PKK-Unterstützung bei Beteiligung eines Mitglieds an Straftat
Gesetze: § 26 StGB, § 27 Abs 1 StGB, § 129a Abs 5 S 1 StGB, § 129b Abs 1 S 1 StGB
Gründe
I.
1Der Angeschuldigte wurde am festgenommen und befindet sich seit dem aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hannover vom selben Tage (275 Gs 31/18), abgeändert und neu gefasst durch den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Celle vom (OGs 51/18), in Untersuchungshaft.
2Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe am in G. gemeinschaftlich mit drei weiteren Angeschuldigten versucht, ein Wohn- und Geschäftshaus in Brand zu setzen, und dadurch zugleich eine ausländische Vereinigung, die "Partiya Karkerên Kurdistan" ("Arbeiterpartei Kurdistans", im Folgenden: PKK) unterstützt, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, § 306a Abs. 1 Nr. 1, §§ 22, 23, 25 Abs. 2, § 52 StGB.
3Der Generalbundesanwalt hat das Verfahren unter dem gemäß § 142a Abs. 2 Nr. 2 GVG an die Generalstaatsanwaltschaft Celle abgegeben. Wegen des dem Haftbefehl zugrunde liegenden Tatvorwurfs sowie wegen weiterer Tatvorwürfe hat die Generalstaatsanwaltschaft unter dem Anklage vor dem Oberlandesgericht Celle erhoben.
II.
4Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
51. Der Angeschuldigte ist der ihm in dem Haftbefehl zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.
6a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt auszugehen:
7Der Angeschuldigte begab sich am gegen 2.30 Uhr gemeinsam mit den Mitangeschuldigten M. , K. und O. zu einem in der S. 38 in G. gelegenen Wohn- und Geschäftshaus, dessen im Erdgeschoss befindliche Geschäftsräume "M. C. " und "T. " sie Türken zurechneten. Sie hatten den Entschluss gefasst, die Räumlichkeiten der Geschäfte in Brand zu setzen, nachdem der gesondert verfolgte Ke. , gegen den wegen Mitgliedschaft in der PKK ermittelt wird, ihnen einen entsprechenden Auftrag erteilt hatte. Das Übergreifen des Feuers auf die im oberen Teil des Gebäudes gelegenen Wohnungen nahmen sie dabei billigend in Kauf. Durch das Inbrandsetzen der Geschäftsräume wollten die Angeschuldigten die Ablehnung des Einsatzes türkischer Streitkräfte in dem Gebiet um die Stadt Afrin in Syrien zum Ausdruck bringen und die Kampfbereitschaft der PKK öffentlich demonstrieren.
8Aufgrund ihres gemeinsamen Tatentschlusses warfen sie in arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrfach gezielt Steine gegen Fenster der Räume des Geschäfts "M. C. " sowie gegen eine Glasflügeltür und ein Fenster der Räume des Geschäfts "T. ", die zu Eindellungen und Aufsplitterungen der jeweils betroffenen Glasflächen führten. Außerdem entzündeten die Angeschuldigten drei Brandsätze, die aus mit brennbaren Flüssigkeiten gefüllten sowie einer Lunte versehenen Glasflaschen hergestellt worden waren (sog. Molotow-Cocktails), und warfen sie gegen Fenster der jeweiligen Geschäftsräume sowie auf das Flachdach über den Räumen des Geschäfts "T. ".
9Die Brandsätze führten zu Rauchgasniederschlag an den Fenstern und einer Stoffmarkise sowie zu einer hitzebedingten Verformung einer Metallverkleidung. Außerdem wurden die auf dem Flachdach verlegten Kunststoffbahnen angesengt. Entgegen der Absicht der Angeschuldigten gelang es ihnen nicht, die Fenster sowie die Glasflügeltür zu zerstören und Gebäudeteile zu entzünden. Sie gaben ihr Vorhaben schließlich auf und flüchteten, weil sie befürchteten, von den Insassen eines vorbeikommenden Fahrzeugs gestellt zu werden.
10b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich im Wesentlichen daraus, dass die Mitangeschuldigten M. , K. und O. ihre Tatbeteiligung im Ermittlungsverfahren eingeräumt und übereinstimmend angegeben haben, die Tat gemeinsam mit dem Angeschuldigten begangen zu haben. Der Tathergang selbst wird durch eine Videoaufnahme belegt, die im Rahmen eines anderen Ermittlungsverfahrens sichergestellt wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Celle vom Bezug genommen.
11c) Danach hat sich der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen versuchter schwerer Brandstiftung strafbar gemacht (§ 306a Abs. 1 Nr. 1, §§ 22, 23, 25 Abs. 2 StGB). Er hat sich in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit den Mitangeschuldigten daran beteiligt, Brandsätze gegen das Gebäude zu werfen, in dessen oberen Teil sich - genutzte - Wohnungen befanden, um es in Brand zu setzen; die Tathandlungen der Mitangeschuldigten muss er sich gemäß § 25 Abs. 2 StGB zurechnen lassen. Für die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch gemäß § 24 Abs. 2 StGB ist angesichts der Tatsache kein Raum, dass die Angeschuldigten die weitere Tatausführung aufgaben und flüchteten, weil sie befürchteten, von den Insassen eines vorbeikommenden Fahrzeugs gestellt zu werden; ihr Versuch war somit fehlgeschlagen.
12Bereits dieser Vorwurf rechtfertigt die Fortdauer der Untersuchungshaft. Deshalb kann dahinstehen, ob die Tat des Angeschuldigten zugleich als Unterstützung der PKK und damit einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB) zu bewerten ist. Insoweit gilt:
13aa) Die PKK wurde 1978 u.a. von Abdullah Öcalan in der Türkei als Kaderorganisation mit dem Ziel gegründet, einen kurdischen Nationalstaat unter ihrer Führung zu schaffen. Zur Verwirklichung dieses Plans initiierte die PKK verschiedene Organisationen, die mehrfach ihre Bezeichnung wechselten. Fester Bestandteil der Strukturen der PKK/KCK sind unter anderem die "Hêzên Parastina Gel" ("Volksverteidigungskräfte", im Folgenden: HPG), die nach dem Willen der Führung handeln. Sie betrachten im Rahmen der von ihnen vorgenommenen "Selbstverteidigung" einen Guerillakrieg als legitimes Mittel. Die HPG verübten vor allem im Südosten der Türkei mittels Sprengstoff und Waffen Anschläge gegen türkische Soldaten sowie Polizisten und verletzten oder töteten dabei eine Vielzahl von diesen. Der Schwerpunkt der Strukturen und das eigentliche Aktionsfeld der PKK liegen in den von Kurden bevölkerten Gebieten in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran. Zahlreiche - regelmäßig allerdings nur auf die Unterstützung der politischen und militärischen Auseinandersetzung mit dem türkischen Staat ausgerichtete - Aktivitäten betreibt die PKK jedoch auch in Deutschland und anderen Gebieten Westeuropas (vgl. näher zu Strukturen und Aktivitäten der PKK etwa , NStZ-RR 2018, 106).
14bb) Unter einem Unterstützen im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds zu verstehen, das die innere Organisation der Vereinigung und ihren Zusammenhalt unmittelbar fördert, die Realisierung der von ihr geplanten Straftaten - wenngleich nicht unbedingt maßgebend - erleichtert oder sich sonst auf deren Aktionsmöglichkeiten und Zwecksetzung in irgendeiner Weise positiv auswirkt und damit die ihr eigene Gefährlichkeit festigt (vgl. nur , BGHSt 54, 69, 117; Beschluss vom - AK 56/17, juris Rn. 18 mwN). Dies kann zum einen dadurch geschehen, dass ein Außenstehender mitgliedschaftliche Betätigungsakte eines Angehörigen der Vereinigung fördert; in diesem Sinne handelt es sich beim Unterstützen um eine zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe zur mitgliedschaftlichen Beteiligung (vgl. etwa , BGHSt 29, 99, 101). Zum anderen greift der Begriff des Unterstützens einer Vereinigung über ein im strengeren Sinne des § 27 Abs. 1 StGB auf die Förderung der Tätigkeit eines Vereinigungsmitglieds beschränktes Verständnis hinaus; denn er bezieht sich gleichermaßen auf die Vereinigung als solche, ohne dass im konkreten Fall die Aktivität des Nichtmitglieds zu einer einzelnen organisationsbezogenen Tätigkeit eines Organisationsmitglieds hilfreich beitragen muss (vgl. , aaO, S. 117 f.; Beschluss vom - AK 6/07, BGHSt 51, 345, 350 f.).
15Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Förderungshandlung an sich konkret wirksam, für die Organisation objektiv nützlich ist und dieser mithin irgendeinen Vorteil bringt; ob der Vorteil genutzt wird und daher etwa eine konkrete, aus der Organisation heraus begangene Straftat oder auch nur eine organisationsbezogene Handlung eines ihrer Mitglieder mitprägt, ist dagegen ohne Belang (vgl. , aaO, S. 116; Beschlüsse vom - AK 6/07, aaO, S. 348 f.; vom - 3 StR 334/15, BGHR StGB § 129a Abs. 5 Unterstützen 6). In diesem Sinne muss der Organisation durch die Tathandlung kein messbarer Nutzen entstehen (vgl. , BGHSt 32, 243, 244; vom - 3 StR 62/84, BGHSt 33, 16, 17; vom - 3 StR 552/08, aaO, S. 116). Die Wirksamkeit der Unterstützungsleistung und deren grundsätzliche Nützlichkeit müssen indes stets anhand belegter Fakten nachgewiesen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom - AK 13 u. 14/13, BGHSt 58, 318, 323 f.; vom - AK 56/17, juris Rn. 18).
16Begeht ein Außenstehender eine Straftat, die mit den Zwecken oder der Tätigkeit der Vereinigung übereinstimmt und an der ein Mitglied zumindest als Anstifter (§ 26 StGB) oder Gehilfe (§ 27 StGB) teilnimmt, so ist dies ebenfalls als Unterstützen im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB zu werten. Mit der Ausführung der den Zwecken der Vereinigung dienenden oder deren Tätigkeit entsprechenden Straftat, an der das Vereinigungsmitglied teilnimmt, fördert der Außenstehende die Organisation als solche (vgl. dazu im Einzelnen , NJW 2018, 2425, 2426 f.).
17An diesen Maßstäben gemessen könnte hier aufgrund der bislang vor-liegenden Erkenntnisse zweifelhaft sein, ob der Angeschuldigte die PKK durch die Tatbegehung unterstützte. Zum einen ist nicht eindeutig geklärt, ob der gesondert verfolgte Ke. , der den nicht der PKK angehörenden Angeschuldigten zu der Tat anstiftete, Mitglied der Organisation ist. Zum anderen könnte fraglich sein, ob die Ausführung von Brandanschlägen in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich den Zwecken oder der Tätigkeit der PKK entspricht. Insoweit ergeben sich aus Folgendem Bedenken:
18Soweit ersichtlich, ist die PKK seit vielen Jahren nicht mehr durch Gewaltaktionen in Deutschland bzw. Westeuropa in Erscheinung getreten. Nachdem sie Anfang der 1990er Jahre vielzählige Terroranschläge in Deutschland begangen hatte, stellte sie ihre Gewaltaktionen in Westeuropa im August 1996 ein, weil die Führung der Organisation erkannt hatte, dass die terroristischen Aktivitäten nicht geeignet waren, Sympathien für den kurdischen Befreiungskampf in der Türkei zu gewinnen und deshalb den Zielen der Vereinigung schadeten (vgl. etwa (1) 2 StE 6/07 - 6 (6/07), juris Rn. 234; OLG Celle, Urteil vom - 5 OJs 1/17, UA S. 33 - nicht veröffentlicht). Es ist nicht ersichtlich, dass die PKK ihre Strategie mittlerweile wieder geändert hat. Insbesondere werden im Zusammenhang mit der Darstellung der terroristischen Aktivitäten der PKK in der Anklageschrift keine in Deutschland bzw. Westeuropa ausgeführten Terroranschläge genannt. Insoweit bedarf die Sache deshalb weiterer Aufklärung.
19d) Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen besteht allerdings jedenfalls ein die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts und damit - nach Abgabe des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt wegen minderer Bedeutung (§ 142a Abs. 2 Nr. 2 GVG) - auch der Generalstaatsanwaltschaft und des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Celle begründender Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB (§ 142a Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG).
202. Es ist der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben. Der Angeschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Der Angeschuldigte ist im Oktober 2015 aus dem Irak in die Bundesrepublik Deutschland geflohen und geht hier keiner geregelten Erwerbstätigkeit nach. Hinreichend stabilisierte soziale Bindungen in Deutschland liegen nicht vor. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass er sich, sollte er in Freiheit gelangen, dem weiteren Strafverfahren durch Flucht entziehen wird.
21Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).
223. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor.
23Der Umfang und die Schwierigkeit der Ermittlungen haben ein Urteil innerhalb von sechs Monaten seit der Inhaftierung des Angeschuldigten noch nicht zugelassen. Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft Celle das Verfahren am übernommen hatte, ist die gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Verfolgungsermächtigung eingeholt worden. Es waren umfangreiche Ermittlungen notwendig. Insbesondere mussten Daten aus sozialen Netzwerken und sichergestellte Mobiltelefone ausgewertet werden. Zudem waren weitere Vernehmungen von Zeugen und Mitbeschuldigten erforderlich. Der Abschlussbericht der Polizei lag Ende August 2018 vor. Unter dem hat die Generalstaatsanwaltschaft Anklage vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle erhoben. Der Vorsitzende des 5. Strafsenats des Oberlandesgerichts hat unmittelbar nach Anklageerhebung die Zustellung der Anklageschrift verfügt und dem Angeschuldigten gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO eine angemessene Frist zur Stellungnahme von drei Wochen eingeräumt.
24In Anbetracht dessen ist das Verfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
254. Schließlich steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Schäfer Tiemann Leplow
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:131218BAK45.18.0
Fundstelle(n):
TAAAH-44162