Hinweispflichten bei Frage der Verkehrsdurchsetzung einer Marke
Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 139 Abs 2 S 1 ZPO, § 8 Abs 3 MarkenG
Instanzenzug: Az: I-20 U 46/18vorgehend Az: 2a O 33/17
Gründe
1I. Die Klägerin ist auf die Herstellung und den Vertrieb veganer Käse-Alternativen spezialisiert. Zu ihrer Produktpalette gehört ein Ersatzerzeugnis für Reibekäse, das sie unter der Bezeichnung "Pizzaschmelz" vertreibt. Die C. GmbH ist Inhaberin der gleichlautenden Unionswortmarke, die unter der Registernummer 012618062 mit Priorität vom in der Klasse 29 für
Käse; veganer Käse; Käse auf der Basis von pflanzlichen Fetten; Milch; Milchprodukte; Sojamilch; Sojasahne; Hafersahne; Reissahne; Margarine; veganer Joghurt; veganer Schmand; vegane Buttermilch; vegane Crème fraîche; vegane Kaffeesahne; veganer Quark; vegane Molke; veganer Frischkäse; Wurst; Wurstwaren; vegane Wurst; Sojazubereitungen als Fleischalternativen; Glutenzubereitungen als Fleischalternativen; Fertiggerichte aus mit Käse bzw. veganem Käse überbackenem Gemüse
und in der Klasse 30 für
Fertiggerichte aus Teigwaren; Teigtaschen gefüllt mit Käse bzw. veganem Käse; vegane Fertigpizza; vegane Fertigsandwiches; vegane Fertig-Toast-Hawaii
eingetragen wurde (Klagemarke). Die Klägerin ist seit dem Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an der Klagemarke und zur Klageerhebung ermächtigt.
2Die Beklagte ist die deutsche Franchisegeberin für "H. P. ", einem Konzept der Systemgastronomie für den Lieferdienst von Pizza- und Pastagerichten. Im Jahr 2015 ging sie für ein halbes Jahr mit der C. GmbH eine Zusammenarbeit dahingehend ein, dass diese die Beklagte mit einem veganen Sortiment für ihre veganen Pizzen belieferte. Die Beklagte beendete die Zusammenarbeit mit Wirkung ab dem Jahr 2016. Sie verarbeitet nunmehr Konkurrenzprodukte für ihre veganen Pizzen, verwendet aber weiterhin die Bezeichnung "Pizzaschmelz".
3Die Klägerin ließ die Beklagte erfolglos abmahnen und hat sodann Klage auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten erhoben. Die Beklagte hat im Wege der Widerklage beantragt, die Klagemarke für nichtig zu erklären.
4Das Landgericht hat die Klagemarke teilweise, hinsichtlich der Waren der Klasse 29 "Käse; veganer Käse; Käse auf Basis von pflanzlichen Fetten", für nichtig erklärt und die Klage vollumfänglich abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.
5II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, das Berufungsgericht habe das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
61. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klagemarke sei jedenfalls in dem vom Landgericht angenommenen Umfang im deutschen Sprachgebiet nicht unterscheidungskräftig, weil sie die Waren unmittelbar beschreibe. Der Verkehr, dem die übliche Zusammensetzung einer Pizza ebenso geläufig sei wie der Begriff "Schmelzkäse", werde annehmen, dass mit der Endung "-schmelz" das Produkt assoziiert werden solle, das regelmäßig allein auf der Pizza wirklich schmelze, nämlich Käse. Die Klagemarke habe auch nicht durch ihre Benutzung Unterscheidungskraft erlangt. Die Klägerin habe zu einer - erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachten - Verkehrsdurchsetzung nicht ausreichend substantiiert vorgetragen. Konkrete Angaben zu Benutzungsdauer und -reichweite, zu Marktanteilen und Werbeaufwendungen sei sie schuldig geblieben. Auch fehlten Angaben dazu, inwieweit die Bezeichnung "Pizzaschmelz" überhaupt jeweils als Marke und nicht lediglich beschreibend benutzt worden sei.
72. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass es sich bei dem angefochtenen Urteil um eine den Anspruch der Klägerin aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzende Überraschungsentscheidung handelt, soweit das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin zur Verkehrsdurchsetzung der Klagemarke ohne vorherigen Hinweis gemäß § 139 Abs. 2 ZPO als nicht ausreichend substantiiert angesehen hat.
8a) Die Garantie rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Eng damit zusammen hängt das ebenfalls aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Verbot von Überraschungsentscheidungen. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass die Verfahrensbeteiligten bei Anwendung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermögen, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann (vgl. BVerfGE 84, 188, 190 [juris Rn. 7]; , juris Rn. 11 mwN; , juris Rn. 10). Den Gerichten obliegt in diesem Zusammenhang die Pflicht, von sich aus den Beteiligten alles für das Verfahren Wesentliche mitzuteilen. Art. 103 Abs. 1 GG normiert zwar keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts. Auch stellt nicht jeder Verstoß gegen die einfach-gesetzlichen Hinweispflichten wie zum Beispiel § 139 ZPO eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG dar. Eine solche Verletzung liegt aber vor, wenn das Gericht einen Sachverhalt oder ein Vorbringen in einer Weise würdigt, mit der gewissenhafte und kundige Prozessbeteiligte nach dem vorherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen konnten. Dann verstößt das Zivilgericht elementar gegen seine aus § 139 Abs. 1 ZPO folgende Pflicht, darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, Beweismittel bezeichnen und sachdienliche Anträge stellen können (vgl. BVerfG, NJW 2017, 3218 Rn. 49 bis 51 mwN). Nach diesen Maßstäben liegt eine Überraschungsentscheidung vor.
9b) Die Klägerin musste ohne gerichtlichen Hinweis nicht damit rechnen, dass ihr Vortrag zur Verkehrsdurchsetzung der Klagemarke in der Berufungsbegründung vom Berufungsgericht als nicht hinreichend substantiiert angesehen werden würde.
10aa) Die Klägerin hatte vorgetragen, sie sei mit dem Produkt "Pizzaschmelz" europaweit vertreten und beliefere in 22 Ländern Lebensmitteleinzelhändler, industrielle Weiterverarbeiter und die Gastronomie. Das Produkt "Pizzaschmelz" sei 2011 das erste Produkt seiner Art gewesen. Die Klägerin habe es in kürzester Zeit flächendeckend im deutschen Lebensmittelhandel etablieren können. Von dort aus habe der "Pizzaschmelz" schnell weite Teile Europas erreicht. Vielen Verbrauchern sei die Marke "Pizzaschmelz" bekannt. Die prominente Fernsehköchin S. W. habe den Pizzaschmelz der Klägerin in die Kamera gehalten, der Grimme-Preisträger J. B. habe ein Foto des Markenprodukts Pizzaschmelz auf Twitter geteilt. Die Beklagte hat in der Berufungserwiderung zu der von der Klägerin behaupteten Verkehrsdurchsetzung der Klagemarke keine Ausführungen gemacht.
11cc) Dieser Vortrag der Klägerin zu einer durch Benutzung erlangten Unterscheidungskraft ist nicht von vornherein ungeeignet, eine Verkehrsdurchsetzung der Klagemarke darzulegen, zumal er in der Berufungsinstanz unstreitig geblieben ist.
12(1) Bei der Beurteilung einer infolge von Benutzung erlangten Unterscheidungskraft kann insbesondere auf den von der Marke gehaltenen Marktanteil, die Intensität, die geografische Verbreitung und die Dauer ihrer Benutzung, den Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke, den Teil der beteiligten Verkehrskreise, der die Ware aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennt, sowie auf Erklärungen von Industrie- und Handelskammern oder von anderen Berufsverbänden abgestellt werden. Ob die Marke tatsächlich Unterscheidungskraft erlangt hat, darf jedoch nicht nur aufgrund von generellen und abstrakten Angaben, wie zum Beispiel bestimmten Prozentsätzen, beurteilt werden (vgl. und C-109/97, Slg. 1999, I-2779 = GRUR 1999, 723 Rn. 51 f. - Chiemsee; , GRUR 2017, 75 Rn. 29 = WRP 2017, 74 - Wunderbaum II mwN; BeckOKMarkenR/Hanf, 19. Edition [Stand: ], UMV 2017 Art. 7 Rn. 194 f.).
13(2) Die Klägerin hat insbesondere Angaben zur geografischen Ausbreitung der Marke (22 Länder) und ihrer Benutzungsdauer (seit 2011) gemacht. Die Beklagte hat diesen Vortrag in der Berufungserwiderung nicht bestritten oder als unsubstantiiert gerügt. Nach dem bisherigen Prozessverlauf musste deshalb auch eine gewissenhafte und kundige Partei nicht damit rechnen, dass das Berufungsgericht ihren Vortrag ohne Hinweis als nicht hinreichend substantiiert ansieht.
143. Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Die Klägerin legt in ihrer Nichtzulassungsbeschwerde dar, dass sie bei einem entsprechenden Hinweis unter Beweisantritt weiter zur Benutzungsdauer, zum Werbeaufwand sowie zur Bekanntheit der Klagemarke vorgetragen hätte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht aufgrund dieses weiteren Vortrags sowie einer Beweisaufnahme zu einer anderen Beurteilung der Frage der Verkehrsdurchsetzung gemäß Art. 7 Abs. 3 UMV gekommen wäre.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:141119BIZR89.19.0
Fundstelle(n):
JAAAH-44161