwägung und insbesondere eine Abwägung der Eigentumsbelange des Klägers mit den für die Durchführung des Straßenbauvorhabens sprechenden öffentlichen Belangen (PFB S. 53 f., darauf nimmt der Verwaltungsgerichtshof - UA S. 9 f. - Bezug).

9 2. Die Revision ist ferner nicht deshalb zuzulassen, weil das angefochtene Urteil auf einer Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von dem vorgenannten beruht. Eine Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem die Bezugsentscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. nur 9 B 65.15 - Buchholz 406.254 UmwRG Nr. 20 Rn. 13).

10 Daran fehlt es hier. Die Beschwerde vertritt ohne Bezeichnung eines divergenzfähigen abstrakten Rechtssatzes des Bundesverfassungsgerichts lediglich die Auffassung, das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs weiche von dem ab. Im Übrigen hat die Vorinstanz - wie unter 1. ausgeführt - die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht verkannt und einen abweichenden Rechtssatz nicht aufgestellt.

11 3. Schließlich ist die Revision auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

12 a) Die Rüge des Klägers, es sei verfahrensfehlerhaft unterblieben, ihm zu dem vom Beklagten erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Protokoll über eine Grunderwerbsverhandlung am eine Stellungnahmefrist einzuräumen, kann keinen Gehörsverstoß darlegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

13 Eine Versagung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor, wenn der Betroffene oder sein Vertreter von den ihm in der mündlichen Verhandlung zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, keinen Gebrauch macht ( 11 B 3.97 - NVwZ 1998, 634 <636> m.w.N.). Der Kläger hat nicht dargetan, dass er zu dem eingeführten Protokoll Schriftsatznachlass beantragt hat, der vom Gericht abgelehnt worden ist.

14 b) Auch die Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe für ihn nicht an Ort und Stelle überprüfbare Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zu Klageverfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahre 1999 zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, führt auf keinen Gehörsverstoß. Insoweit hätte der Kläger ebenfalls Gelegenheit gehabt, Schriftsatznachlass zu für ihn neuem Tatsachenvortrag des Beklagten zu beantragen. Unabhängig davon hat der Kläger mit seinem Schriftsatz vom im Anschluss an die mündliche Verhandlung noch Stellung genommen, und diese Stellungnahme ist vom Verwaltungsgerichtshof bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt worden (UA S. 5 f.). Falls der Kläger schließlich geltend machen wollte, der Verwaltungsgerichtshof habe - trotz einer von ihm, dem Kläger, vorgelegten Pressemitteilung des Gerichts aus dem Jahre 2001 über den Abschluss von Klageverfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 1999 - sein Urteil darauf gestützt, dass Rechtskraft des Planfeststellungsbeschlusses erst im September 2009 eingetreten sei, könnte damit keine gehörsverletzende Überraschungsentscheidung dargetan werden. Denn ausweislich der Verhandlungsniederschrift vom (S. 2) wurde die Frage, ob der Planfeststellungsbeschluss erst im Jahre 2009 bestandskräftig geworden sei, in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erörtert.

15 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:120220B9B31.19.0

Fundstelle(n):
LAAAH-45274