Vorlage an den EuGH zur Auslegung der Verordnung über Insolvenzverfahren und der Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht: Zahlung eines Dritten zur Erfüllung der vertraglichen Zahlungsverpflichtung einer Vertragspartei
Leitsatz
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Frage vorgelegt:
Sind Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. L 160 S. 1) und Art. 12 Abs. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom I"; ABl. L 177 S. 6) dahin auszulegen, dass das nach der zuletzt genannten Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht auch für die Zahlung maßgebend ist, die ein Dritter zur Erfüllung der vertraglichen Zahlungsverpflichtung einer Vertragspartei leistet?
Gesetze: Art 13 EGV 1346/2000, Art 12 Abs 1 Buchst b EGV 593/2008, Art 267 Abs 1 Buchst b AEUV, Art 267 Abs 3 AEUV
Instanzenzug: Hanseatisches Az: 9 U 57/18vorgehend Az: 328 O 509/14nachgehend Az: C-73/20 Urteilnachgehend Az: IX ZR 94/19 Urteil
Gründe
I.
1Der Kläger ist seit dem Verwalter in dem am vom Amtsgericht Hamburg eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der O. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), die ihren Sitz in Deutschland hat. Die Schuldnerin war Teil der O. -Gruppe, zu der auch die T. GmbH - ebenfalls mit Sitz in Deutschland - zählte. Zwischen der T. GmbH und dem in den Niederlanden niedergelassenen Beklagten bestand ein Vertrag über ein Binnenschiff, aus dem die T. GmbH dem Beklagten eine Vergütung in Höhe von 8.259,30 € schuldete. Nach dem Vortrag des Beklagten hatte er für die T. GmbH mit dem Schiff einen Transport von einem niederländischen Ladehafen zu einem in Deutschland gelegenen Löschhafen auszuführen. Nach dem Vortrag des Klägers handelte es sich um einen Chartervertrag über das Binnenschiff. Am zahlte die Schuldnerin den von der T. GmbH geschuldeten Betrag "auftrags Tankfracht" an den Beklagten.
2Mit am bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat der ursprüngliche, später verstorbene Insolvenzverwalter Klage auf Rückgewähr des Betrags von 8.259,30 € nebst Zinsen unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung erhoben. In der Klageschrift hat er auf die mit Ablauf des Jahres 2014 drohende Verjährung hingewiesen, um Einholung einer Übersetzung der Klageschrift sowie der Anlagen zum Zweck der Zustellung gebeten, hierfür eine zusätzliche beglaubigte Abschrift beigefügt und gebeten, ihm den Vorschuss für die Gerichtskosten einschließlich der Kosten der Übersetzung aufzugeben. Der am angeforderte Vorschuss ist am bei Gericht eingegangen. Aufgrund von Versäumnissen des Gerichts gelang die Zustellung der Klageschrift an den Beklagten in den Niederlanden erst im Dezember 2016.
3Das Landgericht hat den Beklagten unter Anwendung deutschen Rechts antragsgemäß verurteilt. Das Berufungsgericht hat - ebenfalls auf der Grundlage deutschen Rechts - die Entscheidung des Landgerichts abgeändert und die Klage auf die vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.
II.
4Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (im Folgenden: EuInsVO aF) und des Art. 12 Abs. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (im Folgenden: Rom I-VO) ab. Fraglich ist, ob das nach der zuletzt genannten Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht im Rahmen des Art. 13 EuInsVO aF auch für die Zahlung maßgebend ist, die ein Dritter zur Erfüllung der vertraglichen Zahlungsverpflichtung einer Vertragspartei leistet. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel des Klägers ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
51. Grundsätzlich gilt nach Art. 4 Abs. 1 der hier anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren das Recht des Staats der Verfahrenseröffnung (lex fori concursus) für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen. Nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. m EuInsVO aF regelt das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung insbesondere, welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen. Danach ist hier, weil das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin in Deutschland eröffnet worden ist, die Anfechtbarkeit grundsätzlich nach deutschem Recht zu beurteilen.
62. Nach deutschem Insolvenzrecht ist die Zahlung der Schuldnerin an den Beklagten gemäß § 143 Abs. 1, § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar. Die Zahlung auf die Verbindlichkeit der T. GmbH war eine unentgeltliche Leistung der Schuldnerin, weil die T. GmbH zahlungsunfähig und die gegen sie gerichtete Forderung des Beklagten deshalb wirtschaftlich wertlos war; der Beklagte hat daher durch die Erfüllung seiner Forderung wirtschaftlich nichts verloren, was als Gegenleistung für die Zuwendung angesehen werden könnte (vgl. etwa , WM 2016, 553 Rn. 10 mwN; st. Rspr.). Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist der Anspruch - anders als vom Berufungsgericht angenommen - auch nicht verjährt. Verjährung konnte nach § 146 Abs. 1 InsO, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB frühestens mit Ablauf des Jahres 2014 eintreten. Die Verjährung wurde jedoch durch Erhebung der Klage am gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Zwar setzt die Erhebung einer Klage grundsätzlich deren Zustellung voraus (§ 253 Abs. 1 ZPO). Die Hemmung der Verjährung tritt nach § 167 ZPO aber bereits mit Eingang der Klage bei Gericht ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Dies war hier der Fall. Die verzögerte Zustellung kann dem Kläger nicht zugerechnet werden, weil sie auf Versäumnissen des Gerichts beruht.
73. Danach wäre der Klage stattzugeben. Der Beklagte beruft sich jedoch auf Art. 13 EuInsVO aF. Nach dieser Norm, die ohne sachliche Änderung als Art. 16 in die Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (EuInsVO nF) übernommen worden ist, findet Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. m EuInsVO aF keine Anwendung, wenn die Person, die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigt wurde, nachweist, dass für diese Handlung das Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Staates der Verfahrenseröffnung maßgeblich ist und dass in diesem Fall diese Handlung in keiner Weise nach diesem Recht angreifbar ist. Der Beklagte meint, dass die angefochtene Zahlung nach niederländischem Recht zu beurteilen sei, und hat unter Beweis gestellt, dass die Zahlung nach diesem Recht in keiner Weise angreifbar sei.
8a) Ob die erste Voraussetzung des Art. 13 EuInsVO aF gegeben ist, hängt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs von der Beantwortung der Vorlagefrage ab. Die Handlung im Sinne dieser Norm, die den Beklagten zum Nachteil der Gläubiger der Schuldnerin begünstigte, ist die Zahlung der Schuldnerin an den Beklagten. Welches Recht für diese Handlung maßgeblich ist (lex causae, Wirkungsstatut), richtet sich nach deutschem internationalem Privatrecht. Dies gilt unabhängig davon, ob das Wirkungsstatut nach den Kollisionsregeln des Insolvenzeröffnungsstaates (lex fori concursus) oder nach dem Kollisionsrecht des Staates des angerufenen Gerichts (lex fori) ermittelt wird (vgl. , WM 2013, 2138 Rn. 11; Urteil vom - IX ZR 13/14, WM 2015, 53 Rn. 26). In beiden Fällen bestimmt im Streitfall das deutsche Kollisionsrecht das für die Zahlung maßgebliche Recht.
9Welchem Recht vertragliche Schuldverhältnisse unterliegen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen, bestimmt vorrangig die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht als unmittelbar auch in Deutschland geltendes europäisches Gemeinschaftsrecht. Nach den Bestimmungen der Verordnung unterliegt der Vertrag zwischen der T. GmbH und dem Beklagten niederländischem Recht. Dies folgt, wenn es sich dem Vortrag des Beklagten gemäß um einen Beförderungsvertrag handelt, aus Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO, weil der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in den Niederlanden hat und sich dort auch der Übernahmeort befindet. Handelt es sich, wie der Kläger mit der Bezeichnung als Chartervertrag (vgl. dazu , EuZW 2009, 822) möglicherweise meint, um einen Mietvertrag, ergibt sich die Anwendung niederländischen Rechts aus Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO.
10Fraglich ist, ob damit auch die Zahlung der Insolvenzschuldnerin im Sinne von Art. 13 EuInsVO aF dem niederländischen Recht unterliegt. Für das Verhältnis zwischen Vertragsparteien ist im Schrifttum zu § 13 EuInsVO aF und zu Art. 16 EuInsVO nF umstritten, ob für das auf die Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung anzuwendende Recht an den Vertrag oder gesondert an die Erfüllungshandlung anzuknüpfen ist; nach inzwischen wohl überwiegender Meinung ist in der Regel das Vertragsstatut maßgeblich (vgl. etwa Müller in Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO 2015, Art. 16 Rn. 7; Bork in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2018, Art. 16 EuInsVO 2015 Rn. 14; Thole in Vallender, EuInsVO, Art. 16 Rn. 5 f; ders., NZI 2013, 113, 114 f; jeweils mwN). Auch die Kollisionsnormen der Rom I-Verordnung sind insoweit nicht eindeutig. Nach Art. 12 Abs. 1 Buchstabe b Rom I-VO ist das auf den Vertrag anzuwendende Recht auch für die Erfüllung der durch ihn begründeten Verpflichtungen maßgeblich. Es wird aber vertreten, dass trotz der Regelung in Art. 12 Abs. 1 Buchstabe b Rom I-VO für die Wirksamkeit eines der Erfüllung dienenden Verfügungsgeschäfts nicht das Vertragsstatut, sondern das für die Verfügung einschlägige Statut maßgeblich ist (vgl. etwa Rauscher, Internationales Privatrecht, 5. Aufl., Rn. 1338; Staudinger/Magnus, BGB, 2016, Art. 12 Rom I-VO Rn. 33, 41; MünchKomm-BGB/Spellenberger, 7. Aufl., Art. 12 Rom I-VO Rn. 71). Der Begriff der Erfüllung in Art. 12 Abs. 1 Buchstabe b Rom I-VO beziehe sich hingegen auf die Gesamtheit der Bedingungen, unter denen die für die jeweilige Verpflichtung charakteristische Leistung zu erbringen ist (Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl., Art. 12 Rom I-VO Rn. 12; NK-BGB/Leible, 3. Aufl., Art. 12 Rom I-VO Rn. 14; Bericht Giuliano/Lagarde, BT-Drucks. 10/503, 64).
11Wird die Forderung des Gläubigers nicht durch die andere Vertragspartei, sondern wie hier durch einen Dritten erfüllt, stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit des Vertragsstatuts erst recht. Eine vertragliche Beziehung besteht zwischen dem leistenden Dritten und dem Zahlungsempfänger nicht. Andererseits dient die Zahlung der Erfüllung der vertraglichen Forderung des Gläubigers. Dessen Vertrag mit seinem Schuldner bildet den rechtlichen Grund, weshalb er die empfangene Zahlung behalten darf. Nach deutschem Recht kann er die Leistung des Dritten, sofern sein Vertragspartner dieser nicht widerspricht, nicht ablehnen (§ 267 Abs. 2 BGB). Kommt es dem Dritten gerade darauf an, die Verbindlichkeit des Forderungsschuldners zu erfüllen, wird man seine Leistung auch nicht einer von der getilgten Forderung unabhängigen Schenkung gleichstellen können (a.A. Thole, NZI 2013, 113, 116 f). Für die Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts in einem solchen Fall könnte auch sprechen, dass auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus ungerechtfertigter Bereicherung, die an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis anknüpfen, das eine enge Verbindung mit der ungerechtfertigten Bereicherung aufweist, nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom II") das Recht anzuwenden ist, dem dieses Rechtsverhältnis unterliegt. Es wird vertreten, dass dies auch für Leistungen auf fremde Schuld gilt (Rauscher, Internationales Privatrecht, 5. Aufl., Rn. 1473).
12b) Sollte die Vorlagefrage zu bejahen und für die Zahlung der Schuldnerin niederländisches Recht maßgeblich sein, hängt die Entscheidung des Rechtsstreits gemäß Art. 13 EuInsVO aF davon ab, ob der Beklagte nachweisen kann, dass die Zahlung nach diesem Recht in keiner Weise angreifbar ist. Dies hat der Beklagte behauptet und unter Beweis gestellt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:230120BIXZR94.19.0
Fundstelle(n):
DStR 2020 S. 10 Nr. 11
WM 2020 S. 466 Nr. 10
ZIP 2020 S. 426 Nr. 9
GAAAH-42234