NWB Nr. 9 vom Seite 593

Gedanken zu einem bunten Strauß an Artikelgesetzen

Dr. Lukas Hilbert | Diplom-Kaufmann, Bonn | Herausgeber des Steuer-Stichwort-Kommentars Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer | www.lhilbert.de

Über(komplexe?) Steuergesetzgebung

Die Kennzeichnung der Besteuerung als Eingriffsrecht mag bereits zu einer Art Floskel verkommen sein, falsch ist sie deswegen aber noch lange nicht. Aus dem staatlichen Zugriff auf einen Teil der Einkünfte und Erträge sowie teils gar der Umsätze und der Vermögenssubstanz von Bürgern und Unternehmen erwächst eine besondere Verantwortung der Legislative, Tatbestände im Steuerrecht klar zu bezeichnen, Verfahrens- und Anwendungsvorschriften eindeutig und umsetzbar zu halten sowie Belastungsentscheidungen gleichmäßig und folgerichtig in Normen zu gießen. Im Idealfall sollte ein Blick ins Gesetz auch dem Laien einen Eindruck davon vermitteln, ob und wenn ja, in welcher Höhe er zu wann mit einer Steuerforderung des Fiskus rechnen muss.

Einem veritablen Wintersturm gleich fegte allein in den letzten Wochen des vergangenen Jahres eine Vielzahl von Artikelgesetzen über das EStG hinweg; weitere stehen bereits in der Warteschlange. Wie sind diese im Lichte der vorstehenden Anforderungen zu bewerten? Gönnen Sie sich doch einmal die Freude und versuchen Sie, allein aus der Fülle der Gesetze lediglich eine aktuelle Fassung der formalen Vorschrift des § 52 EStG zu formen. Da wird etwa in den ohnehin bereits umfangreichen Abs. 49a über Art. 2 Nr. 26 Buchst. j des „JStG 2019“ vom (BGBl 2019 I S. 2451) mit Wirkung zum ein Satz eingefügt, der über Art. 3 Nr. 1 desselben Gesetzes mit Wirkung zum bereits wieder – sodann durch zwei Sätze – ersetzt wird. Mehr noch reibt sich der Rechtsanwender die Augen, wenn er betrachtet, dass mittels weiteren Gesetzes vom (BGBl 2019 I S. 2652) durch Art. 19 Nr. 5 ein § 101 zum sozialen Entschädigungsrecht mit Wirkung zum neu ins EStG eingefügt werden soll, reklamiert doch kurze Zeit später auch Art. 2 Nr. 4 des steuerlichen Klimaschutzgesetzes vom (BGBl 2019 I S. 2886) den § 101 EStG schon mit Wirkung zum für sich – dort für die Mobilitätsprämie. Ein an Komplexität schwer zu überbietender § 4k EStG (ATAD-Umsetzungsgesetz) soll künftig hybride Gestaltungen eindämmen; vieles im Entwurf der Vorschrift wirkt arg unbestimmt. Gegen BFH-Rechtsprechung zum Zusätzlichkeitserfordernis war zunächst recht versteckt im Grundrentengesetz eine „Nichtanwendungsregel“ geplant (vgl. Hilbert, NWB 8/2020 S. 526), diese soll nun dem Vernehmen nach vielleicht noch in das Kohleausstiegsgesetz aufgenommen werden.

Den Geboten von Rechtsklarheit und Planungssicherheit sind solche Entwicklungen sicherlich nicht zuträglich. Fraglos steht deutsche Steuergesetzgebung von vielen Seiten im Feuer: Politische und wirtschaftliche sowie gesellschaftliche und ökologische Forderungen, europarechtliche Vorgaben, internationale Entwicklungen – all das muss gewürdigt und teils eingearbeitet werden. Vielleicht aber wäre etwas weniger Aktionismus von allen Seiten bisweilen heilsam. Blickt man beispielsweise Richtung Süden über die Grenze hinweg, so erkennt man, dass in der Schweiz oftmals nicht nur guter Käse länger reift, sondern – schon aufgrund der dort herrschenden Verfahrensvorgaben – auch so manches (steuerliche) Gesetzesvorhaben.

Lukas Hilbert

Fundstelle(n):
NWB 2020 Seite 593
JAAAH-43095